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VII

Erst als er auf den Marktplatz und in die Sonne kam, kehrte Ifinger gleichsam ins Leben und zur Welt zurück. Ihm schauderte noch vor dieser hübschen, sechzehnjährigen »Teufelinne« ... »Wie mach' ich ihn von ihr los! Wie mach' ich ihn von ihr los!« dachte er immer wieder; schon auf den beiden Treppen im »Mohren« hatte er sich diese Worte wohl ein dutzendmal gesagt. Er kam sich so dumm, so erbärmlich dumm vor ... Irgendein beliebiger »Durchschnittswüstling«, ein mäßig begabter, aber erfahrener Lebejüngling wüßte wahrscheinlich ohne viel Besinnen, was in so einem Fall zu tun sei; er brauchte in sein hohles, aber mit nichtsnutzigen Tatsachen angefülltes Hirn nur hineinzugreifen wie in einen Topf und ein Auskunftsmittel herauszuholen, das zum Ziele führte. Was verstand davon Hermann Ifinger? Was wußte Hermann Ifinger? Er hatte mit allerlei Menschen gelebt, mit gutem und schlechtem, weisem und törichtem Volk – nie mit »Teufelinnen«!

Am Ende des Marktplatzes, schon im Schatten, unter dem hohen Gemäuer der »Residenz«, hielt ihn der freistehende Pavillon des »Café Tomaselli« auf, und der Anblick eines unendlich behaglichen Idylls, das seiner Aufregung und Verstörtheit förmlich zu spotten schien. Der dicke Baron Ansbach saß vor dem Pavillon im Freien an einem Tischchen; er trank Schokolade und aß »Mozartkugeln« dazu. Seine kleinen, glänzenden Augen blickten mit der entschiedensten Heiterkeit in die Welt hinaus; sie schienen sich mitzufreuen und es mitzugenießen, daß der kleine Mund da unter ihnen seinen ihm zukommenden guten Tag hatte. Die sanft rosigen Wangen, der weiche, dunkelblonde, aufgedrehte Schnurrbart, das ganze von Gesundheit leuchtende angenehme Gesicht gab dem Marktplatz von Salzburg und der übrigen Welt zu erkennen, daß der Baron Ansbach aus Wien zufrieden und glücklich war. Seinen Hut hatte er neben sich auf einen Stuhl gelegt; auf den Hut den blaßrötlichen Handschuh seiner rechten Hand. Seine Zigarrentasche lag auf dem Tisch; sie wartete auf ihre Zeit. Er saß ganz allein, nur unter dem Vordach des Pavillons sah man noch einige Gäste.

Ifinger, von dem Baron erkannt, der ihm gemütlich zunickte, trat heran und grüßte. »Also noch hier?« fragte er, um nur etwas zu sagen.

»Ja; aber unwiderruflich letzte Vorstellung«, erwiderte Ansbach; ich war jetzt so ziemlich überall, kann ich Ihnen sagen: im Salzburgschen und nach Bayern hinein; sogar auf dem Gaisberg.«

»Ah!«

»Ja; denken Sie, mit dieser Figur! – Eine gute Salzburger Spezialität, diese Mozartkugeln. Man kann merkwürdig viel davon essen ... Ja, morgen geht's fort.«

»Wohin?« fragte Ifinger.

»Nach Ischl; da setz' ich mich nochmals fest. Ich hab' mir von Wien meinen Viererzug kommen lassen, werde hinkutschieren. Vielleicht über Mondsee ... Ich weiß noch nicht.«

Er aß noch eine »Kugel«.

»Das wäre nicht übel,« dachte Ifinger, »wenn die Lina Schellenberg dasselbe Fuhrwerk benutzte und ›mit allen Vieren‹ nach Ischl abkutschierte! In die blauen oder grünen Seidenpolster gelehnt würde sie sich prächtig ausnehmen; und stolz wie eine Prinzessin –«

Er konnte seinen Gedanken nicht zu Ende denken: ein andrer fuhr ihm wie eine Rakete dazwischen. »Das ist ja dieser Baron«, dachte er, »der sie in Hallein gesehen hat; dem sie so sehr gefiel ... Teufel! Wenn sie mit dem – –«

»Fällt Ihnen eben etwas so Amüsantes oder Komisches ein?« fragte der Baron, der seine Schokolade austrank.

Ifinger wandte hastig den Kopf. – »Warum?«

»Weil Sie so lächeln, Herr Doktor.«

»Habe ich gelächelt? – Das ist unwillkürlich.« – – »Ja, ich tu's!« dachte er. »Oder einen andern hübschen jungen Mann, sagte sie ... Da ist einer. Der wird ihr gefallen: der kann noch mehr als kleine Bilder schenken. Wenn der nur will, werden wir sie los!«

Er rückte seine Brille und sah den Baron plötzlich an. »Übrigens, da fällt mir ein,« sagte er, seine Stimme dämpfend, »Sie sprachen doch neulich von einer merkwürdigen, pikanten Person – goldne Haare und goldner Gürtel – die Ihnen in Hallein ›durchging‹, wissen Sie. Die hab' ich hier in Salzburg entdeckt!«

Dem Baron blieb eine »unwiderruflich letzte« Mozartkugel, in die er eben hineinbiß, zwischen den Zähnen stecken. Er starrte Ifingern ins Gesicht; dann zog er das süße Gebäck einstweilen heraus. »Wo haben Sie diese ›Hexe Lorelei‹ gesehn?« fragte er. »Wo steckt sie?«

»Gleich da hinten im ›Mohren‹, in der nächsten Straße. Laura Schellenberg heißt sie. Sie will auch nach Ischl ... Übrigens wundre ich mich, daß Sie sie nicht kennen: sie ist im Wiener Ballettkorps – und nur für die Ferien hier.«

»Im Wiener Ballettkorps! Ah! – Ich hab' leider viel Familientrauer gehabt; bin schon ganz ballettfremd ... Was sagen Sie? Sie will auch nach Ischl? – Nehmen Sie doch ein wenig Platz!«

»Ich danke«, sagte Ifinger und blieb stehn; »ich habe keine Zeit. Ja, sie sprach von Ischl; das heißt – – ich komme eben von ihr. O nein, fürchten Sie nichts: ich mache keine Ansprüche. Ich hab' nur zufällig entdeckt, daß sie dieselbe ist, die ich als Kind in München gekannt hab'; schon damals vielversprechend – jetzt erst sechzehn Jahre alt –«

»Sechzehn Jahre!« rief der Baron bewundernd und in seiner Art fast begeistert aus. »So eine Zentifolie,« fuhr er leiser fort, »und erst – – das ist phänomenal; für unsre achtundvierzig Grad nördlicher Breite. Das ist mein Ideal, Herr Doktor: reif wie einundzwanzig, und erst sechzehn alt!«

»Sie haben also auch Ideale ... Da bedaur' ich Sie eigentlich, Herr Baron –«

»Warum?«

»Weil ich fürchte, die Kirschen sind sauer. Nicht daß ich gerade glaube, sie hat sich vorgenommen, heiliggesprochen zu werden; aber sie ist ›in der Hand‹ sozusagen. Wie das bei Idealen schon so ist: Sie müssen wohl verzichten.«

»Ich? Sie sind wohl nicht – – Mein lieber Herr Doktor, beleidigen Sie mich nicht. Ich sehe zwar nicht danach aus, aber gegen Hindernisse auf diesem Gebiet – bin ich wie der Teufel. Übrigens, heute in der Hand, morgen aus der Hand; danach sah sie schon aus ... Im ›Mohren‹, haben Sie gesagt? Laura Schellenberg?«

Ifinger zuckte die Achseln. Mit einem letzten kühnen Entschluß sagte er: »Bemühen Sie sich nicht. Sie hat einen Maler gern; – übrigens kennen Sie ihn. Es ist der Herr Erhart, bei dem Sie neulich waren –«

»Was?« rief der Baron und fuhr in seiner ganzen Stattlichkeit in die Höhe. »Dieser Erhart –«

»Bitte, nicht so laut!«

»Dieser Erhart,« wiederholte der Dicke leiser, »auf den ich so wütend bin? der mir dieses schnöde Billett – – dem schnappe ich sie weg!«

»Ich denke mir, das werden Sie doch nicht tun, schon aus Ritterlichkeit. Übrigens hängt sie an ihm, kann ich Sie versichern –«

»Wie sie an diesem Maler hängt, das kann ich mir denken!« sagte Ansbach überlegen lächelnd. »Sie kennen wohl die Geschichte, die so anfängt: ›er war Maler – und sie hatte auch nichts‹. – ›Ritterlichkeit‹ ... Mit Ritterlichkeit und solchen Dingen, Herr Doktor, müssen Sie mir nicht kommen; die hat's nie gegeben. Ich werde Herrn Erhart mit ganz besonderem Vergnügen – – Im ›Mohren‹ haben Sie gesagt?«

»Allerdings. Ich hoffe aber doch, Sie scherzen ...«

Der Baron hob plötzlich den Kopf. Seine klugen Augen betrachteten Ifinger langsam von oben bis unten. »Mir fällt eben ein,« sagte er dann, »Sie sind ja sein Freund. Das hatt' ich vergessen. – Ja, natürlich, versteht sich, hab' ich nur gescherzt. Ich bin nicht so rachsüchtig; ich seh wohl auch nicht danach aus. Auch bin ich viel zu faul, und – – Und morgen früh will ich fort!«

»Ja freilich, Sie wollen fort!«

»Also dann – leben Sie wohl, Herr Doktor; ich muß noch einen Brief schreiben; – Sie entschuldigen!« – Er nahm ein kleines elegantes Buch aus der Brusttasche, das goldgeränderte Briefkarten und Kuverts enthielt; zog eine Karte und ein Kuvert heraus und einen goldenen Schreibstift. – »Wenn Sie das Mädel noch sehn, so sagen Sie ihr meine Hochachtung, unbekannterweise. Ich hoffe sie in Wien – – Leben Sie wohl!«

Er gab dem Doktor die beringte Hand, grüßte dann noch mit ihr und fing an zu schreiben. Ifinger ging.

Er ging an der »Residenz« entlang und dem großen Residenzplatz zu, auf dem der Hofbrunnen rauschte. Um die Ecke gekommen, blieb er aber stehn und spähte mit behutsam vorgebeugtem Kopf zurück. Sein Glaube täuschte ihn nicht. Er sah, daß der Baron nicht schrieb, sondern, was auf dem Tische lag, wieder in die Seitentasche steckte; dann dem Kellner zahlte und ging. In etwas schwankender Bewegung und mit kleinen Schritten, aber nicht ohne eine gewisse Würde und Anmut, wandelte er den Marktplatz hinunter, offenbar der Judengasse und dem »Mohren« zu.

Ifinger lächelte still. »Glückliche Reise«, dachte er. – »Bereuen kann ich es nicht!«

Er schlenderte selber seines Weges weiter; über den Kapitelplatz zu dem großen Fahrweg, der zur Zitadelle und auf den Mönchsberg führt. Die Sonne war im Untergehn, als er oben ankam. Zu Hause empfing ihn die alte Aufwärterin schon an der Haustür, und flüsternd: der Herr schlafe fest, im Atelier auf dem Diwan; sie sei einmal hineingegangen, er habe sie gar nicht gehört. Ifinger trug ihr auf, ihn auch nicht zu wecken. Er ging in sein Schlafzimmer, horchte und wartete noch eine gute Weile; nebenan blieb es still. Endlich ließ er sich ein kaltes Nachtmahl bringen, aß und trank allein und ging beizeiten zu Bett. – –

Erst am Morgen erwachte Erhart; gestärkt und erfrischt wie seit lange nicht, aber sehr verwundert. Es war heller Tag; er sah auf der Wanduhr, daß es nicht Abend, sondern Morgen war. Also die ganze Nacht –! – Unter dem feinen indischen Teppich, mit dem er sich bedeckt hatte, begann ihn nun doch leise zu frösteln; er sprang auf, klingelte, reckte sich, dachte noch halb träumend an allerlei, das ihm auf der Seele lag, und erstaunte wieder ... Als er endlich zur Tür wollte, um in sein Schlafzimmer zu gehn, kam ihm die Alte entgegen. Sie hatte in der Hand ein Briefchen, das nach Heuparfüm duftete.

»Das hat eben jemand gebracht«, sagte sie. – »Ich sollte Sie nicht wecken –«

»Schon gut!« unterbrach er sie, winkte ihr wieder zu gehn und öffnete den Brief. Er hatte schon gesehn, daß er vom »Paradiesvogel« war. Allmählich erblassend las er:

» Carissimo! Verehrter Meister, auch ›Franzerl‹ genannt! Ich melde Dir, daß Sie mich wohl nicht wiedersehn; das hat seine Ursachen, möchte Ihnen aber jetzt nicht viel darüber schreiben, ich habe auch keine Zeit. Fragen Sie nur Ihren guten Freund, den Herrn Doktor, der weiß auch davon. Ich reise mit einer interessanten Persönlichkeit ab; willst wohl wissen, mit wem? Frag' nur den Herrn Doktor. Denn der weiß auch von dem. Sie müssen nur gut sein und der Laura nicht bös sein, denn erstens würd' es Ihnen nichts nutzen – und dann haben Sie auch keine Ursach'. Der ›Wurm‹ und das ›Ding‹ läßt sich Ihnen empfehlen; war doch nicht so übel, gelt? Pfieht Di Gott! Laura.«

»Bin ich toll? oder wer sonst?« sagte Erhart und starrte auf das Papier. »Laura fort? – Und der Doktor weiß es? – Hat er sie fortgeschickt? – Wo ist er? Was ist geschehn?«

Er fing wieder an zu lesen: » Carissimo« ... Sonderbare Töne störten ihn auf. Im Nebenzimmer begann Ifinger zu singen; es klang aber, wie wenn er verrückt geworden wäre: denn gleichzeitig wusch er sich, und sooft er sich mit seinem Reibhandschuh an die Lippen kam und quer über den Mund fuhr, erstickte er die Töne. So war das Ganze mehr einem zerrissenen Geheul als einer Melodie gleich; es klang aber wie ein Freudengeheul, wie ein Triumphgeschrei ... Erhart hatte den Doktor noch nie singen hören ... Eine Weile horchte er, gereizt, wütend, und doch dem Auflachen nahe. Da der Waschgesang aber kein Ende nahm, ging er in Sturmschritten zur Tür, riß sie auf und trat bei Ifinger ein.

Er hielt ihm das zerknitterte Billett hin; Ifinger, der halbnackt vor seinem Waschbecken stand, verstummte. »Wollen Sie die Güte haben, das da zu lesen?« sagte Erhart sofort. Seine Stimme bebte.

»Wie Euer Gnaden befehlen«, antwortete Ifinger, der keine Miene verzog. »Gestatten Sie nur, daß ich mich erst abtrockne und über die ›schnöden Schultern‹ eine Joppe werfe. Sie haben gut ausgeschlafen, hoff' ich ...«

Erhart antwortete nicht. Er lehnte sich, bald blaß, bald rot, an den Türpfosten, das nach Heu duftende Papier in der vorgestreckten Hand. Als er Ifinger endlich die Joppe über der nackten Brust zuknöpfen sah, wiederholte er: »Wollen Sie das gefälligst lesen?«

Ifinger nahm den Brief, las, und nickte. Ein flüchtiges Lächeln der Freude konnte er nicht unterdrücken.

»Sie sehn, da ist auch vom ›Doktor‹ die Rede. Was bedeutet das? Haben Sie die Güte –«

»Sehr wohl. Es ist mir gegangen, wie dem Schweizer in den ›Räubern‹: ›Hauptmann, ich bin ein bisschen vorlaut gewesen, seit du weg bist.‹ Oder wie Jung-Roland der Schildträger im Uhlandschen Gedicht sagt:

›Um Gott, Herr Vater! zürnt mir nicht,
Daß ich erschlug den groben Wicht,
Dieweil Ihr eben schliefet!‹«

»Bitte, lassen Sie die Zitate«, unterbrach ihn Erhart. »Was haben Sie getan?«

»Ich bin zu Lina Schellenberg gegangen und hab' sie gebeten: reisen Sie ab! – Aber so ohne weiteres hat sie das nicht gewollt. Sie wollte einen andern jungen Mann zum Ersatz ... Da hab' ich ihr den verschafft.«

Erhart begann vor Erregung zu zittern. – »Sie wollte einen andern Mann?«

»Zu dienen. Sie deutete es an; mit dem ihr eigenen praktischen Humor. Da hab' ich, weil die Sache eilte –«

»Sie wollte einen andern Mann?« wiederholte Erhart.

»Ich sagte schon: ›zu dienen‹. Da fand ich den Baron Ansbach – – und mit dieser ›interessanten Persönlichkeit‹ ist sie nun offenbar fort.«

»Mein Herr Doktor, ich glaube – – ich glaube, Sie sind toll!«

Ifinger schüttelte den Kopf.

Erhart trat auf ihn zu. Seine Arme bewegten sich, wie auf eigene Hand; seine Augen glühten. – »Hab' ich Sie zu meinem Vormund ernannt?« fragte er.

»Nein.«

»Hab' ich Sie irgendwie berufen –? oder ersucht?«

»Nein.«

»Haben Sie irgendein Recht, mir – – mir beizustehn?«

»Ja.«

»Sie haben ein Recht –?«

»Ihnen beizustehn. Ja. Halten Sie sich nur, bitte, einen Augenblick still; man kann sonst nicht sprechen. – Ich habe das Menschenrecht, Ihnen beizustehn; wir sind dazu auf der Welt, um einander beizustehn; die Erde ist ganz ausdrücklich darauf eingerichtet, daß wir einander beistehn; und das hab' ich getan!«

»Wollen Sie mir gefälligst näher erklären –?« fragte Erhart etwas weniger kräftig und ohne sich zu rühren; der närrische, fast wilde Ausdruck in Ifingers gutem Gesicht brachte ihn halb aus der Fassung. »Mir beistehn ... Brauchte ich Ihren Beistand?«

»Ja, den brauchten Sie. Sie sind ›nur ein Maler‹, wie Sie zuweilen sagen; diesmal traf es zu ... Bitte, lassen Sie mir noch eine Weile das Wort!«

Die Bitte war überflüssig, denn Ifinger stand da wie ein Berserker in der Schlacht, sein Schwert: die Zunge, war aus der Scheide geflogen, nicht zehn solche Maler hätten ihn jetzt unterbrochen ... »Sie sind ›nur ein Maler‹«, wiederholte er; »so haben Sie sich jetzt gezeigt! Es kam ein reizender Vogel, seine Stimme hörten Sie nicht, an seine Seele dachten Sie nicht – nur die schönen Federn. Ich nehm's Ihnen nicht übel ... Aber als ein König an Großmut, der Sie glücklicherweise und leider sind, als ein erhabener, beneidenswerter, wahnsinniger Verschwender haben Sie diesen Vogel auch noch mit Ihren Federn geschmückt – Ihre Bilder mein' ich. Sie zahlten wie ein Gott, mit Ihren Werken, mit Ihrer Schöpferkraft, und mit Ihrer Liebe. Sie lebten sich dreispännig tot ... Solche Leute stellt man unter Kuratel – oder man steht ihnen bei – – das hab' ich getan!«

Erhart wollte etwas erwidern, er sprach schon mit Armen und Kopf, aber Ifinger fuhr unaufhaltsam fort: »Ich weiß, was Sie sagen wollen; ›ich kann mich zugrunde richten, wenn's mir Vergnügen macht‹, wollen Sie mir sagen; ›das geht niemand was an!‹ Aber darauf erwidr' ich Ihnen –«

»Ich will das nicht sagen –«

»Aber darauf erwidr' ich Ihnen«, wiederholte Ifinger: »und wenn selbst dieser oder jener das Recht hätte, sich zugrunde zu richten, Sie haben es nicht! Sie sind ein Kerl, der was Großes kann, darum haben Sie auch die verfluchte Schuldigkeit, es zu tun! Von all diesen Malern sind Sie der einzige – ja, der einzige – der zu einem mächtigen Pinsel auch ein mächtiges Herz hat, der einen ganz reinen Sinn für das Schöne hat, der die Welt neu erlebt hat und aus sich heraus schafft, der ein ganzer Mann und ein famoser Kerl wäre, auch wenn er nicht malen könnte; der vor dem großen Lindwurm, dem Publikum, keine Bange kennt – weil er weiß, was er soll – der schimpfen und fluchen kann, aber nicht beneiden – der sich für seine Kunstideale schinden und braten lassen kann ... Ist das alles wahr oder nicht?«

»Ganz so wohl nicht –«

»Sie geben es zu, weil Sie müssen!« rief Ifinger, der nicht hörte, was der andere sagte; »denn wenn man sich auch vor seinem Gott ganz bescheiden klein macht, man weiß ja doch, was man ist! – Und ein solcher Mann – – ein solcher Mann hätte das Recht, sich zugrunde zu richten? Sagen Sie das nicht; das ist eine infame Lüge; nehmen Sie das zurück! Einen solchen Mann sollt' ich so einem ›Wurm‹ in den Fingern lassen – sollte ruhig zusehn, wie ihn seine Augen verrückt machten, während ich bei Verstand war – sollte seine Götterkräfte – – Nein, das könnt' ich nicht. Ich hab' für Sie gebettelt, hab' für Sie intrigiert, Komödie gespielt, hab' mich unwürdig benommen; das war meine Pflicht. Werden Sie nun nachträglich wild, schlagen Sie mich nieder; mir ganz egal! Nur Ohrfeigen muß ich mir verbitten – die gäb' ich Ihnen zurück!«

»Mensch, ich denke ja nicht daran!« rief Erhart in die Rede hinein; braun und rot im Gesicht, da er noch immer nicht zu Worte kommen konnte. »Ich will Ihnen ja –«

Es war verlorene Mühe, denn Ifinger war noch nicht zu Ende. »Die gäb' ich Ihnen zurück«, wiederholte er ... »Ich red' übrigens nur von der ›Pflicht‹; das ist auch ein Unsinn. Ich hab's nicht nur getan, weil's meine Menschenpflicht war, sondern weil Sie dieser – – kurz, weil ich Sie liebe. Dafür kann ich nicht. Das ist so gekommen – hat sich so gemacht! Sie haben mich damals vor drei Jahren, im ›Englischen Kaffeehaus‹ in München – da haben Sie mich kopiert, wenn Sie sich erinnern, – ganz erbarmungslos; ich hab' mich geärgert – hab' mich dann entschlossen, Sie ebenso erbarmungslos gern zu haben, Sie zu lieben, durch dick und dünn. Dies war jetzt ›durch dick‹. Sagen Sie nun, was Sie wollen – ich lieb' Sie doch weiter. So eine Lina Schellenberg soll Sie mir nicht aus dem Herzen reißen!«

Er schob sich die Brille mit einer hastig eckigen Bewegung auf die Stirn hinauf und sah seinen Gegner unaussprechlich herzlich und doch wie verrückt herausfordernd an.

»Mensch, regiert Sie der Teufel!« rief jetzt Erhart aus, von der Ungeduld toll gemacht, und schlug auf Ifingers Waschtisch, daß alle Gläser, Flaschen und Geschirre klirrten. »Wofür halten Sie mich ... Was reden Sie alles in mich hinein ... Jetzt hab' ich das Wort!«

»Sie können es haben!« schrie Ifinger zurück. »Ich brauch's nicht mehr, ich bin fertig!«

Ein Leuchten des Triumphs, daß er das erreicht hatte, fuhr ihm aus den Augen; dann trat er ein paar Schritte zurück – aber nicht aus Furcht. Er tat es, um Erhart besser zu sehen, in dessen Gesicht jetzt ein Ausdruck kam, der ihn verwunderte. Einen kleinen Orkan der Leidenschaft hatte er erwartet; er war auf alles gefaßt. Dem Maler brannten auch die Wangen, seine Augen leuchteten stark; es rührte sich aber ein weicher Glanz in diesem Leuchten – oder lag es in alledem, was die Augen umgab – und eine Art von gerührtem Lächeln ging langsam, wie zurückgehalten, über die Lippen hin. Erhart lehnte sich auf die Waschtischkante, und nachdem er das Wort so ungestüm mit der Faust verlangt hatte, sagte er eine Weile nichts.

»Ifinger!« sagte er endlich.

»Franz Erhart!«

»Doktor – – Sie sind ein Narr!«

»Sonst – das mag gerne sein; in dieser Sache nicht.«

»Doch! grade in dieser Sache!« erwiderte Erhart weich, und nun ehrlich und herzlich lächelnd; aber ein feuchter Schimmer kam ihm in die Augen. »Ich meine, in Ihrer Rede: daß Sie denken konnten, ich werd' das alles anhören und dann doch noch wild werden, statt – statt – – Doktor, so einen dummen gescheiten Menschen wie Sie gibt es weiter nicht!«

»Ich verstehe nicht –«

»Das ist's eben. Sie können reden wie ein – – aber dann wundern Sie sich, was in dem andern vorgeht – zu dem Sie so reden. Sie wundern sich, daß es wirkt! – – Mir scheint, das kommt von Ihrer lächerlichen Unschuld her: Sie sind so gar nicht eitel ... Ifinger!«

»Franz Erhart!«

»Sie haben mich also wirklich gern –«

»Ja.«

»Und der Kerl – – dieser andre, ist der Baron Ansbach?«

»Ja.«

»Und sie – sträubte sich nicht?«

»Nun, es scheint doch nicht!«

»Nein – allerdings – – Hermann Ifinger, geben Sie mir die Hand. – – Nein – gib mir den Mund. Mit dir muß ich Brüderschaft machen, oder dich niederschlagen; – Mensch! lieber guter Kerl! lieber das erstere, wenn dir's recht ist!«

»O ja, mir ist's recht«, sagte Ifinger trocken, damit die Freude und die Rührung ihn nicht übermannte; legte seinen Kopf gegen den des andern und küßte in die Luft. Gleich darauf fühlte er sich aber rechts und links bei den Ohren genommen und auf die Lippen geküßt. »Beim Teufel, ich lieb' dich auch!« sagte dann der Maler, hart vor seinem Gesicht. »Sag' doch ›du‹, du Kerl!«

»Ich sagte ja überhaupt noch nichts«, erwiderte Ifinger.

»Nein – da hast du recht. Wie stehn wir übrigens beide noch da: du mit einer notdürftigen Joppe über der Heldenbrust – und ich ungewaschen. Ich will dir was sagen, Doktor: trennen wir uns, beim Frühstück sehen wir uns wieder, und – – Und von diesem Paradiesvogel wird nicht mehr geredet. Keine Silbe mehr. Den gewöhn' ich mir ab – mit dir. Wir wollen eine Weile nur Brüder ohne Schwestern sein ... Bruder! ist dir's recht?«

»Ganz recht«, brummte Ifinger, den Kopf gesenkt, als ginge ihn das alles nicht an; sein Herz schlug ihm aber vor Freude bis zum Hals hinauf.

»Also dann gehen wir ... Die Meerlandschaft mit der schwarzen Dame malen wir dann langsam fertig. Wenn sie fertig ist, bringen wir sie nach München, wir beide. Ich will deine Frau wiedersehn – und deine Nachkommenschaft küssen. Einverstanden, Doktor?«

»Vollkommen. Sehr wohl.«

»Wie der Mensch jetzt verstockt ist – und vorhin hat er einen wie ein Donnerkeil in den Grund geredet! – – Ich war also wirklich so hirnrissig toll, daß man mich retten mußte?«

»Ja, Meister. Ja.«

»Sag' doch ›du‹, du Kerl!«

»Ja, du warst hirnrissig toll!«


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