Christoph Martin Wieland
Der goldne Spiegel
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10.

»Nach allem, was ich von dem Könige Tifan schon gemeldet habe«, fuhr Danischmend fort, »kann man sich für berechtiget halten, große Taten von ihm zu erwarten. Gleichwohl muß ich gestehen (und es ist wohl am besten ich tu es gleich anfangs), daß, wenn Tifan ein großer Fürst war, er es in einem ganz andern Sinn und auf eine ganz andre Weise war, als die Sesostris, die Alexander, die Cäsar, die Omar, die Mahmud Gasni, die Dschingis-Kan, und andre Helden und Eroberer, unter deren Größe die Welt gleichsam eingesunken ist. Tifans Größe war stille Größe, und seine Taten den Taten der Gottheit ähnlich, welche, geräuschlos und unsichtbar, uns mit den Wirkungen überrascht, ohne daß wir die Kraft, welche sie hervorbringt, gewahr werden.

Tifans Taten hatten noch eine andre Eigenschaft mit den Verrichtungen der Natur gemein. Sie entwickelten sich so langsam, sie durchliefen so viele kleine Stufen, und erreichten den Punkt ihrer Reife durch eine so unmerkliche Verbindung unzähliger auf Einen Hauptzweck zusammen arbeitender Mittel, daß man ein schärferes Auge als gewöhnlich haben mußte, um den Geist, der alles dies anordnete und lenkte, und die Hand, welche allem die erste Bewegung gab, nicht zu mißkennen. Eine kurzsichtige Aufmerksamkeit hätte geglaubt, daß sich alles von selbst mache, oder würde wenigstens nicht wahrgenommen haben, wie viel Mühe es kostete, den Bewegungen eines großen Staats so viele Leichtigkeit und eine so schöne Harmonie zu geben.

Das erste, wozu sich Tifan anheischig gemacht hatte, war eine genauere Bestimmung der Staatsverfassung

»Gut«, rief Schach-Gebal, »dies ist gerade wo ich ihn erwarte. Ich erinnere mich dessen noch ganz wohl, was du ihn gestern davon sagen ließest. Er will sich der Macht nicht berauben, die einem Vater über seine Kinder zusteht – aber er will so wenig als möglich ist Freiheit haben Böses zu tun. Noch verstehe ich nicht recht, was er will oder nicht will. Ich begreife nicht, wie ein Fürst unabhängig sein, und Freiheit haben kann alles Gute zu tun was er will, ohne auch die traurige Freiheit Böses zu tun zu behalten.«

»Vielleicht wird das, was ich in der Folge melden werde, die Zweifel Ihrer Hoheit auflösen«, erwiderte Danischmend. »Tifan folgte in dieser ganzen Sache dem Rate des weisen Dschengis. Ohne diesen würde er, aus einem zu weit getriebenen Mißtrauen gegen sich selbst und seine Nachfolger, den größten Fehler begangen haben, den ein Monarch begehen kann: denn er war im Begriff dem Adel und dem Volke von Scheschian die gesetzgebende Macht auf ewig abzutreten.

›Der Himmel verhüte‹ (sagte Dschengis, da sie sich mit einander über diese Sache besprachen), ›daß Tifan aus der Verfassung seines Vaterlandes ein unförmliches Mittelding von Monarchie und Demokratie mache, welches, eben darum weil es beides sein will, weder das eine noch das andere ist. Die Nation von Scheschian muß den König als ihren Vater, und sich selbst, in Beziehung auf den König, als unmündig betrachten. Will sie mehr sein, will sie das Recht haben den König einzuschränken, ihm und dem Staat Gesetze vorzuschreiben, und ihre wichtigsten Angelegenheiten selbst zu besorgen, so muß sie sich gar keinen König geben. Wer sich selbst regieren kann, hat keinen Vormund, keinen Hofmeister vonnöten. Erkennt sie aber den König für ihren Vater, und sich selbst als Nation für unmündig, welche Ungereimtheit wär es, gerade den wichtigsten Teil der Staatsverwaltung ihrer Willkür überlassen zu wollen! Welche Ungereimtheit, es auf die Weisheit oder auf das gute Glück des Unmündigen ankommen zu lassen, was für Gesetzen, unter welchen Bedingungen, und wie lang er gehorchen wollte! Es geziemt also allein dem Könige, zugleich der Gesetzgeber und der Vollzieher der Gesetze zu sein. Die Regierung eines Einzigen nähert sich durch ihre Natur derjenigen Theokratie, welche das ganze unermeßliche All zusammen hält. Wenn wir uns ganz richtig ausdrücken wollen, so müssen wir sagen: Gott ist der einzige Gesetzgeber der Wesen; – der bloße Gedanke, Gesetze geben zu wollen, welche nicht aus den seinigen entspringen, oder mit den seinigen nicht zusammen stimmen, ist der höchste Grad des Unsinns und der Gottlosigkeit. Die Natur und unser eignes Herz sind gleichsam die Tafeln, in welche Gott seine unwandelbaren Gesetze mit unauslöschlichen Zügen eingegraben hat. Der Regent, als Gesetzgeber betrachtet, hat, wofern er diesen ehrwürdigen Namen mit Recht führen will, nichts andres zu tun, als den Willen des obersten Gesetzgebers auszuspähen, und daraus alle die Verhaltungsregeln abzuleiten, wodurch die göttliche Absicht, Ordnung und Vollkommenheit mit ihren Früchten, der Harmonie und der Glückseligkeit, unter seinem Volke am gewissesten und schicklichsten erlangt werden können.

Hat er mit diesen erhabenen Nachforschungen das besondere Studium seines eigenen Volkes, des Temperaments, der Lage, der Bedürfnisse, kurz, des ganzen physischen und sittlichen Zustandes desselben verbunden, so wird es ihm nicht zu schwer sein, auch die Anstalten ausfündig zu machen, wodurch jene große Absicht – in welcher das Glück des einzelnen Menschen, das Wohl jeder Nation, das Beste der menschlichen Gattung, und das allgemeine Beste des Ganzen wie in Einem Punkte zusammen fließen, – auf die möglichste Weise befördert werden könne. Die Geschicklichkeit, alles dieses zu bewerkstelligen, ist leichter bei einem Einzigen, als bei einem ganzen Volk oder bei einem zahlreichen Ausschusse desselben, zu finden; und auch aus diesem Grund ist es der Sache gemäßer, die gesetzgebende Macht dem Fürsten allein zu überlassen.'«

»Aber, wie wenn unter Tifans Nachfolgern ein neuer Azor oder Isfandiar aufstände?« sagte Schach-Gebal.

»Unstreitig«, erwiderte Danischmend, »ist die gesetzgebende Macht in den Händen eines Kindes oder eines Unsinnigen ein fürchterliches Übel. Aber diesem Unheil (glaubte Dschengis) könne durch ein gedoppeltes Mittel hinlänglich vorgebogen werden; nämlich, durch die Unverbrüchlichkeit der einmal von allen angenommenen Gesetzgebung, und durch eine gewisse Anordnung über die Erziehung der Prinzen des königlichen Hauses, welche ein Hauptstück im Gesetzbuche Tifans ausmachen sollte.

Diesen Grundsätzen zu Folge wurde bald nachdem Tifan die Regierung angetreten hatte, eine königliche Erklärung dieses Inhalts kund gemacht:

1. Da eine mit den unveränderlichen und wohltätigen Absichten des Urhebers der Natur übereinstimmende Gesetzgebung sowohl dem Fürsten als seinen Untergebenen zur unverbrüchlichen Richtschnur dienen muß: So wird der König vor allen Dingen sein Hauptgeschäft sein lassen, mit Beihülfe derjenigen, welche die Nation selbst für ihre weisesten und besten Männer erkennt, ein Gesetzbuch zu verfassen, in welchem die Pflichten und Rechte des Königs, der Nation, und jedes besondern Standes, aufs genaueste bestimmt, und alle die Anordnungen, welche, nach der gegenwärtigen Beschaffenheit des Reichs, zu dessen Widerherstellung und Wohlstand am zuträglichsten erachtet werden, zu jedermanns Wissenschaft gebracht werden sollen.

2. Dieses allgemeine Gesetzbuch soll in der scheschianischen Sprache mit einer solchen Deutlichkeit abgefaßt werden, daß der gewöhnlichste Grad des Menschenverstandes und der Erfahrenheit zureichend sein möge, es zu verstehen. Nichts desto weniger soll veranstaltet werden, daß dieses Gesetzbuch hinfür nicht nur einen Hauptgegenstand der öffentlichen Erziehung ausmache, sondern auch von den Priestern jedes Ortes, an gewissen dazu bestimmten Tagen, dem Volke öffentlich erklärt und eingeschärfet werde.

3. Nicht nur alle Edle, Priester und übrige Einwohner von Scheschian, sondern auch der König und seine Nachfolger, sollen schwören, daß sie dieses Gesetzbuch nach allen seinen Artikeln unverletzlich in Ausübung bringen, und weder selbst demselben entgegen handeln, noch, so viel an ihnen ist, zugeben wollen, daß von jemand dagegen gehandelt werde. Diese Unveränderlichkeit soll ein allgemeiner und unauslöschlicher Charakter aller in dem Buche der Pflichten und Rechte enthaltenen Gesetze sein; diejenigen Polizei- und Staatswirtschafts-Gesetze allein ausgenommen, die wegen ihrer Beziehung auf zufällige und der Veränderung unterworfene Umstände, dem Gutbefinden des Königs und des Staatsrates unterworfen bleiben müssen; jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalte, daß die Veränderungen, welche der Hof jemals in besagten Gesetzen zu machen für nötig erachten wird, den Grundgesetzen des Buches der Pflichten und Rechte niemals auf einige Weise zuwider laufen dürfen.

4. Weil aber geschehen könnte, daß die obrigkeitlichen Personen, welchen der König einen Teil seiner großen Pflicht, die Gesetze zu handhaben und zu vollziehen, anvertrauen muß, in Verwaltung ihres Amtes saumselig werden, oder gar wissentlich und mutwillig demselben entgegen handeln möchten; nicht weniger, weil besondere Umstände die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers auf diese oder jene einzelne Stadt, Gegend oder Provinz notwendig machen können: So soll in jeder Provinz von Scheschian alle fünf Jahre ein Ausschuß des Adels, der Priesterschaft, der Städte und des Landvolks, aus einer bestimmten Anzahl von freiwillig erwählten und vom Hof unabhängigen Vertretern dieser vier Stände bestehend, in der Hauptstadt der Provinz zusammen kommen, um die Beschwerden der Nation überhaupt oder eines jeden Standes insonderheit in Erwägung zu ziehen, und im Namen der Provinz schriftlich an den König gelangen zu lassen. Und sollte sich, wider Verhoffen, zutragen, daß der König auf einen solchen Vortrag der öffentlichen Beschwerden nicht achtete, oder zu Abstellung derselben nicht die schleunigste Hülfe leistete: so soll derselbe von dem Ausschuß der Stände seiner königlichen Pflicht nachdrücklichst erinnert werden. Falls aber der Hof fortführe, die Beschwerden der Stände mit Gleichgültigkeit anzusehen: so soll es ihnen gestattet sein, auf diejenige Weise, die für solche Fälle im Gesetzbuche bestimmt werden soll, sich selbst zu helfen.

5. Jede Verordnung der königlichen Statthalter und des Königs selbst soll, ehe sie die Kraft eines Gesetzes haben kann, von den Vorstehern der Stände in der Provinz, die es angehet, vorher untersucht und mit dem Buche der Pflichten und Rechte genau verglichen werden. Würde befunden werden, daß die neue Verordnung mit dem Gesetze nicht bestehen könnte: so haben die Vorsteher der Stände, bei Strafe des Hochverrats wider den Staat, solches dem Statthalter oder dem Könige selbst mit den Gründen ihres Widerspruchs anzuzeigen. Und falls der Hof nichts desto weniger auf der Rechtmäßigkeit seiner Verordnung bestände: so sollen die Vorsteher schuldig sein, die Stände selbst zusammen zu berufen; diese aber, wofern sie durch drei Viertel der Stimmen den Widerspruch der Vorsteher für gegründet und gesetzmäßig erkannt haben würden, sollen hierüber eine förmliche Erklärung an den Hof gelangen lassen, und berechtigt sein, die Kundmachung einer solchen widergesetzlichen Verordnung, im Notfall sogar mit Gewalt, zu verhindern. Denn in Scheschian soll nicht der König durch das Gesetz, sondern das Gesetz durch den König regieren.

Ihre Hoheit stellen Sich leicht vor«, fuhr Danischmend fort, »wie zufrieden die Nation mit dieser Erklärung ihres neuen Königs gewesen sein muß, aus welcher so stark in die Augen fiel, daß er nichts Angelegners habe, als unverzüglich sich selbst und seine Nachfolger in die Unmöglichkeit zu setzen, Böses zu tun oder nach bloßer Willkür zu regieren

»Ohne Zweifel«, sagte Schach-Gebal: »Ich stelle mir's eben so leicht vor, als ich mir vorstelle, daß ich lieber ein Strauß oder ein Truthahn, wie der König der grünen Länder und sein Neffe, als ein Sultan sein wollte, wenn ich mich alle Augenblicke mit meinen Untertanen darüber zanken müßte, wer recht hätte, ich oder sie.«

»Allerdings würde dies ein gleich unglücklicher Zustand für einen König und für sein Volk sein«, versetzte Danischmend. »Aber wenigstens befand sich Tifan nie in diesem Falle.«

»Das kam vermutlich daher, weil er unter einem besonders glücklichen Zeichen geboren war«, sagte der Sultan. »Denn gewöhnlicher Weise pflegt ein Volk, sobald es das Recht hat seinem Herrn zu widersprechen, sich der Erlaubnis mit solchem Übermut und so lange zu bedienen, bis das Verhältnis umgekehrt ist – der Herr der Unmündige, und seine getreuen Untertanen der Hofmeister.«

»Ich dächte doch«, sagte Danischmend, »die Geschichte zeigte uns viel weniger Beispiele, wo das Volk sein Recht, zu widergesetzlichen Verordnungen nein zu sagen, so gröblich gemißbraucht hätte, – als solche, wo Könige, denen niemand widersprechen durfte, Verordnungen machten, welchen nur Strauße und Truthähne zu gehorchen würdig sein können.«

»Herr Danischmend!« – sagte der Sultan, und hielt inne.

»Wie dem aber auch sein mag«, fuhr der Philosoph ganz gelassen fort, »unter Tifans Regierung (und dies war nicht weniger als in einem Laufe von funfzig Jahren) ereignete sich's kaum zwei- oder dreimal, daß die Stände für nötig erachtet hätten, dem Könige eine solche Vorstellung zu tun. Und jedesmal betraf es bloß Verbesserungen, welche, unter den besondern Umständen der Provinz, worin sie vorgenommen werden sollten, nicht zu raten waren. Sobald Tifan verständiget wurde, daß die abgezielte Verbesserung wider seine Absicht Schaden tun würde: so nahm er seine Verordnung zurück, und die Vorsteher erhielten ein eigenhändiges Danksagungsschreiben.«

»Du würdest mir einen Gefallen tun«, sagte Schach-Gebal, »wenn du mir eine Abschrift von einem solchen Danksagungsschreiben verschaffen könntest.«

Danischmend versprach, sich alle Mühe deswegen zu geben, und fuhr fort: »Diese glückliche Harmonie zwischen Tifan und seinem Volke war eben so sehr die Frucht der vortrefflichen Regierungsart dieses Fürsten, als der weisen Gesetze, auf die er sie gegründet hatte. Die Scheschianer waren weder lenksamer noch besser als irgend ein andres Volk in der Welt. Noch vor kurzem hatten sie sich in einem so tiefen Grade von Verderbnis befunden, daß ein Wunderwerk vonnöten schien, um sie wieder zu geselligen Menschen und guten Bürgern zu machen; und es äußerten sich, ungeachtet der bessern Seele welche Tifan ihnen bereits eingehaucht hatte, allenthalben noch die Wirkungen des sittlichen Giftes, wovon die ganze Masse des Staats so lange durchdrungen gewesen war. Tifans Nachfolger hatte in diesem Stücke einen großen Vorteil. Ihm kostete es wenig Mühe, ein wohl gesittetes, an die Ordnung gewöhntes, und ein halbes Jahrhundert lang von dem Geist eines weisen und guten Fürsten beseeltes Volk, nach Gesetzen, die dem größten Teil durch die Erziehung zur andern Natur geworden waren, zu regieren. Aber Tifan, dem niemand vorgearbeitet hatte; der das Reich in einem Zustande von Zerrüttung und Verwilderung übernahm; der so vielfältigen und großen Übeln abzuhelfen hatte; der nicht etwann bloß ein wildes Volk zahm oder ein barbarisches gesittet machen, sondern einen durchaus verdorbenen Staat mit frischem Blut und neuen Lebenskräften versehen mußte: Tifan konnte ein so großes Werk nicht anders als durch einen Grad von Tugend, der selten das Los eines Sterblichen ist, zu Stande bringen. Jede Schwachheit, jedes Laster, womit er behaftet gewesen wäre, würde seinen ganzen Plan vereitelt haben.

Aber Natur, Erziehung und standhafter Vorsatz, alle seine Pflichten in der möglichsten Vollkommenheit zu erfüllen, vereinigten sich bei ihm, ihn von den gewöhnlichen Schwachheiten und Ausschweifungen der meisten Personen seines Ranges frei zu erhalten. Der Natur hatte er ein Herz zu danken, das im Wohltun und in der Freundschaft sein höchstes Vergnügen fand, und seiner Erziehung den unschätzbaren Vorteil, wenig Bedürfnisse zu haben. Nüchternheit, Mäßigkeit, und Gewohnheit sich immer nützlich zu beschäftigen, machten ihm Arbeiten, vor welchen andre Fürsten gezittert hätten, beinahe zum Spiele. Seine Ergetzlichkeiten waren bloß Erholungen von der Arbeit. Er suchte sie bei den schönen Künsten, oder im Schoße der Natur und in dem Vergnügen eines zwangfreien, freundschaftlichen Umgangs. Wenig um die Meinung bekümmert, die der unverständige Haufe von ihm haben könnte, und zu groß um durch äußerlichen Pomp und Schimmer diesen Pöbel verblenden zu wollen, aber äußerst empfindlich für das Vergnügen geliebt zu werden, kannte er keinen andern Ehrgeiz, als den Wunsch, der geliebte Vater eines glücklichen Volkes zu sein. Keine Anstrengung, keine Mühe, keine Nachtwache war ihm beschwerlich, um diesen schönsten unter allen fürstlichen Titeln zu verdienen.Sollt es möglich sein, daß unter allen künftigen Regenten, denen diese Geschichte in einem Alter, da ihr Kopf noch nicht zu sehr verschroben und ihr Herz noch nicht ganz versteinert ist, in die Hände käme, auch nur Einer wäre, der, nachdem er diesen Tifan kennen gelernt, den Gedanken ertragen könnte, einen solchen Charakter ein bloßes Ideal bleiben zu lassen?

Anmerk. eines Ungenannten

Zu allem diesem kam ein Umstand, ohne welchen der beste Wille den tugendhaftesten Fürsten von dem Unglück übel zu regieren nicht verwahren kann. Tifan hatte beinahe lauter rechtschaffene Leute, Männer von eben so aufgeklärtem Geist als edlem Herzen, zu Dienern; und wenn sich auch hier oder da ein Heuchler mit einzuschleichen wußte, so mußte ein solcher doch sein Spiel so behutsam spielen, daß der Schade, den er tun konnte, sehr unbeträchtlich war.«

»Auch dies ist sehr glücklich«, sagte Schach-Gebal. »Dein Tifan hatte gut alles zu sein was du willst; die ganze Natur scheint sich zum Vorteile seines Ruhms zusammen verschworen zu haben.«

»Vielleicht ließe sich wohl behaupten«, erwiderte der ehrliche Danischmend, »daß manche Fürsten in diesem Stücke mehr glücklich als weise gewesen sind. Zu gutem Glück für sie und für ihre Untertanen traf sich's gerade, daß sie meistens ehrliche Leute aus dem Glückstopfe zogen; denn so wie sie es anfingen, hätte das Gegenteil eben so leicht begegnen können. Aber von Tifan kann man sagen, daß er außerordentlich unglücklich gewesen sein müßte, wenn er und der Staat nicht wohl bedient gewesen wären. Er war zu sorgfältig in der Wahl seiner Leute, und verstand sich zu gut auf den Wert der Menschen, um leicht betrogen zu werden. Er war zu sehr Meister von sich selbst, um sich durch den Schein einnehmen zu lassen; und wußte zu gut, was für ein Charakter, was für Geschicklichkeiten und Tugenden zu jedem Amt erforderlich waren, um in den Fehler so vieler Fürsten zu fallen, welche mit den besten Dienern bloß deswegen nichts ausrichten, ›weil sie keinen an seinen rechten Platz zu stellen wissen‹.

Schwache und sorglose Regenten verdienen ihr gewöhnliches Schicksal, von dem Abschaum des menschlichen Geschlechtes umgeben zu sein. Das bescheidne Verdienst steht von ferne; es scheuet sich vor dem ungestümen Gedränge oder den geheimen Ränken derjenigen, welche den Hof der Fürsten nur suchen um ihr eignes Glück zu machen; es will eingeladen sein. Aber wie sollte ein schwacher Regent es entdecken können? Unter einem schlimmen geht es noch ärger. Jener übersieht die Tugend nur; vor diesem muß sie sich verbergen: bei jenem ist sie kein Verdienst, weil er sie nicht kennt; bei diesem ist sie ein Verbrechen, weil er sie zu gut kennt.

Tifans Charakter, seine Grundsätze, seine Tugenden, sein einnehmendes Betragen, zogen, wie durch eine magnetische Kraft, nach und nach alle verständige und redliche Leute von Scheschian, das ist, alle die ihm ähnlich waren, an sich. Kein Verdienst, kein Talent blieb ihm verborgen; er war zu aufmerksam um sie nicht zu entdecken; und die Begierde, einem so vortrefflichen Fürsten bekannt zu werden, erleichterte ihm die Mühe sie zu suchen. Überdies vermied er in Absicht auf diejenigen, die zunächst um ihn waren, einen gedoppelten Fehler, welchen viele Große zu begehen pflegen. Um zu zeigen, daß sie keinen Günstling haben, um keine Eifersucht unter ihren Dienern zu veranlassen, um ihre vollkommne Unparteilichkeit zu beweisen, begegnen sie einem ungefähr wie dem andern, und das größte Talent, das wichtigste Verdienst, sieht sich mit einer Menge mittelmäßiger und verdienstloser Leute in Einen Klumpen zusammen geworfen. Oft geschieht es, daß ein Regent bloß durch übertriebene Zurückhaltung, oder durch das Vorurteil, daß ein Diener, wenn er auch alles getan habe, doch nur seine Schuldigkeit getan habe, seinen redlichsten und besten Dienern den Mut benimmt, ihren Eifer niederschlägt, und eben deswegen nicht die Hälfte des Nutzens erhält, den er und der Staat von ihnen ziehen könnten. Noch andre berauben sich der guten Dienste würdiger Männer durch die unglückliche Gemütsart, wegen kleiner Fehler den Wert der wichtigsten Vorzüge zu verkennen; durch immer währendes Mißtrauen und Geneigtheit, bei allem was Menschen tun, immer die unedelsten Bewegursachen vorauszusetzen; durch die Gewohnheit, ihre Diener um der unerheblichsten Dinge willen zu schikanieren, ihnen kein Verdienst anders als gezwungener Weise, und nur wenn es unmöglich ist noch eine Einwendung dagegen aufzubringen, einzugestehen, usf. In allen diesen Betrachtungen verdiente Tifan von den Regenten zum Vorbilde genommen zu werden. Seine unermüdete Aufmerksamkeit; sein aufmunternder Beifall; seine Geneigtheit eher einen Fehler als ein Verdienst zu übersehen; seine Klugheit jeden in sein gehöriges Licht zu stellen, jeden zu demjenigen zu gebrauchen, wozu er die meiste Tüchtigkeit hatte; die Gerechtigkeit, womit er sein Vertrauen jedem nach dem Grade des persönlichen Wertes und der wirklichen Verdienste zumaß; sein Bemühen das Unangenehme in einem Auftrage durch die Leutseligkeit seines Tons oder durch eine verbindliche Wendung zu versüßen; die Achtung, womit er seinen Dienern überhaupt zu begegnen pflegte, und womit er sie desto stärker aufmunterte, selbige zu verdienen, weil er gegen alle Fehler, die aus einem schlimmen Herzen oder aus Mangel an Empfindung für Ehre und Rechtschaffenheit entsprangen, sehr streng war: – alle diese Eigenschaften brachten bei seinen Untergebenen eine beinahe wundertätige Wirkung hervor. Niemals ist ein Fürst von bessern Leuten, und muntrer, sorgfältiger, redlicher bedient worden als Tifan. Wer wollte nicht einem so liebenswürdigen Fürsten dienen? sagte man: er besitzt das Geheimnis, die beschwerlichsten Pflichten zum Vergnügen zu machen, und ein einziger Blick von ihm belohnt besser als die reichsten Belohnungen eines andern. Kein Wunder also, daß Tifans Regierung ein Muster einer weisen und glücklichen Staatsverwaltung war; daß er so große Dinge zu Stande brachte; daß Scheschian unter ihm von der untersten Stufe des Elends bis zum Gipfel der Nationalglückseligkeit empor stieg. Kein Wunder, da er die Besten seiner Zeitgenossen zu Gehülfen hatte; da er kein Talent unbenützt, kein Verdienst unbelohnt, aber auch mit eben so vieler Aufmerksamkeit keine Saumseligkeit ungeahndet und keine Bosheit unbestraft ließ; da jede wichtigere Stelle mit dem tüchtigsten und redlichsten Manne, den er finden konnte, besetzt war; kurz, da alle Kräfte des Staats in der schönsten Übereinstimmung einander unterstützten und förderten, um den gemeinschaftlichen Zweck der öffentlichen Wohlfahrt zu bearbeiten.«

»Danischmend«, sagte der Sultan, »ich bin noch nie besser mit dir zufrieden gewesen als heute. Ich fühle wohl, daß es in gewissem Sinn eine sehr nachteilige Sache ist Sultan zu sein. Aber ich bin doch nicht so sehr Sultan, daß ich mich schämen sollte, noch immer etwas zu lernen. Wenn du mir einen Dienst tun willst, so laß mir die vornehmsten Maximen deines Tifan über die Wahl seiner Diener und sein Betragen gegen sie, mit goldnen Buchstaben in ein schönes Buch zusammen schreiben. Ich gebe dir mein Wort darauf, daß es – immer neben meinem Kopfküssen liegen soll.«


 << zurück weiter >>