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III

»Mit der sind Sie noch nicht fertig«, sagte Franz Erhart, nachdem sie alle eine Weile wie betroffen geschwiegen hatten. »Diese Katze rächt sich noch einmal; geben Sie acht. Warum wiesen Sie ihr auch nicht lieber die Tür, statt so –?«

»Es kam so«, erwiderte Leo kurz.

Nämlich hatte dem Mädchen bisher mit offenem Mund – wie ihm das öfter geschah – wortlos nachgesehen; jetzt stieß er plötzlich einen ungefügen, schmetternden Laut aus und lief ihr nach. Man hörte ihn dann auf der Treppe poltern und ihren Namen rufen.

»Er will sie offenbar begütigen, dieser gute Nämlich«, sagte Erhart lächelnd. »Übrigens – ein famoses Geschöpf! Wie sie so dastand, mit den krummen Fingern – so hätt' ich sie gern als Modell gehabt. Sieht man einmal was Gutes, Echtes, gleich ist's vorbei! – – Da Nämlich fort ist, können Sie mir übrigens sagen: was halten Sie von seiner Iphigenie-Landschaft?«

»Spinat«, antwortete Leo, auf der Palette kratzend.

»Nun ja, anders kann er nicht. Ich argwöhne, er ist etwas farbenblind. Aber die fade Jungfrau, die ist doch das Schlimmste!«

»Sollte man ihm die nicht hinausgraulen?« fragte Kircher, der noch auf der Tischkante saß und seine hängenden Beine in humoristische Bewegung setzte.

»Wieso? Aus dem Bild hinaus?«

»Ja. Indem wir ihn persuadieren, sie zu opfern; Landschaft ohne Staffage.«

»Seine Iphigenie opfern? Das tut Nämlich nicht!«

»Nein, so auf den ersten Hieb tut das Nämlich nicht!« antwortete Kircher mit einem spitzbübischen Lächeln um die üppigen, hochgewölbten Lippen; »aber – wenn man sie ihm so nach und nach hinauslockte! Sie wissen ja, wie leicht er auf neue Ideen eingeht, wie schnell er sich umbegeistert. Zuerst macht man ihm nur klar, da auf den Stufen steht sie nicht gut; besser, sie ist schon unten. Wenn er das gemacht hat, kommt man zu der Überzeugung: das ist noch nicht das Rechte; sie muß ausschreiten, muß mehr nach links, so recht in den Schatten – von dem spricht sie ja auch. Nu, wenn wir sie erst links haben, dann ist's nicht mehr schwer: dann graulen wir sie ihm auch wohl, immer linkser, in den Rahmen hinein und aus dem Spinat hinaus!«

»Sie sind ja ein vollendeter Schuft, Sie Duckmäuser«, entgegnete Erhart, dem die wieder aufgeblühte Heiterkeit aus den Augen lachte. »Machen Sie das mit, Falk?«

»Natürlich; Sie gehen ja doch voran. Sie können's ja gar nicht verbergen, daß der Spaß Ihnen einleuchtet, daß Sie mit dabei sind. – Übrigens, ›sich rächen‹ ... Unsinn. Was könnte das Kind mir tun?«

»Lassen wir das Kind; da kommt Nämlich wieder. Er flötet sich die Treppe herauf. Wir tun ein gutes Werk an ihm, wenn wir ihm die fade Nocken hinausdisputieren; wollen wir gleich den Anfang machen?«

Kircher nickte; Leo lächelte. Mit ein paar mächtigen Schritten war Nämlich schon an der Tür und trat vor Aufregung glühend heran; ein Gefühl der Zufriedenheit zog ihm aber die strohfarbenen Brauen in die Höhe. »Nämlich, ich hab' sie so ziemlich zur Vernunft gebracht!« sagte er etwas atemlos, aber treuherzig lächelnd. »Sie hat mich in den Arm gekniffen – dann hat sie mir aber was Gutes gesagt. Übrigens, sie zischte förmlich ... Oh! Die hat's in sich!«

»Auch ein kleines – Schmerzensgeld«, brummte er dann noch, kaum verständlich und mit verlegenem Lächeln, in den Bart hinein und nahm Kirchers Filzhut vom Tisch, indem er seinen Strohhut suchte.

»Was sehn Sie denn noch an meinem Bild?« fragte er darauf angenehm überrascht, da er Erhart wieder vor der Iphigenie stehen sah. »Was – fällt Ihnen noch auf?«

»Mir?« fragte Erhart zurück.

»Ja. Ich meine, weil Sie – –«

»Wir wollen ja eigentlich gehn; von wegen Falks Bierdurst. Aber sagen Sie, lieber Nämlich: warum haben Sie Ihre Iphigenie da oben auf die Stufen gestellt?«

»Warum? – Nu, das war ja doch natürlich«, entgegnete Nämlich, offenbar verwundert. »Sie kommt eben aus dem Tempel. Sie ›tritt eben heraus‹. Ich betone ja dadurch auch, daß sie die Priesterin ist; daß sie nicht bloß so eine beliebige junge Dame ist, die in der Natur spazierengeht, sondern – – nu, wie gesagt, eine Priesterin.«

»Das seh' ich vollkommen ein; sehr richtig. Aber andrerseits –«

»Du willst sie ja ohnehin verbessern, Nämlich«, warf Kircher von seiner Tischkante ein. »Willst sie griechischer machen –«

»Ja, das will ich auch!« rief Nämlich aus, vor ehrlichem Eifer seine Augen rollend.

»Na,« sagte Erhart ruhig, »dann könnten Sie vielleicht noch ein übriges tun und das Ganze mehr harmonisieren; so mehr noch ins Große, Einfache – – Was meinen Sie, Falk?«

»Sie muß unten stehn«, sagte Falk, die Palette weglegend.

»Wer muß unten stehn?« fragte Nämlich.

»Das Mädel«, entgegnete Falk, ohne aufzublicken.

Erhart nickte mehrmals. »Sehen Sie, Falk hat recht! Das Fräulein muß unten stehn. Sie ist schon die Freitreppe herunter. Sie steht da unten – sehen Sie – da im vollen Licht.«

»Aber warum? warum?« fragte Nämlich ängstlich.

»Aber wie kannst du noch fragen«, warf Kircher ein. »Wenn du dein Bild doch harmonisieren willst. Eine ›ideale Landschaft‹, nicht wahr; mit einer einzigen Person als Staffage; da rechts in der Ecke, in der Architektur, geht die ja verloren! Sie wird nicht bedeutend. Aber unter den hohen Bäumen, in der Mitte –«

»Ganz richtig«, bemerkte Erhart, wieder kräftig nickend. »Da kommt sie zu ihrem Wert; und sie hebt das Ganze. Iphigenie im Hain der Göttin. ›Im Hain.‹ So kriegen Sie etwas mehr Größe auf Ihre Leinwand, Nämlich!«

»Kurz, mehr Haltung, mehr Stil!« setzte Kircher hinzu.

Nämlich fuhr sich durch sein blondes Strohdach und kratzte an seiner Schläfe. »Meinen Sie auch, Herr Falk?« fragte er verschüchtert.

»Sie muß unten stehn«, wiederholte Falk, ohne seine Behauptung weiter zu erörtern. »Kinder, das ist abgemacht. Gehen wir zum Bier!«

»Jawohl, ja, zum Bier«, murmelte Nämlich, die Augen noch auf seine unglückliche Iphigenie geheftet. »Ich dachte, als Priesterin – – Aber natürlich, es hat – es hat etwas für sich. Im Hain. In der Mitte. Wenn sie sich vom Tempel ablöst, kommt sie mehr in die Landschaft. Das ist ja zu machen!«

»Natürlich ist es zu machen«, erwiderte Erhart, der seinen Hut aufsetzte; »und für Sie durchaus ohne Schwierigkeit. Es wird ein andres Bild – und das ist kein Unglück. Sie werden's schon treffen, Nämlich. Meine Freunde, Nämlich wird's schon treffen. Reden wir ihm nicht länger hinein; er sinnt schon, wie er sie am schlauesten die Stufen herunterkriegt; gebt acht, er überrascht uns. Also auf zum Englischen Kaffeehaus!«

»Gewiß wird er's wissen«, murmelte Falk, als verstehe sich das von selbst. Er hatte auf seinen schwarzen Lockenwald einen ebenso schwarzen Filzhut gestülpt, aber den feinsten und leichtesten, den man finden konnte. Die kleine, kraftvoll geschmeidige Gestalt ging voran; nach seiner natürlichen Denkweise fiel es ihm nicht ein, mit den Freunden Umstände zu machen. »Der letzte schließt die Tür ab«, rief er zurück, »und gibt mir den Schlüssel!«

Nämlich blieb als letzter zurück; er hielt Ifinger zart am Arm, um ihm etwas zuflüstern zu können, und während er den Schlüssel abzog, sagte er herzlich lächelnd an Ifingers Ohr: »Nämlich der gute Erhart ahnt nicht, wie sehr er damit recht hat: ich werde sie überraschen, und wie. Unten steht sie besser, natürlich. Morgen ist's gemacht!«

Sie kamen die Treppe herunter und auf den Hof hinaus, von dem ein Torweg auf die Straße führte. Auf dem Hof hing, nicht sehr malerisch, allerlei gewaschenes Leinzeug; es bewegte sich lebhaft hin und her, offenbar vom Wind geschüttelt. »Ei, ei, was ist das?« sagte Erhart heiter. »Ein unerwarteter Wind hat sich aufgemacht. Man will uns also nicht ersticken!«

»Das ist die richtige Tramontane, wie in der Campagna«, sagte Kircher wichtig. »Man spürt's auf der Stelle!«

»Das ist durchaus keine Tramontane,« entgegnete Falk mit seiner sachlichen Ruhe, »sondern unser gewöhnlicher Münchener Alpenwind.«

»Meine Herren, streiten wir nicht!« rief Erhart dazwischen. »Ich bedanke mich jedenfalls beim königlich bayerischen Oberwindmacher für diese kleine Auffrischung!«

»Guten Abend, Koller!« setzte er hinzu, da von einem Schuppen her der Hausmeister, zugleich eine Art Faktotum der Maler, über den Hof zum Haus ging. Es war eine lange, fast hagere Gestalt, sonderbar gekleidet; einen alten, fleckigen Malerschlapphut hatte er sich in die Stirn gedrückt, an den Füßen trug er mächtige Filzschuhe, trotz der Sonnenhitze; vor eine betagte graue Lodenjoppe hatte er ein Stück alter Malerleinwand als Schürze gebunden. Seine angegrauten, strähnigen Haare flatterten im Winde. Als er näher kam, hob ein plötzlicher Windstoß auch die Leinwandschürze, schlug sie nach oben gegen die Joppe hinauf, und zu Ifingers Erstaunen ward auf der Rückseite ein gemalter Frauenkopf sichtbar.

»Teufel! Eine neue Art von Schurzfell!« rief Ifinger aus und begann zu lachen. Unter dem tiefernsten, verwitterten Gesicht des alten Hausmeisters nahm sich dieses blühende, reizende Mädchenantlitz doppelt komisch aus. Die Windwelle ging indes vorüber und das junge Mädchen sank wieder in seine unbedeutende Stellung als Schürzenunterfutter zurück.

»Die Sache ist sehr einfach,« sagte Erhart, da Ifinger ihn fragend ansah. »Koller ist ein Haushälter, und seine ganze Garderobe ›wünscht‹ er sich von uns zusammen. Diese Schürzen, die sind seine Erfindung. Unsre weggeworfenen Skizzen und Versuche bettelt er uns ab und gibt ihnen auf diese Weise einen neuen Wert. Den Kopf da hat er von Kircher, glaub' ich –«

»Nein, von mir«, unterbrach ihn Falk. »Er war mir mißlungen ...«

Koller war stehengeblieben, ein neuer Windstoß hob die Schürze nach oben, legte sie dort fest und zeigte wieder das junge, reizende Gesicht. Eine reiche Pracht welliger, sanft blonder Haare umgab einen schöngeformten Kopf, auf dem zunächst das zarte, mädchenhaft jugendreine Rosenrot der Wangen in die Augen fiel. Auch die Lippen blühten wie Blumen; nur war die Haut der leise vortretenden Unterlippe etwas aufgesprungen. Die Nase war zierlich, wenn auch nicht eigentlich edel gebildet; die Brauen über den langgeschlitzten, grau gefärbten Augen in einem wundervollen Bogen bis an die Schläfen geführt. So viel ließ das unfertige Bild erkennen; oben war ein Rembrandthut, unten ein breiter Spitzenkragen nur erst angedeutet. Über den Hals ging ein schwärzlicher Streifen, den ein unglücklicher Zufall erzeugt zu haben schien.

»Aber das ist ja ein Prachtstück von einem Mädel«, sagte Ifinger, der nähergetreten war. »Ein allerliebster Schatz!«

»Diavolo, das ist meine Schwester!« rief Kircher ebenso überrascht wie entrüstet aus.

»Nu freilich ist's deine Schwester,« erwiderte Leo ruhig. »Hätte gut werden können, ist mir aber verunglückt –«

»Meine Schwester! als Kollers Schürze!«

»Nun ja – was denn sonst? Meine hat er auch. Das wär' gar schön! ein Maler und so beamtenmäßig kleinlich. Ich werd' sie noch einmal malen, und dann wird sie besser!«

»Aber diese Schwester kenn' ich ja noch gar nicht,« murmelte Ifinger, der die Schürze in die Hand genommen hatte (Koller, dem das Ganze schmeichelte, wartete geduldig) und das mit Falkscher Farbenlust »hingesetzte« Bild wie bezaubert anstarrte. »Aber die ist ja wundersch – – Diese Skizze, mein' ich.«

»Ein Schmarren«, erwiderte Falk.

»Wenn ich so einen Schmarren malen könnte, opferte ich hundert Ochsen, wie Pythagoras«, entgegnete Ifinger. »Bitte, Herr Hausmeister, stehen Sie noch still. Einen Augenblick. Eine entzückende – – Sie sollten mit mir einen Handel machen; ich will Ihnen auch sagen, warum. Es ist ja eine ehrenvolle Aufgabe, Ihnen bei Ihren häuslichen Verrichtungen als Joppenschutz zu dienen; aber wenn man noch so jung ist – dieses Mädchen, mein' ich – – Kurz, diesen Schmarren kauf' ich Ihnen ab. Nennen Sie einen höflichen Preis!«

»Was wollen Sie mit dem Ding?« fragte Erhart. »Haben Sie sich verliebt?«

Hermann Ifinger ward rot, er fühlte sich von diesen vier Worten sonderbar getroffen. Indessen nach einem kurzen summenden Lachen erwiderte er: »Sie wissen, ich bin auch so gescheit wie Ihr Hausmeister und sammle abgelegte Malerskizzen, wenn ich mich auch nicht körperlich damit schmücke.« Er wandte sich zu Kircher: »Erlauben Sie als Bruder, daß ich diese Skizze von Meister Falk in meiner Sammlung aufhänge?«

»Sie hören ja: ein Maler darf nicht ›kleinlich‹ sein«, antwortete Kircher, der sich sehr davor fürchtete, bei seinen begabteren Kollegen nicht für voll zu gelten. »Tun Sie, was Sie wollen!«

»Also dann nennen Sie einen menschlichen Preis, Herr Hausmeister. Eine bemalte Schürze!«

Der Hausmeister, der dieses Kleidungsstück sonst mit Freuden für einige Mark weggegeben hätte, machte jetzt, da er Ifingers Eifer sah, ein überaus bedenkliches, fast kummervolles Gesicht. Er zog die Nase und die Brauen in die Höhe, und durch ein langgezogenes, schmerzliches »Hm« suchte er auszudrücken, daß ihm ein fast übermenschliches Opfer zugemutet werde. Nach einem Blick von oben herunter auf das an seinen Leib gedrückte Kunstwerk (sehen konnt' er es nicht) sagte er bedächtig: »Von so was trennt man sich schwer. Das ist ein ›Falk‹, lieber Herr. Mein Liebstes.«

»Darum tragen Sie es auch als Schürze«, entgegnete Ifinger. »Also was wollen Sie denn?«

»Unter hundert Mark kann man so was nicht hergeben. Ich schon gar nicht, Herr!«

Doktor Ifinger warf einen hilflosen Blick auf Falk und Kircher; er zuckte die Achseln, wie wenn er sagen wollte: um euretwillen kann ich hier nicht handeln! – »Nun, dann binden Sie Ihr Liebstes los,« sagte er kurz und griff nach seiner Brusttasche. »Und entschuldigen Sie, daß ich Sie so beraube!«

»Doktor, Sie sind verrückt!« rief Leo Falk aus. Erhart nickte stumm.

Ifinger antwortete nicht, er zahlte und nahm sein Bild in Empfang. Es schien ihm plötzlich an Wert zu gewinnen, da er es so teuer erkauft hatte. Von einem anständigen Gefühl übermannt, fragte der alte Koller, indem er sich dankbar verneigte: »Soll ich Ihnen die junge Dame nicht nach Hause tragen?«

»Ich danke; das tu ich selbst. Ich wohne in der Nähe. Wünsch' Ihnen ein gutes Glas Bier, meine Herren!«

»Wie?« sagte Erhart. »Sie kommen nicht mit zum Bier?«

»Erst nach Hause mit Kollers Schürze. Mich erwartet auch allerhand ... Ich komme Ihnen nach!«

»Jeder tut, was er nicht lassen kann«, murmelte Erhart lächelnd. Sie waren auf die Straße getreten, die Maler schwenkten rechts ab, Ifinger wandte sich nach links, zur nahen Brienner Straße. Der Wind spielte mit seiner Leinwand, Ifinger rollte sie zusammen und trug sie so in der Hand.

Nach einigen Schritten rief Erhart noch zurück: »Also dann gute Unterhaltung mit der Porzelläne!«

»Was für eine ›Porzelläne‹?« fragte Ifinger, der stehenblieb.

»Nun, die Kircherische; die gemalte da. – Sehen Sie, wie der Koller in der Haustür schmunzelt. Also auf Wiedersehen im Englischen Kaffeehaus!«


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