Christoph Martin Wieland
Der goldne Spiegel
Christoph Martin Wieland

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9.

Die kleine Ergetzlichkeit, welche sich Schach-Gebal mit dem Odalisken seiner Favoritin zu machen geruhet hatte, leistete mehr als er davon erwartete. Anstatt ihn einzuschläfern, gelang es einer von diesen jungen Nymphen, seine schlafsüchtige Einbildungskraft zu erwecken, und ihm eine Art von einem Mittelding zwischen Leidenschaft und Geschmack einzuflößen, wovon Anfang, Mittel und Ende, nach der Berechnung des Philosophen Danischmend, drei Tage, einundzwanzig Stunden und sechzehn Minuten dauerte.

Wenn die kürzesten Narrheiten die besten sind, so muß man zur Ehre dieses Sultans sagen, daß er in diesem Stücke nicht unwürdig war, ein Muster aller Herren seines Standes, welche nicht selbst Muster sind, zu sein. Doch, um seiner Weisheit nicht zu viel zu schmeicheln, – die Wahrheit von der Sache war, daß die kleine Sängerin weder genug Geist, noch der Sultan Begierden genug hatte, seinem Geschmack für sie eine längere Dauer zu geben. Er fand sich also nach wenigen Tagen geneigt, die Versammlungen seiner kleinen Akademie, welche durch diese Abwechselung von Zeitvertreib unterbrochen worden waren, wieder zu erneuern; und die Erzählung der Geschichte des Königs Azor wurde, auf seinen Befehl, von der gefälligen Nurmahal folgender Maßen fortgesetzt.

»Wenn der Sultan Azor eine Handlung von echter königlicher Großmut zu tun glaubte, indem er seinen Feinden gerade in dem Augenblicke, wo sich das Glück für seine Waffen zu entscheiden anfing, nicht nur Friede, sondern noch eine von seinen besten Provinzen dazu schenkte: so kann man doch nicht in Abrede sein, daß die Begierde, seiner geliebten Alabanda (einer Eroberung, die ihn für den Verlust von zwanzig Provinzen schadlos gehalten hätte) desto ungestörter zu genießen, die wahre wiewohl geheime Triebfeder seiner Großmut war. Wenigstens bewies der Gebrauch, den man von einem so teuer erkauften Frieden machte, daß die Vorteile seines Volkes schwerlich dabei in Betrachtung gezogen worden waren. Denn man dachte weder daran, das Reich auf künftige Fälle in bessere Verfassung zu setzen, noch die Provinzen wieder herzustellen, die durch den Krieg entvölkert und verwüstet worden waren. Azor teilte die Geschäfte der Regierung unter einige Geschöpfe der schönen Alabanda, welche ihn beredeten, daß er selbst regiere, indem er von dieser Zaubrerin und ihren Mitschuldigen unumschränkt regiert wurde. Prächtige Feste und immer abwechselnde Lustbarkeiten, über deren Erfindung sich alle witzige Köpfe von Scheschian elendiglich erschöpften, verschlangen unermeßliche Summen, wovon der zehente Teil hinlänglich gewesen wäre, die zerstörten Städte wieder aufzubauen, und jedes traurige Denkmal der Verwüstung in den Gegenden, welche der Schauplatz des Krieges gewesen waren, auszulöschen. Zehen tausend in die äußerste Not herunter gebrachte Familien hätten durch die Unkosten einer einzigen Geburtsfeier wieder glücklich gemacht, und in eine dem gemeinen Wesen nützliche Tätigkeit gesetzt werden können: aber weil sich niemand fand, der dem Sultan einen solchen Vorschlag getan hätte, – weil die schöne Alabanda weit über die Schwachheit erhaben war, irgend einen neuen Triumph ihrer grenzenlosen Eitelkeit dem Mitleiden oder der Wollust Gutes zu tun aufzuopfern; wie hätte Azor, bei aller seiner natürlichen Gutherzigkeit, auf einen solchen Gedanken verfallen sollen? – Er, der keinen Begriff von dem innern Zustande seines Reiches, keine Fertigkeit über irgend etwas als über die unmittelbaren Gegenstände seines Vergnügens zu denken, und am allerwenigsten den mindesten anschauenden Begriff von dem Elend hatte, welchem abzuhelfen sein großer Beruf war! Er hätte in einer unkennbaren Verkleidung, allein, oder nur von einem oder zwei rechtschaffenen Männern begleitet, sich von den prächtigen Straßen, die zu seinen Lustschlössern führten, entfernen, und in die entlegneren Teile seines Reichs, in die Hütten der Landleute oder unter die Trümmern kleiner Städte, deren blühender Stand in mutloses Elend verwandelt war, sich hinein wagen müssen, um die Unglücklichen kennen zu lernen, die nach seiner Hülfe seufzeten. Wie unendlich viel Gutes würde eine einzige solche Reise seinen Völkern getan haben! Aber« – –

»Mirza«, sagte Schach-Gebal in einem plötzlichen Anstoß von empfindsamer Laune zu seinem Günstlinge, »vergiß nicht, dich morgen früh mit Pferden für mich, dich selbst und Danischmenden an der westlichen Pforte des Gartens bereit zu halten. Wir müssen eine solche Lustreise mit einander machen. Aber mit euerm Leben sollt ihr mir alle drei für das Geheimnis stehen! – Weiter, Nurmahal!«

»Sire, der gute Sultan Azor ließ sich nichts von einer solchen Lustreise träumen, wie diejenige, wozu Ihre Majestät Sich mit einem so rühmlichen Feuer entschlossen haben. Wenn er reisete, so geschah es in Begleitung seines ganzen Hofstaats, und mit einem Pomp, der das Bild des triumphierenden Heerzuges eines Weltbezwingers darstellte. Der Aufwand einer einzigen solchen Reise verzehrte die jährlichen Einkünfte einer ganzen Provinz: und da eine verderbliche alte GewohnheitDie meisten alten Gewohnheiten sind verderblich, bloß weil sie alte Gewohnheiten sind. Sie mochten zu ihrer Zeit, unter gewissen Umständen, gut oder doch zu rechtfertigen sein; aber diese Umstände haben aufgehört, und die Gewohnheit, welche dennoch fortdauert, wird schädlich. Daher ist überhaupt nichts so albern als das gewöhnliche Geschrei der Dummköpfe über Neuerungen.

Anmerk. eines Ungenannten

die Landleute nötigte, die Kamele, Pferde und Wagen unentgeldlich herzugeben, welche das Gepäcke des Königs und seines Gefolges fortzuschaffen erfodert wurden; so tat dieser einzige Umstand den Gegenden, durch welche der Zug ging, einen beinahe eben so empfindlichen Schaden als ein feindlicher Überfall. Im übrigen vergaßen die immer wachsamen Günstlinge des Sultans und seiner Gebieterin nicht, dafür zu sorgen, daß die königlichen Augen nirgends durch den Anblick des Mangels, der Nacktheit und des Elends beleidiget werden möchten. Die Mirzas, durch deren Gebiete die Reise ging, stellten, um sich dem Hofe gefällig zu machen, lange zuvor Zurüstungen an, ihren Oberherrn auf eine glänzende Art zu empfangen, oder ihn im Vorübergehen mit dem Anblick ländlicher Feste und Szenen von Fröhlichkeit zu ergetzen, welche dem guten Fürsten die betrügliche Freude machten, die geringsten seiner Untertanen für glücklich zu halten.«

»Bald fange ich an Mitleiden mit euerm Azor zu haben«, sagte Schach-Gebal. »Ein König muß ein Gott sein, oder er muß betrogen werden, wenn alle seine Leute die Abrede mit einander genommen haben, ihn zu betrügen

»Bei allem diesem«, fuhr Nurmahal fort, »hatte Scheschian, im ganzen betrachtet, mehr als jemals das Ansehen eines in seiner vollen Blüte stehenden Reiches. Die Natur hatte seine meisten Provinzen mit ihren reichsten Gaben überschüttet. Fleiß und Handlung belebte die größern Städte, und die Künste stiegen zum Gipfel der Vollkommenheit hinan. Alabanda trat nicht bloß in die Fußstapfen der schönen Lili; sie war zu stolz eine bloße Nachahmerin zu sein, sie wollte die Ehre haben zu erschaffen.

Da sie gewohnt war den Sultan auf die Jagd zu begleiten, so geschah es einsmals, daß sie sich mit ihm in eine von diesen wilden Gegenden verirrte, welche die Natur so gänzlich verwahrloset hat, daß nichts als der magische Stab einer Fee mächtig genug scheint, sie zur Schönheit umzubilden. ›Welch eine Gegend‹, rief Alabanda mit einer Art von Entzücken aus, ›um einen Gedanken darin auszuführen, der die Regierung meines Sultans auf ewig glänzend und unnachahmlich machen würde! Welch eine Gegend, um sie zu einem Sitze der Liebesgötter, zu einem Inbegriff aller Bezauberungen der Sinne und der Einbildung umzuschaffen!‹ – Azor sah die Zaubrerin Alabanda mit Erstaunen an: aber er war selbst zu sehr ein Freund des Wunderbaren; und wenn er es auch weniger gewesen wäre, so liebte er die schöne Alabanda viel zu zärtlich, um ihre angenehmen Gedanken durch Einwürfe zu unterbrechen. Er überließ ihr also die Ausführung eines Einfalls, der an Ausschweifung vielleicht niemals seines gleichen gehabt hat. In wenigen Tagen war sie mit ihrem Entwurfe fertig, und itzt wurden Millionen Hände aufgeboten ihn auszuführen. Seit den Zeiten der stolzen Könige von Ninive und Memphis hatte man kein ähnliches Werk unternehmen gesehen. Doch was waren die ägyptischen Pyramiden, oder die Mauern des alten Babylon gegen die Schöpfung der Göttin Alabanda? Gebirge wurden geebnet; unersteigliche Felsen hier gesprengt, dort zu Palästen, kleinen Tempeln, Grotten und reizenden Einsiedeleien, oder zu großen stufenweise sich erhebenden Terrassen ausgehauen, und in Gärten, Alleen, Blumenstücke und Lustwäldchen verwandelt. Entlegene Flüsse wurden in diese aus dem Nichts hervorgehende Zauberwelt geleitet, und durch erstaunliche Wasserkünste gezwungen, die Gärten und Haine, welche Alabanda in die Luft gepflanzt hatte, mit springenden Brunnen und Wasserfällen, unter tausendfachen Gestalten und Verwandlungen, zu beleben. Mitten unter allen diesen mannigfaltigen Schöpfungen erhob sich ein wahrer Feenpalast; Marmor, Jaspis und Porphyr waren die geringsten Materien, woraus er zusammen gesetzt war; und alle Manufakturen von Indien, Sina und Japan wurden zu seiner Ausschmückung erschöpft. Die Gärten, die ihn umgaben, prangten mit den schönsten Gewächsen des ganzen Erdbodens, welche mit so guter Ordnung ausgeteilt waren, daß man mit jeder höhern Terrasse, die man bestieg, sich in ein anderes Klima versetzt glaubte. Die schönsten und seltensten Vögel aller Weltteile bewohnten diesen wundervollen Ort, den sie mit ihren mannigfaltigen Stimmen und mit natürlichen oder gelernten Gesängen belebten. Und in der Mitte einer unzähligen Menge kleiner Lustwälder, über welche dieses Zauberschloß herrschte, beherbergte ein künstlicher Ozean alle Arten von Wassergeschöpfen; ein großer See, dessen über Marmor rollende Wellen man oft mit einer Flotte von kleinen vergoldeten Schiffen bedeckt sah, welche an Zierlichkeit und schimmernder Ausschmückung dasjenige zurück ließen, worin Kleopatra den Herrn der einen Hälfte der Welt zum ersten Male bezauberte. Die Beschreibung, welche Alabanda von den Wundern dieses nach ihrem Namen genannten Ortes verfertigen ließ, machte etliche große Bände aus, und die billigste Berechnung alles dessen, was diese Wunder gekostet hatten, überstieg zweimal die jährlichen Einkünfte des ganzen scheschianischen Reiches; welches in der Tat eine ungeheure Summe war. Unzählige Fremde wurden durch die Neugier herbei gezogen, sie zu sehen; aber der Vorteil, den das Land von ihnen zog, war nur ein geringer Ersatz des vielfältigen Schadens, den es durch die Ausschweifungen der schönen Alabanda erlitten hatte. Eine unendliche Menge von Landleuten war dem Feldbau entrissen worden, um als Tagelöhner an der Beschleunigung eines Werkes zu arbeiten, welches ihr ungeduldiger Stolz unter ihren Blicken wachsen sehen wollte. Etliche Provinzen befanden sich dadurch in Unordnung und Mangel versetzt; der Preis der Lebensmittel stieg übermäßig; der öffentliche Schatz war erschöpft, die Einnahme des folgenden Jahres beträchtlich vermindert, und das Reich mit einer ungeheuern Schuld beladen, wovon der größte Teil fremde Länder bereicherte; weil der ekle Geschmack der launenhaften Alabanda nichts Einheimisches schön genug fand, ungeachtet alle Künste in Scheschian blüheten.

Zum Unglück für die Nation war diese Favoritin kaum mit Ausführung eines solchen Werkes fertig, als ihre unerschöpfliche Einbildungskraft schon über der Idee eines andern brütete, welches, durch die grenzenlose Gefälligkeit ihres Liebhabers, eben so schnell und mit eben so wenig Rücksicht auf die Umstände des Staats zur Wirklichkeit gebracht wurde. Schon im zweiten Sommer, den sie mit dem Könige zu Alabanda zubrachte, bemerkte sie, daß die Gebäude zu weitläufig, die Gärten zu verworren und überladen, und mit Einem Worte das Ganze eine Art von Karikatur sei, wo die Natur von der Kunst verschlungen werde, und das ermüdete Auge in einer unübersehbaren Mannigfaltigkeit sich verliere. Dieser weisen Beobachtung zu Folge wurde in einer der anmutigsten Gegenden des ganzen Reichs ein andrer Lustsitz angelegt, in dessen kleinerem Umfange die schöne Alabanda, mit Hülfe einiger poetischen Köpfe des Hofes, bemüht war, die Natur über alle mühsamen Bestrebungen der Kunst triumphieren zu lassen. Die Natur zeigte sich da mit allen ihren eigentümlichen Reizungen, in dem leichten Gewand einer Nymphe, oder in der reizenden Unordnung einer Schönen, die von ihrem Liebhaber überrascht zu werden hofft. Man konnte sich wirklich keinen angenehmern Ort träumen lassen; aber es kostete so viel, der schönen Natur diesen Sieg über ihre Nebenbuhlerin zu verschaffen, daß man sich genötigt sah einen Vorwand zu ersinnen, um die Untertanen mit einer neuen Steuer zu belegen. Auf solche Weise wurde Scheschian nach und nach mit den herrlichsten Denkmälern der üppigen Erfindsamkeit dieser Favoritin angefüllt. Die Unternehmer dieser Werke und einige Künstler, welche weniger wegen ihres vorzüglichen Talents als durch Empfehlungen und Hofränke angestellt wurden, fanden unstreitig ihre Rechnung dabei. Etliche Poeten, die um den zehnten Teil der Einkünfte eines Hofküchenschreibers gedungen waren, über alles, was der Hof tat oder getan haben wollte, Oden zu machen, posaunten und leierten von Wundern und goldenen Zeiten. Aber die Provinzen sanken zusehens in einen kläglichen Stand von Entkräftung und Verfall herab, und die Nation hatte sehr große Hoffnung, in kurzem einem Virtuoso zu gleichen, der, durch einen kleinen Verstoß gegen die Rechenkunst, in einem sehr zierlichen neu gebauten Palaste, mitten unter einer herrlichen Sammlung von Gemälden, Statuen und Altertümern – verhungert.«

Nurmahal hielt bei diesem Absatz ein wenig ein, weil sie gewahr wurde, daß der Sultan in Gedanken vertieft schien; als dieser sich auf einmal mit einer auffahrenden Bewegung an Danischmenden wandte. »Glaubst du nicht, Danischmend«, fragte ihn Schach-Gebal, »daß die Sultanen meine Mitbrüder sehr vieles, was sie tun, unterlassen würden, wenn sie einen Freund hätten, der ehrlich genug wäre, ihnen die Wahrheit zu sagen?«

»Vielleicht«, antwortete Danischmend mit einem kaum merklichen Achselzucken. – »Vielleicht auch nicht«, – murmelte er hinten nach.

»Und warum nicht?« fragte der Sultan.

»Sire«, sagte der Philosoph, »wollen Ihre Majestät schlechterdings, daß ich Ihnen die Wahrheit sagen soll?«

»Das bedurfte, nach der Anmerkung die ich eben machte, keiner Frage«, sprach der Sultan.

»So sage ich, daß wenigstens drei gegen eins zu wetten ist, daß die meisten Sultanen weder mehr noch weniger tun würden als ihnen beliebt, wenn sie gleich den Konfucius oder Zoroaster selbst zum Freunde hätten. Denn, – gesetzt, zum Exempel, der König Azor hätte einen solchen Freund gehabt, so wäre es allezeit darauf angekommen, ob dieser den rechten Augenblick zu seiner Vorstellung gewählt hätte. Denn der geringste Umstand, ein kleiner Nebel, es sei nun in der Luft oder im Gehirne Seiner Hoheit, oder eine kleine Blähung in dem Magen Seiner Hoheit, ein kurzer Wortstreit, den Sie kurz zuvor mit Ihrer Mätresse gehabt, ein Traum oder sonst eine Kleinigkeit, die Ihren Schlummer beunruhigte, die schlimme Laune Ihres Affen, oder die Unpäßlichkeit eines Ihrer großen Hunde, – ein einziger von tausend Umständen von dieser Wichtigkeit wäre hinlänglich gewesen, die Wirkung der besten Vorstellung zu vernichten. Doch, gesetzt der Freund hätte den günstigen Augenblick ergriffen: wie leicht konnte es ihm, bei aller Redlichkeit seiner Absicht, in dem entscheidenden Moment an der Geschicklichkeit, oder an dem Glücke fehlen, seiner Vorstellung die rechte Wendung zu geben! Wie leicht hätte ein einziges Wort, das ihm entschlüpft wäre, alles wieder verderben können, was zwanzig glückliche Vorstellungen gut gemacht hatten! Und dennoch, setzen wir abermal, es sei ihm gelungen den verlangten Eindruck auf seinen Herrn zu machen: wie bald wär es geschehen gewesen, daß dieser Eindruck, eine Viertelstunde darauf, durch eine Gegenvorstellung eines andern wohl meinenden Dieners, – oder durch einen einzigen Blick, im Notfalle durch ein einziges kleines erkünsteltes Tränchen einer geliebten Alabanda, wieder ausgelöscht worden wäre! – Ich stelle mir zum Beispiele vor, die schöne Alabanda träte gerade zur nämlichen Zeit in das Kabinett ihres Sultans, da der vorbesagte Freund es verlassen hätte; der Freund, dem wir Mut und Eifer genug leihen wollen, gegen irgend eine neue kostbare Grille, wovon die Phantasie der schönen Favoritin kürzlich entbunden worden, im Namen des gemeinen Besten Vorstellungen zu tun.

›Ich komme‹ (sagt sie mit einem Ausdruck von Vergnügen, der über ihr ganzes Gesicht einen glänzenden Reiz verbreitet), ›ich komme Ihrer Majestät einige Zeichnungen vorzulegen, und zu vernehmen, welche davon Ihren Beifall hat, um zum Modell des neuen Amphitheaters, wovon wir neulich sprachen, genommen zu werden.‹

›Lassen Sie sehen, Madam‹, sagt der Sultan mit einem Frost, den er ihr und sich selbst gern verbergen möchte.

›Sie sind wirklich alle schön; aber wie finden Sie diese? Ich gestehe, daß ich sie vorziehen würde, wenn ich zu wählen hätte. Man kann nichts Größeres, nichts Prächtigeres denken. Die Ausführung würde der Zeiten Ihrer Majestät würdig sein, welche durch so viele unnachahmliche Werke ein Wunder des spätesten Weltalters bleiben werden.‹

›Aber, meine liebste Sultanin‹ –

(hier heftet Alabanda einen aufmerksamen Blick, vermischt mit einem kleinen Zusatz von Erstaunen, auf den Sultan.)

›Ich habe Mühe‹ –

›Was fehlt Ihnen, mein liebster Sultan? Sie sehen nicht völlig so aufgeheitert aus als Sie mich diesen Morgen verließen.‹

›Ich kann es nicht von mir erhalten, Ihnen meine Ungeneigtheit zu etwas, das Ihnen Vergnügen macht, zu erkennen zu geben; und doch‹ –

›Ich verstehe Sie nicht, Sire; erklären Sie Sich. Kann ich unglücklich genug sein etwas zu wünschen, das Ihnen unangenehm ist?‹

›Ungütige Alabanda! würde ich wohl einen Augenblick anstehen, die ganze Welt zu Ihren Füßen zu legen, wenn ich Herr davon wäre?‹

›Vergeben Sie meiner Zärtlichkeit den Anfang eines schüchternen Zweifels‹, ruft die Dame mit einer liebkosenden Stimme, und mit einem von diesen Zauberblicken, deren Wirkung ein Liebhaber in allen Atomen seines Wesens fühlt, – indem sie ihre schönen Hände sanft auf seine Schultern drückt.

Der Sultan – wir wollen ihn, mit Ihrer Majestät Erlaubnis, so tapfer sein lassen als nur immer möglich ist – macht eine Bewegung, als ob er sich ihren Liebkosungen, aus einem Gefühl sie nicht zu verdienen, entziehen wolle, sieht sie unschlüssig an, und arbeitet mit einiger Verlegenheit endlich ein zweites Aber heraus – ›Aber, meine Schönste, wie viel meinen Sie wird die Ausführung dieses Entwurfs kosten?‹

›Eine Kleinigkeit, Sire; zwei oder höchstens drei Millionen Unzen Silbers.‹Man kann aus Mangel zuverlässiger Nachrichten nicht für gewiß sagen, ob die Scheschianer das Geld nach Unzen Silbers, wie die Sinesen, berechnet, oder ob sie sich goldner und silberner Münzen bedient haben. Wenigstens finden sich, unsers Wissens, keine scheschianischen Münzen in irgend einem europäischen Münzkabinette. Vermutlich aber hat der sinesische Übersetzer, um seinen Landsleuten verständlich zu sein, die scheschianische Art das Geld zu berechnen auf die sinesische reduziert; und wir haben es dabei gelassen, weil es wirklich in Berechnungen die bequemste unter allen ist.

Anmerk. des latein. Übersetzers

›Man versichert mich, daß die Ausführung des geringsten Plans ungleich höher zu stehen kommen würde; und ich gestehe Ihnen, daß verschiedene dringende Bedürfnisse meiner Provinzen‹ – –

›Dringende Bedürfnisse?‹ – ruft die Dame in einem traurigen und erstaunten Tone. ›Ist's möglich, daß jemand so übel gesinnt sein kann, die Ruhe meines geliebten Sultans mit so ungetreuen Berichten zu vergiften? Alle Provinzen Ihres großen Reiches sind glücklich, und haben keinen andern Wunsch als ewig von dem besten der Könige beherrschet zu bleiben. Und gesetzt der Staat hätte außerordentliche Bedürfnisse; können Sie zweifeln, daß Ihre Schatzkammer nicht reich genug sei, sie zu bestreiten, ohne daß man vonnöten habe, an einer kleinen Summe zu sparen, die zum Vergnügen Ihrer Majestät und zur Verschönerung der Hauptstadt Ihres Reichs angewendet werden soll?‹

Aber, – liebste Alabanda, wie viele Tausende könnte ich mit dieser Kleinigkeit, wenn Sie ja etliche Millionen eine Kleinigkeit nennen wollen, glücklich machen?‹

›Vergeben Sie mir, liebster Sultan – aber ich kann mich kaum von meinem Erstaunen erholen. Es gibt, wie ich sehe, Leute, die sich kein Bedenken machen Ihre Gütigkeit zu mißbrauchen. Wer kann Ihnen gesagt haben, daß ein König Millionen verschwenden müsse, um müßige Bettler oder bettelhafte Müßiggänger glücklich zu machen? Doch ich merke wohl was unter der Decke liegt: nicht die Unkosten, nur die Verwendung derselben ist gewissen Leuten anstößig. Es mag sein! Wir wollen das Amphitheater fahren lassen. Ein schönes Stift für ein paar hundert blaue Bonzen‹ – –

›Wir wollen gar nicht bauen, Alabanda!‹

›Ich bin sehr unglücklich, heute nichts sagen zu können, das den Beifall Ihrer Majestät zu erhalten würdig wäre.‹

›Wie reizbar Sie sind, Alabanda!‹

›Nicht reizbar, aber gerührt, da mir auf einmal ein trauriges Licht aufgeht. Ach Azor! wozu diese Verstellung? wozu diese Umschweife? Warum entdecken Sie mir nicht lieber auf einmal mein ganzes Unglück?‹

›Sie setzen mich in Erstaunen, Alabanda: wo nehmen Sie diese Einfälle her, meine Schönste?‹

›Wie kalt! Wär es Ihnen möglich so wenig bei der Angst, die Sie in meinen Augen lesen, zu empfinden, wenn meine Besorgnisse nicht allzu wohl gegründet wären? Ach Azor!‹ – (Hier läßt sie sich in eine trostlose Lage auf den Sofa fallen.) ›Ach! ich bin das elendeste unter allen Geschöpfen! Ich habe Ihr Herz verloren. Eine andre glücklichere‹ – hier verliert sich ihre Stimme, Tränen rollen aus ihren schmachtenden Augen, ihr schöner Busen atmet schwer und pocht in verdoppelten Schlägen. Der bestürzte, gerührte, allzu schwache Azor vergißt auf einmal alle Vorstellungen und Berechnungen seines Freundes; er sieht nichts als seine Alabanda in Tränen. Er eilt mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Welche Vorstellungen, welche Berechnungen sollten gegen diese Blicke, diese Tränen, diesen Busen aushalten können? Er wirft sich zu ihren Füßen, sagt und tut alles was ein schwärmender Liebhaber sagen und tun kann, um eine zweifelnde Geliebte zu beruhigen. Nun sind nicht nur sechs, sechshundert Millionen sind itzt eine Kleinigkeit in seinen Augen – kurz, die angenehmste Aussöhnung erfolgt (nach keiner längern Weigerung, als die Dame nötig glaubt um den Wert davon zu erhöhen) auf diesen kleinen Sturm; Alabanda befestiget sich in dem Herzen des zärtlichen Sultans; das Amphitheater wird gebaut, und der arme Freund (nach einer eben so langen Weigerung auf Seiten seines königlichen Freundes) wie billig aufgeopfert, um die Tränen zu rächen, welche durch seine Schuld die schönsten Augen der Welt trübe gemacht haben.«

»Was sagen Sie zu diesem neuen Talent unsers Freundes Danischmend?« fragte Schach-Gebal die schöne Nurmahal mit einem angenommenen Erstaunen. – »In der Tat«, erwiderte sie, »er hat keine unfeine Gabe, Komödien aus dem Stegreife zu spielen; und wenn mir erlaubt wäre einen Vorschlag zu tun, so wär es, ihn anstatt zum Oberaufseher über die Derwischen, zum Oberaufseher über die Schauspiele in Dely zu machen.«

»Es kann beides sehr wohl mit einander gehen«, erwiderte der Sultan: »man muß die Talente des Mannes nicht unbenützt lassen; er mag es sich selbst beimessen, wenn man viel von ihm fodert. Aber in ganzem Ernste, Danischmend, die Erzählung von den Ausschweifungen, wozu die Prinzessin Alabanda euern armen Azor verleitete, hat mich auf einen Gedanken gebracht, der, wie ich hoffe, den Beifall deiner Philosophie erhalten wird. Mir fiel ein, daß ich meinen Untertanen ein beträchtliches Geschenk machen könnte, wenn ich drei oder vier meiner entbehrlichsten Lustschlösser niederreißen, und die ungeheuern Gärten, Lustwälder und Jagdbezirke, die dazu gehören, zum Anbauen unter sie austeilen ließe.«

»Sire«, sagte Danischmend mit lachenden Augen (denn er hatte bei aller seiner Philosophie zu viel Lebensart, um dem Trieb zum Lachen, der ihn anwandelte, freien Lauf zu lassen), »der bloße Gedanke würde dem Herzen Ihrer Majestät unendlich viel Ehre machen, wenn er auch unausgeführt bliebe; welches« –

»Nein, nein«, fiel ihm der Sultan ins Wort, »das soll er nicht! Er soll ausgeführt werden; denn was nützt ein Gedanke, der eine bloße Spekulation bleibt? Ich bekümmere mich wenig darum, ob er mir viel oder wenig Ehre macht: aber ich liebe meine Untertanen; ich stelle mir die Freude vor, die ich einigen tausend Haushaltungen dadurch machen könnte, und, ich bekenne euch meine Schwachheit aufrichtig, ich kann dieser Vorstellung nicht widerstehen.«

»Liebenswürdige Schwachheit!« rief die schöne Nurmahal, indem sie eine von den Händen Seiner Majestät an ihre Lippen drückte.

»Die Frage ist nur«, fuhr der Sultan fort, »welche von den vielen, aus denen ich wählen kann, aufgeopfert werden sollen? In der Tat ist keines, das nicht seine eigenen Schönheiten hat. – Doch, das werden wir heute nicht ausmachen. Gute Nacht, meine Kinder! – Danischmend, die erste Komödie, die in meiner Gegenwart aufgeführt wird, soll von deiner Erfindung sein!«

Der junge Mirza, welcher den Auftrag hatte, sich morgen mit Anbruch des Tages bereit zu halten, um den Sultan auf seiner geheimen Reise zu begleiten, brachte diese Nacht bei einer kleinen Mätresse zu, die er in einem sehr artigen kleinen Hause in einer von den Vorstädten von Dely unterhielt. Hier wurde ihm die Zeit so kurz, daß er erst einzuschlafen anfing, als er wieder hätte erwachen sollen. Kurz, er vergaß den Auftrag des Sultans so gänzlich, als ob niemals die Rede davon gewesen wäre; und es war glücklich für ihn, daß sich der Sultan eben so wenig daran erinnerte. In der Tat pflegte Se. Hoheit so viele Einfälle dieser Art zu haben, daß es lächerlich gewesen wäre, Ernst daraus machen zu wollen. Gleichwohl würde der letzte Einfall, mit dem er einschlief, Folgen gehabt haben, wenn Schach-Gebal mit sich selbst und mit seinen geheimen Ratgebern hätte einig werden können, auf welche von seinen Lustschlössern das Verdammungsurteil fallen sollte. Man sprach so lange von der Sache, bis man endlich nichts mehr zu sagen hatte, und da hörte man auf davon zu sprechen. Alles blieb wie zuvor; Schach-Gebal hatte nichts desto weniger das Vergnügen, seinem Herzen mit der großmütigen Freigebigkeit Ehre zu machen, die er in Gedanken ausgeübt hatte.


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