Christoph Martin Wieland
Der goldne Spiegel
Christoph Martin Wieland

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8.

Ungeachtet der launischen Art, wie Schach-Gebal seinen so genannten Freund Danischmend zu Bette geschickt hatte, fand er doch so viel Belieben an der Unterhaltung, die ihm die scheschianische Geschichte gab, daß er die Zeit, die dazu ausgesetzt war, diesmal gegen seine Gewohnheit beschleunigte, weil er neugierig war zu hören, wie Danischmend es anfangen würde, um aus dem jungen Tifan einen so großen König zu machen als er versprochen hatte. Danischmend fuhr also in seiner Erzählung fort, wie folgt.

»Der junge Tifan hatte auf seiner zweijährigen Reise viel gelernt; denn er kannte nun die Menschen wie sie sind; und die Festigkeit, zu welcher, ehe sich Dschengis mit ihm in die Welt hinaus wagte, seine aus der Natur eingesogenen Grundsätze gelanget waren, sicherte seinen Kopf und sein Herz gegen alle die schädlichen Eindrücke, welche gewöhnlich die Folgen des Kontrastes zwischen dem was ist, und dem was sein sollte, in jungen Gemütern zu sein pflegen. Er überzeugte sich bis zum innigsten Gefühl, daß die Menschen unrecht hätten, so zu sein wie sie sind.

›Wenn man ihnen‹, sagte er zu seinem Mentor, ›den Vorzug der Vernunft vor den übrigen Tieren nicht absprechen kann, so muß man doch gestehen, daß sie sich derselben so schlecht bedienen, daß es beinahe besser für sie wäre, dieses gefährlichen Vorzuges gar zu ermangeln. Denn welches Tier ist nicht in seiner Art weniger elend als der Mensch? Sie sind weise in Kleinigkeiten, und Toren in Sachen wovon das Glück ihres Lebens abhängt; sinnreich, wo es darum zu tun ist sich selbst zu hintergehen, und blöde genug sich von andern mit offnen Augen betrügen zu lassen. Sie könnten frei sein, sind geboren es zu sein, beweisen sich's selbst, daß Freiheit eine unentbehrliche Bedingung zur Glückseligkeit und Vollkommenheit vernünftiger Wesen sei; und sind bei allem dem Sklaven, sind es so sehr, daß sogar unter zwanzig unumschränkten Sultanen kaum Einer sich erwehren kann, der Knecht seiner Weiber, oder desjenigen der ihm seine Weiber hütet, oder irgend eines andern noch verächtlichern Geschöpfes zu sein.‹«

»Wohl beobachtet, Tifan!« rief der Sultan Gebal, weil ihm in diesem Augenblick ein paar Sultanen einfielen, die das Unglück hatten, sich in diesem Falle zu befinden, und weil Seine Hoheit über dem Vergnügen, in eben diesem Augenblick über allen solchen Schwachheiten empor zu schwimmen, Sich nicht erinnerte, wie oft in Seinem Leben dies auch Sein eigener Fall gewesen war.

»›Die Freiheit‹ (fuhr Tifan fort), ›womit sich die Menschen so viel wissen, ist so wenig für sie gemacht, daß sie, sobald sie Mittel finden, sich ihrer zu bemächtigen, ein so kostbares Gut zu nichts zu gebrauchen wissen, als sich selbst und andern Schaden damit zu tun. Die einzigen freien Menschen, die wir auf unsrer Reise gesehen haben, waren Räuber oder herum streichende Bonzen. – Eben so widersinnig gehen sie mit den Gesetzen um, von welchen sie zu glauben vorgeben, daß ohne sie keine Ordnung, keine Sittlichkeit, kein besonderer noch allgemeiner Wohlstand möglich sei. In allen Staaten, die wir gesehen haben, fanden wir die kleinere Zahl einzig bemüht, die Gesetze zu durchbrechen, und die größere, unbemerkt unter ihnen wegzuschlüpfen. Die Religion, hörten wir sagen, ist das Ehrwürdigste, das Beste, was der Himmel den Sterblichen geben konnte: aber mir deucht, sie spielen mit ihrer Religion, wie sie mit ihren Gesetzen spielen. Unter allen diesen unzählbaren Braminen und Bonzen, wovon wir die Länder um den Indus und Ganges wimmeln sahen, mögen wohl einige sehr ehrwürdige Personen sein; aber die meisten widerlegen ihre Lehren so augenscheinlich durch ihre Handlungen, daß man keine andre Wahl hat, als sie entweder für wissentliche Betrüger, oder für Unsinnige zu halten, die das Gift selbst verschlucken, vor welchem sie andre warnen.

Von welcher Seite ich die Menschen ansehe, finde ich sie in Widerspruch mit sich selbst; und immer machen sie von dem, wodurch sie besser und glücklicher werden könnten, einen so ungeschickten oder unbescheidenen Gebrauch, daß es in ihren Händen ein Werkzeug ihres Elendes wird. Sie stellen sich als ob sie die sinnlichen Wollüste verachteten, und überfüllen sich damit so oft sie nur können. Die Tugend, sagen sie, ist des Menschen höchstes Gut; und bei jeder Gelegenheit verkaufen sie ihr höchstes Gut um – verächtlichen Gewinst, oder um einen angenehmen Augenblick. Sie haben sich ihrer Sicherheit wegen in große Gesellschaften vereiniget; und verlieren in ihnen unvermerkt alles das was sie in Sicherheit bringen wollten. Sie schmeicheln sich, die Herren der übrigen Geschöpfe zu sein; alle Elemente sind uns dienstbar, sagen sie, die Welt ist unser: und unter jeder Million dieser Herren der Welt sind wenigstens neunmal hunderttausend, welche ihren Anteil an diesem prächtigen Titel um den Zustand der Elefanten des Königs von Siam gern vertauschen würden.

Was soll man von einer so seltsamen Gattung von Geschöpfen denken? Liegt ihre Ähnlichkeit mit den unschuldigen und gutartigen Menschen, unter welchen ich aufgewachsen bin, nur in der äußerlichen Gestalt? Oder wie war es möglich von ihrer ursprünglichen Natur so sehr abzuarten? Was nützen ihnen alle ihre vermeinten Verbesserungen des natürlichen Zustandes, ihre Gesetze, ihre Polizei, ihre Künste, wenn sie nur desto unglücklicher sind, je mehr sie Mittel zum glücklichen Leben haben?‹

›Der Mensch‹, antwortete Dschengis, ›kommt unvollendet, aber mit einer Anlage zu bewundernswürdigen Vollkommenheiten aus den Händen der Natur. Die nämliche Bildsamkeit macht ihn gleich fähig, sich die Form eines Gottes – oder die Mißgestalt eines Ungeheuers aufdrucken zu lassen. Alles hängt von den Umständen ab, in welche er beim Eintritt in die Welt versetzt wurde, und von den Eindrücken, die sein wächsernes Gehirn in der ersten Jugend empfing. Bleibt er sich selbst überlassen, so wachsen seine Neigungen in wilder Üppigkeit mit ihm auf, und seine edelsten Kräfte bleiben unentwickelt. Lebt er in Gesellschaft, so nimmt er unvermerkt die Sprache, die Manieren, die Sitten, die Meinungen, das Interesse und den Geist der besondern Gesellschaft an, die ihn umgibt; und so verbreitet sich das Gift der physischen und sittlichen Verderbnis, wenn es einmal den Zugang in diese Gesellschaft gefunden hat, unvermerkt durch die ganze Masse aus. Der Mensch wird gut oder schlimm, aufrichtig oder falsch, sanft oder ungestüm, blödsinnig oder witzig, träg oder tätig, je nachdem es diejenigen sind, von welchen er sich immer umgeben sieht. Und wiewohl keiner ist, der nicht etwas von der besondern Anlage zu einem eigentümlichen Charakter, womit ihn die Natur gestempelt hat, beibehielte; so dient doch dies in großen Gesellschaften meistens nur die Anzahl der übel gebildeten und grotesken sittlichen Formen zu vermehren. Je größer diese Gesellschaften und je größer die Menge der kleinern ist, aus welchen sie, wie die Zirkel in dem Weltsystem unsrer Sternseher, zusammen gesetzt sind, je mehr diese verschiedenen kleinen Kreise einander drücken und pressen, je häufiger die Leidenschaften, Vorteile und Ansprüche in diesem allgemeinen Gewimmel an einander stoßen; desto mehr geht von der ursprünglichen Gestalt des Menschen verloren. Eine sehr kleine und von der übrigen Welt abgeschnittene Gesellschaft erhält sich ohne Mühe bei der angebornen Einfalt und Güte der Natur. Hingegen ist es eine schlechterdings unmögliche Sache, daß etliche Millionen, welche zusammen in Einem Staate von mäßiger Größe, oder etliche hunderttausend, welche in Eine Stadt zusammen gedrängt leben, einander nicht in ziemlich kurzer Zeit sehr verderben sollten, wofern der Gesetzgeber nicht ganz besondere Sorge getragen hat, dem Übel des Zusammenstoßes der Interessen, und dem noch größern Übel der sittlichen Ansteckung durch weise Einrichtungen zuvorzukommen.‹

›Und wie könnte dies geschehen?‹ fragte Tifan.

›Durch eine sehr einfache Veranstaltung‹, antwortete Dschengis. ›Es geschieht, indem man verhindert, daß die Hauptstadt eines ganzen Reiches zu keiner übermäßigen Größe anwächst; indem man die Stände, deren Unterschied aus der Natur der bürgerlichen Gesellschaft entspringt, wohl von einander absondert, und dafür sorget, daß jeder Ursache habe, mit dem seinigen zufrieden genug zu sein, um zu den höhern ohne Neid hinauf zu sehen; indem man allen Ursachen einer allzu großen Ungleichheit zuvorzukommen oder doch zu wehren sucht; und, was das wichtigste ist, indem man die Vermehrung der Einwohner auf alle nur ersinnliche Weise zu befördern, hingegen Müßiggang, Üppigkeit und allzu große Verfeinerung des Geschmacks und der Lebensart eben so eifrig zu verhindern bemüht ist.‹

›Aber‹ (wendete Tifan ein) ›wenn die Menschen desto mehr zur Verderbnis geneigt werden, je zahlreicher sie sind, wie kann die möglichste Bevölkerung des Staats unter die Mittel gegen die Verderbnis gehören?‹

›Nicht die Menge der Bürger an sich selbst‹ (erwiderte Dschengis), ›sondern die allzu große Verwicklung ihrer Interessen, der häufige und starke Zusammenstoß ihrer Forderungen, die verhältniswidrige Ungleichheit unter den Ständen sowohl, als unter den Gliedern des nämlichen Standes, und die übermäßige Bevölkerung einer einzigen Hauptstadt und Provinz auf Unkosten der übrigen – sind die Ursachen dieser allzu großen Gärung, welche den Staat zur Fäulnis geneigt macht. Ein zahlreicher Adel von mittelmäßigem Vermögen ist einem großen Reiche eben so nützlich, als ihm der unmäßige Reichtum einiger wenigen und die Armut der meisten übrigen schädlich ist. Eben so zieht der Staat viel mehr Vorteile davon, wenn ein Vermögen von zehn Millionen unter hundert Handelsleute verteilt, als wenn es in den Händen eines einzigen ist; und eine Million arbeitsamer Leute, welche Mühe haben das Notwendige zu erwerben, sind dem gemeinen Wesen nützlicher als hunderttausend, welche im Überflusse leben. In einem großen und von der Natur reichlich begabten Staate, wie Scheschian zum Beispiel ist, können, wenn er wohl organisiert ist, schwerlich zu viel Menschen sein. Alles kommt darauf an, sie gehörig zu verteilen, und durch Unterhaltung eines Kreislaufs, der jedem Teile seine erforderliche Nahrung zuführt, zu verhindern, daß kein Teil auf Unkosten der übrigen zu einer verhältniswidrigen Größe anschwelle.‹

Unter tausend solchen Gesprächen, welche, so nützlich sie für den jungen Tifan waren, Seiner Hoheit nicht anders als lange Weile machen könnten« – »Weiß der Himmel!« rief der Sultan gähnend – »kamen Tifan und Dschengis in Scheschian an, wo nach dem Entwurfe des weisen Alten ihre Wanderungen sich endigen sollten. Die unglücklichen Folgen der tyrannischen Regierung Isfandiars hatten damals eben ihre höchste Stufe erreicht. Tifan, so viel Mißbräuche, so viel Torheit, so viel Ungerechtigkeit er auch in andern Ländern gesehen hatte, konnte sich kaum aus der Bestürzung erholen, in welche ihn der elende Zustand von Scheschian setzte. Sein Begleiter versäumte nichts, ihm den ausführlichsten und vollständigsten Begriff davon zu verschaffen. Er führte ihn von Provinz zu Provinz; er zeigte ihm den gegenwärtigen Verfall; er machte ihm begreiflich, in welchem blühenden Zustande sich jede, nach Verhältnis ihrer natürlichen Beschaffenheit, Lage und Beziehung auf die übrigen, unter einer weisen Staatsverwaltung hätte befinden können; und entwickelte den Zusammenhang der Ursachen, welche dieses große Reich in allen seinen Teilen zu Grunde gerichtet hatten. Bei dieser Gelegenheit erzählte er ihm die wichtigsten Veränderungen, welche es seit einigen Jahrhunderten erlitten hatte, schilderte den Geist der verschiedenen Regierungen, und zeichnete die wichtigsten Fehler aus, welche seit den Zeiten der Königin Lili gemacht worden waren. Er zeigte ihm, wie leicht es gewesen wäre jedem Mißbrauche zu rechter Zeit abzuhelfen; wie natürlich es zugehe, daß diese Mißbräuche durch den Aufschub der schicklichsten Hülfsmittel endlich unverbesserlich werden; und wie unvermeidlich der Untergang auch des mächtigsten Staates sei, wenn der Luxus seinem eigenen Lauf überlassen, und den verderblichen Folgen desselben nicht eher, als bis sie die Eingeweide des Staats angefressen haben, und auch alsdann nicht anders als durch hitzige Mittel und gewaltsame Operationen, begegnet werde.«

Hier unterbrach Schach-Gebal die Erzählung durch einen Einwurf, der vermutlich auch auf der Zunge mancher Leser schwebt. »Alles dies«, sagte er, »ist ganz gut; aber ich begreife doch nicht recht, wie der ehrliche Tifan, der von seiner Geburt und vermutlichen Bestimmung nichts wußte, alle diese politischen Untersuchungen interessant genug, und überhaupt wie er begreiflich finden konnte, daß Dschengis sich so viele Mühe gab, ihn aus einem Bauer zu einem Staatsmanne umzubilden.«

»Ich gestehe«, sagte Danischmend, »daß ich diesem Einwurfe hätte zuvorkommen sollen. Tifan zeigte von seiner ersten Jugend an ungewöhnliche Fähigkeiten. Eine glückliche Empfindlichkeit entwickelte frühzeitig alle Kräfte seiner Seele. Sein Verstand kam den Unterweisungen seines Lehrmeisters auf halbem Wege entgegen. Sein Herz war zur Dankbarkeit, zur Freundschaft und zum Wohltun aufgelegt. Immer empfand er die Freude oder die Schmerzen derjenigen, die er liebte, stärker als seine eigenen. Er kannte keine süßern Augenblicke als diejenigen, worin er ihnen Vergnügen machen, oder irgend eine Unlust von ihnen entfernen konnte. Mit einer solchen Seele fühlt man, sobald man einige Kenntnis der Welt erlangt hat, einen innerlichen Beruf zu der edelsten Art von Tätigkeit. Ich glaube schon bemerkt zu haben, daß der junge Tifan, von der Stunde an, da ihm Dschengis einen Begriff von dem wirklichen Zustande der menschlichen Gattung gegeben hatte, den Geschmack an seinem eigenen Glücke verlor, und vor Begierde brannte, dem Elende seiner Mitgeschöpfe abzuhelfen; – einer Begierde, die in gewissem Sinn etwas Romanhaftes hatIn der Tat fällt das Ungereimte in dem Verhältnis der Kräfte eines einzelnen Menschen, gegen die ungeheure Unternehmung allen Unbilden und Fehden in der Welt steuern zu wollen, einem jeden in die Augen. Und gleichwohl ist nichts wahrscheinlicher, als daß ein Dutzend Don Quichotten, die sich mit einander verständen, und, anstatt auf die Feinde des Don Gaiferos und der schönen Melisandra, auf die Feinde des menschlichen Geschlechtes mit eben dem Mute, mit welchem der Held von Mancha seine schimärischen Gegner bekämpfte (nur freilich mit einem gesundern Kopfe als der seinige war), los gingen, – die Gestalt unsrer sublunarischen Welt binnen einem Menschenalter mächtig ins Bessere verändern würden. , aber dem ungeachtet die Leidenschaft großer Seelen und die Mutter der schönsten Taten ist. Dschengis bediente sich dieser Augenblicke, den Prinzen zur künftigen Entdeckung seines Standes vorzubereiten. Er machte ihm Hoffnung, daß er vielleicht bestimmt sein könnte, seines Wunsches in einem höhern Grade, als er nach seinen itzigen Umständen hoffen dürfte, gewähret zu werden; und bestätigte diese Hoffnung durch eine Menge von Beispielen großer Männer, welche aus der Dunkelheit hervor gegangen waren, um Wohltäter des menschlichen Geschlechtes zu werden. ›Die edlen Triebe, die du in dir fühlst‹, sagte er zu ihm, ›sind ein angeborner Beruf zu einer erhabenen und wohltätigen Bestimmung. Vielleicht hat die Vorsehung dich zum Werkzeuge großer Dinge ausersehen. Ist dies ihre Absicht, so wird sie uns Wege dazu eröffnen, von welchen wir uns itzt nichts träumen lassen. Dermalen kommt alles darauf an, daß wir nichts unterlassen was von uns abhängt. Bemühe dich, mein lieber Tifan, die Kenntnisse, die Geschicklichkeiten, die Tugenden zu erwerben, die eine solche Bestimmung voraussetzt; das übrige ist die Sache des Himmels.‹

Tifan kann also, da er seine Reisen unternahm, als ein junger Mensch betrachtet werden, der eine zwar noch unbestimmte aber doch entschlossene Neigung in sich fühlt, irgend eine edle Rolle auf dem Schauplatze der Welt zu spielen; und so ist, wie mich deucht, der Einwurf gehoben, den Ihre Hoheit gegen die Schicklichkeit der politischen Erziehung meines jungen Helden zu machen geruht haben.«

»Aufrichtig zu sein, Danischmend«, sagte der Sultan, »alles was mich an der Sache verdrießt, ist, daß ich nicht so glücklich war, in meiner Jugend einen Dschengis zu finden. Der arme Schach-Baham! Ihm kam es zu, einen solchen Mann für mich zu suchen. Aber es hätten zehen tausend Dschengisse in Indostan leben können, ohne daß er einen einzigen von ihnen ausfündig gemacht hätte. Für ihn waren alle Menschen gleich, diejenigen ausgenommen, welche Märchen erzählen und Bilder ausschneiden konnten; denn diese waren die großen Männer in seinen Augen. – Fortgefahren, Herr Danischmend!«

»Dschengis hatte, nach einem Aufenthalte von etlichen Monaten in Scheschian, hohe Zeit mit seinem Untergebenen unsichtbar zu werden; denn die Kundschafter, deren Eblis eine große Menge in allen Teilen des Reiches unterhielt, hatten ihm Nachricht von unsern Wanderern gegeben, welche seine argwöhnische Aufmerksamkeit rege machten. Aber durch die Vorsichtigkeit des alten Mentors waren sie in ihrer unbekannten Freistätte schon wieder geborgen, als der Befehl zu ihrem Verhaft anlangte.

Der junge Tifan ruhte einige Tage in den Armen seiner geliebten Tili von den Beschwerden einer mühsamen Reise aus. Der Genuß der lang entbehrten häuslichen Glückseligkeit, das Vergnügen, die Gespielen seiner Kindheit und die Gegenden, wo seine Seele die ersten angenehmen Eindrücke bekommen hatte, wieder zu sehen, schien eine Zeit lang diejenigen ausgelöscht zu haben, welche seine Wanderungen durch Scheschian in seinem Gemüte zurück gelassen hatten. Aber diese Erinnerungen wachten bald nur desto lebhafter auf; sie verfolgten ihn allenthalben; und verbitterten die Wonne seines Lebens. Sein Herz machte ihm Vorwürfe, so oft er sich der Freude überließ; es war ihm, als ob er einen Genius in seine Seele flüstern höre: ›O Tifan! kannst du dich freuen, da Millionen Geschöpfe deiner Gattung so elend sind?‹

Bald nach seiner Zurückkunft brachen die öffentlichen Unruhen in Scheschian aus. Dschengis, welcher Gelegenheit gefunden hatte, mit einem zuverlässigen alten Freunde das vertraute Verständnis ihrer jüngern Jahre wieder zu erneuern, erhielt von ihm durch geheime Wege die genaueste Nachricht von allem was vorging. Er teilte sie wieder mit dem jungen Tifan, der vor Ungeduld brannte, die gemißhandelten Scheschianer an ihren Tyrannen gerochen zu sehen; und nun glaubte der Alte, daß es Zeit sei einen neuen Schritt zu tun, um den Prinzen zur Mitteilung seines großen Geheimnisses vorzubereiten. Er entdeckte ihm also, daß er selbst aus einem edeln Geschlechte in Scheschian abstamme; daß er ehmals öffentliche Würden am Hofe des Königs Azor bekleidet habe, und ein Vertrauter des einzigen Bruders dieses Fürsten gewesen sei, aber bald nach dem Tode des letztern, weniger um seiner persönlichen Sicherheit willen, als aus gänzlicher Überzeugung von seiner Unnützlichkeit unter der neuen Regierung, sich in dieses Gebirge zurück gezogen habe, um in ungestörter Ruhe der Erziehung seines geliebten Tifan sich widmen zu können.

›Aber nun‹ (rief Tifan mit aller der Wärme, worein ihn diese Entdeckung gesetzt hatte) ›was säumen wir, unser Blut einem Vaterlande anzubieten, welches in den letzten Zügen liegt, und alle seine Kinder um Hülfe, oder, wenn Hülfe zu spät kommt, wenigstens um Rache anruft?‹

Dschengis hatte einige Mühe dem Prinzen begreiflich zu machen, daß Rechtschaffenheit eben sowohl als Klugheit ihnen nicht eher gestatten könne, eine Partei zu ergreifen, bis auf eine zuverlässige Art entschieden sei, auf welcher Seite sich das stärkste Recht befinde. ›Isfandiar‹, sagte er, ›hat wie ein Tyrann regiert; aber sein Erbrecht an die Krone ist unstreitig und unverletzlich. Die Nation ist schuldig ihn für ihren König zu erkennen. Es ist wahr, sie hat Rechte, welche eben so heilig sind als die seinigen; und sie ist so wenig verbunden alles zu leiden, als er berechtigt ist alles zu tun. Aber vielleicht geht Isfandiar in sich; vielleicht gibt er billigen Vorschlägen Gehör, und vielleicht ist mehr Erbitterung, Rachsucht und Eigennutz als wahre Vaterlandsliebe in den Bewegungsgründen der Häupter der Empörung. Die Zeit muß uns hierüber Licht geben. Sobald Pflicht und Ehre uns auf die eine oder auf die andere Seite rufen werden, dann wollen wir gehen.‹

Der junge Tifan sah einer entscheidenden Nachricht mit Ungeduld entgegen. Aber die Zwischenzeit wurde nicht ungenützt vorbei gelassen. Dschengis, der sich in seiner Jugend den Ruhm eines guten Officiers erworben hatte, las unter den Gespielen seines Pflegesohns einige der stärksten und gewandtesten aus, um sie nebst Tifan in allen Arten von kriegerischen Übungen zu unterweisen. Er vermehrte sie mit einer Anzahl auserlesener junger Tatarn, welche er durch Geschenke und Hoffnungen in seine Dienste zog. Tifan tat sich bald unter dieser mutvollen Jugend hervor; er gewann ihre Liebe in einem so hohen Grade, und schien ihnen allen so unstreitig der wackerste und beste aus ihrem Mittel zu sein, daß sie ihn einmütig zu ihrem Anführer erwählten; ein Umstand, der in den Augen des erfreuten Alten von glücklicher Vorbedeutung war. Nach einiger Zeit langte die Nachricht von dem Tode des Königs an, und von der Zerrüttung, in welche das erbenlose Reich dadurch gestürzt worden sei. Nun war es nicht länger möglich den jungen Tifan zurück zu halten; und nun glaubte Dschengis, daß es Zeit sei, sich seines Geheimnisses zu entledigen.«

Schach-Gebal, dem dieses Geheimnis schon bekannt war, erklärte sich, daß er für diesmal genug habe, und entließ Danischmenden mit der Versicherung, daß es ihm nicht zuwider sein würde, der Fortsetzung dieser Geschichte zuzuhören.


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