Christoph Martin Wieland
Der goldne Spiegel
Christoph Martin Wieland

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Einleitung

Alle Welt kennt den berühmten Sultan von Indien, Schach-Riar, der, aus einer wunderlichen Eifersucht über die Negern seines Hofes, alle Nächte eine Gemahlin nahm, und alle Morgen eine erdrosseln ließ; und der so gern Märchen erzählen hörte, daß ihm in tausend und einer Nacht kein einziges Mal einfiel, die unerschöpfliche Scheherezade durch irgend eine Ausrufung, Frage oder Liebkosung zu unterbrechen, so viele Gelegenheit sie ihm auch dazu zu geben beflissen war.

Ein so unüberwindliches Phlegma war nicht die Tugend oder der Fehler seines Enkels Schach-Baham, der (wie jedermann weiß) durch die weisen und scharfsinnigen Anmerkungen, womit er die Erzählungen seiner Visire zu würzen pflegte, ungleich berühmter in der Geschichte geworden ist, als sein erlauchter Großvater durch sein Stillschweigen und seine Untätigkeit. Schach-Riar gab seinen Höflingen Ursache, eine große Meinung von demjenigen zu fassen, was er hätte sagen können, wenn er nicht geschwiegen hätte; aber sein Enkel hinterließ den Ruhm, daß es unmöglich sei, und ewig unmöglich bleiben werde, solche Anmerkungen oder Reflexionen (wie er sie zu nennen geruhte) zu machen wie Schach-Baham.

Wir haben uns alle Mühe gegeben die Ursache zu entdecken, warum die Schriftsteller, denen wir das Leben und die Taten dieser beiden Sultanen zu danken haben, von Schach-Riars Sohne, dem Vater Schach-Bahams, mit keinem Wort Erwähnung tun: aber wir sind nicht so glücklich gewesen einen andern Grund davon ausfündig zu machen, als – weil sich in der Tat nichts von ihm sagen ließ. Der einzige Chronikschreiber, der seiner gedenkt, läßt sich also vernehmen: »Sultan Lolo«, sagt er, »vegetierte einundsechzig Jahre. Er aß täglich viermal mit bewundernswürdigem Appetit, und außer diesem, und einer sehr zärtlichen Liebe zu seinen Katzen, hat man niemals einige besondere Neigung zu etwas an ihm wahrnehmen können. Die Derwischen und die Katzen sind die einzigen Geschöpfe in der Welt, welche Ursache haben, sein Andenken zu segnen. Denn er ließ, ohne jemals recht zu wissen warum, zwölfhundertundsechsunddreißig neue Derwischereien, jede zu sechzig Mann, in seinen Staaten erbauen; machte in allen größern Städten des indostanischen Reiches Stiftungen, worin eine gewisse Anzahl Katzen verpflegt werden mußte; und sorgte für diese und jene so gut, daß man in ganz Asien keine fettern Derwischen und Katzen sieht, als die von seiner Stiftung.Ein gewisser persischer Autor gerät bei Erwähnung dieser Stiftungen Schach-Lolos in eine seltsame Aufwallung. »Kann man«, ruft er aus, »sich sogar im heißesten Fieber einfallen lassen, solche Stiftungen zu machen? Es gehört doch wohl zum Wesen einer Stiftung, daß sie dem Staate nützlich sei? Sultan Lolos Stiftungen mußten gerade die entgegen gesetzte Wirkung tun. Hätte er seine Derwischen und seine Katzen ihrem Schicksal überlassen, so ist Hundert an Eins zu setzen, jene hätten arbeiten müssen, und diese Ratten gefangen, und so hätten beide dem Staat Dienste getan. Welch ein Einfall, sie fett zu machen, damit sie müßig gingen! Gleichwohl was die Katzen betrifft, möcht es noch hingehen; ihr Fett ist doch zu etwas nütze. Aber Derwischenfett! Was soll man mit Derwischenfett anfangen?«

Schek Seif al Horam,
Geschichte der Torheit 364. Teil S. 538.

Er zeugte übrigens zwischen Wachen und Schlaf einen Sohn, der ihm unter dem Namen Schach-Baham in der Regierung folgte, und starb an einer Unverdaulichkeit.« So weit dieser Chronikschreiber, der einzige, der von Sultan Lolo Meldung tut; und, in der Tat, wir besorgen, was er von ihm sagt, ist noch schlimmer als gar nichts.

Sein Sohn Schach-Baham hatte das Glück bis in sein vierzehntes Jahr von einer Amme erzogen zu werden, deren Mutter eben dieses ehrenvolle Amt bei der unnachahmlichen Scheherezade verwaltet hatte. Alle Umstände mußten sich vereinigen, diesen Prinzen zum unmäßigsten Liebhaber von Märchen, den man je gekannt hat, zu machen. Nicht genug, daß ihm der Geschmack daran mit der ersten Nahrung eingeflößt, und der Grund seiner Erziehung mit den weltberühmten Märchen seiner Großmutter gelegt wurde: das Schicksal sorgte auch dafür, ihm einen Hofmeister zu geben, der sich in den Kopf gesetzt hatte, daß die ganze Weisheit der Ägypter, Chaldäer und Griechen in Märchen eingewickelt liege.

Es herrschte damals die löbliche Gewohnheit in Indien, sich einzubilden, der Sohn eines Sultans, Rajas, Omras, oder irgend eines andern ehrlichen Mannes von Ansehen und Vermögen, könne von niemand als von einem Fakir erzogen werden. Wo man einen jungen Menschen von Geburt erblickte, durfte man sicher darauf rechnen, daß ihm ein Fakir an der Seite hing, der auf alle seine Schritte, Reden, Mienen und Gebärden Acht haben, und sorgfältig verhüten mußte, daß der junge Herr nicht – zu vernünftig werde. Denn es war eine durchgängig angenommene Meinung, daß einer starken Leibesbeschaffenheit, einer guten Verdauung, und der Fähigkeit sein Glück zu machen, nichts so nachteilig sei, als viel denken und viel wissen; und man muß es den Derwischen, Fakirn, Santonen, Braminen, Bonzen und Talapoinen der damaligen Zeiten nachrühmen, daß sie kein Mittel unversucht ließen, die Völker um den Indus und Ganges vor einem so schädlichen Übermaße zu bewahren. Es war einer von ihren Grundsätzen, gegen die es gefährlich war Zweifel zu erregen: Niemand müsse klüger sein wollen als seine Großmutter.

Man wird nun begreifen, wie Schach-Baham bei solchen Umständen ungefähr der Mann werden mußte, der er war. Man hat bisher geglaubt, die einsichtsvollen Betrachtungen, die abgebrochenen und mit viel bedeutenden Mienen begleiteten – »das dacht ich gleich« – »ich sage nichts, aber ich weiß wohl was ich weiß« – oder, »doch was kümmert das mich?« und andre dergleichen weise Sprüche, an denen er einen eben so großen Überfluß hat als Sancho Pansa an Sprichwörtern –, nebst seinem Widerwillen gegen das, was er Moral, und Empfindung spinnen nennt, wären bloße Wirkungen seines Genies gewesen. Aber einem jeden das Seine! Man kann sicher glauben, daß der Fakir, sein Hofmeister, keinen geringen Anteil daran hatte.

Der Sohn und Erbe dieses würdigen Sultans, Schach-Dolka, glich seinem Vater an Fähigkeit und Neigungen beinahe in allen Stücken, ein einziges ausgenommen. Er war nämlich ein erklärter Feind von allem, was einem Märchen gleich sah, und setzte diesem Haß um so weniger Grenzen, da er bei Lebzeiten des Sultans seines Vaters genötiget gewesen war, ihn aufs sorgfältigste zu verbergen. Wir würden uns, nach dem Beispiele vieler berühmter Schriftsteller, über diese Ausartung gar sehr verwundern, wenn uns nicht deuchte, daß es ganz natürlich damit zugegangen sei. Sultan Dolka hatte in dem Zimmer der Sultanin seiner Mama (wo Schach-Baham die Abende mit Papierausschneiden, und Anhören lehrreicher Historien von beseelten Sofas, politischen Bals, und empfindsamen Gänschen in rosenfarbem Domino, zuzubringen pflegte) von seiner Kindheit an so viele Märchen zu sich nehmen müssen, daß er sich endlich einen Ekel daran gehört hatte. Dies war das ganze Geheimnis; und uns deucht, es ist nichts darin, worüber man sich so sehr zu verwundern Ursache hätte.

Vermutlich ist aus dieser tödlichen Abneigung vor den Erzählungen des Visirs Moslem die außerordentliche Ungnade zu erklären, welche er auf die Philosophie, und überhaupt auf alle Bücher, sie mochten auf Pergament oder Palmblätter geschrieben sein, geworfen hatte; eine Ungnade, die so weit ging, daß er nur mit der äußersten Schwierigkeit zurück gehalten werden konnte, nicht etwa bloß die Poeten (wie Plato), sondern alle Leute, welche lesen und schreiben konnten, aus seiner Republik zu verbannen; selbst die Mathematiker und Sterngucker nicht ausgenommen, welche ihm wegen der aerometrischen und astronomischen Erfindungen des Königs Strauß im Herzen zuwider waren. Man sagt von ihm, als der vorbelobte Visir die Geschichte des Krieges zwischen dem Genie Grüner als Gras und dem Könige der grünen Länder in seiner Gegenwart erzählt habe, hätte der junge Prinz, der damals kaum siebzehn Jahre alt war, bei der Stelle, wo der Perückenkopf einen der vollständigsten Siege über den König Strauß erhält, sich nicht enthalten können auszurufen: »Das soll mir niemand weismachen, daß jemals ein Perückenkopf den Verstand gehabt hätte, eine Armee zu kommandieren!« – Eine Anmerkung, welche (wie man denken kann) von allen Anwesenden begierig aufgefaßt wurde, und, als ein frühzeitiger Ausbruch eines seltnen Verstandes an einem noch so zarten Prinzen, mit schuldiger Bewunderung am ganzen Hofe widerschallte.

Schach-Dolka rechtfertigte die Hoffnung, welche man sich nach solchen Anzeigungen von seinen künftigen Eigenschaften machte, auf die außerordentlichste Weise. Der Neid selbst mußte gestehen, daß er seinen Voreltern Ehre machte. Er war der größte Mann seiner Zeit Distelfinken abzurichten; und in der Kunst Mäuse aus Äpfelkernen zu schneiden hat die Welt bis auf den heutigen Tag seinesgleichen nicht gesehen. Durch einen unermüdeten FleißWir können nicht umhin, die Anmerkung zu machen, daß die Neigung sich zu beschäftigen und ein anhaltender Fleiß unter die seltensten und schätzbarsten Tugenden gehören, die ein großer Herr besitzen kann. Nur um dieser willen verdient, unsers Erachtens, Schach-Dolka einen Platz unter den besten Fürsten, die jemals den Thron gezieret haben. Was hätte er erst verdient, wenn er diesen unverdrossenen Fleiß auf die Ausübung seiner königlichen Pflichten zu verwenden hätte geruhen wollen? – Seine königlichen Pflichten? – Gegen wen? Wo hätte Schach-Dolka hernehmen sollen, daß ein König Pflichten habe?

Anmerk. des latein. Übersetzers

bracht er es in dieser schönen Kunst so hoch, daß er alle Arten von Mäusen, als Hausmäuse, Feldmäuse, Waldmäuse, Haselmäuse, Spitzmäuse, Wassermäuse und Fledermäuse, auch Ratten, Maulwürfe und Murmeltiere, mit ihren gehörigen Unterscheidungszeichen, in der äußersten Vollkommenheit verfertigte; ja, wenn man dem berühmten Schek Hamet Ben Feridun Abu Hassan glauben darf, so beobachtete er sogar die Proportionen nach dem verjüngten Maßstabe mit aller der Genauigkeit, womit Herr Daubenton in seiner Beschreibung des königlichen Naturalienkabinetts zu Paris sie zu bestimmen sich die löbliche Mühe gegeben hat.

Außerdem wurde Schach-Dolka für einen der besten Kuchenbäcker seiner Zeit gehalten, wenn ihm anders seine Hofleute in diesem Stücke nicht geschmeichelt haben; und man rühmt als einen Beweis seiner ungemeinen Leutseligkeit, daß er sich ein unverbrüchliches Gesetz daraus gemacht habe, an allen hohen Festen seinen ganzen Hof mit kleinen Rahmpastetchen von seiner eigenen Erfindung und Arbeit zu bewirten. Niemals hat man einen Sultan mit Geschäften so überhäuft gesehen, als es der arme Dolka in dem ganzen Laufe seiner Regierung war. Denn da alle Könige und Fürsten gegen Morgen und Abend so glücklich sein wollten, einige Mäuse von seiner Arbeit in ihren Kunstkabinetten, oder einen Finken aus seiner Schule in ihrem Vorzimmer zu haben; und da Schach-Dolka teils aus Gefälligkeit, teils in Rücksicht auf das launische Ding, das man Ratio status nennt, niemand vor den Kopf stoßen wollte: so hatte er wirklich (die Stunden, die er im Divan verlieren mußte, mit eingezählt) vom Morgen bis in die Nacht so viel zu tun, daß er kaum zu Atem kommen konnte.

Der Himmel weiß, ob jemals ein anderes Volk das Glück hatte, mit vier Prinzen, wie Schach-Riar, Schach-Lolo, Schach-Baham und Schach-Dolka waren, in einer unmittelbaren Folge gesegnet zu werden. »O! O! die guten Herren! die goldnen Zeiten!« – riefen ihre Omras und Derwischen.

Allein diese wackern Leute können doch auch nicht verlangen, daß es immer nach ihrem Sinne gehen solle. Schach-Gebal, ein Bruderssohn Bahams des Weisen (wie ihn seine Lobredner nannten), welcher seinem Vetter in Ermanglung eines Leibeserben folgte – denn Dolka hatte vor lauter Arbeit keine Zeit gehabt an diese Sache zu denken –, dieser Schach-Gebal unterbrach eine so schöne Folge von gekrönten guten Männern, und regierte bald so gut, bald so schlecht, daß weder die Bösen noch die Guten mit ihm zufrieden waren.

Wir wissen nicht, ob ein Charakter wie der seinige unter regierenden Herren so selten ist, als die Feinde seines Ruhms behaupten. Aber so viel können wir mit gutem Grunde sagen: daß, wenn weder der Adel noch die Priester noch die Gelehrten noch das Volk mit seiner Regierung zufrieden waren, – Adel, Priester, Gelehrte und Volk nicht immer so ganz Unrecht hatten.

Um eine Art von Gleichgewicht unter diesen Ständen zu erhalten, beleidigte er wechselsweise bald diesen bald jenen, und der weise Pilpai selbst hätte ihm nicht ausreden können, daß man Beleidigungen durch Wohltaten nicht wieder gut machen könne. In beiden pflegte er so wenig Maß zu halten, so wenig Rücksicht auf Umstände und Folgen zu nehmen, so wenig nach Grundsätzen und nach einem festen Plane zu verfahren, daß er meistens immer den Vorteil verlor, den er sich dabei vorsetzte. Man wußte so viele Beispiele anzuführen, wo er seine besten Freunde mißhandelt hatte, um die übelgesinntesten Leute mit Gnaden zu überhäufen, daß es endlich zu einer angenommenen Maxime wurde, es sei nützlicher sein Feind zu sein als sein Freund. Jene konnten ihn ungestraft beleidigen, weil er schwach genug war sie zu fürchten: diesen übersah er auch nicht den kleinsten Fehltritt. Jene konnten eine Reihe strafwürdiger Handlungen durch eine einzige Gefälligkeit gegen seine Leidenschaften oder Einfälle wieder gut machen: diesen half es nichts ihm zwanzig Jahre lang die stärksten Proben von Treue und Anhänglichkeit gegeben zu haben, wenn sie am ersten Tage des einundzwanzigsten das Unglück hatten, sich durch irgend ein nichtsbedeutendes Versehen seinen Unwillen zuzuziehen.

Den Priestern soll er überhaupt nicht sehr hold gewesen sein; wenigstens kann man nicht leugnen, daß die Derwischen, Fakirn und Kalender, welche er nur die Hummeln seines Staats zu nennen pflegte, der gewöhnlichste Gegenstand seiner bittersten Spöttereien waren. Er neckte und plagte sie bei jeder Gelegenheit; aber weil er sie für gefährliche Leute hielt, so fürchtete er sie, und weil er sie fürchtete, so fand er selten so viel Mut in sich, ihnen etwas abzuschlagen. Der ganze Vorteil, den er von diesem Betragen zog, war, daß sie sich ihm für seine Gefälligkeiten wenig verbunden achteten, weil sie gar zu wohl wußten, wie wenig sein guter Wille Anteil daran hatte. Sie rächten sich für die unschädliche Verachtung, die er ihnen zeigte, durch den Verdruß, den sie ihm bei hundert bedeutenden Gelegenheiten durch ihre geheimen Ränke und Aufstiftungen zu machen wußten. Sein Haß gegen sie wurde dadurch immer frisch erhalten; aber die Schlauköpfe hatten ausfündig gemacht, daß er sie fürchte; und diese Wahrnehmung wußten sie so wohl zu benutzen, daß ihnen seine wärmste Zuneigung kaum einträglicher gewesen wäre. Sie hatten die Klugheit, wenig oder keine Empfindlichkeit über die kleinen Freiheiten zu zeigen, die man sich unter seiner Regierung mit ihnen heraus nehmen durfte. Man mag von uns sagen was man will, dachten sie, wenn wir nur tun dürfen was wir wollen.

Schach-Gebal hatte weniger Leidenschaften als Aufwallungen. Er war ein Feind von allem, was anhaltende Aufmerksamkeit und Anstrengung des Geistes erfoderte. Wenn dasjenige, was seine Hofleute die Lebhaftigkeit seines Geistes nannten, nicht allezeit Witz war, so weiß man, daß es bei einem Sultan so genau nicht genommen wird: aber er wußte doch den Witz bei andern zu schätzen; und so tödlich er die langen Reden seines Kanzlers haßte, so hatte er doch Augenblicke, wo man ihm scherzend auch wenig schmeichelnde Wahrheiten sagen durfte. Er wollte immer von aufgeweckten Geistern umgeben sein. Ein schimmernder Einfall hieß ihm allezeit ein guter Einfall; allein dafür fand er auch den besten Gedanken platt, der sonst nichts als Verstand hatte. Nach Grundsätzen zu denken, oder nach einem Plane zu handeln, war in seinen Augen Pedanterei und Mangel an Genie. Seine gewöhnliche Weise war, ein Geschäft anzufangen, und dann die Maßregeln von seiner Laune oder vom Zufall zu nehmen. So pflegten die witzigen Schriftsteller seiner Zeit ihre Bücher zu machen.

Er hatte ein paar vortreffliche Männer in seinem Divan. Er kannte und ehrte ihre Klugheit, ihre Einsichten, ihre Redlichkeit; aber zum Unglück konnte er ihre Miene nicht leiden. Sie besaßen eine gründliche Kenntnis der Regierungskunst und des Staats; aber sie hatten wenig Geschmack; sie konnten nicht scherzen; sie waren zu nichts als zu ernsthaften Geschäften zu gebrauchen, und Schach-Gebal liebte keine ernsthaften Geschäfte. Warum hatten die ehrlichen Männer die Gabe nicht, der Weisheit ein lachendes Ansehen zu geben? – Oder konnten sie sich nur nicht entschließen, ihr zuweilen die Schellenkappe aufzusetzen? Desto schlimmer für sie und den Staat! Schach-Gebal unternahm zwar selten etwas ohne ihren Rat; aber er folgte ihm während seiner ganzen Regierung nur zweimal, und beide Mal – da es zu spät war.

Es war eine seiner Lieblingsgrillen, daß er durch sich selbst regieren wollte. Die Könige, welche sich durch einen Minister, einen Verschnittenen, einen Derwischen, oder eine Mätresse regieren ließen, waren der tägliche Gegenstand seiner Spöttereien. Gleichwohl versichern uns die geheimen Nachrichten dieser Zeit, daß sein erster Iman, und eine gewisse schwarzaugige Tschirkassierin, die ihm unentbehrlich geworden war, alles was sie gewollt aus ihm gemacht hätten. Wir würden es für Verleumdungen halten, wenn wir seine Regierung nicht mit Handlungen bezeichnet sähen, wovon der Entwurf nur in der Zirbeldrüse eines Imans oder in der Phantasie einer schwarzaugigen Tschirkassierin entstehen konnte.

Schach-Gebal war kein kriegerischer Fürst: aber er sah seine Leibwache gern schön geputzt, hörte seine Emirn gern von Feldzügen und Belagerungen reden, und las die Oden nicht ungern, worin ihn seine Poeten über die Cyrus und Alexander erhoben, wenn er bei Gelegenheit eine Festung ihrem Kommendanten abgekauft, oder seine Truppen einen zweideutigen Sieg über Feinde, die noch feiger, oder noch schlechter angeführt waren als sie selbst, erhalten hatten. Es war eine von seinen großen Maximen: ein guter Fürst müsse Frieden halten, so lange die Ehre seiner Krone nicht schlechterdings erfodere, daß er die Waffen ergreife. Aber das half seinen Untertanen wenig: er hatte nichts desto weniger immer Krieg. Denn der Mann im Monde hätte mit dem Mann im Polarstern in einen Zwist geraten können; Schach-Gebal mit Hülfe seines ItimaduletAllgemeiner Name der ersten Minister der indostanischen Könige der Zeiten, wovon hier die Rede ist. würde Mittel gefunden haben, die Ehre seiner Krone dabei betroffen zu glauben.

Niemals hat ein Fürst mehr weggeschenkt als Gebal. Aber da er sich die Mühe nicht nehmen wollte, zu untersuchen, oder nur eine Minute lang zu überlegen, wer an seine Wohltaten das meiste Recht haben möchte: so fielen sie immer auf diejenigen, die zunächst um ihn waren, und zum Unglück konnten sie gemeiniglich nicht schlechter fallen.

Überhaupt liebte er den Aufwand. Sein Hof war unstreitig der prächtigste in Asien. Er hatte die besten Tänzerinnen, die besten Gaukler, die besten Jagdpferde, die besten Köche, die witzigsten Hofnarren, die schönsten Pagen und Sklavinnen, die größten Trabanten und die kleinsten Zwerge, die jemals ein Sultan gehabt hat; und seine Akademie der Wissenschaften war unter allen diejenige, worin man die sinnreichsten Antrittsreden und die höflichsten Danksagungen hielt. Es gehörte ohne Zweifel zu seinen rühmlichen Eigenschaften, daß er alle schöne Künste liebte; aber es ist auch nicht zu leugnen, daß er dieser Neigung mehr nachhing als mit dem Besten seines Reiches bestehen konnte. Man will ausgerechnet haben, daß er eine seiner schönsten Provinzen zur Einöde gemacht, um eine gewisse Wildnis, welche allen Anstrengungen der Kunst Trotz zu bieten schien, in eine bezauberte Gegend zu verwandeln, und daß es ihm wenigstens hunderttausend Menschen gekostet habe, um seine Gärten mit Statuen zu bevölkern. Berge wurden versetzt, Flüsse abgeleitet, und unzählige Hände von nützlichern Arbeiten weggenommen, um einen Plan auszuführen, wobei die Natur nicht zu Rate gezogen worden war. Die Fremden, welche dieses Wunder der Welt anzuschauen kamen, reiseten durch übel angebaute und entvölkerte Provinzen, durch Städte, deren Mauern einzufallen drohten, auf deren Gassen Gerippe von Pferden graseten, und worin die Wohnungen den Ruinen einer ehmaligen Stadt, und die Einwohner Gespenstern glichen, die in diesen verödeten Gemäuern spükten. Aber wie angenehm wurden diese Fremden auf einmal von dem Anblicke der künstlichen Schöpfungen überrascht, welche Schach-Gebal, seinem Stolz und den schönen Augen seiner Tschirkassierin zu Gefallen, wie aus nichts hatte hervor gehen heißen! Ganze Gegenden, durch welche sie gekommen waren, lagen verödet; aber hier glaubten sie, in einem entzückenden Traum, in die Zaubergärten der Peris versetzt zu sein. Man konnte nichts Schlechteres sehen als die Landstraßen, auf denen sie oft ihr Leben hatten wagen müssen; aber wie reichlich wurde ihnen dieses Ungemach ersetzt! Die Wege zu seinem Lustschlosse waren mit kleinen bunten Steinen eingelegt.

Bei allem diesem sprach Schach-Gebal gern von Ökonomie; und die beste unter allen möglichen Einrichtungen des Finanzwesens war eine Sache, worüber er seine ganze Regierung durch raffinierte, und die ihm wirklich mehr kostete, als wenn er den Stein der Weisen gesucht hätte. Eine neue Spekulation war der kürzeste Weg sich bei ihm in Gnade zu setzen; auch bekam er deren binnen wenig Jahren so viele, daß sie schichtenweise in seinem Kabinett aufgetürmt lagen, wo er sich zuweilen die Zeit vertrieb, die Titel und die Vorberichte davon zu überlesen. Alle Jahre wurde ein neues System eingeführt, oder doch irgend eine nützliche Veränderung gemacht (das ist, eine Veränderung, die wenigstens einigen, welche die Hand dabei hatten, nützlich war), und die Früchte davon zeigten sich augenscheinlich. Kein Monarch in der Welt hatte mehr Einkünfte auf dem Papier und weniger Geld in der Kasse. Dies kann, unter gewissen Bedingungen, das Meisterstück einer weisen Administration sein: aber in Schach-Gebals seiner war es wohl ein Fehler; denn der größte Teil seiner Untertanen befand sich nicht desto besser dabei. Indessen war er nicht dazu aufgelegt, durch seine Fehler klüger zu werden; denn er betrog sich immer in den Ursachen. Der erste, der mit einem neuen Projekt aufzog, beredete ihn er wisse es besser als seine Vorgänger; und so nahm das Übel immer zu, ohne daß Gebal jemals dazu gelangen konnte die Quelle davon zu entdecken.

Wenn man diese Züge des Charakters und der Regierung des Sultans Gebal zusammen nimmt, so könnte man auf die Gedanken geraten, das Glück seiner Untertanen müsse, im ganzen betrachtet, nur sehr mittelmäßig gewesen sein. In der Tat ist dies auch das gelindeste, was man davon sagen kann. Allein seine Untertanen wurden mehr als zu sehr dadurch gerochen, daß ihr Sultan bei aller seiner Herrlichkeit nicht glücklicher war als der unzufriedenste unter ihnen.

Diese Erfahrung war für ihn ein Problem, worüber er oft in tiefes Nachsinnen geriet, ohne jemals die Auflösung davon finden zu können. Auf dem Wege, wo er sie suchte, hätte er sie ewig vergebens suchen mögen. Denn der Einfall, sie in sich selbst zu suchen, war gerade der einzige, der ihm unter allen möglichen nie zu Sinne kam. Bald dacht er, die Schuld liege an seinen Omras, bald an seinem Mundkoche, bald an seiner Favoritin; er schaffte sich andere Omras, andere Köche und eine andere Favoritin an; aber das wollte alles nicht helfen. Es fiel ihm ein, daß er einmal dieses oder jenes habe tun wollen, welches bisher unterblieben war. Gut, dacht er, das muß es sein! Er unternahm es, amüsierte sich damit bis es fertig war, und – fand sich betrogen. Ursache genug für einen Sultan, verdrießlich zu werden! Aber er hatte deren noch andre, die einen weisern Mann als er war aus dem Gleichgewichte hätten setzen können. Die Händel, die ihm seine Priester machten, die Intrigen seines Serails, die Zwistigkeiten seiner Minister, die Eifersucht seiner Sultaninnen, das häufige Unglück seiner Waffen, der erschöpfte Zustand seiner Finanzen, und (was noch schlimmer als dies alles zu sein pflegt) das Mißvergnügen seines Volkes, welches zuweilen in gefährliche Unruhen auszubrechen drohte, – alles dies vereinigte sich, ihm ein Leben zu verbittern, welches denen, die es nur von ferne sahen, beneidenswürdig vorkam. Schach-Gebal hatte mehr schlaflose Nächte als alle Tagelöhner seines Reichs zusammen. Alle Zerstreuungen und Ergetzlichkeiten, womit man diesem Übel zu begegnen gesucht hatte, wollten nichts mehr verfangen. Seine schönsten Sklavinnen, seine besten Sänger, seine wundertätigsten Luftspringer, seine Witzlinge, und seine Affen selbst verloren ihre Mühe dabei.

Endlich brachte eine Dame des Serails, eine erklärte Verehrerin der großen Scheherezade, die Märchen der Tausend und Einen Nacht in Vorschlag. Aber Schach-Gebal hatte die Gabe nicht (denn wirklich ist sie ein Geschenk der Natur und keines ihrer schlechtesten), der wunderbaren Lampe des Schneiders Aladdin Geschmack abzugewinnen, oder die weißen, blauen, gelben und roten Fische amüsant zu finden, welche sich, ohne ein Wort zu sagen, in der Pfanne braten lassen, bis sie auf einer Seite gar sind, aber, sobald man sie umkehrt, und eine wunderschöne Dame, in beblümten Atlas von ägyptischer Fabrik gekleidet, mit großen diamantnen Ohrengehängen, mit einem Halsbande von großen Perlen und mit rubinenreichen goldnen Armbändern geschmückt, aus der Mauer hervor springt, die Fische mit einer Myrtenrute berührt, und die Frage an sie tut: Fische, Fische, tut ihr eure Schuldigkeit? alle zugleich die Köpfe aus der Pfanne heben, das einfältigste Zeug von der Welt antworten, und dann plötzlich zu Kohlen werden. Schach-Gebal, anstatt dergleichen Historien, wie sein glorwürdiger Ältervater, mit glaubigem Erstaunen und innigstem Vergnügen anzuhören, wurde so ungehalten darüber, daß man mitten in der Erzählung aufhören mußte. Man versuchte es also mit den Märchen des Visirs Moslem, in welchen unstreitig ein großes Teil mehr Witz, und unendliche Mal mehr Verstand und Weisheit, unter dem Schein der äußersten Frivolität, verborgen ist. Aber Schach-Gebal haßte die dunkeln Stellen darin, nicht weil sie dunkel, sondern weil sie nicht noch dunkler waren; denn er hatte wirklich zu viel gesunden Geschmack, um an Unrat, so fein er auch zubereitet war, Gefallen zu finden; und überhaupt deuchte ihm die mehr wollüstige als zärtliche Fee Alles oder Nichts mit ihrer Prüderie und mit ihren Experimenten, der Pedant Tacitürne mit seiner Geometrie, der König Strauß mit seiner albernen Politik und mit seiner Barbierschüssel, und das ungeheure Mittelding von Galanterie und Ziererei, die Königin der kristallnen Inseln, mit allem was sie sagte, tat und nicht tat, ganz unerträgliche Geschöpfe. Er erklärte sich, daß er keine Erzählungen wolle, wofern sie nicht, ohne darum weniger unterhaltend zu sein, sittlich und anständig wären: auch verlangte er, daß sie wahr und aus beglaubten Urkunden gezogen sein, und (was er für eine wesentliche Eigenschaft der Glaubwürdigkeit hielt) daß sie nichts Wunderbares enthalten sollten; denn davon war er jederzeit ein erklärter Feind gewesen. Dieses brachte die beiden Omras, deren wir vorhin als wohl denkender Männer Erwähnung getan haben, auf den Einfall, aus den merkwürdigsten Begebenheiten eines ehmaligen benachbarten Reichs eine Art von Geschichtbuch verfertigen zu lassen, woraus man ihm, wenn er zu Bette gegangen wäre, vorlesen sollte, bis er einschliefe oder nichts mehr hören wollte. Der Einfall schien um so viel glücklicher zu sein, als er Gelegenheiten herbeiführte, dem Sultan mit guter Art Wahrheiten beizubringen, die man, auch ohne Sultan zu sein, sich nicht gern geradezu sagen läßt.

Man dachte also unverzüglich an die Ausführung: und da man den besten Kopf von ganz Indostan (welches freilich in Vergleichung mit europäischen Köpfen nicht viel sagt) dazu gebrauchte; so kam in kurzer Zeit dieses gegenwärtige Werk zu Stande, welches Hiang-Fu-Tsee, ein wenig bekannter Schriftsteller, in den letzten Jahren des Kaisers Tai-Tsu, unter dem Namen des goldnen Spiegels ins Sinesische, – der ehrwürdige Vater J. G. A. D. G. J. aus dem Sinesischen in sehr mittelmäßiges Latein, und der gegenwärtige Herausgeber aus einer Kopie der lateinischen Handschrift, in so gutes Deutsch, als man im Jahre 1772 zu schreiben pflegte, überzutragen würdig gefunden hat.

Aus dem Vorberichte des sinesischen Übersetzers läßt sich schließen, daß sein Buch eigentlich nur eine Art von Auszug aus der Chronik der Könige von Scheschian ist, welche zur Ergetzung und Einschläferung des Sultans Gebal verfertiget worden war. Er verbirgt nicht, daß seine vornehmste Absicht gewesen, den Prinzen aus dem Hause des Kaisers Tai-Tsu damit zu dienen, denen es (wie er meint), unter dem Schein eines Zeitvertreibs, Begriffe und Maximen einflößen könnte, von deren Gebrauch oder Nichtgebrauch das Glück der sinesischen Provinzen größten Teils abhangen dürfte. So alt diese Wahrheiten sind, sagt er, so scheint es doch, daß man sie nicht oft genug wiederholen könne. Sie gleichen einer herrlichen Arznei, welche aber so beschaffen ist, daß sie nur durch häufigen Gebrauch wirken kann. Alles kommt darauf an, daß man immer ein anderes Vehikel zu ersinnen wisse, damit sowohl Kranke als Gesunde (denn sie kann diesen als Präservativ, wie jenen als Arznei dienen) sie mit Vergnügen hinab schlingen mögen.

Was die hier und da der Erzählung eingemischten Unterbrechungen und Episoden, besonders die Anmerkungen des Sultans Gebal betrifft, so versichert zwar Hiang-Fu-Tsee, er hätte sie von guter Hand, und wäre völlig überzeugt, daß die letztern wirklich von besagtem Sultan herrührten: allein dies hindert nicht, daß der geneigte Leser nicht davon sollte glauben dürfen was ihm beliebt. Wenigstens scheinen sie dem Charakter Schach-Gebals ziemlich gemäß; und eben daher würde es unbillig sein, zu verlangen, daß sie so sinnreich und unterhaltend sein sollten, als die Reflexionen Schach-Bahams, des Weisen.



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