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IV

Hermann Ifinger wohnte in der Brienner Straße, in die er nach kaum hundert Schritten eintrat; zwischen der Augustenstraße und dem Königsplatz. Im ersten Stock eines bescheidenen, stillos freundlichen Hauses hatte er zwei Zimmer nebeneinander, auf die Straße hinaus: von seinen geöffneten Fenstern aus sah er zur Linken seinen Liebling unter den Münchener Bauwerken, die Propyläen, deren edles Gestein so »italienisch« in der Sonne glänzte. Als er die hölzerne Treppe erstiegen und die Tür seines Arbeitszimmers geöffnet hatte, freuten ihn noch mehr als sonst die Bilder, die seine Hauptwand schmückten: Studienköpfe und landschaftliche Skizzen, Geschenke von befreundeten Malern: ausgeführte Bilder aller Art, die er geringeren (denn er war nicht reich) aus Wohlgefallen oder aus gutem Herzen abgekauft hatte; auch ein paar alte Kopien nach italienischen Meistern des Cinquecento, auf Reisen entdeckt und für wenig Geld erstanden. Auf dieser malerischen Wand war noch eine Lücke: die sollte nun dieses gerettete schöne Mädchen füllen, aus einigermaßen würdiger Umgebung sollte die Rosenblüte ihrer süßen Jugend ihm herunterleuchten ... Die »Porzelläne«, dachte er. Warum nannte Erhart sie »Porzelläne«? – Nun, was geht's mich an? Es handelt sich ja nicht um das Mädchen, sondern um das Bild. In das hab' ich mich wirklich – –

Plötzlich stockte er, sein eigenes Denken behorchend, wie er sich gewöhnt hatte. »Was ist das? Was hab' ich?« sagte er betroffen und mit vernehmbarer Stimme vor sich hin. »Mich in das Bild verliebt? – Das ist ja ein Unsinn. Gar so ein Meisterstück ist das Bild ja nicht; Falk nennt's einen Schmarren; nun, das ist gelogen; – aber zum ›Verlieben‹ – so ist's doch nicht. Machen wir uns nichts weis, mein lieber Ifinger; uns gefällt das Mädel. Wir haben so lange in lauter Ideen und Experimenten, in Büchern und Bildern gelebt, nun rührt sich einmal wieder die sogenannte Natur, und wir vergaffen uns in eine Schürze – diesmal buchstäblich. Wollen gleich mal sehen, ob's wahr ist. Wollen den ›Schmarren‹ aufrollen, und so ganz unter vier Augen prüfen, was mit Hermann Ifinger vorgeht. Mit allgemeinen Redensarten fängt man nur die Bauern; ›Kunstbegeisterung‹, ›malerischer Eindruck‹, ›Farbenzauber‹ – das sind Teufelskniffe. Acht geben auf Ifinger!«

Er hatte die Leinwand auf seinem Arbeitstisch, über allerlei Büchern und Papieren, vor sich ausgebreitet und betrachtete nun in einer gewissen Spannung das liebreizende Gesicht. Es gefiel ihm sehr; gefiel ihm noch mehr als vorhin am Hausmeister, obwohl nun einige Sonnenstrahlen zudringlich störend über Wangen und Schläfen liefen. »Farbenzauber« – das allein war's nicht; es war ein guter, lieber Ausdruck in den weichen Zügen, der ihm zu Herzen ging; etwas Schmelzendes, kindlich Weibliches. Vielleicht auch etwas Eitelkeit auf ihre nette Person; Freude, zu gefallen; aber doch mehr noch Hingebung, Güte ... Ifinger lächelte: denn je länger er hinsah, desto mehr fiel ihm auf, daß ihn die aufgesprungene Unterlippe doch am meisten anzog. Als wäre dort der Mittelpunkt dieses schönen Rätsels, der eigentliche Mensch; als säße in dieser Lippe, die so reizend eigenwillig vorsprang, das besondere, das wahre Ich, wie in seiner rosigen Knospe ... Also Kirchers Schwester, dachte er. Dem sieht sie nicht gleich. Seine dicken Raublippen, und diese zärtlichen, süßen ... Hermann Ifinger, Hermann Ifinger! Gib acht auf dich, du bist dreißig Jahre alt; das ist sehr gefährlich. Hast dich bisher zwischen Scylla und Charybdis, zwischen Liebelei und Ehe so gut durchgeschlagen, warst ein so angenehm mäßig aufgeregter, zufriedener Junggesell; laß dich jetzt nicht durch eine Hausmeisterschürze überrumpeln, wahre deine Stellung!

Er nahm das Bild in die Hand, um es wegzulegen und sich in irgend ein abkühlendes Buch zu vertiefen. In diesem Augenblick hörte er ein lautes Klopfen an seiner Tür, und mit einer unwillkürlichen Bewegung warf er die »Porzelläne«, sie zusammenrollend, über den breiten Tisch gegen die Wand, um sie zu verstecken.

Als er dann »Herein« rief, öffnete sich bereits die Tür, und ein schlanker, wohlgekleideter Herr trat ein, in dem er seine jüngste spanische Bekanntschaft, den Baron Pillnitz, erkannte. Es war eine auffallende und merkwürdige Erscheinung, weil sie an eine bekannte Gestalt erinnerte und sie zugleich parodierte: man mochte einen Augenblick denken, Don Quichotte zu sehen; schaute man aber näher zu, so bekam Don Quichotte gefüllte, sogar rosig angehauchte Wangen, hatte sich etwas verjüngt, konnte lächeln, und rechts und links neben dem dichten Schnurrbart zeigten sich sogar einige eitle, selbstgefällige Züge, die den ehrwürdigen Schwärmer von La Mancha ganz und gar verfälschten. Dennoch blieb die Ähnlichkeit und drängte sich wieder auf: ein langer, magerer Hals, ein langes Gesicht, ein sonderbar starrer Blick der dunklen Augen, dem die umherliegenden frühen Falten oft etwas Weltfremdes oder gar Entgeistertes gaben. Dies war denn auch das erste gewesen, was Ifinger in Spanien an dem Baron angezogen hatte. Er lächelte, ohne es zu wollen, als er ihn eintreten sah und jener früheste Eindruck sich hier in der Münchener Brienner Straße wiederholte.

»Sie geben mir die Ehre, Herr Baron!« sagte er verbindlich überrascht und ging ihm entgegen, um ihm die Hand zu reichen.

»Ich höre durch meinen Diener, daß Sie nun auch wieder hier sind,« erwiderte Baron Pillnitz; »er hat Sie auf der Straße gesehen: ich wohne Ihnen nämlich schräg gegenüber – dort im dritten Haus. Dort im dritten Haus!«

Die etwas geräuschvolle Stimme des Barons, die an die Trompetentöne Nämlichs, aber in aristokratischer Milderung erinnerte, hatte sich's angewöhnt, die letzten Worte einer Rede mit Nachdruck zu wiederholen; – eine der unzähligen kleinen Seltsamkeiten, durch welche die Natur ihre Geschöpfe zu unterscheiden liebt. Vom Fenster aus hinüberdeutend fuhr der Baron fort: »Da wohn' ich nun also mit meiner jungen Frau, und hoffe Sie bei uns zu sehn. Wie Sie sich vielleicht erinnern, verließ ich Sie in Cordova und ging nach Valencia, um mich zu vermählen; um mich zu vermählen: denn seit einem halben Jahr ungefähr waren wir verlobt. Für einen so eingefleischten ›Spanier‹ wie mich verstand es sich von selbst, daß ich mir meine Frau von da drüben holte;« er setzte lächelnd hinzu: »Ich bereue es auch nicht. Ich bereue es auch nicht!«

»Aber Ihre Frau Gemahlin ist eine halbe Engländerin, nicht wahr –«

»Eine halbe Nordamerikanerin; ihr Vater, ein ›Yankee‹, ging nach Spanien, da ist sie geboren. Ihre dunklen, sonderbaren Augen sind, wie ich zu sagen pflege, ganz transatlantisch; echte Virginiaaugen, echte Virginiaaugen – nun, Sie werden ja sehen. Bei Ihnen sieht's ähnlich aus wie bei mir: Bücher bis zur Decke! Nun freilich, so viel zu wissen wie Sie, das hat man nicht umsonst ... Nur diese bunte Wand da, Bild neben Bild – so einen ›Kunstverein‹ werden Sie bei mir nicht finden. Gott sei Dank,« setzte er wieder lächelnd hinzu, »ich hab' nicht ein einziges Bild! nicht ein einziges Bild!«

»Ich muß sagen, das wundert mich«, erwiderte Ifinger. »Sie gingen doch in Spanien durch alle Galerien –«

»Nun das muß man ja –«

»Und für manche Bilder gerieten Sie in eine Art von Begeisterung –«

»Wenn sie Ideen hatten! wenn sie mir etwas zu denken gaben!«

»Nun, auch dafür ist ja von diesem und jenem gesorgt. Wenn ich reich wäre wie Sie, Herr Baron, so hätte ich ganze Säle so wie diese Wand. Und ganz andere Sachen. So hätt' ich meine eigene Galerie –«

»Um Gottes willen!« rief der Baron mit seinem lauten, etwas meckernden Lachen aus. »Eine eigene Galerie; schrecklicher Gedanke. An meiner eigenen Bibliothek hab' ich schon genug! – Bücherzimmer – o ja, mit den Büchern lebt man, in ein dickes, gescheites, gelehrtes Buch liest man sich tagelang hinein – schreibt sich Notizen heraus – vergleicht – liest auch wieder. Aber was tut man mit einem Bild? Man sieht's an und geht weiter. Ist's ein großes Bild, so kann ich's nicht einmal so recht übersehen: mit meinen kurzsichtigen Augen muß ich ja, sozusagen, an der Leinwand hinkriechen. Ich und eine Galerie!« – Er lachte wieder. »Ich und eine Galerie!«

»Zum Glück darf niemand Sie zwingen, eine zu kaufen«, erwiderte Ifinger. »Auch werden Sie mir Ihr Vermögen nicht abtreten, damit ich es tue. Sie sehen mich durchaus resigniert, aber wenn ich statt dessen Bilder sammeln könnte, wäre ich sehr glücklich.«

Der Baron hielt sein Doppelglas an die Augen, um diesen »Schwärmer« besser zu sehen, und sagte sehr verwundert: »Mein lieber Herr Doktor, ich verstehe Sie nicht. Sie sind ein Polyhistor, ein Gelehrter – leugnen Sie doch nicht, dafür sind Sie bekannt – Sie haben eine Vielseitigkeit der Interessen, der Kenntnisse, die mich schwindlig macht, Sie sprechen alte und neue Sprachen, sind Volkswirt, Naturforscher, haben sich jahrelang mit den größten mechanischen Problemen herumgeschlagen –«

»Und kann noch immer nicht fliegen –«

»Kurz, Sie leben vom Kopf bis zum Fuß in der Wissenschaft! Was wollen Sie denn noch mit all den gemalten Schwarten, wenn ich fragen darf?«

»Sehen lernen«, antwortete Ifinger.

»Hat denn der Mann der Wissenschaft keine Augen? Bei Ihren Naturstudien, lernen Sie da nicht sehn?«

»Fühlen lernen«, sagte Ifinger.

»Das versteh' ich nun gar nicht – entschuldigen Sie. Fühlen wir denn nicht alle? In der Kirche, bei einem guten Buch, in der Natur?«

»Schön sehend schön fühlen lernen«, sagte Ifinger endlich, als hätte er's nun gefunden.

»Verzeihen Sie, Herr Doktor,« antwortete der Baron mit etwas herausfordernd überlegenem Lächeln – »ich fürchte, was Sie da eben sagten, verstehen Sie selber nicht. Sie wollten mich wohl auch nur so ein wenig einschüchtern; aber vor dem schweren Geschütz der großen Worte fürchte ich mich nicht. Die sind nicht geladen! Die sind nicht geladen!«

Er stieß ein helles, fast schmetterndes Lachen aus, das er aber büßen sollte. Hermann Ifinger konnte einen andern lange reden lassen, wenn er etwas dabei zu lernen hoffte oder aus Gutmütigkeit zuhörte; griff man ihn aber an, zweifelte man gar an der Kraft seiner Rede, so entlud sich der innere Strom, der stets wie in einem Reservoir angesammelt dalag, mit unaufhaltsamer Naturgewalt. Sich ein wenig vorbeugend, begann er jetzt, indem ihm die Worte von den Lippen stürzten, aber jedes klar, jedes gleichsam umrandet und umrissen: »Erlauben Sie mir folgende Bemerkung, Herr Baron. Ich glaube, ich kämpfe da, mit meinem kleinen hölzernen Schwert, für das achtzehnte Jahrhundert gegen das neunzehnte; damals lehrten uns unsre großen Meister: sei vielseitig und harmonisch; heute heißt es: sei einseitig und tüchtig! – Bitte, lassen Sie mir noch einen Augenblick das Wort, ich bin noch nicht fertig ... Sie nennen mich einen Mann der Wissenschaft; danke. Ich will aber mehr sein, so unbescheiden bin ich; ich will auch meinen abonnierten Platz im großen Kunsttempel haben, will nach der Arbeit in meinem besten Rock in das Paradies gehen – in den Garten des Schönen, mein' ich. Will ich da aber nicht bloß wie der Löwe umherspazieren oder wie der Ochse, so muß ich mir die Augen mit dem rechten Zauberwasser auswaschen; – wer verhilft mir dazu? Die Herren Paradieswächter, die Künstler. Die haben es im Besitz. Darum halt' ich zu ihnen; denn ›sehen‹ ist noch nichts, das kann auch der Ochse; ›schön sehen‹ – das ist's! – – Sie meinen, die Künstler können zuweilen auch nicht viel mehr als die Ochsen; sehr richtig (Baron Pillnitz hatte noch kein Wort gesagt); aber an diese schwer hinwandelnden hält man sich ja nicht. Es sind ja auch die gottbegnadeten da, die sich die Augen bereits ausgewaschen haben. Nun, der eine sieht mehr Gottes Federzeichnungen, der andre mehr seine Farbenzauber, der dritte mehr seine Stimmungsbilder; was tut das? Von jedem von ihnen lernt man, was man kann; sieht durch ihre Augen. Eines Tages sagt man sich dann – das hoff' ich –: Mit dem Jenseits eilt's nicht! Wir haben ja schon den Himmel auf Erden, wir sind ja im Paradies!«

»Hm!« sagte der Baron und sah diesen Schönheitsprediger in wachsender Verwunderung an; ehe er aber etwas erwidern konnte, fuhr der Bergstrom fort: »Das Leben ist oft schofel, die Wissenschaft ist oft grau; aber die Kunst ist unser irdisches Paradies! ›Schön sehend schön fühlen lernen‹, darum handelt sich's ungefähr ... Aber lernen muß man's; von selbst hat man's nicht; redliches Bemühen; die Augen jahrelang jeden Morgen waschen. Ganz besonders wir, die Deutschen, die Germanen; denn wenn die andern Völker manchmal die Lahmen sind, denen wir Beine machen, so sind wir die Blinden – Sie kennen ja die Fabel –, und nur wenn die einen den andern helfen, gibt's die richtige Menschheit! – – Sie wollen mir wahrscheinlich einwenden, die Germanen sehen hell genug –«

»O nein, das will ich nicht sagen«, warf Baron Pillnitz ein; Ifinger aber hörte nicht und sprach weiter: »Darin irren Sie! Die germanischen Augen sehen klar genug in die Wirklichkeit, aber nicht in das ›Paradies‹; für das Schöne brauchen sie sehr viel Augenwasser – das spür' ich an Ihnen, an mir, an jedem von uns – darum hinein in die Kunst! Damit wir endlich einmal ganze Menschen werden; denn mit dem Mikroskop, mit dem Fernrohr werden wir das nicht. Damit schnüffeln wir so ein bißchen ins unendlich Kleine, ins unendlich Große – sehr schön –, aber in das uns zugewiesene Paradies kommen wir damit nicht! Und wenn Sie mir entgegnen: Ich brauche dieses Paradies nicht, das Leben ist schön genug –«

»Nein, das sag' ich nicht –«

»So erwidr' ich Ihnen, Herr Baron« (fuhr Ifinger unbeirrt fort): »das mag ein Neuvermählter im Honigmond sagen, aber das Leben ist lang! Und überhaupt – wer meint denn das gemeine ›Glück‹ – es handelt sich ja um die Menschwerdung, um das höhere Dasein, um das innere Paradies. Darum leb' ich jetzt mit den Malern – meine letzte Schule – darum reis' ich den Statuen und den Bildern nach, darum samml' ich diese ›gemalten Schwarten‹, wie Sie zu sagen belieben. Und darum würd' ich ganze Galerien sammeln, wenn ich Ihre Taler hätte; und Sie würden es auch tun, wenn Sie meine Meinung von der Sache hätten; – nicht nur zum eigenen Gebrauch, Herr Baron, o nein, auch für die andern. Sie würden sammeln und dann Ihre Tür weit aufmachen: kommt ihr alle zu mir, die ihr nach dem Schönen lechzt, die ihr sehen lernen, die ihr ›leben‹ wollt; ich hab' mir ein kleines Paradies geschaffen, für mich und für meine Brüder, laßt euch's darin gut sein!«

Ifinger trat ein paar Schritte zurück, gegen das Fenster, und wie um anzudeuten, daß er ausgesprochen habe, nahm er seine Brille ab und begann sie zu putzen.

Der Baron sah ihm etwas ungewiß lächelnd nach. »Ich bin ganz erstaunt,« sagte er nach einer Weile, »wie Sie reden können; Sie haben einen Atem – – übrigens lassen Sie den andern gar nicht zum Worte kommen, wenn Sie so im Zug sind. Was Sie mir da imputierten, wollt' ich gar nicht sagen ... Das tut nichts. Wie gesagt, ich bin ganz erstaunt. In Spanien« – er lächelte wieder – »da legten Sie nie so los –«

»In Spanien hatte ich was Besseres zu tun,« erwiderte Ifinger: »zu sehen und zu hören. Wo das nicht der Fall ist, da red' ich. Etwas muß der Mensch ja tun. Bitte um Vergebung!«

»Hm! Eine Galerie ›für mich und für die Brüder‹!« sprach der Baron vor sich hin. »Die Sache hat etwas Anregendes – etwas Anmutendes – das ist keine Frage. Nur, wenn man so ganz in andern Dingen lebt – andern Dingen lebt ... Ich übersetze meine Spanier, meine Indier, ich vergrabe mich in die Details der Literatur, der Kulturgeschichte; da bin ich zu Hause. Vor den Bildern fühle ich mich etwas wie ein Fremdling; ungefähr als verstände ich oft ihre Sprache nicht ... Sie begreifen wohl, wie ich's meine. Zum Beispiel hier vor Ihrer Wand – –«

Er stellte seine magere aristokratische Gestalt vor Ifingers Bilderwand, näherte seine bewaffneten Augen und rückte allmählich von Leinwand zu Leinwand weiter. »Sehen Sie, das sind Farben, Farben,« sagte er nach längerem Schweigen, das Ifinger nicht unterbrach; »ein recht hübscher Kopf – dann ein häßlicher Kopf – dann eine Mauer und ein paar Bäume – aber wo sind Ideen! Ich finde keine Ideen!«

»Das sind Studien, Herr Baron«, entgegnete Ifinger.

»Studien ... Nun ja; schon gut. Aber da sind auch einige ausgeführte Bilder; und doch keine Ideen. Die höhere Kunst soll doch einen Inhalt haben ... Der Meinung sind Sie doch auch?«

»Gewiß; Bilder sollen Bilder sein«, erwiderte Ifinger.

»Ich verstehe nicht ...«

Der Baron trat zum Schreibtisch, über dem eine einzelne Landschaft in vergoldetem Renaissancerahmen hing; die Studien und Skizzen waren nur so einfach aufgespannt an die Wand gehängt. Der Rahmen machte ihn aufmerksam; nach kurzer Betrachtung des Bildes ließ er ein »Ah!« der Befriedigung vernehmen. »Aber nun sehen Sie einmal diese Landschaft!« rief er aus.

»Nun, die ist allerdings – –«

Ifinger wollte hinzusetzen: ein hoffnungsloser Schmarren; – ein guter, aber talentvoller Freund hatte ihm diese »ideale Landschaft« geschenkt. Ehe er aber ausreden konnte, fuhr Baron Pillnitz fort: »Sehen Sie, das ist mein Mann; da ist eine Idee! Eine alte, abgehauene Heideneiche, über der ein Kreuz aufgepflanzt ist. So ein paar alte Deutsche kauern da umher; offenbar noch Heiden; aber man sieht ihnen an, daß ihr Glaube erschüttert ist: ihr heiliger Baum ist gefallen. Christen sieht man gar nicht; aber das siegreiche Kreuz ... Sehr gut. Dazu diese Frühlingslandschaft. Es will ›Frühling‹ werden ... Eine durchgeführte, durch das landschaftliche Motiv getragene Idee!«

Ifinger antwortete nicht; er spitzte nur die Lippen zu einem blasenden Pfeifen, das er höflich unterdrückte. Ihm fielen aus dem Goetheschen Gedicht die jugendlichen Verse ein:

Ach Herre Gott, ach Herre Gott,
Erbarm' dich doch des Herrn! – –

Pillnitz nickte der Landschaft noch einmal billigend zu, ließ sein Augenglas fallen und wandte sich zum Doktor. »Sehen Sie, darin haben Sie recht,« sagte er, »so ein Bild über dem Schreibtisch – das ist ein ganz richtiger Gedanke. Das gefällt mir. Es ist ein Zimmerschmuck, und zugleich regt es an; und zugleich regt es an. Wahrhaftig, ich möchte über meinem Schreibtisch auch – – Sagen Sie, lieber Herr Doktor, Sie verkehren so viel mit Malern, wie Sie sagen; können Sie mir so ein durchdachtes Bild von ähnlicher Größe – natürlich für einen mäßigen Preis – für meinen Schreibtisch verschaffen?«

»Wieviel wollen Sie daran wenden, Herr Baron?« fragte Ifinger.

»Nun – hundert Mark; die wären doch wohl genug.«

Hundert Mark! dachte Ifinger, auf seine zusammengerollte Leinwand blickend; so viel hab' ich für diese Schürze gezahlt! – Ihm fiel aber ein, daß der arme Nämlich, dessen Iphigenie jetzt um ihr Leben kämpfte, seit Jahr und Tag einige unverkaufte Bilder in seinem Atelier hatte; sie standen in einem Winkel schamhaft gegen die Wand gelehnt. Es waren auch »ideale Landschaften«, die eine mit einer unverkennbaren »Idee«. Für hundert Mark würde er die hergeben, das war keine Frage.

»Gut, Herr Baron,« sagte Ifinger; »ich verschaffe Ihnen so ein Bild.«

»Ich danke Ihnen sehr. Danke Ihnen sehr. Über Ihre Paradiesgedanken sprechen wir wohl ein andermal weiter«; – er lächelte verbindlich: »vielleicht lassen Sie mich dann auch einmal zu Worte kommen. Also drüben im dritten Haus ... Bon soir! Bon soir!«

Der Baron gab ihm seine schlanke, kühle Hand, und die hagere Don-Quichotte-Gestalt ging rasch aus der Tür.


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