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II

Der Mann, der mit diesem seltsamen Kriegsnamen angerufen ward, war eine ganz und gar nicht malerische Erscheinung. Er hatte nichts von dem, was alle die jungen Künstler in irgendeiner Weise »ateliermöglich« machte (ein Wort, das Erhart zu gebrauchen pflegte): weder starken Haarwuchs, noch Samtkleider, noch freie, lebendige Haltung, noch stilvolle Krawatte, noch beobachtenden Blick, noch »zigeunerische« Heiterkeit. Er ging etwas vornübergebeugt, nicht unter der Last der Jahre – denn er war damals kaum dreißig alt –, sondern aus Nachlässigkeit. Sein kurzsichtiger, mit einer stählernen Brille bewaffneter Blick schien mehr nach innen gekehrt; seine Haare waren dünn und fast abrasiert, sein brauner Bart kurz geschnitten. Ohne häßlich zu sein, hatte er doch genug an sich getan, um nicht mehr für hübsch zu gelten; auch seiner schlanken, wohlgebauten Gestalt tat er dadurch Abbruch, daß er die Arme unförmlich hängen ließ oder leise damit schlenkerte und bei seinem raschen Gang die Hüften so wenig wie möglich bewegte. Als wünsche er auch durch die Stimme nicht ästhetisch zu wirken, hatte er sich gewöhnt, mit dem etwas harten und scharfen Organ rasch und farblos zu sprechen; mit einer erstaunlichen, unfehlbaren Geläufigkeit der Zunge, aber doch ungefähr wie ein Stenograph, der, was das rastlose Hirn diktierte, hastig niederschrieb, ohne an Form und Schönheit seiner Schrift zu denken.

Sowie er eintrat, fiel das volle Licht des Sommertags auf sein gebräuntes, stark verbranntes Gesicht: erst vor wenigen Tagen war er aus Spanien zurückgekehrt, wo er den Frühling und die Hälfte des Sommers verlebt hatte. Er fuhr sich von rückwärts mit der Hand über den Kopf – wonach sie aussah, als hätte sie über eine betaute Wiese gestreift –, steuerte mit seinen raschen Schritten auf Leo Falk zu, lächelte ihn herzlich an und drückte ihm die Hand. »Grüß' Sie Gott«, sagte er in seiner »Geschwindschrift«; »hochverehrter Meister und erlauchter Zeitgenosse – illustre contemporaneo ... Ich melde mich heimgekehrt. Diese andern Malermänner sah ich schon in der Kneipe; Euer Wohlgeboren noch nicht. Wenn Sie sich übrigens einbilden, in Spanien ist's heißer, so nehmen Sie diesen Irrtum zurück. Unser vielverschrienes München hat das ideale Klima: im Winter erfriert man und im Sommer verbrennt man; so ist's richtig; umgekehrt wär's falsch. Am Guadalquivir schwitzt man auch nicht besser!«

»Eine verdammt abgesottene Luft!« sagte Erhart zustimmend. Hermann Ifinger – so war der wirkliche, ehrliche Name »Hermann des Cheruskers« – trat auch zu Lina, sobald er sie erkannt hatte, und gab ihr die Hand. »Guten Tag, Freundin meiner Jugend«, stieß er mit der tonlosen, hastigen Herzlichkeit heraus, die sie schon an ihm kannte. »Sie sind ein gescheites Mädchen, Sie haben Ihre Zeit benutzt; in diesen drei Monaten ist Ihre Nase entschieden mehr nach Süden gegangen; wie ich's Ihnen geraten hatte. Überhaupt – Verbesserung der Erscheinung; Sie formieren sich. Ich fürchte, Sie werden noch ein hübscher Racker, der sich dann einen beliebten Namen als Magnetberg macht und unter uns Eisenschiffen einmal ordentlich aufräumt!«

»Müssen Sie denn das Mädel auch noch eitler machen«, brummte Leo Falk; »ist schon dreist genug. Was haben Sie denn so lange in Spanien getrieben?«

»Vor allem Bilder gesehen. Alle, die es gibt.«

»Wollen Sie denn jetzt durchaus Kunstgelehrter werden?«

»Kunstgelehrter nicht; aber womöglich doch dahinterkommen, was die Malerei für 'ne Sache ist.«

»Also ganz für die Kunst?«

»Zu dienen.«

»Auch noch zum Pinsel greifen?« fragte Erhart.

»Heute abend noch, wenn ich könnte!« antwortete Ifinger, indem ihm ein wehmütiger Schatten über das Gesicht flog. »Geben Sie mir ein bestimmtes Talent – nur von mittlerer Größe – und mein Bankier zahlt Ihnen mein ganzes sogenanntes Vermögen aus. Da ich aber selber nichts machen kann, so will ich wenigstens eine Weile zusehen, wie die andern machen.«

»Sie wollen also nichts mehr lernen, Herr Doktor?« fragte Kircher lustig.

»Er weiß ja schon alles!« entgegnete Nämlich und lachte. »Dem fliegt es ja so zu, wie die Fliegen ins Spinnennetz. Er steckt die Nase ins Buch, und dann weiß er's auswendig.«

»Schämen Sie sich eigentlich nicht,« fragte Erhart, etwas nähertretend, »daß Sie so viel wissen, ohne je was gelernt zu haben?«

»Ich nichts gelernt?«

»Na, doch so eigentlich nicht; nicht wie unsereins. Gelesen und behalten! Wenigstens wird Ihnen das nachgesagt.«

Hermann Ifinger lächelte. »Das wäre ja sehr hübsch, wenn es nur auch wahr wäre. Ich kann Sie versichern, mein Kopf hat oft sichtbar und hörbar geraucht. Nur daß ich ein gutes Gedächtnis – Teufel, was für ein Farbengezwitscher!«

Er war vor Leos »Frühling« getreten, und die aufrichtige Bewunderung brach aus ihm hervor; wenn auch nicht in den begeisterten Ausdrücken, in denen er sie empfand: die brachte er nie heraus. Ein schwerfälliges schüchternes Schamgefühl hinderte ihn daran; sonst hätte er dem jungen Meister starke Sachen gesagt, ihn wohl gar an die Brust gedrückt. Es war eine so eigene Welt von Farben, die ihm entgegenblühte, eine sonderbar berauschende sichtbare Musik; damals für deutsche Augen noch neu, und wie eine frische Offenbarung wirkend. Ifinger bemerkte kaum, wie »ruchlos« die Köpfe des kleinen Geniengesindels waren, das die Landschaft durchwucherte: so lebhaft musizierten die Farben in seiner Seele oder seinen Sinnen. Endlich sagte er mit einem gewaltigen Anlauf, indem er an seiner Brille rückte: »Ich komme vom Herrn von Murillo und von Onkel Velasquez – aber entweder bin ich ein Esel, oder die können's auch nicht besser.«

Leo Falk schwieg, nur ein wenig schmunzelnd. In diesem Augenblick zupfte Lina ihn von neuem und flüsterte mit einer gewissen Heftigkeit: »Malen Sie doch weiter!«

Falk stieß ihre dreiste Hand unwirsch zurück. »Nun«, sagte Erhart, gegen Ifinger gewendet, »Ihr Entweder-Oder wollen wir noch unentschieden lassen. Was ich aber fragen wollte: Mit dem Fliegen ist es also noch nichts? Ihre Flugmaschine haben Sie vorderhand wieder aufgegeben?«

»Die Maschine ist gut«, erwiderte Ifinger; »nur daß man doch noch nicht damit fliegen kann. Sie hat mich ungefähr drei Jahre meines Lebens gekostet, das ist vorläufig genug. Ich hab' mich jetzt entschlossen, einstweilen auf der Erde zu bleiben – und zu sehen, wie die anderen fliegen: nämlich die was können. Zum Beispiel der Verfasser dieser Symphonie auf Leinwand!«

Er putzte seine Brille, um eine gewisse Melancholie zu verbergen, und lag fast mit den Augen auf den Gläsern, als betriebe er ein sehr wichtiges Geschäft. Auch hatte er eben noch rascher gesprochen als sonst.

Erhart beobachtete ihn, doch ohne es zu zeigen. Mit seiner gelassen ernsten Heiterkeit sagte er dann: »Ist es wahr, Doktor Ifinger, daß die spanischen Schauspieler ebenso fix sprechen wie Sie?«

»Sie scheinen das nicht für möglich zu halten«, erwiderte Ifinger, der noch weiter putzte; »ich kann Sie aber versichern, es ist noch viel schlimmer. Die haben eine Volubilität der Zunge, vor der ich mich in Ehrfurcht beuge. Geben Sie so einem kleinen Kastilier einen Monolog von drei Seiten, er rauscht ihn Ihnen herunter wie ein Wasserfall:

En Salamanca, señor,
Hay un caballero noble
De quien es la alcuña Herrera,
Y Don Pedro el propio nombre –

Entschuldigen Sie, der Monolog ging mit mir durch. Also ›und so weiter‹!«

»Nein, noch nicht aufhören, Doktor!« rief Nämlich, der mit offenem Munde zuhörte. »Das klingt ganz famos. Rauschen Sie noch 'ne Weile!«

Das Mädchen trat vor Ungeduld abwechselnd mit den Füßen, und blies die Luft durch die Zähne. Kircher aber schwang sich auf eine Tischkante: »Weiter deklamieren! Kommen Sie uns spanisch, Doktor! Sausen Sie ihn herunter!«

»Er kann's ja nicht weiter«, sagte Erhart, der ihn reizen wollte.

Jetzt lächelte Ifinger, und wie ein aufgezogener Automat, ohne aufzublicken, fuhr er da fort, wo er sich unterbrochen hatte. Die leichten, flüssigen Verse rieselten über seine Zunge, hüpften einander nach, wie die Wellchen in einem Gießbach. Er bemühte sich nicht, sie ausdrucksvoll zu sprechen; sie schienen aber ihr eigenes Leben zu haben, das mit elementarer Lustigkeit dahinströmte. Die Maler hörten verwundert wie die Kinder zu. Sie lächelten, schüttelten die Köpfe. Das war ein Ding, das sie nicht konnten. Die Musik dieser Sprache schwirrte ihnen durch die aufgeweckten Sinne.

Plötzlich rief Leo: »Halt!« – Er hatte mit tiefsinnigem Gesicht auf seinem Dreifuß gesessen; jetzt schnellte er in die Höhe. Mit einem Nachdruck, der an ihm überraschte, setzte er hinzu, während Ifinger sofort verstummte: »Ich weiß jetzt, was mir ist. Bier! Ich habe Durst!«

»Gott sei Dank!« sagte Erhart lächelnd. »Sie fangen an, ein Mensch zu werden. Leo Falk hat Durst! – Dann kratzen Sie Ihre Palette ab, und gehen wir zum Bier.«

»Nein, nein, nein, noch nicht!« rief das Mädchen aus, mit zornig weinerlicher Stimme. »Unser Bild wird nicht fertig. Herr Falk soll noch malen!«

Erhart sah sie spöttisch verwundert an. Die aufgeregten, grünlich schimmernden Augen, die rubenshaft weißliche, sinnlich leuchtende Haut, vom roten Gold der Locken umflossen, machten ihm plötzlich eine starke, malerische Wirkung; aber der kindisch trotzige Ausdruck, die verzogenen Lippen kälteten ihn wieder ab. Er wandte sich zu Leo: »Sie haben das Ding verwöhnt. Die sagt ›unser Bild‹. Zeigen Sie ihr doch einmal ihre Stellung in der menschlichen Gesellschaft!«

Über Leos gelbliches Gesicht ging eine dunkle Röte. Er warf dem Mädchen einen aufflammenden Blick zu; dann siegte aber noch einmal die lässige Gutmütigkeit, die ihn über die Ärgernisse des Lebens so erhaben machte. »Dummer Kerl, was willst du?« sagte er mit einiger Erregung, aber doch nicht scharf. »Ich befahl' dich ja, als hätten wir bis zur Nacht gemalt.«

»Mir ist nicht ums Geld«, erwiderte das Mädchen. Die Worte kamen halb erstickt heraus; vor Verdruß traten ihr Tränen in die Augen, da sie ihn schon die Farbe mit der Palette abschaben sah. »Aber Sie hatten mir versprochen: morgen wird es fertig –«

»Du lügst ja, du Kröte. Vielleicht, hab' ich gesagt. Jetzt ist's genug; laß mich gehn!«

Das erregte Geschöpf vermochte sich aber nicht zu fassen; die lächelnden Gesichter der Maler reizten sie. Leos hart gewordene Stimme schien ihr körperlich weh zu tun. »Ich will aber noch arbeiten!« sagte sie und trat vor ihn hin. »Sie wollen nur nicht mehr, weil Sie faul sind!«

Plötzlich hob Leo die Hand, und mit einem lauten Schall fiel sie auf Linas Wange. Ein jäher Anfall von Wut hatte ihn fortgerissen, ohne daß er wußte, wie.

Das erschrockene Mädchen schrie auf.

Im nächsten Augenblick schlug sie die Zähne zusammen und krümmte ihre Finger; die Hände streckten sich vor, und sie schien so fest entschlossen, dem Maler mit allen Nägeln in die Augen zu fahren, daß Ifinger vortrat, um ihn zu schützen. Mitten im Angriff blieb sie aber stehen; Leos heiße Augen mochten sie eingeschüchtert haben. Sie sah einige Augenblicke einer Bildsäule gleich, die den Zorn eines Kindes in heftiger Bewegung darstellte. Haß, Ingrimm, Rachsucht blitzten ihr aus den Augen; es zuckte um ihre Lippen, auf der geschlagenen Wange. Sie murmelte etwas zwischen den Zähnen; Ifinger glaubte zu verstehen: »Das werd' ich dir einmal« – – Dann verschwanden die Worte in einem atmenden Zischen.

Auf einmal begann sie sich das weiße Kleid von den Schultern zu reißen, lief hinter die spanische Wand und kam mit unglaublicher Geschwindigkeit in ihrem eigenen Gewand wieder hervor. Es war aber nicht geschlossen und hing noch zum Teil aufgebauscht über der linken Hüfte. Ohne jemand anzublicken und ohne ein Wort stürzte sie hinaus.


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