Christoph Martin Wieland
Der goldne Spiegel
Christoph Martin Wieland

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16.

»Es ist ein trauriges Los aller guten Dinge in der Welt«, fing Danischmend an, als er nach einigen Tagen wieder an das Bette Seiner Hoheit gerufen wurde, »daß sie unter den Händen der Menschen nicht lange unbeschädigt und unverdorben bleiben können. Leider gilt dies von Gesetzgebungen, Staatsverfassungen und Regierungen ganz vorzüglich. Wie vollkommen auch die gesetzmäßige Verfassung eines Staats sein mag, bei der Vollziehung kommt alles auf die Beschaffenheit der Menschen an, in deren Händen die Gewalt ist, welche der Staat dem Fürsten, und der Fürst wieder teilweise denen, die ihm regieren helfen sollen, anzuvertrauen genötigt ist. Wie angelegen ließ sich's nicht der guten Tifan sein, seiner Gesetzgebung eben dadurch die Krone der Vollkommenheit aufzusetzen, daß er ihr die möglichste Dauerhaftigkeit zu geben suchte! Eben darum, weil er einsah, wie sehr alles auf die sittliche Beschaffenheit der Regierten sowohl als der Regierenden ankommt, machte er die moralische Bildung der Scheschianer zum Hauptzweck seiner Erziehungsanstalten, und die Erhaltung der Sitten in der möglichsten Lauterkeit zum Augenmerk aller seiner Verordnungen. Aber eben darum, weil es unmöglich ist unter einem großen Volke die Sitten lange unverdorben zu erhalten, konnt er mit aller seiner Vorsicht mehr nicht bewirken, als daß es mit der sittlichen Verderbnis seines Volkes langsamer zuging, und also der Zeitpunkt des politischen Todes, welchem sich jeder Staat mit immer zunehmender Geschwindigkeit nähert, von dem seinigen etwas weiter entfernt wurde, als es ohne seine Vorkehrungen geschehen wäre.

Ohne Zweifel liegt diese Tendenz zum schlechter werden so tief in der menschlichen Natur, daß ihre Wirkung durch keine menschliche Veranstaltung gänzlich aufgehoben werden kann. Auf diesen Punkt scheint der gute Tifan zu wenig Rücksicht genommen, und überhaupt den Menschen, die er (ohne sich dessen vielleicht bewußt zu sein) zu viel nach seinem eigenen Herzen beurteilte, bei aller seiner Vorsicht, noch immer mehr Gutes zugetraut zu haben, als er mit Recht erwarten konnte: und dieser Umstand ist vielleicht allein der Grund, warum einige seiner Gesetze den Keim ihrer Verderbnis bereits in sich trugen, und die Entwicklung desselben unvermerkt beförderten. So hatte er, zum Beispiel, in der besten Absicht von der Welt die scheschianische Priesterschaft, um sie zu veredeln und dem Staate nützlich zu machen, zu öffentlichen Lehrern des Gesetzbuches bestellt, und zu diesem Endzweck alle nur ersinnliche Sorge getragen, sie zu vortrefflichen Menschen und guten Bürgern zu bilden. Aber, was er nicht vorher gesehen hatte, war, daß er gerade dadurch diesem Stand ein Ansehen und einen Einfluß verschaffte, dessen sich in der Folge – wenn die Sitten nach und nach schlaffer geworden sein, und die Gesetze also einen Teil der Kraft, die sie von jenen erhalten, verloren haben würden – ehrgeizige und heuchlerische Menschen bedienen würden, selbstsüchtige Plane zum Nachteil des Staats durchzusetzen. Aus einer ähnlichen Ursache hatte er, wiewohl anfangs eine gänzliche Umschaffung der scheschianischen Landesverfassung zu seiner großen Absicht nötig schien, den erblichen Adel als eine besondere Klasse von Staatsbürgern beibehalten, und ihn nicht nur im Besitz eines Teils seiner ehmaligen Vorzüge gelassen, sondern ihn noch durch das ausschließliche Recht an die obersten Staats- und Kriegsbedienungen so hoch über alle übrige Klassen erhoben, daß es kaum begreiflich ist, wie Tifan die künftigen Folgen einer so auffallenden Ungleichheit sich selbst habe verbergen können. Was auch immer über diesen Punkt zu seiner Rechtfertigung oder Entschuldigung gesagt werden könnte, gewiß ist, daß dies einer der größten Fehler seiner Gesetzgebung war, und vielleicht mehr als alle übrige zum Untergang derselben beitrug. Denn wie konnte er erwarten, daß ein Volk, das durch eben diese Staatseinrichtung zu der höchsten Stufe der Ausbildung, deren die Menschheit fähig scheint, gelangen mußte, ein so unbilliges Vorrecht einer verhältnismäßig kleinen Anzahl in die Länge dulden, oder daß diejenigen, die im Besitz desselben waren, sich dessen gutwillig begeben würden?

Endlich ist nicht zu leugnen, daß Tifan, wiewohl es sein ernstlicher Wille war, sich selbst und seinen Nachfolgern die Freiheit Böses zu tun so viel möglich zu entziehen, dennoch durch Betrachtungen, an welchen sein Herz mehr Anteil hatte als seine Vorsicht, sich verleiten ließ, den Königen von Scheschian eine größere Macht einzuräumen, als mit der Sicherheit seiner Gesetzgebung, von welcher doch die Sicherheit seines Volkes abhing, in die Länge bestehen konnte.«

»Wie meinst du das, Freund Danischmend?« fragte Schach-Gebal mit einem bedenklichen Zucken der Augenbraunen.

»Ich will damit so viel sagen: Als Tifan sich und seinen Thronfolgern das Vermögen auch willkürlich viel Gutes zu tun nicht entziehen wollte, und diesem zu Folge der Krone ein unabhängiges jährliches Einkommen von zehen Millionen Unzen Silbers zueignete, worüber der König nach seinem Belieben schalten konnte; so geschah es unstreitig aus dem löblichsten Bewegungsgrund, und konnte, so lange sein Geist auf seine Nachfolger forterbte, dem Staate nicht anders als ersprießlich sein. Nur scheint er vergessen zu haben, daß eine große willkürliche Macht Gutes zu tun ihrem Besitzer notwendiger Weise auch eine eben so große Macht Böses zu tun erteilt; und daß also alle Könige nach ihm lauter Tifane gewesen sein müßten, wenn dieser Teil seiner Anordnungen nicht zu verderblichen Mißbräuchen Anlaß und Mittel hätte geben sollen.«

»Was du da sagst, Itimadulet, gilt wohl von der ganzen Gesetzgebung und Staatsverwaltung deines Tifan. Augenscheinlich war alles auf seine persönliche Denk- und Sinnesart berechnet. Die Scheschianer, um das zu bleiben was er aus ihnen machte, hätten immer einen Tifan an ihrer Spitze haben müssen. Wie konnte er so übermäßig bescheiden sein, so etwas als möglich vorauszusetzen?«

»In der Tat«, versetzte Danischmend, »glaubte er durch die äußerst sorgfältige Erziehung, welcher die künftigen Thronfolger nach dem Gesetz unterworfen sein sollten, sein möglichstes getan zu haben, um seinem Reich eine lange Folge eben so guter Könige, als er selbst war, zu versichern. Aber auch dies hing doch gänzlich von der Beschaffenheit derjenigen ab, denen die Vollziehung dieses wichtigsten Teils seiner Gesetzgebung anvertraut werden mußte. Es läßt sich kaum denken, daß er alles dies, und was daraus folgt, nicht vorher gesehen haben sollte. Aber vermutlich war seine Meinung auch nur, selbst das möglichste Gute zu schaffen, und, nachdem er alle Vorsicht, deren ein weder unfehlbares noch allvermögendes Wesen fähig war, für die Zukunft angewandt hatte, es nun dem Schicksal zu überlassen, wie lange sein Werk, und die Bewegung die er ihm einmal gegeben hatte, dauern würde. Zum Unglück für Scheschian blieb der eben so weise als gute, und eben so tätige als weise Tifan, der (wie Ihre Hoheit so richtig urteilten) gleich dem Phönix der Fabel in jedem seiner Nachfolger wieder hätte aufleben müssen« –

»Ich bedanke mich in Parenthesi für die Verschönerung meiner Anmerkung«, sagte der Sultan mit einem etwas zweideutigen Lächeln.

– »unter zweiundzwanzig Königen, aus welchen die Tifanische Dynastie bestand, der einzige in seiner Art; seinen Sohn Temor ausgenommen, der unter der langen Regierung seines Vaters Zeit genug gehabt hatte sich zu überzeugen, daß er, wenn die Reihe dereinst an ihn käme, gegen die Gewohnheit der Thronfolger, nichts besseres tun könne, als sich so zu betragen, daß die Scheschianer noch immer von Tifan regiert zu werden glauben möchten. Dieser Temor würde, seiner vortrefflichen Erziehung ungeachtet, in einer Epoke wie jene, worin sein Vater einen so großen Charakter entfaltet hatte, nur eine mittelmäßige Rolle gespielt haben: in den glücklichen Umständen hingegen, worin er den Thron bestieg, war er gerade deswegen, weil er funfzig Jahre lang Tifans bester Untertan gewesen war, der würdigste Nachfolger dieses großen Königs. Allein mit ihm endigte sich auch das wirkliche goldne Alter der Scheschianer. Nach einer dreißigjährigen Regierung hinterließ Sultan Temor den Thron seinem Sohne Turkan, der das Feuer des Geistes, den Mut und die Tätigkeit seines Großvaters geerbt zu haben schien, aber, da ihm sowohl die Anlage zu den sanftern Tugenden, als der Vorteil, von einem Dschengis in der Dunkelheit des Privatstandes erzogen zu sein, mangelte, eben darum weil er nur zur Hälfte Tifan war, der glücklichen Verfassung seines Vaterlandes die erste Wunde schlug. Nach den Versuchen zu urteilen, die er in den ersten Jahren seiner Regierung machte, die Reichsstände zu verschiedenen Änderungen in den Gesetzen Tifans zu bewegen – Änderungen, welche unter dem Anschein des gemeinen Besten die Macht der Krone beträchtlich vermehrt haben würden –, hätte sein unruhiger Geist sich schwerlich an dem bescheidenen Ruhme seines Vaters begnügt, wenn ihm ein langwieriger Krieg mit dem Könige von Katay nicht einen andern Tummelplatz eröffnet hätte. Er hörte sich zwar gern den zweiten Tifan nennen; aber er wollte es auf seine eigene Art sein« –

»Was du ihm doch nicht übel nehmen wirst?« fiel Schach-Gebal ein –

»Ich nicht; aber die Scheschianer hatten gegen diese eigene Art manches einzuwenden.«

»Danischmend mein Freund, von einem Itimadulet sollte man billig erwarten, daß er das Volk besser kennen müßte, um aus diesem Umstand etwas zum Nachteil Turkans zu folgern. Deine Scheschianer machten es, denke ich, wie alle ihresgleichen wenn es ihnen zu wohl geht: sie wurden übermütig.«

»Sire«, erwiderte Danischmend, »wofern dies der Fall war, so ließ es Turkan nicht an sich fehlen, den Exzeß ihres Wohlbefindens nach Möglichkeit zu mäßigen. Denn er führte Krieg beinahe seine ganze Regierungszeit durch, und Scheschian hatte den ganzen Wohlstand vonnöten, der die Frucht einer achtzigjährigen Ruhe unter der besten Staatsverwaltung war, um von den Folgen seiner glänzenden Unternehmungen nicht zu Boden gedrückt zu werden. Katay war damals nach Scheschian das mächtigste Reich im Osten; es besaß, wie jenes, einen großen Überfluß an den kostbarsten Naturgütern: aber seiner innern Verfassung nach stand es weit hinter jenem zurück, und der große Handelsverkehr, der zwischen beiden Völkern vorwaltete, war gänzlich zum Vorteil der Scheschianer. Übrigens konnte man diesen Krieg in so fern gerecht auf Seiten der Scheschianer nennen, als die erste Veranlassung nicht von ihnen herrührte: aber wahrscheinlich würde Tifan an dem Platze seines Enkels Mittel gefunden haben, auf eine oder andere Weise den Ausbruch desselben zu verhüten.«

»Herr Danischmend«, fiel der Sultan ein, »wenn der Hof von Katay die Gelegenheit gegeben hatte, so erforderte doch wohl die Ehre der scheschianischen Krone eine Beleidigung nicht ungestraft hingehen zu lassen? Aber worin bestand denn die Beleidigung?«

»Eine von den tatarischen Horden, die unter dem Schutze des Königs von Katay standen, hatte eine scheschianische Karawane geplündert. Turkan forderte im Namen seiner Untertanen Genugtuung; der Hof von Katay zögerte; Turkan erneuerte seine Forderungen mit Hitze und Stolz, und da er immer kältere Antworten erhielt, so eilte er (in der Tat viel rascher als er getan haben würde wenn es ihm um Beibehaltung des Friedens zu tun gewesen wäre), seinen nicht weniger stolzen Nachbar die Überlegenheit seiner Macht auf die nachdrücklichste Art fühlen zu lassen. Nach der Grundverfassung des Reichs konnte der König keinen Krieg ohne Einstimmung der Nation unternehmen. Aber diesmal fand Turkan eine große Mehrheit derselben willig, seinen Antrag aus allen Kräften zu unterstützen: das Volk, weil es die erlittene Beleidung um so höher empfand, je lebhafter es seine Vorzüge über die Katayer fühlte; und den Adel, weil ein großer Teil desselben sich Ruhm, Ehrenstellen, und andere ansehnliche Vorteile von dieser Gelegenheit versprach. Der Krieg wurde also beschlossen, und die in Feuer gesetzten Scheschianer beeiferten sich, ihren jungen König, der an der Spitze seines Heers die Miene hatte einem gewissen Sieg entgegen zu eilen, durch Verdoppelung der gewöhnlichen Kriegsmacht und freudige Bewilligung außerordentlicher Beiträge so lange zu unterstützen, bis er den gedemütigten Feind zu einem rühmlichen Frieden gezwungen haben würde. Dieser würde auch vermutlich in wenigen Feldzügen erhalten worden sein, wenn Turkan und sein Volk sich der Vorteile, die ihnen das Glück anfangs zuwandte, mit etwas mehr Mäßigung hätten bedienen wollen. Aber kaum hatte ihnen der erste Sieg einen Teil der feindlichen Grenzen unterworfen, so mischte sich schon die Eroberungssucht ins Spiel; und eine der schönsten Provinzen des Katayschen Reichs, welche Turkan dem seinigen einzuverleiben beschlossen hatte, und die er wechselsweise bald einnahm bald wieder verlor, blieb nicht nur das Ziel eines Krieges, der mit abwechselndem Glücke beinahe seine ganze Regierung durch währte, sondern auch, nachdem sie ihm abgetreten worden war, auf lange Zeit die Quelle eines unversöhnlichen Hasses und oft erneuerter Fehden zwischen den Königen von Katay und Scheschian.

Turkan genoß die Ruhe nicht lange, die er seinem erschöpften Volk endlich wieder verschafft hatte. Von seinen vier Söhnen waren drei auf dem Bette der Ehre gestorben; und so folgte ihm Akbar, der jüngste, in einem Alter, worin es, selbst bei einer Erziehung wie die scheschianischen Königssöhne erhielten, schwer ist, ein großes Volk – und noch schwerer sich selbst zu regieren.«

»Keine Satiren mehr, Herr Danischmend!« unterbrach der Sultan den Erzähler abermals: »vergiß nicht, daß mich nach dem Ende deiner Erzählung verlangt« –

»Wenn dies ist«, sagte Danischmend, dem die sonderbare Laune seines Herren aufzufallen anfing, »so verdient Sultan Akbar Dank; denn seine Regierung war ein starker Schritt, wo nicht zum Ende der Geschichte von Scheschian, wenigstens zu einer Abänderung seiner Verfassung, die dasselbe nicht wenig beschleunigte. Akbar liebte die Künste, die nur im Frieden gedeihen, nicht weniger leidenschaftlich, als sein Vater die kriegerischen geliebt hatte: aber er begnügte sich nicht, die Spuren der Verwüstungen eines langwierigen Krieges in seinem Reich auszulöschen und dessen ehmaligen Wohlstand wieder herzustellen. Er wollte noch mehr tun als Tifan und Temor, und wurde nicht gewahr, daß er, während er sich überredete den höchsten Flor des Reichs zum einzigen Augenmerk zu haben, bloß für seine Lieblingsleidenschaften arbeitete. Von lauter Künstlern und Virtuosen, Kennern und Dilettanten umgeben, deren Interesse war seine Leidenschaft vielmehr anzufeuern als zu mäßigen, hörte er in seinem ganzen Leben nichts was ihn aus dieser süßen Täuschung hätte wecken können. Azor, Lili, und Alabanda selbst blieben in allem, was sie für die schönen Künste taten, weit hinter ihm zurück: denn man mußte ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er sie nicht, nach Gewohnheit der meisten Fürsten, zu bloßen Sklaven seines Vergnügens herab würdigte, sondern sie um ihrer selbst willen liebte, und nur an der Vollkommenheit ihrer Werke Vergnügen fand. Auch darüber hatte sich keine zu beklagen, daß er sie etwa aus Vorliebe zu einer andern vernachlässige; jede schien vielmehr berechtigt sich für die vorzüglich begünstigte zu halten. Indessen war doch gewiß, daß die Baukunst, weil sie mit seiner Liebe zum Schönen zugleich seine Prachtliebe und Eitelkeit am meisten befriedigte, den ersten Rang in seiner Zuneigung behauptete; wenigstens konnte man nicht anders urteilen, wenn man die Menge und Herrlichkeit aller Arten von öffentlichen Gebäuden sah, womit er die Residenz Scheschian und alle Hauptstädte seiner Provinzen angefüllt hatte. Natürlich reichten die Einkünfte der königlichen Domänen, so groß sie auch waren, bei weitem nicht zu, eine so kostbare und unersättliche Leidenschaft zu befriedigen: und kaum fühlte man diese Unzulänglichkeit, so entstand eben so natürlich das Verlangen ihr abzuhelfen. Das kürzeste Mittel war, einen kleinen Bruch in das Gesetzbuch Tifans zu machen, und Seiner Hoheit nicht nur die willkürliche Verwaltung des öffentlichen Schatzes, sondern auch die Macht nach Gutdünken neue Zuflüsse in denselben zu leiten, auf eine gute Art in die Hände zu spielen. Die Sache lag dem guten Akbar zu sehr am Herzen, als daß sich unter den Kunstliebhabern, von welchen sein Hof wimmelte, nicht gar bald einer gefunden hätte, der sein Haupt nicht eher zur Ruhe legte, bis er ein wohl berechnetes Plänchen, wie das alles am sichersten zu bewerkstelligen wäre, ausgearbeitet hatte. Alles kam darauf an, den Adel und die Priesterschaft dahin zu bringen, daß sie sich, gegen eine billige Entschädigung, eine so ungeheure Ausdehnung der königlichen Gewalt gefallen ließen. Denn diese beiden mußten schlechterdings gewonnen werden: der Adel, wegen des entscheidenden Einflusses, den ihm die Staatsverfassung gab; die Priesterschaft, weil sie unmittelbarer auf das Volk wirkte und durch ihr Ansehen alles über dasselbe vermochte. Beides hatte große Schwierigkeiten, wofern Akbar versucht worden wäre seine Absichten durch gewaltsame Mittel erreichen zu wollen: aber beide Stände konnte man zu gewinnen hoffen, wenn man ihre Mitwirkung unter keiner andern Bedingung verlangte, als in so fern sie ihnen selbst vorteilhafter wäre als die Anhänglichkeit an die Tifanische Konstitution. In dieser Rücksicht glaubte man von den zehen Millionen Unzen Silbers, die der König aus seinen unabhängigen Domänen zog, keinen nützlichern Gebrauch machen zu können, als daß man sie zu Hebung der Skrupel verwendete, welche sich natürlicher Weise beim Antrag einer so wesentlichen Verschlimmerung der beschwornen Staatsverfassung in dem zarten Gewissen derjenigen erheben mußten, deren erste Pflicht die Erhaltung dieser Verfassung war. In der Tat hätten beide Stände eines höhern Grades von Uneigennützigkeit, als man von gewöhnlichen Menschen erwarten darf, vonnöten gehabt, wenn sie eine so günstige Gelegenheit hätten versäumen sollen – die einen, ihre durch den letzten Krieg und durch die Nachahmung der Kunst- und Prachtliebe des jungen Königs erschöpften Finanzen wieder herzustellen –, die andern, welche sich seit Tifans Zeiten mit sehr spärlich zugemeßnen Einkünften behelfen mußten, die ihrigen zu verbessern und ihren Wünschen so viel möglich gleich zu machen. Man trat also in aller Stille mit den vornehmsten Gliedern des Ausschusses der Reichsstände in geheime Unterhandlungen; die Herren machten ihre Bedingungen; man wurde des Handels eins. Aber, was der Hof als den ersten Präliminarpunkt zugestehen mußte, war: Daß es, um die Nation nicht zu sehr zu erschrecken, schlechterdings nötig sei, die alte Form der Verfassung beizubehalten, und sich vor der Hand an der unbegrenzten Bereitwilligkeit der Stände, dem König alles was er verlangen würde zu bewilligen, um so mehr zu begnügen, da die zugleich stillschweigend erteilte Freiheit, den Staat mit so viel Schulden zu belasten, als die väterliche Sorge Seiner Hoheit für den möglichsten Flor desselben bei Gelegenheit etwa für nötig erachten möchte, die zu Dero gnädigstem Befehl stehenden Summen nach Gutbefinden duplieren und triplieren konnte.

Die edeln und ehrwürdigen Patrioten, mit welchen dieser geheime Traktat geschlossen wurde, nahmen es auf sich, ihre übrigen Kollegen, unter den zugestandenen Bedingungen, auf ihre Seite zu bringen, und fanden weniger Widerstand als sie sich selbst vorgestellt hatten: so viel hatten bereits seit Tifans Zeiten die Sitten an ihrer Einfalt und die Gesetze an ihrer Energie verloren!

Akbar berief nun die Stände, um, wie er sagte, über die gegenwärtige Lage und Bedürfnisse des Vaterlandes sich mit ihnen zu beraten. Der Friede, hieß es in der königlichen Rede vom Throne, habe zwar, zu großer Freude Seines väterlichen Herzens, alle Quellen des gemeinen Wohlstandes wieder reichlicher als jemals fließen gemacht: aber die gänzliche Ausheilung aller Wunden, die ein beinahe zwanzigjähriger Krieg dem Staate geschlagen habe, und sowohl die Sicherstellung desselben gegen seine natürlichen Feinde, die nur durch eine entschiedene Überlegenheit von neuen Unternehmungen abgeschreckt werden könnten, als die Erhaltung der so teuer errungenen Früchte des Sieges, machten mehr als gewöhnliche, wiewohl die Kräfte der Nation nicht übersteigende Anstrengungen vonnöten; zu welchen Seine Hoheit Ihre getreuen Stände um so bereitwilliger zu finden hofften, da Sie es ihrer Weisheit gänzlich überließen, für die nötige Vermehrung der Staatseinkünfte durch solche Mittel und Wege zu sorgen, die den Untertanen, besonders der ehrwürdigen Klasse der Landleute, die wenigste Beschwerde verursachen würden.

Die Stände blieben Seiner Hoheit in ihrer Antwort nichts schuldig: denn wiewohl der Geist der Zeiten Tifans von Scheschian gewichen war, so hatte man doch die Sprache derselben beibehalten; und der Kanzleistil jener Zeit blieb immer eben derselbe, auch nachdem es so weit gekommen war, daß man durch die wechselseitigen Komplimente, die der König dem Volke, und die Repräsentanten des Volkes dem Könige machten, des öffentlichen Elendes nur zu spotten schien. Seine getreuen Stände fühlten sich unvermögend, sagten sie, einem so huldreichen und so unermüdet für das Glück Seiner Völker arbeitenden Monarchen den ganzen Umfang des Vertrauens und der Anhänglichkeit, wovon sie durchdrungen wären, zu beweisen. Was könnten sie, um nicht gar zu weit hinter ihrer Pflicht zurück zu bleiben, weniger tun, als den Beschluß fassen, Sein Vermögen Gutes zu tun Seiner grenzenlosen Tätigkeit gleich zu machen? – Diesem zu Folge übertrugen sie ihm volle Machtgewalt, über die Verwendung des öffentlichen Schatzes eben so unbeschränkt zu gebieten als über seine eigene Kasse; und um den großmütigsten der Fürsten in den Stand zu setzen, seinen wohltätigen Wünschen einen desto freiern Spielraum zu geben, ordneten sie verschiedene neue Abgaben an, wovon man zwar seit mehr als hundert Jahren in Scheschian nichts gewußt hatte, die sich aber um so leichter rechtfertigen ließen, da das Reich durch die natürlichen Folgen der Tifanischen Einrichtungen sich augenscheinlich auf einer Stufe von allgemeinem Wohlstand befand, der eine namhafte Vermehrung der Staatseinkünfte ohne merkliche Bedrückung des Volkes möglich und zulässig zu machen schien. Dagegen bewies aber auch Sultan Akbar seine Dankbarkeit für das in ihn gesetzte Vertrauen durch die schönsten – Versprechungen: und als eine tätige Probe seines guten Willens gab er sogleich zwei Gesetze, wovon das eine den Adel, zu einiger Entschädigung für die großen Opfer, die er dem Staat in dem Katayschen Kriege gebracht hatte, auf eine unbestimmte Zeit von allen Abgaben befreite; das andere den Verdiensten des Priestertums, durch verhältnismäßige Erhöhung des Einkommens der verschiedenen Priesterklassen und Stiftung einer Anzahl neuer reich begabter Tempel und Ordenshäuser, gebührende Gerechtigkeit widerfahren ließ.«

»Vortrefflich!« rief Schach-Gebal: »das konnt ich mir voraus vorstellen, daß die Herren die Baulust meines guten Bruders Akbar nicht unbenutzt lassen würden. Aber das Volk, auf dessen Unkosten dieser ganze schöne Handel abgeschlossen wurde, was sagte das dazu?«

»Sire«, erwiderte Danischmend, »das Volk ist, wie Ihre Hoheit wissen, ein gar launiges, grillenhaftes Tier: zur einen Zeit duldet es die auffallendsten Eingriffe in seine Rechte mit der kaltblütigsten Gleichgültigkeit, zur andern gerät es über die unbedeutendste Kleinigkeit in Feuer; heute kann man alles von ihm erhalten, morgen vielleicht gar nichts. Die Scheschianer hatten sich in einigen ruhigen Jahren völlig wieder hergestellt; Akbars Prachtliebe, und die großen Werke, wodurch er alle Arten von Künstlern und Arbeitern in Beschäftigung und ungeheure Summen in den schnellsten Umlauf setzte, machten seinen Namen und seine Regierung der Nation beliebt; der allgemeine Wohlstand, der für den Augenblick dadurch befördert wurde, erhöhte ihren Mut, und machte sie geneigt, dem Fürsten, und den seinem Beispiele nacheifernden Großen einen Teil dessen, was sie von ihnen gewannen, ohne eine allzu genaue Berechnung wieder zu geben. Überdies hielt man es für billig, daß der Adel, der im Kriege sich um die Nation verdient gemacht und zum Teil wirklich viel dabei eingebüßt hatte, belohnt und entschädiget würde; und die Priesterschaft stand, ihrer Weisheit und reinen Sitten wegen, in einem so hohen Ansehen bei dem Volke, daß es von freien Stücken noch mehr für sie zu tun geneigt war als Akbar vorschlug. Bei allem dem fehlte es doch hier und da nicht an Widerspruch und Mißvergnügen, und viele Alte, die von ihren Vätern das Glück der Zeiten Tifans rühmen gehört hatten, weissagten der Nachkommenschaft wenig Gutes von der kühnen Anmaßung, eine Konstitution, welche mehr das Werk einer wohltätigen Gottheit als eines Sterblichen schien, so leichtsinnig verbessern zu wollen. Aber sie wurden überstimmt, und manche Generation ging vorbei, ehe die Folgen der Übel, zu welchen jetzt der Grund gelegt wurde, den Scheschianern zu spät die Augen öffneten.

Es bedarf vielleicht vieler Jahrhunderte, bis so ein Gebäude, wie Tifan errichtet hatte, vor Alter und Baufälligkeit zusammen sinkt. Gleichwohl hätte dieser Augenblick endlich kommen müssen; denn daß eine unzerstörbare Staatsverfassung unter die unmöglichen Dinge gehöre, ist noch von niemand geleugnet worden.«

»So hätte ich große Lust der erste zu sein«, sagte Gebal lachend. »Warum wär es denn so unmöglich, ein Staatsgebäude aufzuführen, das wenigstens eben so dauerhaft wäre als die Pyramiden in Ägypten, die schon einige tausend Jahre stehen, und wahrscheinlich so lange stehen werden, als der Elefant, der die Erde trägt, auf der großen Schildkröte, und die Schildkröte auf der zusammen geringelten Schlange?«

»O gewiß«, sagte Danischmend: »man brauchte zur Aufführung eines solches Staats nur die Pyramiden zum Muster zu nehmen. Auch ist dies, dünkt mich, bei unsern östlichen Staatsverfassungen bereits geschehen; und es erklärt sich daraus, warum, zum Beispiele, das sinesische Reich, wiewohl es schon so oft durch Eroberung unter fremde Oberherren gekommen ist, dennoch seine innere Verfassung bei jeder Revolution unverändert erhalten hat. Ich hätte mich also genauer ausdrücken, und sagen sollen, daß meine Behauptung nur von Staaten gelte, deren Bürger (wie die Scheschianer unter Tifan) freie Menschen sind. Ich zweifle sehr, ob für solche jemals eine bessere Konstitution als die Tifanische diesseits des Mondes gesehen worden ist; und doch ist leicht zu zeigen, daß gerade in dem was ihre Vortrefflichkeit ausmachte, die Ursache ihres Untergangs lag.«

»Wie käme das?« fragte der Sultan mit einer ironischen Miene von unglaubiger Verwunderung.

»Die Tifanische Konstitution«, antwortete Danischmend, »gründete sich einer Seits auf die Einschränkung der Monarchie durch eine solche Verteilung der höchsten Gewalt zwischen dem König, dem Adel und den Stellvertretern des Volks, wodurch keines dieser politischen Gewichte, von deren richtigem Zusammenwirken der Wohlstand des Staats abhing, ein merkliches Übergewicht über die andern sollte erhalten können; andrer Seits auf die Güte der Sitten, und auf eine Kultur, wodurch Tifan die Dauer seiner Gesetze zu einer natürlichen Folge der freien Überzeugung des Volkes von ihrer einleuchtenden Vernunftmäßigkeit zu machen hoffte. Auf diesen zwei Hauptpfeilern ruhte sein ganzes Gebäude; aber jeder dieser Pfeiler selbst stand auf einem sandigen Grunde, der unter einem so schweren Gewicht unvermerkt weichen mußte. Niemals wird in irgend einem Staate derjenige, der mit irgend einem Anteil an Macht und Ansehen bekleidet ist, sich lange in der Einschränkung halten, die ihm das Gesetz vorgeschrieben hat. Gibt das Gesetz die höchste Gewalt in die Hand eines Einzigen; so wird dieser Einzige nicht ruhen, bis er sich über das Gesetz erhoben, und es dahin gebracht hat, daß sein Wille, nicht der allgemeine, das höchste Gesetz ist. Verteilt es dieselbe unter mehrere durch einander eingeschränkte Mächte; so wird jede von ihnen, so gut wie jener Einzige, sich so lange auszudehnen streben, bis sie den Damm, der sie einzwängen soll, durchbrochen hat: und ist das Gesetz einer jeden, für sich allein, zu mächtig; so werden sie sich gegen dasselbe vereinigen, oder in geheime Unterhandlungen mit einander treten, und – unter der Bedingung sich in die Vorteile, die sich keine allein zuzueignen vermag, brüderlich zu teilen – die schicklichsten Mittel das Gesetz unkräftig zu machen mit einander abreden. Dieser Umstand ist für sich allein schon mehr als hinlänglich, den immer zunehmenden Verfall und endlich, die gänzliche Auflösung jeder politischen Gesellschaft zu bewirken: aber auch ohne ihn würde bloß die Kultur (ich meine eine solche, wozu Tifan durch seine Gesetze den Grund legte) mit der Zeit die nämliche Wirkung hervorbringen.«

»Danischmend ist heute zu paradoxen Behauptungen aufgelegt«, sagte der Sultan: »aber ich seh ihn kommen« –

»Ihre Hoheit halten mir zu Gnaden«, fuhr dieser fort, »wenn ich Ihnen etwas sehr Einfältiges zu sagen scheinen werde, das aber darum nicht weniger wahr ist. Damit ein Volk sich gutwillig einer Regierung unterwerfe, welche, vermöge der Natur der Sache und des Menschen, ewig nach ungebundener Willkürlichkeit strebt, muß besagtes Volk sich in einem Zustande von Dumpfheit, Einfalt und Unmündigkeit befinden, der genau so lange und keinen Augenblick länger dauern kann, als es in Unwissenheit und Vorurteile, gleich einem Wickelkinde, um und um eingewickelt bleibt: und wofern ein gewisser Grad von Kultur sich mit diesem Zustande vertragen soll; so muß die vereinigte Gewalt der Gesetze, der Erziehung, der Sitten und der Gebräuche, im Notfall durch die Schrecken eines eisernen Despotismus verstärkt, zusammen wirken, jeden Fortschritt zu höhern Stufen unmöglich zu machen. Ist aber dieser Fortschritt frei gelassen, wird er durch die Verfassung sogar befördert: so ist nichts natürlicher, als daß endlich die Zeit kommen muß, wo das besagte Volk mit seinen Befugnissen und Rechten, und überhaupt mit seinem wahren Interesse so bekannt wird, daß es sich nicht länger zum leidenden Gehorsam bequemen will, geschweige daß die Blendwerke, Gaukeleien und Zauberformeln länger bei ihm anschlagen sollten, womit es sich ehmals in seiner Dumpfheit bemaulkorben und nach der Pfeife seines Führers tanzen machen ließ. Es wird also« –

»Erspare dir die Mühe uns zu sagen was es tun wird, Itimadulet«, fiel ihm der Sultan ins Wort – »wir kennen das! Aber meinst du nicht auch, daß sich aus dem, was du uns eben da zu sagen beliebt hast, ein vortreffliches Argument gegen deine fortschreitende Kultur ziehen ließe?«

»O gewiß ein vortreffliches«, sagte Danischmend mir einer lächelnden Grimasse, die nicht ganz so ehrerbietig war als einem ersten Minister, der seinem Gebieter antwortet, geziemen will.

»Nicht daß ich etwas gegen die Kultur hätte«, fuhr der Sultan ganz kaltblütig fort: »im Gegenteil! – Nur mit deiner fortschreitenden Kultur, Herr Danischmend, die so lange fortschreitet bis sich die Leute gar nicht mehr regieren lassen wollen, mit der würde ich mich schwerlich recht vertragen können. Ich liebe Ordnung und Ruhe in meinem Lande; das Ei soll nicht klüger sein wollen als die Henne; und wer zum Dreschflegel, zum Hammer, zur Nadel und zur Ahle geboren ist, soll sich den Kopf nicht damit zerbrechen, was er tun wollte, wenn er Oberrichter, Statthalter, Itimadulet, oder Herr des weißen Elefanten wäre. Das ist meine Meinung von der Sache; und nun weiter im Text, Freund Danischmend!«


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