Christoph Martin Wieland
Der goldne Spiegel
Christoph Martin Wieland

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Danischmend mein Freund« (sagte der Sultan als der Doktor mit seiner Rede fertig war), »alles was du uns hier gesagt hast, mag sehr gut sein, wenn von einem Staat in Utopien die Rede ist, den du mit idealischen Menschen nach Belieben besetzen und regieren kannst, wie es dir gefällt. Aber die Rede ist, mit Erlaubnis deiner Philosophie, nicht von dem, was der menschlichen Gesellschaft überhaupt, sondern von dem was diesem oder jenem besondern Staate gut ist; und da wirst du vermutlich zugeben, daß sich kein wirklicher Staat, mit Menschen von Fleisch und Blut besetzt, denken lasse, dessen Bewohner die Vorteile, die sie darin genießen, nicht mit Aufopferung eines Teiles ihrer natürlichen Rechte erkaufen müßten. Du hast uns sehr schön bewiesen, daß es zum Besten der menschlichen Gesellschaft gereiche, wenn der Vernunft und dem Witze, folglich – weil du keinen Richter erkennen willst, der in jedem besondern Fall entscheide, was Vernunft und Witz sei – auch der Unvernunft und dem Aberwitze volle Freiheit gelassen werde: aber alle deine Gründe sollen mich nicht hindern, dem ersten, der sich die Freiheit nehmen wollte, meine Völker durch seine Schriften zum Mißvergnügen und zur Empörung zu reizen, die Ohren abschneiden zu lassen; oder den ersten Philosophen, der sich gelüsten lassen wird, das Gesetz unsers Propheten für ein Werk des Betrugs zu erklären, mit fünfhundert Streichen auf die Fußsohlen zu belohnen. Darauf kannst du dich verlassen. Ich bin der Mann, mein Wort so genau zu halten als Ogul-Kan.«

»Sire«, erwiderte Danischmend ganz ruhig, »meine Meinung ging nur wider solche Anordnungen, die es von der Einsicht und Willkür einzelner Personen abhängig machen, wie klug oder wie dumm eine Nation sein soll. Indessen, und bis die Akademie oder irgend ein anderer Adept Mittel dem Mißbrauche der Freiheit zu wehren, welche der Freiheit selbst unnachteilig sind, ausfündig gemacht haben wird, möchte wohl schwerlich zu verhindern sein, daß das Wort Mißbrauch nicht immer zweideutig bleiben sollte; und also wird (mit Ausnahme weniger besonderer und seltener Fälle, worüber dem Landesherrn zu erkennen obliegt) doch immer das Sicherste sein, lieber einige Ausschweifungen zu übersehen, als uns durch eine gar zu strenge Regelmäßigkeit in Gefahr zu setzen, des edelsten Vorrechts der Menschheit verlustiget zu werden.Gegen irgend einen Zweig der Freiheit von dem Mißbrauche, der davon gemacht werden kann, argumentieren, ist eben so viel als gegen die Freiheit überhaupt schließen; denn alles kann gemißbraucht werden, sagt der weise Verfasser der Letters from a Persian in England, p. 159.

Wenn mir erlaubt ist« (fuhr Danischmend fort), »die Anwendung der vorgelegten Frage auf die Priester von Scheschian zu machen, so deucht mich, daß nur ein mißverstandenes Interesse diese Bonzen verleiten konnte, die Freiheit, welche Ogul-Kan seinen Untertanen zugestanden hatte, so gefährlich zu finden. Der Staat und die Religion von Scheschian konnten nicht anders als bei dieser Freiheit gewinnen. Ja die Bonzen selbst würden dabei gewonnen haben. Sie würden anfänglich aus Notwendigkeit, hernach aus Gewohnheit, zuletzt vielleicht aus Neigung und Wahl sich immer weiter von allem demjenigen entfernt haben, was sie einem gerechten Tadel unterwürfig gemacht hatte. Frei von dem Vorwurf einer unbändigen Begierde zu herrschen und die Güter ihrer Mitbürger an sich zu ziehen, geziert mit jeder Tugend ihres Standes, würde die Hochachtung ihres persönlichen Wertes sich mit der Würde ihres Amtes vereiniget haben, sie durch die allgemeine Zuneigung besser als durch Strafgebote vor unbilligen Mißhandlungen sicher zu stellen. Denn ich unterstehe mich zu behaupten, daß es kein Volk auf Erden gibt, welches nicht geneigt sein sollte, einen weisen und tugendhaften Mann eben dadurch, daß er ein Priester ist, doppelt ehrwürdig zu finden. Allein die Bonzen von Scheschian hatten das Unglück, diese Betrachtung nicht zu machen. Die Verbesserung oder Abstellung alles dessen, was dem gesunden Menschenverstand an ihren Begriffen, Maximen und Sitten anstößig sein mußte, war unstreitig der geradeste Weg, sich dem öffentlichen Tadel zu entziehen; aber es war auch der beschwerlichste. Lieber wollten sie durch tausend schleichende Wendungen und niedrige Kunstgriffe diejenigen zu unterdrücken suchen, vor deren Fähigkeiten und Einsichten sie sich, auch ohne besondere Ursache, aus einer Art von Instinkt, fürchteten; und die Sicherheit der scheschianischen Religion diente ihnen bloß zum Vorwande, ihre Rachsucht an einem jeden auszulassen, der gegen ihre offenbarsten Ungereimtheiten und gröbsten Mißbräuche etwas einzuwenden hatte. Sie ließen keine Gelegenheit entschlüpfen, in Gesellschaften, oder unter vier Augen, sonderlich bei Personen von Stand und Ansehen, zu verstehen zu geben, daß solche Leute in billigem Verdachte ständen, weder an den großen Affen noch an den allgemeinen Schutzgeist (wie sie das höchste Wesen nannten) zu glauben. Gestanden sie auch einigen derselben Talente zu, so bedauerten sie doch zugleich in einem seufzenden Tone, daß diese Talente nicht besser angewendet würden, und beklagten die Gefahr der Nation, wenn solchen Leuten gestattet würde, ihr süßes Gift in unbehutsame Seelen fallen zu lassen. Durch dergleichen Künste gelang es ihnen bei allen, welche sich mit angeerbten Begriffen behalfen, das ist, bei dem größten Teile der Nation, sich im Besitz eines gewissen Einflusses zu erhalten, der vielleicht nur desto tiefere Wurzeln schlug, weil sie ihn der sanften Gewalt einschmeichelnder Überredungen, und tausend feinen Ränken, womit sie die Gemüter zu umspinnen wußten, zu danken hatten. Sie genossen unter einigen schwachen Regierungen das Vergnügen, von Zeit zu Zeit kleine Verfolgungen gegen Witz und Vernunft zu erregen; und es ist sehr wahrscheinlich, daß die Barbarei, welche unter Ogul-Kan in die Schlupflöcher der Ya-faou hatte flüchten müssen, mit schnellen Schritten zurück gekommen wäre, sich des Hofes und der Paläste der Großen und Reichen wieder zu bemächtigen, wenn die Regierung der schönen Lili nicht zu gutem Glücke der Nation einen andern Schwung gegeben hätte.«

»Man muß gestehen«, sagte Schach-Gebal, »die Bonzen von Scheschian haben keine sonderliche Ursache, sich Danischmenden für das Denkmal, das er ihnen stiftet, verbunden zu halten.«

»Sire«, erwiderte der Doktor, »wenigstens werden mir Ihre Hoheit glauben, daß ich keine Bewegursachen haben kann, sie anders abzuschildern als sie waren. Die Wahrheiten, die ich sage, können niemand Schaden tun; aber sie können, wofern Ihre Hoheit erlauben die Geschichte von Scheschian bekannt zu machen, noch den spätesten Zeitaltern als ein Spiegel nützlich werden. Ich halte diese Art von Spiegeln für eine sehr gute Erfindung; denn am Ende ist doch einem jeden daran gelegen zu wissen wie er aussieht; und so achtsam man auch auf sich selbst ist, so gibt es doch immer einige Flecken wegzuwischen, oder einige kleine Unordnungen an seiner Person zu verbessern. Wer sich keiner größern Gebrechen bewußt ist, darf getrost hinein sehen; und wer hinein guckt, und über den Spiegel, oder über die Fabrik, worin er gegossen worden, schilt, von dem getraue ich mir zu behaupten, daß es ihm sehr an – Klugheit fehlen müsse.«

»Wenn du die Einwilligung meines Imans erhalten kannst«, versetzte der Sultan, »so sollst du nicht zu klagen haben, daß ich deiner Spiegelfabrik hinderlich sei. Ich bin immer ein Beförderer der Fabriken gewesen.«

Nach der gewöhnlichen Unterbrechung fährt Danischmend, auf Befehl des Sultans, fort, sich den Weg zu den Händeln zu bahnen, welche unter dem Sultan Azor zwischen den Bonzen in Scheschian ausbrachen, und das Unglück des Reichs vollständig machten.

»Die Gestalt«, sagt er, »welche der Nationalgeist von Scheschian unter der Regierung der Königin Lili annahm, war dem System und den Absichten der Bonzen nicht sehr vorteilhaft. Der Aberglaube, auf den ihr vormaliges Ansehen gegründet war, setzt eine gewisse Verfinsterung der Seele als eine notwendige Bedingung voraus, und nimmt also in der nämlichen Gradation ab, in welcher die Aufklärung eines Volkes zunimmt. Witz, Geschmack, Geselligkeit, Verfeinerung der Empfindung und der Sitten, sind seine natürlichen Feinde; ihre gegenseitige Antipathie ist unversöhnlich; und entweder gelingt es ihm sie zu unterdrücken, oder sie unterdrücken ihn. Die Bonzen von Scheschian sahen sich dem letztern Falle so nah, daß sie endlich, wie es scheint, an der Erhaltung ihres vormaligen Systems zu verzweifeln anfingen. Ein jeder war nun bloß darauf bedacht, anstatt für die gemeine Sache, für sich selbst zu arbeiten, und von seinen eigenen Talenten, körperlichen oder geistigen, so viel Vorteil zu ziehen, als er Gelegenheit dazu hatte.

In dieser Lage befanden sich die Sachen, als im zehnten Jahre der Regierung Azors ein Ya-faou, der sich durch seine Bemühungen um die scheschianischen Altertümer hervor getan hatte, mit einer Entdeckung auftrat, welche so wenig sie auch beim ersten Anblicke zu bedeuten schien, durch ihre Folgen das ganze Reich in Verwirrung setzte. Er hatte nämlich gefunden, oder glaubte gefunden zu haben, daß der Name des großen Affen auf den ältesten Denkmälern der Nation niemals Tsai-Faou (wie er seit einigen Jahrhunderten geschrieben und ausgesprochen wurde), sondern allezeit Tsao-Faou geschrieben sei. Da nun Tsai in der scheschianischen Sprache allezeit feuerfarben, Tsao hingegen, vermöge eines mit großer Gelehrsamkeit von ihm geführten Beweises, von jeher blau bedeutet hatte: so ergab sich der Schluß von selbst, daß der Name des blauen Affen eigentlich der wahre, uralte und charakteristische Name der Schutzgottheit ihres Landes sei.

Gorgorix (so nannte sich der Ya-faou), welcher, nach Art aller Altertumsforscher, eine ungemessene Freude über diesen Fund hatte, der ihm Gelegenheit gab, Dissertationen zu schreiben, worin er seinen in vielen Jahren mühsam gesammelten Vorrat von Kollektaneen, Lesarten, Verbesserungen, Ergänzungen, Mutmaßungen, Zeitrechnungen, etymologischen Untersuchungen, und dergleichen, anbringen konnte, – glaubte sich nicht genug beschleunigen zu können, der Welt eine so wichtige Entdeckung mitzuteilen. Wirklich hatten ihn die Untersuchungen, die er bei dieser Gelegenheit anstellen mußte, auf die Spur so vieler andrer antiquarischer und grammatischer Entdeckungen gebracht, und eine jede derselben hatte ihm zu so vielen gelehrten und äußerst interessanten Digressionen Anlaß gegeben, daß, ungeachtet des Titels seines Buchs, dasjenige was darin den blauen und feuerfarbnen Affen betraf, kaum den zwanzigsten Teil davon ausmachte. Seine Absicht scheint anfangs nichts weniger gewesen zu sein, als Neuerungen in der Religion seines Landes anzuspinnen; und vielleicht würde die Sache ohne Folgen geblieben sein, wenn seine Schüler und Freunde weniger eifrig gewesen wären, die Entdeckungen des großen Gorgorix (wie sie ihn nannten) in allen Zeitungen und Journalen von Scheschian als Dinge von der verdienstlichsten Wichtigkeit anzupreisen. Durch die unbescheidenen Bemühungen dieser Leute geschah es denn, daß sein Buch endlich die öffentliche Aufmerksamkeit rege machte. Verschiedene Bonzen, welche den Ruhm des großen Gorgorix mit scheelen Augen ansahen, traten mit kritischen Beleuchtungen seines Buches hervor, worin es ihnen nicht sowohl darum zu tun war, zu ergründen, ob Gorgorix recht oder unrecht habe, als der Welt zu zeigen, daß sie zum wenigsten einen eben so großen Vorrat von Kollektaneen besäßen, und noch scharfsinnigere und gelehrtere Ergänzungen, Verbesserungen, Mutmaßungen, Zeitrechnungen und Wortableitungen zu machen wüßten als Gorgorix. Bald gesellten sich auch einige Ya-faou zu ihnen, welche die Entdeckung dieses Antiquars aus einem ganz andern Gesichtspunkt ansahen, und über die Gottlosigkeit und Gefährlichkeit dieser Neuerung ein mächtiges Geschrei erhoben. Da es weder diesen noch jenen an Freunden mangelte, die aus mancherlei Ursachen und Absichten öffentlich ihre Partei ergriffen, so wurde der Streit immer hitziger und allgemeiner. Die Liebe zum Neuen zog den größten Teil der jungen Bonzen und Ya-faou auf die Seite des blauen Affen, und Gorgorix sah sich in kurzem an der Spitze eines ansehnlichen Teils der Nation.

Nun bekam er Mut, dasjenige, was er anfangs in einem bescheidenen und problematischen Tone vorgebracht hatte, mit dem herrischen Anstand eines gelehrten Diktators vorzutragen, und allen, welche die Bündigkeit seiner Beweise nicht so einleuchtend fanden als er selbst, mit einer Verachtung zu begegnen, die seinen Gegnern unerträglich war. ›Man muß entweder ein Dummkopf sein‹, sagte er, ›wenn man die Wahrheit meiner Entdeckungen nicht einsehen kann, oder sehr boshaft, wenn man sie nicht sehen will.‹ Diese unter den Gelehrten zu Scheschian sehr gewöhnliche Art zu disputieren, hatte auch hier ihre gewöhnliche Wirkung. Die Gemüter der Streitenden wurden immer mehr erbittert; die Streitfragen selbst vermehrten sich täglich durch die Wut einander nichts einzugestehen; und eine Menge von Leuten erklärte sich mit der größten Hitze für die eine oder die andere Partei, ohne untersucht zu haben wer recht habe, oder zu einer solchen Untersuchung geschickt zu sein.

Unvermerkt verwandelte sich diese Fehde aus einem Wortkrieg in einen weit aussehenden Religionsstreit, und jede Partei wandte alles an, sich zu vergrößern: als Kalaf, ein junger Bonze, welcher Mittel gefunden hatte sich bei Hofe in einiges Ansehen zu setzen, das bisher noch zweifelhafte Übergewicht durch seinen Beitritt auf die Seite des Gorgorix zog. Nicht, als ob er sich im geringsten für die Sache selbst interessiert hätte; denn er hatte sich nie die Mühe genommen, das Buch dieses Ya-faou zu lesen, und niemand in der Welt bekümmerte sich weniger als er, ob der große Affe blau, grün oder pomeranzengelb sei. Aber Kalaf war ehrgeizig; er hatte ein Auge auf die Würde eines Oberbonzen der Hauptstadt Scheschian, welche in kurzem ledig werden mußte, und der blaue Affe konnte ihm zu einem Vorhaben beförderlich sein, wozu er sich in dem ordentlichen Laufe der Dinge wenig Hoffnung zu machen hatte. Sein gutes Glück hatte ihn zu dem Amte erhoben, eine persische Tänzerin, deren rühmliche Fesseln der Vertraute des ersten Günstlings der Sultanin Lili trug, von der Religion der Gebern, worin sie erzogen war, zu der scheschianischen, für welche ihr Liebhaber sich ungemein beeiferte, zu bekehren. Da die Tänzerin große Ansprüche an Witz machte, so war dies eben kein leichter Auftrag. Allein Kalaf war ein liebenswürdiger Mann, wenigstens in den Augen einer Tänzerin; er fand Mittel sich vor allen Dingen ihres Herzens zu bemeistern, nicht zweifelnd, wenn er einmal dieses gewonnen hätte, würde sich ihr Kopf nicht lange gegen seine Gründe halten können. Er wußte ihrer Eitelkeit so gut zu schonen, und die Augenblicke, welche seiner Unternehmung am günstigsten waren, so geschickt zu wählen, daß die Tänzerin endlich gestehen mußte, daß er sie überzeugt habe: aber sie erklärte sich zu gleicher Zeit, wenn sie ja genötiget würde sich den großen Mithras unter dem Bilde eines Affen vorzustellen, so sollte es doch schlechterdings kein andrer als ein blauer sein; denn blau war ihre Lieblingsfarbe. Kalaf, zu klug, durch eine unzeitige Unbiegsamkeit in einem Punkte, woran ihm so wenig gelegen war, sich der Frucht so vieler mühsamen Nachtwachen zu berauben, und scharfsichtig genug, um beim ersten Blicke zu sehen was man aus einer Sache machen kann, versicherte sie, daß er selbst immer geneigt gewesen sei sich für den blauen Affen zu erklären, und daß er itzt um so eifriger für ihn arbeiten würde, da er das günstige Vorurteil seiner schönen Neubekehrten für nichts Geringeres als die Wirkung eines übernatürlichen Einflusses halten könne. Von dieser Stunde an hatte Gorgorix keinen stärkeren Verfechter als den Bonzen Kalaf. Der Vertraute des Günstlings, welcher es unmöglich fand seiner Tänzerin etwas abzuschlagen, war der erste unter den Hofleuten, der für die neue Meinung gewonnen wurde. Der Vertraute gewann den Günstling, der Günstling die Sultanin, die Sultanin den König ihren Sohn, und das Beispiel des Königs den ganzen Hof.

Die erste große Folge dieses glücklichen Fortgangs war, daß Kalaf bald darauf zur erledigten Würde eines Oberbonzen der Stadt Scheschian befördert wurde.

Huktus, ein Bonze von edler Geburt und großem Ansehen, hatte sich zu dieser Würde die meiste Hoffnung gemacht, und alles angewandt sie zu erlangen. Unter andern Umständen würde Kalaf kein furchtbarer Nebenbuhler für ihn gewesen sein; aber Kalaf hatte sich einen Augenblick zu Nutze gemacht, da die persische Tänzerin alles vermochte. Es ist wahr, es kostete ihm die Mühe, sie zu einer kleinen Gefälligkeit gegen den Günstling der Königin zu überreden; und die ärgerliche Chronik sagte sogar, daß er in seinem eigenen Hause Gelegenheit dazu gemacht habe. Ein Beweggrund dieser Art konnte wohl dem Günstling hinreichend scheinen, Kalaffen, der keine andre als die Verdienste eines geschmeidigen Höflings aufzuweisen hatte, vor dem Bonzen Huktus, für den die Wünsche des ganzen Volkes sprachen, den Vorzug zu geben; nur war er nicht hinlänglich, diesen Vorzug vor den Augen der Nation zu rechtfertigen. Huktus verbarg seinen Unmut unter dem Scheine der vollkommensten Gleichgültigkeit; aber sein Herz kochte Rache. Die Streitigkeiten über Tsai und Tsao, an welchen er bisher aus Klugheit wenig Anteil genommen hatte, schienen ihm Gelegenheit darzubieten, diese Rache unter einem scheinbaren Vorwand auszuüben. Kalaf hatte sich an die Spitze der Partei der Blauen gestellt: Huktus bedachte sich also nicht lange, sich öffentlich für die Feuerfarbnen zu erklären. Der größte Teil der ältern Bonzen und Ya-faou war auf seiner Seite: und da sich bald darauf auch diejenigen unter den Großen von Scheschian, die mit der Regierung der Sultanin Lili nicht zufrieden waren, zu ihnen schlugen; so machten sie eine Gegenpartei aus, deren Absichten, Maßregeln und Bewegungen ernsthaft genug wurden, um den Staat mit gefährlichen Unruhen zu bedräuen.«

Hier läßt sich Danischmend in eine umständliche Entwicklung der verschiedenen Vorteile, Nebenabsichten und Leidenschaften ein, welche die eigentlichen Triebräder der öffentlichen Handlungen beider Parteien waren, und, wenn anders seine Erzählung zuverlässig ist, einen Beweis abgeben könnten, daß die Kunst, das Interesse der Religion und des Staats zum Deckmantel unedler Leidenschaften und eigennütziger Forderungen zu machen, nicht unter diejenigen gehöre, an deren Erfindung oder Vervollkommnung die Neuern einen gerechten Anspruch zu machen hätten.

»Bisher« (so fährt er fort) »hatte sich der geringere Teil der scheschianischen Nation in die Händel der Blauen und Feuerfarbnen (wie man die Parteien zu nennen anfing) wenig eingemischet, oder es waren doch nur wenige in ihren angeerbten Begriffen von dem großen Affen irre gemacht worden. Die meisten begnügten sich über die Neuerungen des Gorgorix und seiner Freunde den Kopf zu schütteln, und zu beklagen, daß eine so ausgemachte Sache, als der Name und die Farbe ihrer Schutzgottheit wäre, vorwitzigen Untersuchungen ausgestellt werden sollte. Aber Kalaf, dessen ungezähmter Ehrgeiz einen vollständigen Triumph verlangte, ruhete nicht, bis er auch den größern Teil des gemeinen Volkes von der Blauheit des großen Affen überzeugte. Was ihm die erwünschteste Gelegenheit dazu gab, war eine prächtige Pagode von blauem Porzellan mit goldnen Verzierungen, welche auf Veranstaltung der Sultanin Lili dem Tsao-Faou zu Ehren aufgeführt wurde. Der Eifer dieser Dame, der Nachwelt ein so schönes Denkmal ihrer Liebe für die Künste zu hinterlassen, verwandelte sich unvermerkt in einen Eifer für die Sache des blauen Affen selbst. Das Volk, unter dessen Augen dieser schöne Tempel empor stieg, wurde von den Anhängern Kalafs in rätselhaften Ausdrücken vorbereitet, außerordentliche Dinge zu erwarten. Die Blauen ließen in ihrem Gesicht und Ton eine große Zuversichtlichkeit sehen, ohne sich über die Ursache derselben zu erklären; und Huktus mit seinem Anhang zitterte ohne zu wissen wovor.

Endlich kam der Tag, welchem beide Parteien, jene mit ungeduldigem Verlangen, diese mit unruhiger Erwartung eines gegen sie geschmiedeten Anschlags, entgegen sahen; der Tag, da die blaue Pagode eingeweihet werden sollte. Sobald die Sonne aufgegangen war, führte Kalaf das versammelte Volk in einen nahe bei der Hauptstadt gelegenen Wald, der seit undenklichen Zeiten dem großen Affen heilig gewesen war. Mitten in diesem Walde war ein großer runder Platz, und in der Mitte des Platzes eine Art von Thron aufgerichtet, welchen Kalaf bestieg, um diese berühmte Anrede an das Volk zu halten, von welcher die Geschichtschreiber seiner Partei versichern, daß sie niemals ihresgleichen gehabt habe. Kalaf sagte so erhabene und unbegreifliche Dinge, es strahlte eine so ungewöhnliche Begeisterung aus seinem ganzen Wesen, der majestätische Ton seiner Stimme, die Überzeugung, womit er sprach, die Figuren, wovon er Gebrauch machte, der Strom seiner Worte, rissen die Zuhörer mit solcher Gewalt dahin, daß man ihm Beifall geben mußte, ohne das geringste von allem was er gesprochen begriffen zu haben. Die vornehmste Absicht seiner Rede war, das Volk in Erstaunen und in ein zitterndes Erwarten irgend einer wundervollen Entwicklung zu setzen. Niemals hatte ein Redner die Zauberkraft des Galimatias besser studiert als Kalaf. Die Wirkung davon starrte ihm aus jedem Aug entgegen; und um sie auf den höchsten Grad zu treiben, endigte er seine Rede mit einer feierlichen Apostrophe an den großen Affen, den er beschwor, sein Volk aus der Ungewißheit zu reißen, und durch irgend ein sichtbares Wunder zu zeigen, unter welcher Farbe ihm seine Verehrung am angenehmsten sei.

Kaum hatte Kalaf die letzten Worte ausgesprochen, so sah man auf einmal den Baum, an dessen Stamm der Thron des Oberbonzen befestiget war, in Flammen eingehüllt; und unter Blitz und DonnerWir wollen nicht hoffen, daß sich jemand unter unsern Lesern in dem Falle befinden könne, in welchen der ehrliche Klaus Zettel in Shakspeares Mid-Summer-Nights-Dream die Damen zu Athen zu setzen besorgt, wenn er, in dem Schauspiele von Pyramus und Thisbe (welches er und seine Gesellen an dem Hochzeitfeste des Theseus aufführen wollen), als Löwe auf den Schauplatz kommen, und seine furchtbare Stimme hören lassen würde. »Ich werde«, spricht er, »nicht ermangeln ihnen zu sagen: Erschrecken Sie nicht, meine schönen Damen; ich bin kein wirklicher Löwe, wie Sie etwann denken möchten, sondern wirklich und bei meiner Ehre Klaus Zettel, der Weber, und ein Mann, der sich das größte Gewissen daraus machen würde, das Herz einer schönen Dame zu betrüben.« Aus eben dieser Gemütszärtlichkeit erklären wir also auf allen Fall: daß dies Wetter, womit uns Kalaf erschrecken will, bloß gemachtes Wetter war. stieg vor den bestürzten Augen eines unzähligen Volkes ein großer blauer Affe herab, und setzte sich mit einer so majestätischen Miene auf dem Throne zurechte, daß die Hoffnung Kalafs selbst durch die Geschicklichkeit seines Zöglings übertroffen wurde.

Dieser Streich war, wie man leicht denken kann, entscheidend. Der hartnäckigste Anhänger des feuerfarbnen Affen sah sich gezwungen, dem Zeugnis seiner Sinne gewonnen zu geben. Sogar die Freidenker, welche bei diesem Schauspiele zugegen waren, wurden von dem allgemeinen Schwall mit fortgerissen, und die wenigen, die ihrer Vernunft noch mächtig genug blieben um durch ein so grobes Blendwerk hindurch zu sehen, waren aus kluger Furcht die eifrigsten, der Gottheit des blauen Affen zuzujauchzen. Er wurde mit einem alle Einbildung übersteigenden Triumph in seinen neuen Tempel eingeführt; und der König Azor selbst, der sich aus bloßer Gefälligkeit gegen die Launen seiner Mutter für die Meinung der Blauen erklärt hatte, konnte sich nicht erwehren, die Sultanin an der Spitze des ganzen Hofes zu begleiten, und das erste feierliche Opfer mit seiner Gegenwart zu zieren.

So schrecklich die Nachricht von dieser Begebenheit dem Bonzen Huktus und seinen Freunden war, so zeigte er doch in diesem entscheidenden Augenblicke, daß es ihm nicht an der wichtigsten Eigenschaft mangle, die zum Haupt einer Partei erfordert wird.« Außer vielen andern wohl ausgesonnenen Maßregeln, in deren Erzählung wir Danischmenden nicht folgen können, ließ er sich vornehmlich angelegen sein, den Eindruck, welchen Kalaf mit seinem blauen Affen auf den unaufgeklärten Teil der Nation gemacht hatte, von Grund aus zu vernichten. Seine Anhänger beschuldigten diesen Oberbonzen öffentlich der Zauberei, und eines geheimen Verständnisses mit den bösen Geistern. Dies war in der Tat ein Einfall, der seinem Erfinder Huktus Ehre macht. Hätten die Feuerfarbnen sich begnügt, dem Volke begreiflich zu machen, daß Kalaf ein Betrüger sei, so würden sie ihm wenig dadurch geschadet haben; denn wie schwach ist die Wirkung der Vernunft gegen Schwärmerei und Aberglauben! Aber dreist versichern, daß er die bösen Geister mit in seine Verschwörung gegen den Tsai-Faou gezogen habe, dies hieß ihm wirklich einen gefährlichen Streich beibringen. Eine solche Anklage hatte Wahrscheinlichkeit in den Augen des gemeinen Volkes: sie zog seine Neigung zum Wunderbaren auf Huktus' Seite; sie gab Gelegenheit zu einer unendlichen Menge unglaublicher Erzählungen, welche man, mitten unter der Versicherung daß sie unglaublich wären, begierig ausbreitete, mit selbst erfundenen Umständen glaublicher zu machen beflissen war, und zuletzt wirklich glaubte. Kurz, Huktus erhielt dadurch seine Absicht so vollkommen, daß der Pöbel in den meisten Provinzen des Reichs entschlossen war, es eher auf das äußerste ankommen zu lassen, als dem Glauben seiner Voreltern und dem feuerfarbnen Affen untreu zu werden.

»Vermutlich« (fährt Danischmend fort) »hätte Kalaf am weisesten gehandelt, wenn er diese Beschuldigungen mit kalter Verachtung angesehen, und durch eine zwar standhafte, aber ruhige und langsame Fortführung seines Plans, die Hindernisse, die er in den Vorurteilen der halben Nation fand, zu besiegen gesucht hätte. Aber sein Hochmut und seine Hitze vertrugen sich mit keinen so gelinden Maßnehmungen. Stolz auf seine Gewalt über den Geist der Sultanin Lili, welche damals noch das Steuerruder führte, und verwegen gemacht durch den schwärmerischen Eifer eines zahlreichen Anhangs, glaubte er stark genug zu sein, die Widerspenstigen durch Zwangsmittel zu unterwerfen. Eine königliche Verordnung, wovon er der Urheber war, erklärte alle diejenigen für Aufrührer, welche sich weigern würden dem blauen Affen zu huldigen. Die Bildnisse des Tsai-Faou wurden aus allen Pagoden weggeschafft, und mit andern von blauem Porzellan ersetzt, wovon in den Vorhöfen der blauen Pagode eine schöne Fabrik zum Vorteil derselben angelegt war. Alle Pagoden wurden mit Bonzen von Kalafs Anhang besetzt, und diejenigen abgedankt, welche lieber ihren Einkünften als dem feuerfarbnen Affen entsagen wollten. Diese Gewalttätigkeiten hatten den Erfolg, den ein weiserer Mann als Kalaf ihm vorher gesagt hatte, ohne Glauben zu finden. Tausend persönliche Beleidigungen, wodurch die Feuerfarbnen täglich zur Rache gereizt wurden, der Übermut, womit die Blauen, als die siegreiche Partei, mit ihren feuerfarbnen Mitbürgern verfuhren, und die öffentliche Verfolgung, welche zuletzt über diese verhängt wurde, erschöpften endlich ihre Geduld. Ganze Provinzen ergriffen die Waffen, und kündigten Azorn den Gehorsam auf, wofern er seinen Untertanen nicht zum wenigsten die Wahl lassen würde, ob sie blau oder feuerfarben sein wollten.

Zum Glück für das Reich Scheschian erfolgte um eben diese Zeit eine Veränderung bei Hofe, wodurch Lili von der Staatsverwaltung entfernt, und die schöne Alabanda, eine heimliche Gönnerin der Feuerfarbnen, die Vertraute oder vielmehr die unumschränkte Beherrscherin des Sultans Azor wurde. Dieser günstige Umstand machte den Feuerfarbnen Luft, und verhütete den gänzlichen Ausbruch eines allgemeinen Bürgerkrieges. Alabanda hatte zwar große Lust ihren Freunden eine vollständige Rache an den Blauen zu verschaffen; aber Kalafs Anhang war zu groß, und der Ausgang eines Bürgerkrieges zu ungewiß, als daß ein solcher Anschlag bei den Häuptern der Feuerfarbnen selbst Eingang gefunden hätte. Man begnügte sich also auf beiden Seiten einen Vertrag zu Stande zu bringen, wodurch die Sachen in eine Art von Gleichgewicht gesetzt wurden. Indessen zeigte sich in der Folge, daß der Altertumsforscher Gorgorix der Nation durch seine Entdeckung eine Wunde geschlagen hatte, welche zwar zugeschlossen, aber nicht von Grund aus geheilt werden konnte. Das immer währende Gezänke der Bonzen; der Abscheu, welcher natürlicher Weise beide Parteien gegen einander erfüllen mußte, wenn sie dem Gegenstand ihrer Verehrung von der andern Partei mit Verachtung begegnen sahen; die Beeiferung sogar in den gleichgültigsten Dingen sich von einander zu unterscheiden: alles vereinigte sich, die Blauen und Feuerfarbnen mit einem unauslöschlichen Hasse gegen einander zu entzünden; mit einem Hasse, der nicht nur das zarte Gewebe der feinern Bande der Natur zerriß, sondern stark genug war, um von Zeit zu Zeit die gröbern Fesseln der bürgerlichen Verhältnisse zu zerbrechen. Er glich einem schleichenden Gifte, welches die ganze Masse des politischen Körpers ansteckte, und alle andre Gebrechen und Zufälle desselben bösartiger machte, als sie an sich selbst gewesen wären. Bei jeder Veranlassung brach das gärende Übel bald in diesem bald in jenem Teile des Reichs aus: und da der Hof weder mächtig genug war, eine von den Parteien gänzlich zu unterdrücken, noch weise genug, ein genaues Gleichgewicht zwischen ihnen zu erhalten; so drückte und verfolgte immer eine die andre wechselsweise, je nachdem sie in einer Provinz oder bei Hofe selbst die Oberhand hatte; und das Unglück der Nation wurde durch diese neue Klasse von Beschwerden, wie schimärisch auch die erste Quelle derselben war, so vollkommen gemacht, daß die Scheschianer sich endlich zum zweiten Male in der unseligen Lage befanden, das Ende ihres Elendes nur von einer gewaltsamen Staatsveränderung zu erwarten.«

Unter den Anmerkungen, womit der Sultan Gebal diese Erzählung etlichemal unterbrach, hat uns nur Eine wichtig genug geschienen, bemerkt zu werden. Er zweifelt nämlich, wie es möglich gewesen, daß eine Nation, die man uns (wenigstens von den Zeiten des Sultans Ogul an) in einem Zustande von Aufklärung und Verfeinerung vorstellt, dumm genug habe sein können, sich zum Opfer eines so albernen antiquarischen Streites machen zu lassen?

Die Auflösung, welche Danischmend von diesem Problem gibt, verdient wenigstens gehört zu werden. »Es ist wirklich eine klägliche Sache«, spricht er, »Geschöpfe unsrer Gattung ihres besten Vorzugs vor den übrigen Tieren auf eine so demütigende Art beraubt zu sehen. Und gleichwohl habe ich bisher von den Scheschianern nichts gesagt, was nicht, unter gewissen Voraussetzungen, so glaublich wäre als irgend eine andre natürlich Begebenheit. Diese Voraussetzungen sind zum Exempel – daß kein gewöhnlicheres Phänomen in der Welt ist, als Leute mit Vernunft rasen zu sehen; oder auch, zu sehen, daß sie bei tausend Gelegenheiten vernünftig, und in einer einzigen Sache unsinnig sind; – daß man zu allen Zeiten und auf allen Teilen dieses Erdenrundes sehr alberne Meinungen und sehr unsinnige Gebräuche im Schwange gesehen hat; – daß der Aberglaube, wenn er in Zeiten der Unwissenheit und der rohen Einfalt sich des Gehirns eines Volkes bemächtiget und etliche Jahrhunderte Zeit gehabt hat sich fest zu setzen, durch eine stufenweise zunehmende Aufheiterung zwar geschwächt, aber schwerlich anders als nach Verfluß eines langen Zeitraums, und durch eine ununterbrochene Fortdauer der Ursachen welche seinen Untergang befördern, so gänzlich vernichtet werden kann, daß die Überbleibsel davon nicht zuweilen in Gärung geraten, und wunderliche, auch wohl bösartige Zufälle veranlassen sollten. Überdies«, fährt er fort, »würde mir nichts leichter sein, als einen jeden Teil meiner Erzählung durch historische Beispiele dessen, was unter den abgöttischen Völkern des Erdbodens, und zum Teil unter den Moslemim selbst, vorgegangen ist, zu erläutern. Ich sehe nicht, warum die Scheschianer wegen ihrer Verehrung eines feuerfarbnen Affen mehr Vorwürfe verdienen sollten, als die weisen Ägypter wegen der Anbetung des Stiers Apis, und so vieler andrer Tiere, worunter auch Affen und Meerkatzen waren; und der Streit über die Frage, ob der große Affe blau oder feuerfarben sei, scheint mir jenen wohl wert zu sein, den die Stadt Oxyrynchus mit der Stadt Kynopolis, ihrer Nachbarin, über die Gottheit des Anubis und ich weiß nicht was für eines Meerfisches mit spitziger Schnauze, aus dem Geschlechte der Rochen, geführt haben soll, wenn wir einem der weisesten Männer des alten Gräciens glauben dürfen. Dieser Fisch, welcher der Schutzgott der Oxyrynchiten war, wurde von den Kynopoliten als ein bloßer Fisch behandelt, und also ohne Bedenken gegessen. Die Einwohner von Oxyrynchus, die dies natürlicher Weise sehr übel nahmen, glaubten ihren Gott nicht besser rächen zu können, als indem sie an den Hunden, welche zu Kynopolis heilig waren und auf gemeiner Stadt Unkosten unterhalten wurden, das Wiedervergeltungsrecht ausübten. Es entstand darüber ein so blutiger Krieg zwischen diesen beiden ägyptischen Städten, daß die Römer sich endlich genötigt sahen, die Wütenden mit Gewalt aus einander zu reißen.Plutarch in seiner Abhandlung von Isis und Osiris. Juvenal macht uns von einem ähnlichen Religionskriege zwischen den Ombiten und Tentyriten, welcher daher entstand,

              Quod numina vicinorum
Odit uterque locus, cum solos credat habendos
Esse Deos quos ipse colit – –

in seiner funfzehnten Satire ein schreckliches Gemälde. Die eine dieser Städte überfiel die andre zur Zeit eines großen Festes, wo man sich eines feindlichen Überfalls am wenigsten versah. Die Partie war sehr ungleich, sagt der Dichter; die guten Ombiten waren wohl bezecht, rosenbekränzt, von Salben triefend, und vom Tanzen müde; ihre Feinde hingegen desto erbitterter, weil sie nüchtern waren (hinc jejunum odium). Der Anfang der Feindseligkeiten wurde mit Worten gemacht; von den Worten kam es bald zu den Fäusten; auf beiden Seiten blieben wenig Nasen unbeschädigt usw. »Aber dies« (fährt der Dichter fort) »deucht den Unsinnigen nur ein Spiel; sie wollen nicht nur Blut, sie wollen Leichen sehen. Man wirft also eine Zeit lang mit Steinen auf einander; endlich ziehen die Tentyriten ihre Schwerter. Die Ombiten fliehen in zitternder Verwirrung; die Furcht beflügelt ihre Flucht; nur Einer hat das Unglück den erbosten Feinden in die Hände zu fallen; dieser Unglückselige wird sofort in Stücke zerrissen und mit Haut und Haar bis auf die Knochen aufgegessen. Sie nehmen sich nicht einmal die Zeit ihn zu kochen, sie fressen ihn mit hungriger Gierigkeit roh hinein, und wer glücklich genug ist ein Stückchen von diesem abscheulichen Fraß zu erwischen, glaubt niemals was Wohlschmeckenderes gekostet zu haben.« – – Ob übrigens dieser Religionskrieg der Ombiten und Tentyriten von jenem zwischen den Kynopoliten und Oxyrynchiten verschieden gewesen, oder ob nicht Juvenal vielmehr den letztern unter dem Namen der erstern, weil sie besser in den Vers passen, geschildert habe, wie Salmasius aus sehr gelehrten Gründen vermutet (in Solin. T. I. p. 317-21), ist eine Aufgabe, die wir primo occupanti überlassen, wofern sie anders ihren Meister nicht schon gefunden hat.

Anmerk. des latein. Übersetzers

Im übrigen läßt sich vermuten, daß der denkende Teil der Nation, das ist (nach der billigsten Berechnung) unter tausend Einer, den ganzen Streit eben so ungereimt gefunden haben werde als wir. Hingegen ist nicht weniger zu glauben, daß die meisten von diesem tausendsten Teile sich darum nicht weniger für einen von beiden Affen interessierten. Es ist mit einem alten Aberglauben eben so wie mit andern alten und unvernünftigen Gewohnheiten beschaffen. Man sieht die Torheit davon ein, man lacht darüber, man beweist sich selbst mit vielen Gründen, daß es Mißbräuche sind: aber gleichwohl beobachtet man sie nicht allein um der alten Gewohnheit willen; sondern man rechnet es noch demjenigen als ein Verbrechen an, der sich die Freiheit nehmen wollte davon abzugeben. Privatvorteile und Leidenschaften können wohl gar die Ursache sein, daß wir solche Mißbräuche, bei der völligsten Überzeugung daß es Mißbräuche sind, mit Eifer und Hitze verfechten. Man unterscheidet in solchen Fällen Theorie und Ausübung. Man behauptet einen nützlichen Mißbrauch, und lacht bei sich selbst der Toren, welche betrogen zu werden verdienen, weil sie betrogen werden wollen

Wir schließen diesen Auszug mit den eigenen Worten des weisen Danischmend, und mit einer Betrachtung, die wir von Herzen unterschreiben. »Die Ränke und Kunstgriffe«, spricht er, »welche von beiden Parteien angewandt wurden, einander zu schwächen und zu unterdrücken, – einander wechselsweise das Vertrauen des Königs und das Ruder des Staates aus den Händen zu winden, – oder sich dem Hofe furchtbar zu machen, und allen seinen Unternehmungen, unter dem Vorwande des gemeinen Besten, unübersteigliche Hindernisse in den Weg zu legen; – die Künste, welche gebraucht wurden, tausend streitende Privatvorteile mit dem Interesse der Parteien in einen wirklichen oder doch anscheinenden Zusammenhang zu bringen; – der schändliche Mißbrauch, den man zu Beförderung aller dieser Absichten mit den ehrwürdigen Namen der Religion, des königlichen Ansehens und des allgemeinen Besten trieb; – die unzähligen Auftritte von Ungerechtigkeit, Betrug, Verräterei, Undankbarkeit, Raubsucht, Giftmischerei, usw. welche unter diesen ehrwürdigen Masken gespielt wurden: alles dies würde überflüssigen Stoff zu einem ungeheuern Geschichtbuche geben, welches zu lesen nur die größten Verbrecher verdammt zu werden verdienen könnten. Unglücklicher Weise ist die Geschichte der polizierten Völker, wenn man ihre Kriege (einen andern Schauplatz von Abscheulichkeiten) abrechnet, beinahe nichts anders als dies. Für einen Menschen, der an den Schicksalen seiner Gattung wahren Anteil nimmt, ist es Pein, bei diesen ekelhaften und grauenvollen Gemälden zu verweilen. Das Herz des Menschenfreundes schaudert vor ihnen zurück. Ängstlich sieht er sich nach Szenen von Unschuld und Ruhe, nach den Hütten der Weisen und Tugendhaften, nach Menschen die dieses Namens würdig sind, um; und wenn er in den Jahrbüchern des menschlichen Geschlechtes nicht findet was ihn befriedigen kannWiewohl unstreitig etwas Wahres an diesem Gedanken des Philosophen Danischmend ist, so bleibt darum auf der andern Seite nicht weniger wahr, daß die Geschichte, mit beobachtenden Augen durchforscht, und mit philosophischem Blick aus erhabenen Standpunkten übersehen, eine Quelle sehr nützlicher Kenntnisse für den Bürger, für den Staatsmann, und selbst für den bloßen Weltbeschauer ist. Ein gelaßner und aufgeklärter Geist sieht durch das verworrene Gewebe der menschlichen Torheiten hindurch, und entdeckt in dem Zusammenhang und in der stufenweisen Entwicklung der großen Weltbegebenheiten den festen Plan einer alles leitenden höhern Weisheit; er ergetzt, ermuntert, und bessert sich bei dem Anblick des immer währenden Kampfes der Tugend mit dem Laster, der Vernunft mit den Leidenschaften, der Wahrheit mit dem Irrtum und Betrug, der Wissenschaften mit der Unwissenheit, des Geschmacks mit der Barbarei, und erkennt mit Anbetung die verborgene Hand des großen Urhebers der Natur, der aus diesem ewigen Streit in den Teilen, Ordnung und Harmonie im Ganzen hervorzubringen weiß. Die Geschichte des menschlichen Verstandes, die Geschichte der Tugend, die Geschichte der Religion, der Gesetzgebung, der Künste, der Handelschaft, des Geschmacks, des Luxus, und so ferner, sind eben so viele fruchtbare Gegenden der allgemeinen Geschichte, deren besserer Anbau die herrlichsten Vorteile für die spekulativen und praktischen Wissenschaften verspricht. Weit entfernt also die Geschichtskunde gering zu achten, wünschten wir vielmehr, es allen Studierenden, und überhaupt allen, welche weiser und besser zu werden wünschen, einleuchtend machen zu können, daß die Geschichte, mit wahrer Sokratischer Philosophie verbunden, das höchste und wichtigste Studium eines Menschen ist, der mehr als eine tierische Maschine sein will; und wir haben diese Anmerkung bloß darum beigefügt, um so viel an uns ist zu verhindern, daß niemand einen unbescheidenen und übertriebenen Hang zu Romanen und Feenmärchen mit dieser Stelle des weisen Danischmend zu rechtfertigen vermeine. So gewiß indessen der hohe Wert der Geschichtskunde ist, so ist doch nicht zu leugnen, daß die gerümpfte Nase, womit gewisse Geschichtsforscher auf alles was die Form der Erdichtung hat herab sehen, Unbilligkeit und lächerliche Pedanterei ist. Den Wenigen, denen ihr Beruf zu erforschen was geschehen ist keine Erholungsstunden übrig läßt, ist es wohl zu gönnen, wenn sie abgehärtet genug sind, die Abscheulichkeiten der Byzantinischen Historie oder der Regierung einer Maria von England mit eben dem kalten Blute zu lesen, womit ein Zeitrechner untersucht, in welchem Jahre der Welt der König Misfragmuthosis zu Diospolis regiert habe. Aber ihr Beispiel oder ihr Geschmack macht keine Regel; und empfindsame Seelen werden – beim Anblick alles des Bösen, was auf diesem Sonnenstaube, den wir bewohnen, Geschöpfe von einerlei Gattung getan haben, um einander ein Leben von etlichen Augenblicken zu rauben oder zu verbittern – sich nur allzu oft genötigt fühlen, mit dem weisen Danischmend in die möglichen Welten der Dichter zu fliehen; und sie können deswegen hinlänglich gerechtfertiget werden, auch ohne daß man den Platonischen Grundsatz, welchen Bacon von Verulam zum Vorteile der Dichtkunst geltend macht, dazu vonnöten hat, vermöge dessen das, was wir hier nur für ein Erholungsmittel geben, sogar zu einer sehr wesentlichen Beschäftigung wird. , flüchtet er lieber in erdichtete Welten, zu schönen Ideen, welche, so wenig auch ihr Urbild unter dem Monde zu suchen sein mag, immer Wirklichkeit genug für sein Herz haben, weil sie ihn (wenigstens so lange bis er durch Bedürfnisse oder unangenehme Gefühle in diese Welt zurück gezogen wird) in einen angenehmen Traum von Glückseligkeit versetzen, – oder, richtiger zu reden, weil sie ihn mit dem innigsten Gefühle durchdringen, daß nur die Augenblicke, worin wir weise und gut sind, nur die Augenblicke, die wir der Ausübung einer edlen Handlung, oder der Betrachtung der Natur und der Erforschung ihres großen Plans, ihrer weisen Gesetze und ihrer wohltätigen Absichten, – oder der Freundschaft und Liebe, und dem weisen Genusse der schuldlosen Freuden des Lebens widmen, – daß nur diese Augenblicke gezählt zu werden verdienen, wenn die Frage ist, wie lange wir gelebt haben

Der sinesische Herausgeber dieser wahrhaften Geschichte sagt uns, daß der Sultan über dem letzten Teile der Rede des weisen Danischmend eingeschlafen, und dieser also genötigt worden sei, mit weiterem Moralisieren einzuhalten; ein Umstand, der uns, wie er vermutet, verschiedene schöne Betrachtungen entzogen hat, welche der indostanische Philosoph über diesen Teil der Geschichte von Scheschian noch gemacht haben könnte.

Des folgenden Abends befahl ihm der Sultan, über den Rest der Regierung des unglücklichen Azors so schnell als nur immer möglich sein würde, hinweg zu glitschen. »Es gibt« (sprach er) »gewisse Leute, die gar zu dumm sind, wie sogar mein guter Oheim Schach-Baham irgendwo angemerkt hat; und gewiß ist dieser Azor einer aus dieser Klasse. Man kann nicht bald genug mit ihm fertig sein.«


 << zurück weiter >>