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IX

Es schlug am nächsten Vormittag dreiviertel auf zwölf, als Ifinger von seinem Schreibtisch aufstand, um sein Wort zu halten und zur Baronin Pillnitz zu gehn. Er wollte die Tür zum Vorplatz öffnen, draußen hörte er bekannte helle Stimmchen, und es wurde geklopft. Er machte auf; vor der Tür standen Christel, Gretchen auf dem Arm, und der kleine Hans, wichtig lächelnd, Hermanns Hut und Stock in den Händchen haltend. »Entschuldigen Sie, Herr Doktor,« sagte Christel, »Hänschen hat gehört, dass Sie fortgehn wollen und hat darauf bestanden, er muss dem Vater helfen. Den ganzen Tag will er sich nützlich machen!«

»Das ist der Anfang der Menschwerdung«, erwiderte Ifinger. Er machte seinem Sohn eine komisch ernste Verbeugung, nahm dann mit einem ebenso ernsten »Vergelt's Gott!« Hut und Stock in Empfang, küßte den Kleinen, und dachte nun zu gehn. Hans sah ihn aber bittend, mit den Augen der Mutter, an. Durch die noch offene Tür in Hermanns Zimmer hineinblickend, fragte er: »Darf Hansei 'nein tommen? Darf Hansei Vater bissel anschaun?«

»Laß den Papa jetzt gehn, Bubi«, nahm Christel das Wort. »Er war heut' früh lang' bei dir.«

»Tissel«, erwiderte der Kleine zurechtweisend, indem er seinen mächtigen, seitabstehenden, blonden Lockenwald schüttelte: »nicht Papa sagen; Vater sagen!«

»Bravo!« rief Hermann aus. »Er hat's schnell gelernt, und hat's gut behalten. Das müssen Sie ihm nachmachen, Christel; denn wer das Papasagen nicht beizeiten verlernt, der wird's nie mehr los. Seit ich einmal einen österreichischen Feldzeugmeister zu einem noch älteren Herrn hab' ›Papa‹ sagen hören, hab' ich einen Schwur getan: Ifingers zukünftige Kinder sollen ›Vater‹ sagen! – Übrigens bist du nicht logisch, Knabe. Einen Vater, dem man Hut und Stock zum Ausgehen bringt, kann man nicht besuchen!«

Der unlogische Sohn ließ sich aber nicht irremachen; »Hansei will Bief ßeiben!« war seine Antwort; darauf lief er in das Zimmer herein. Hermann folgte lächelnd. Der Kleine nahm von dem Schreibtisch – der ihm fast zu hoch war – ein zum Glück unbeschriebenes Blatt und einen Bleistift, legte das Blatt auf den nächsten Stuhl und begann seinen »Brief« zu schreiben. Indessen sah er den Bleistift nicht für das, was er war, sondern für eine richtige Schreibfeder an: mit furchtbarem Ernst im Gesicht ging er, so oft er ein paar Krähenfüße gemacht hatte, vom Stuhl zu einem niedrigen Tischchen, auf dem ein gefülltes Wasserglas stand, und tauchte den Bleistift ein, wie in ein Tintenfaß. Die Kleine auf Christels Arm sah dem großen Bruder bewundernd zu, schlug auch vor Vergnügen die Händchen zusammen, so daß es sich ausnahm, als klatsche sie ihm Beifall.

»Ja, du kannst noch nichts, du Dummerchen!« sagte der Vater vorwurfsvoll, und rückte ihr dabei so zärtlich nahe, daß sie nach seiner Nase griff.

»Wird auch noch kommen, Herr Doktor«, sagte Christel heiter.

Sie war wohl noch blaß, wie vor drei Wochen auf dem Halleiner Friedhof, aber die Lippen hatten ein frischeres Rot, und auch die Höhe der Wangen begann sich zu färben. Das schwarze Kopftuch hatte sie abgelegt, die starken Flechten ihres schlichten, dunkelbraunen Haares waren einfach zusammengeschlungen und aufgesteckt. Ihre große, kräftige Gestalt trug das Kind so leicht, als spüre sie gar keine Last, oder als sei das nur ein erwünschtes, heilsames Gegengewicht gegen die andre, die ihr auf der Brust lag ...

»Wär' sie Ihnen nur erst vom Arm herunter«, erwiderte Ifinger. »Ein merkwürdig unentwickeltes Geschöpf. In ihrem Alter konnte Hans schon quer durch sein Zimmer laufen und dabei erschütternde Jubelschreie ausstoßen.«

»Der ist auch ein Mann, Herr Doktor«, entgegnete die Christel. »Für die Kleine ist's in ein paar Monaten auch noch früh genug. Auf dem Seil tanzen soll sie ja nicht.«

»Der Wunsch der Familie ist es einstweilen nicht«, sagte Ifinger; nahm dann eine von Gretes Händen und legte sie in sein lange nicht geschnittenes, aber von der voreiligen Zeit schon stark gelichtetes Haar, in dem dieses Händchen eine gefährliche Nachernte zu halten anfing. Noch ehe der Vater sich dem entzog, kam der Bub gesprungen und brachte, vor Freude hochaufatmend, seinen fertiggeschriebenen Brief. »Hansei für Papa – – für Vater!« sagte er und legte ihn in Hermanns Hand; er hatte ihn in unförmlicher Weise mehrere Male gefaltet. »Vater seinem Hansei Dank!« gab Hermann zurück. »Ich bin sehr gespannt. Unterwegs, auf der Straße, werde ich ihn lesen. Auf Wiedersehn nach der Mahlzeit! Prost!«

Er befreite seinen Haarwuchs aus Gretes Fingern, winkte noch mit der Hand und ging. Ihm war, als ginge die »Kinderluft« noch die Treppe hinunter mit; er fühlte sich selber wie ein Kind und summte vor sich hin; – erst auf der Straße verging das, und ein peinlicher Druck spannte wieder die Brust. Wie fremd hatten sich Mann und Frau am Abend gegenüber gesessen, wie kühl sich diesen Morgen begrüßt! – – Dennoch ging er nun zur Baronin hinüber; konnte es anders sein? Durfte er sich unmännlich, feig einer vernunftlosen Laune unterwerfen? – – Er trat in das kleine, graue Haus, in dem er sich schon so oft Kopf und Herz erfrischt hatte, wenn er aus seinen eigenen vier Wänden im Mißmut fortgegangen war. Ob das auch heute gelänge? nach dem Gespräch von gestern, das gleichsam von diesem Haus das Dach abgedeckt hatte? Er hoffte es kaum; es schien ihm unmöglich ...

Zu seinem Verdruß hörte er im Salon die laute, schmetternde Stimme des Barons; er trat mit Widerstreben ein und sah um die schmale, schlanke Gestalt des Pillnitz einige Zuhörer versammelt: Prahm, Brenzel und Schwalbe, und dazu Freund Erhart, der gekommen war, um die neue Meerlandschaft zu bringen und die alte, kranke in Augenschein zu nehmen. Allerdings stand auch die Baronin da, und lebhaft und herzlich wie immer kam sie ihm mit ihren raschen, kurzen Schritten entgegen, wie ein Vogel, der mit geöffneten Flügeln halb fliegend läuft. Er fühlte auch ihre kleine Hand in der seinen, die weichste, die er kannte, und sah in ihre glänzenden, menschenfreundlichen Augen wie in einen Gesundbrunnen hinein; – aber wie gern hätte er sie allein begrüßt, und mußte nun zu dieser langweiligen Gruppe treten, die einer der Kunstreden des Barons mit geduldiger Andacht lauschte. »Sie kommen grade recht, Herr Doktor«, rief ihm Pillnitz zu, verbindlich wie immer. »Sie können mir beistehn, gegen diese neue Schule ...« Er deutete auf Prahm, den Landschafter. »›Wahrheit und Natur‹ – sehr schön; ein Baum, den man malt, muß ein wirklicher Baum, eine Vase muß eine richtige Vase sein – eine richtige Vase sein – aber es gibt ja doch keine Kunst ohne Idealität! Nicht daß ich immer Ideen verlange, so weit geh' ich nicht; das mögen andre tun, die nur Laien sind; aber ich sage statt dessen, die geistigen und die technischen Forderungen verbindend: ›Idealität‹!«

»Dagegen ist auch gar nichts zu sagen, Herr Baron«, nahm Erhart das Wort; »jeder richtige Maler wird damit einverstanden sein«; wobei er einen Seitenblick auf Prahm warf, der zu sagen schien: das ist ja kein »richtiger«! – »Aber wenn es Ihnen nun recht wäre, Herr Baron, so schauten wir jetzt das krepierte Bild an – da die Herren Doktoren und Apotheker ja beisammen sind. Das neue steht schon daneben, wie Ihr Diener sagt; Sie können also sehn, ob es besser oder schlechter ist.«

»Ganz recht, ganz recht«, sagte Pillnitz, der sich, wie es schien, doch gern noch weiter ausgesprochen hätte. »Also kommen Sie, meine Herren; bitte, Herr Doktor, Sie auch: sagen Sie uns gefälligst Ihre Meinung – die wir alle schätzen. Ich habe die Bilder in den Hauptsaal stellen lassen, in das beste Licht. In das beste Licht. Bitte, durch diese Tür!«

Er ging mit Brenzel voran, und die andern folgten. Ifinger stand unschlüssig still. Er war aufgefordert; andrerseits, was lag ihm daran, das Geschwätz zu hören ... »Gehn Sie nicht auch, Baronin?« fragte er endlich, als sie schon allein waren.

»Nein«, antwortete sie; – »und Sie auch nicht!« setzte sie mit einem reizend bittenden Lächeln hinzu.

»Sie hören ja: ich muß«, sagte er achselzuckend. »Ihr Mann hat mich leider ausdrücklich –«

»Mein Mann,« unterbrach sie ihn, »wird Sie nicht vermissen. Glauben Sie mir, in eine Minute weiß er schon nicht mehr, daß Sie existieren. Wenn er an seine Bilder denkt, denkt er an kein Mann und an keine Frau!«

Ihre Augen lachten erstaunlich fein und geistreich, während sie das sagte; wie ein leiser Hauch von Traurigkeit erklang es in ihrer Stimme. »Aber – Sie gehn vielleicht lieber zu den Bildern –?« fragte sie dann, ohne Koketterie.

»Ich!« rief er aus, so überzeugend, daß sie lächeln mußte.

»Nun, dann bleiben Sie hier«, sagte sie. »Ich wäre trostlos, Sie schon wieder wegzugeben; – wissen Sie, seit einem halben Jahr, oder länger, seh' ich Sie so selten. Warum eigentlich – – ma no, ich frage Sie nicht; fürchten Sie das nicht. Das wär' keine Freundschaft. Ich wollte nur sagen: es tat mir leid, daß Sie so lange verreist waren, für viele Gründe; aber der Hauptgrund war: nun verreisen wir bald, und gleich bis zum späten Herbst!«

»Wann?« fragte er, mit herzlichem Bedauern.

»Wenn die Woche aus ist. Sie müssen darum noch einmal kommen, lieber Freund – ein Abend – wenn Sie können. Dann werd' ich wieder mehrere Monate mit so viele halbe Menschen leben, ohne einen ganzen ... Nur einen einzigen Nebenbuhler haben Sie; einen großen, gewaltigen!« setzte sie mit einem gar lieblichen Lächeln hinzu.

»Der wäre?« fragte er.

Die zierliche Gestalt in dem eleganten Schlafrock ließ sich auf einer Chaiselongue, ihrem Lieblingsaufenthalt, nieder; »das Meer«, antwortete sie. »Wir gehen nach Trouville ... Das Meer ist so unendlich großartig; allerdings ist es nicht so liebenswürdig wie Sie, auf meine unzähligen, ewigen Fragen gibt es keine Antwort. Aber ich kann es stundenlang ansehn ohne Langeweile und ohne Traurigkeit. Das ist nicht so mit den Menschen, die wir da finden werden. Caro amico, wie viel werd' ich an Sie denken!«

»Bitte, verwöhnen Sie mich nicht so«, erwiderte Ifinger. »Was soll ich dann sagen ... Das ist überhaupt mein Unglück mit Ihnen: ich komme so oft mit den schönsten Gefühlen und den schönsten Absichten, will Ihnen so recht gründlich sagen, was für eine kleine Märchenprinzessin aus zwei Welten Sie sind, wie ich Sie verehre und an Ihnen hänge – und ich bin doch sonst nicht der Langsamste – aber noch jedesmal kommen Sie mir zuvor! Mit Ihrer rätselhaften Geschwindigkeit fliegen Sie herbei und nehmen das Wort – und so warm, so voll – und alles an Ihnen spricht mit – daß ich wie begossen dastehe, mich schäme, jeden Mut verliere, dagegen aufzukommen – und so sag' ich gar nichts!«

»Lassen Sie nur; Sie sind beredt genug. Ich kann aber nicht warten, wissen Sie; und wie ich es fühle, so sag' ich's. Als ich Sie damals zum erstenmal sah, beim Herrn Leo Falk – – obgleich ich mich wunderte, daß Sie so davonliefen; Sie haben mir's später erklärt – sagte ich doch nachher zu mein Mann: Doktor Ifinger hat meine Eroberung gemacht! – Das ist schnell gegangen, sagte er –«

»Und da hatte er recht –«

»Da hatte er gar nicht recht: Menschen wie Sie versteht man gleich, oder versteht sie nie! – Oh, im Verstehen bin ich eine echte Amerikanerin ... Sie waren immer so gut zu mir: haben mir nie geschmeichelt! All die andern denken, weil ich jung und (sie lächelte) nicht unangenehm bin, sie dürfen oder müssen mir den Hof machen; das haben Sie nie getan. Sie haben mit rührender Geduld meine Fragen beantwortet, mich veredelt, gebessert; sind mein Freund geworden. Sehn Sie, das macht mich froh; ich bin jung, und ein bißchen hübsch, und hab doch einen wirklichen Freund!«

»Ja, den haben Sie –«

»Das ist selten, nicht wahr? Einen auch noch so jungen Freund; was doch nichts sein will als das. Die meisten, die davon hören, schütteln nur den Kopf; glauben nicht, daß das möglich ist –«

»Meine Frau glaubt's auch nicht!« stieß Ifinger unwillkürlich hervor.

Gleich darauf bereute er, daß er es gesagt hatte; denn die elfenbeinfarbenen Wangen der Baronin wurden marmorblaß, sie hob den Kopf und starrte ihn dann eine Weile unbeweglich an. »Ihre Frau – glaubt's auch nicht«, wiederholte sie endlich langsam, tonlos, die Worte voneinander gerissen. »Warum nicht? – Was glaubt sie denn? – – Ah, also darum seh' ich Sie so selten ...«

»Verzeihen Sie. – Ich wollte nicht – –«

»Darum ist auch Ihre Frau so fremd, so kühl. Ich hab' mich um Ihretwillen so viel bemüht, mit ihr gut zu werden –«

»Sie waren wie ein Engel!« rief er aus. »Liebe, gute Freundin – – verstehen Sie nur nicht falsch, was ich sagte; es kam noch dümmer heraus, als bei solchen Zwischenreden mit Ausrufungszeichen ohnehin üblich ist. Ja, meine Frau ist eifersüchtig – nun kann ich's ja nicht mehr leugnen – aber die gewöhnliche, grobe Eifersucht, die ist es nicht. Vielleicht Furcht davor; und dann wirkliche, gegenwärtige Eifersucht auf – – ja, wie sag' ich das. Auf Ihre Macht über mich –«

Sie schüttelte ernsthaft lächelnd den Kopf.

»Auf Ihre Seele überhaupt, sozusagen. Auf Ihre Holdseligkeit. Ihre Poesie. Auf all das Glück, das ich hier – – kurz – Sie verstehn!«

»O ja, ich verstehe«, sagte sie auf einmal in ganz verändertem Ton. Sie war aufgestanden, aber langsam und wie unbewußt; die noch immer kindlich weichen Züge hatten sich schreckhaft verdüstert, sie sah um viele Jahre älter aus. Es war, als suche sie ihm durch die Brille bis ins Hirn zu blicken. »Sie haben mir immer die Wahrheit gesagt«, fuhr sie nach einigem Zögern, noch ängstlich, fort. »Das werden Sie nun auch tun. Nicht wahr, Sie sind hergekommen, um –«

»Um was?«

»Um mir zu sagen, daß Sie nicht wiederkommen. Um Ihrer Frau zuliebe – Sie haben Ihrer Frau versprochen –«

»Sie nicht mehr zu sehn?«

»Ja, ja. Sagen Sie die Wahrheit! Sagen Sie die Wahrheit!«

»Gewiß; was denn sonst. – Sie irren. Ich habe ihr nichts versprochen; nichts, ganz und gar nichts. Beruhigen Sie sich; was erschreckt Sie so? Ich bin hergekommen, Sie zu sehn, wie sonst –«

»Sie haben ihr nichts versprochen?«

»Nein, nein!«

Sie atmete tief auf, daß es fast wie ein Seufzer klang; dann ging ein noch zaghaftes, rührendes Lächeln über ihr Gesicht, das sie wieder jung machte. Sie legte sich so im Stehn, ihn noch immer fest anschauend, gegen die Lehne der Chaiselongue zurück. »O wie ist das gut,« sagte sie leise, »daß ich weiß, Sie sind immer wahr. Nun kann ich Ihnen glauben ... Sehn Sie, schon darum muß ich Sie behalten; denn Sie sind der einzige, von dessen Worten ich nie zweifeln kann ... Wenn Sie nichts versprochen haben, o tun Sie es nie, nie, nie! Bleiben Sie mein Freund!«

Ihre helle, silberne Stimme klang in dieser Erregung wärmer und seelenvoller als je; sie griff nach seinen Händen, er fühlte, wie durch die ihren ein leichtes, kaum bemerkbares Zittern ging. Er hatte nach ihrem »Nie, nie, nie« den Kopf geschüttelt und nickte ihr nun zu; als er dann sprechen wollte, fiel sie ihm ins Wort: »Bleiben Sie mein Freund!« wiederholte sie; »glauben Sie mir, ich verdien's! Ich hab' Talent für die Freundschaft; ob für die Liebe – ich weiß nicht; da wechselt man vielleicht mit den Jahren; aber als Freundin bin ich treu, das weiß ich – und meine Gefühle für Sie können nie, nie ändern! Ich verdiene Ihr Umgang – – lachen Sie nicht, daß ich das behaupte, ich meine es sehr ernst, niemand kann Sie mehr schätzen als ich, auf niemand können Sie einen besseren Einfluß haben, lieber Freund, als auf mich. Sie erfrischen mein Herz, mein Geist, mein Gemüt ... Sie glauben nicht, wie oft ich im Gedanken mit Ihnen verkehre – wie ich alles wiederhöre, was Sie mir gesagt haben – wie alle Ihre Worte nicht nur einen Einfluß auf mich hatten, aber wie sie in mir nachklingen und nachwirken! Nein, nein, lassen Sie mich ausreden ... Ich glaube, Sie haben nie gewußt, wie sehr ich Ihnen schuldig bin, und wie Sie stets gegenwärtig sind, trotz aller Entfernung und Trennung; denn Sie gehören zu den wenig, ach so wenig Menschen, die ich so ganz liebe und verehre!«

Sie hatte ihr Herz einmal ausgeschüttet, nun stand sie wieder ruhig da, die Hände zusammengelegt; nur die »transatlantischen«, weich lächelnden Augen setzten noch ihre Rede fort. Ifinger wußte nicht, wie ihm war; fast erschüttert durch diesen Ausbruch, der mit all seinen kleinen Sprachverdrehungen ihm um so rührender zu Herzen ging. Er betrachtete die kleine Gestalt, doch er sah sie kaum: ihm war, als sähe er ihre Seele, als fühle er den Hauch, den Atem dieser reinen Freundschaft ... Ein Stolz, ohne Eitelkeit, daß eine solche Frau so zu ihm gesprochen, trug ihn förmlich empor. Nur mochte er nicht reden, sein Gefühl nicht in Worte fassen. Er nahm eine ihrer kleinen, leichten Hände und drückte sie nicht an seine Lippen, sondern an seine Augen, an eines nach dem andern. Er wiederholte das; dann brachte er erst, ziemlich ungeschickt, heraus: »Ich danke Ihnen sehr ... Ihre Hand duftet so zart nach Atkinson; es ist nur ein Hauch, wie bei Ihnen immer ... Ich will noch sehr lange leben, damit ich noch erfahre, was aus Deutschland wird – und solang' ich lebe, werde ich Ihr Freund sein!«

»Sie wollen nie zum letztenmal kommen,« fragte sie, »um mir zu ›kündigen‹?«

»Nein«, antwortete er, ihre Hand noch immer in der seinen wiegend.

»Auch nie ohne Abschied fortbleiben?«

»Das noch weniger.«

»Sie wollen mich nie verlassen?«

»Nie, Baronin. Nie!«

»O sagen Sie doch nicht mehr ›Baronin‹,« rief sie mit einem drollig hell klagenden Ton; »wie klingt das höflich und kalt zwischen Ihnen und mir. Ich hab' ja einen Namen; sprechen Sie an mich auf spanisch: Donna Clara. Also Donna Clara, nicht wahr ... Und in eine gute Stunde, die hoffentlich kommen wird, werd' ich an Ihre Frau sagen, daß ich Ihnen diese große Erklärung gemacht habe, daß es aber eine ganz unschuldige, gesetzlich erlaubte Liebeserklärung ist – oder sagt man nicht ›gesetzlich erlaubt‹?«

»O ja, man sagt es –«

»Und Ihre Frau wird dann, hoff' ich, meine schwesterlichen Gefühle für Sie einsehn und begreifen!«

»Gute Donna Clara! Wir müssen uns an den großen Verbündeten halten, den die Unverstandenen haben: die sogenannte Zeit. Alle werden über uns den Kopf schütteln – und endlich werden alle ihn stillhalten. Wir werden anerkannt werden. Später, im Jahre 2874, werden die Leute sagen: Wissen Sie, das war damals, als dieses merkwürdige Paar lebte, das ein Männlein und ein Weiblein war und Jugend und Fleisch und Blut hatte, und doch in dieser weltberühmten, göttlich brüderlich idealen Freundschaft lebte bis an seinen Tod!«

»Ja,« erwiderte sie lächelnd, »ja, das sollen sie sagen. Lieber Freund, Sie haben es wieder besser, ›stilvoller‹ ausgedrückt, als ich es kann ... Nun setzen Sie sich (beide standen noch), lassen Sie uns ins gewöhnliche Leben zurückkehren – lassen Sie uns plaudern. Seit Ihr letztes Kommen, eh' Sie nach Salzburg reisten, geht mir etwas im Kopf herum; daran sind Sie schuld. Sie sagten damals: man spricht immer von ›der Welt‹, von dem ›Universum‹, und denkt, man hätte was gesagt. Woher wissen die Leute, daß es nur diese eine Welt gibt, in das wir die Ehre haben, uns herumzutreiben? Dann kam aber mein Mann und brachte ein neues Bild ... Nun denke ich immer an ihn – – ich meine, an l'altro mondo – an die andre Welt – oder die Welten, wenn's mehr sind. Was glauben Sie davon, lieber Freund? Was ist Ihre Meinung?«

Ifinger lächelte und sah auf die kleine Frau herab, wie ein älterer Bruder auf ein reizendes, kluges, neugieriges Kind. »Wie gut Sie das alles behalten haben«, antwortete er. »Was die Energie Ihres Fragens betrifft, so sollte man Ihnen sagen, was der große Leibniz zu der wißbegierigen Königin Sophie Charlotte sagte: ›Madame, es gibt kein Mittel, Sie zu befriedigen; Sie wollen das Warum des Warums wissen! vous voulez savoir le pourquoi du pourquoi!‹ – Ich sag' Ihnen aber doch meine Meinung über die andern Welten, gewiß – wenn ich wiederkomme. Heute nicht, Donna Clara; mir fehlen die Gedanken – sie gehen irgendwo spazieren – – kurz, ich bin zu glücklich. Ich bin nur Freund – ganz Freund – weiter nichts ... Und da kommt Ihr Mann, wie mir scheint: ich höre seine Stimme. Ich schätze den Baron sehr – aber in diesem Augenblick möcht' ich nicht mit ihm über die Idealität in der Kunst sprechen. Lassen Sie mich gehn. Ich komme noch einen Abend, und bring' Ihnen ein paar Welten mit ... Addio!«

Er winkte ihr mit Gesicht und Hand, drehte sich hastig um und entfloh durch die Vorzimmertür, um dem Begründer der jüngsten Bildergalerie nicht mehr zu begegnen.


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