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Die Sache mit Förster Treschau, der durch einen Fehlschuss ums Leben gekommen war, hatte sich vor acht bis zehn Tagen zugetragen.

Die seltsamsten Gerüchte summten in dieser Veranlassung durch die Stadt. Alle hatten von seinen Liebeleien gewusst. Und sein Verhältnis zu Michaela von Löwenfeldt hatte seit Jahren den Unterhaltungsstoff für Söby und Umgegend gebildet.

Hierzu kam nun noch der Damenhandschuh, der in der Nähe der Leiche gefunden war.

Fräulein von Löwenfeldt und der Förster gingen häufig zusammen auf Jagd. Aber an dem Nachmittag, als er starb, waren er und »Rinaldo« allein im Hochwald gewesen.

Das konnte Holzschuhmacher Niels wie auch die Schweden-Marie bezeugen. Sie hatten ihn begrüsst, und er hatte fröhlich wiedergegrüsst und nach Rinaldo gepfiffen ...

Aber dann, eine gute Stunde später, als es schon angefangen hatte zu dämmern, hatte Waldhüter Jörgensen ihn gefunden. Er lag quer über dem Mosederwege, mausetot und mit einer Schusswunde hinter dem rechten Ohr. Seine Büchse war leer; neben ihm lagen zwei Hasen und im Gestrüpp, ein wenig weiterhin, ein Rehbock. Das Ganze sah ziemlich selbstverständlich aus: Er war gestrauchelt, der Schuss war losgegangen und hatte ihn hinter das Ohr getroffen; die Kugel war ins Gehirn gedrungen und er war sofort tot gewesen.

Aber dann war da ja dieser Damenhandschuh!

Und dass er Fräulein Michaela gehörte, das hatte sie selbst eingeräumt, als man ihn ihr gezeigt hatte.

– Entweder müsse sie ihn einmal verloren haben, als sie auf der Jagd war, meinte sie, – oder auch, Treschau hatte ihn ihr weggenommen. (Hier errötete sie.) Er verfolgte sie ja mit seiner wahnsinnigen Verliebtheit... Nun, sie war aber wohl nicht die einzige! Sein Herz war scheinbar sehr geräumig gewesen! ... Den Handschuh hatte sie übrigens nicht vermisst, ehe sie ihn sah. Sie hatte ja so viele Handschuhe.

Diese Erklärung gab das Fräulein kalt und ruhig ab. Ausgenommen also, als sie des Försters Verliebtheit erwähnte.

Der Kammerherr war an dem Tage, als das Unglück passierte, auf einer Treibjagd in der Nachbarschaft gewesen. Und Michaela selbst hatte mit Kopfschmerzen zu Bett gelegen. Nur am Nachmittag hatte sie sich eine halbe Stunde unten bei ihren Hunden aufgehalten. Als sie von dort heraufkam, hatte sie ein Antifebrinpulver genommen und war wieder zu Bett gegangen.

So verhielt sich die Sache.

Aber da war ja dieser Handschuh ...!

 

»Und nun liegt er, Treschau, unter dem Rasen ...« sagte die Elster; sie und Madam Svendsen waren wieder auf das jähe Ende des Försters zurückgekommen. » Aber wäre das irgendeine andere als Michaela gewesen, die in die Sache emballiert gewesen wär', denn hätten wir allerlei erleben können!«

»Ja–a ...« nickte Marthe, »die Grossen wissen sich immer um die Ecke zu drücken! ... Hat sie noch all ihre Hunde?«

»Ja, die hat sie noch ... vierzehn sagen sie. Was muss sie ja auch haben, um sich die Zeit zu vertreiben ... Und in allen Grössen ...!«

»Sie sollt' lieber was Vernünftiges vornehmen!«

»Das braucht sie nich. Sie kriegt ja das Gut. Sie is einziges Kind.«

»Wer das glaubt! ...« entgegnete Marthe pfiffig.

»Ja, das heisst ›eheliches‹; die unehelichen spielen ja keine Rolle nich, hack, hack!« krächzte die Elster.

»Da kommt dein Mann!«

Bernhard war aus der Schenkstube hereingekommen.

»Schuster Hansen, Marthe,« fragte er geschäftig, »wie steht es mit Schuster Hansen, können wir ihm noch Kredit geben?«

»Wieviel hat er schon stehen?«

»Elf Kronen und vierzig ... Nu is er dadraussen und bestellt für sich und zwei Bekannte ...«

»Ja–a, schreib du man an; der is ganz sicher. Wir haben ja auch was bei ihm stehen.«

Die Elster zeigte auf die Genossenschaftsfrucht, die selig, mit geschlossenen Augen dalag und aus der Flasche lutschte.

»Ein prächtiges Kind, Terkildsen!« sagte sie.

»Ja, prächtig! ...« nickte Terkildsen. »Dann kreid' ich also für den Schuster an?« fragte er seine Frau. »Kreid' du man an!« antwortete sie. »Was macht Hundertundelf?«

Bernhards kleiner Körper richtete sich straff auf.

»Immer hast du was gegen Grossvater!«

Marthes Gesicht schwoll an:

»Er soll sich doch wohl nützlich machen für Kost und Logis!«

» Das kannst du mir ruhig überlassen!«

Bernhard drehte sich rund herum wie ein Kreisel und ging.

»Dieser kleine Spirrfix,« höhnte die Madam hinter ihm drein. »Jo–se–fi–ne!«

Das Mädchen steckte die Locken herein:

»Was wollen Sie ... Da sind Gäste!«

»Was macht Hundertundelf?«

»Der schläft – er war ja wieder knallduhn. Terkildsen sagt, er soll sich amesieren, solange die Madam zu Bett liegt.«

Und weg war sie.

Madam Svendsen schlug wütend mit der Hand auf das Deckbett:

»Man muss wohl sehen, dass man aus den Federn kommt!« sagte sie.

Und da fiel Rikke eine Bosheit ein. Sie lag auf der Hand, aber merkwürdigerweise war sie ihr bisher nicht in den Sinn gekommen:

»Sind Josefine und Terkildsen nich so ungefähr gleich alt?« fragte sie ganz unschuldig.

Aber ihre kleinen rotgeränderten Elsteraugen leuchteten vor Bosheit wie Phosphor.

 

Michaela von Löwenfeldts Hunde: Freja.

Grand Flachlandnois, blaugrau mit weisser Brust, weissen Socken und weisser Schwanzspitze. Hündin. Schön, angenehm, liebenswürdig, aber ein wenig indolent; vielleicht dumm. Steht in intimem Liebesverhältnis zu unten erwähntem Hektor; gibt sich ihm aber scheinbar mehr hin, um ihm ein Vergnügen zu bereiten, als um ein tieferes Bedürfnis bei sich selbst zu befriedigen. Ist allem Anschein nach unfruchtbar, da sich bis dato nie Früchte dieser Verbindung eingestellt haben. Kann an Winterabenden stundenlang vor dem flackernden Kaminfeuer in des gnädigen Fräuleins Kabinett sitzen, tiefsinnig in die Flammen starren und interessant aussehen, was häufig mit weniger begabten weiblichen Existenzen der Fall sein soll. Ist von Eltern mit einem bedeutenden Stammbaum gefallen. Was vielleicht hinreichend die obenerwähnten hervorragenden Eigenschaften erklärt.

Mit diesem Hunde lässt Fräulein Michaela sich photographieren, wenn sie in Strassentoilette ist.

Hektor.

Gordonsetter. Vetter zweiten Grades von Sr. Hoheit Fürst Jochums XVIII. zwei berühmten Leibhunden gleicher Rasse. Schöner Haarwuchs und guter Behang, aber mit einem leider nicht ganz reinen Schwanz. Ist in den Flegeljahren und wirft daher infolge seiner unbeherrschten Bewegungen oft Ständer, Vasen, Nippesgegenstände und Blumentöpfe um; läuft trotz Verwarnungen und Püffen quer über frisch gesäte Rasenplätze und Blumenbeete. Wurde nach einer stürmischen, jugendbrausenden, alle Rücksichten beiseitesetzenden Werbung der oben erwähnten Freja monopolisierter Liebhaber. Doch, wie bereits erwähnt, ohne Folgen. Liegt in beständigem Guerillakrieg mit unten erwähntem Jakob Hansen. Ist im übrigen gutmütig und unbezwingbar lebensfroh, obwohl er der Prügelknabe des Hofes ist und oft von dem Fräulein, seiner Herrin, ohne triftigen Grund gezüchtigt wird. Dies mag als Beispiel dafür dienen, wie hoch ein natürlicher, gesunder und bereitwillig befriedigter Liebesdrang eine männliche Natur über die vielfachen Scherereien und Widerwärtigkeiten des Lebens hinwegtragen kann.

Darum: Ehre den Frauen!

Mit Hektor lässt sich das gnädige Fräulein im Reitkleid photographieren.

 

Diana.

Glatthaariger Hühnerhund. Schwarz ohne Abzeichen. Von hervorragend liebenswertem Gemüt und mit einem fruchtbaren Trieb, Mutter zu werden. Kaum hat man ihr einen Wurf junger Hunde ertränkt, als sie auch schon wieder auf irgendeine mystische Weise mit dem nächsten belastet ist. Schläft viel, ist ein wenig träge, macht aber doch regelmässig einsame Wanderungen in Feld und Wald, auf welchen Ausflügen, wie man meint, das Unglück geschieht.

Wird zusammen mit dem gnädigen Fräulein photographiert, wenn diese im Jagdkostüm ist.

 

Jakob Hansen.

Schwarzer Schnurpudel. Exzentrisch an Seele und Leib. Nie in Ruhe. Heftig, schnell zum Zorn geneigt, stolz mit einem Anflug von Hochmut. Entschlossen. Treu gegen Freunde. Unversöhnlich gegen Feinde. Dabei hinterlistig, feige, diebisch, sinnlich, naseweis, kurz, etwas von einer Künstlernatur. Von Söby auf das Schloss gekommen, weil er sich in der Stadt durch seine erotischen Exzesse unmöglich gemacht hatte. Sprang einmal durch ein Fenster in der Stiftspropstwohnung, wo die Stiftspröpstin mit ihrem Schosshund, einem russischen Mops, sass, den Jakob in den »Anlagen« getroffen und in den er sich ohne Ziel und Grenzen verliebt hatte, obwohl er nur einem Branntweinbrenner gehörte. Sollte einmal aufgehängt und ein paarmal erschossen werden, kam aber alle Male mit dem Leben davon. Lief dann dem Branntweinbrenner fort und logierte sich in dem vornehmsten Hotel des Städtchens ein, angezogen von dem reichlichen Abfall, hauptsächlich jedoch wohl von dem neckischen Foxterrier des Wirts. Wurde hier eines Abends um die Zeit des Martinstages von seiner jetzigen Besitzerin gesehen, die sich von seinem Namen und seiner Spiritualität angezogen fühlte und ihn für eine Gans und zwei Stiegen Eier kaufte. Wurde in der Nacht gebunden nach Löwenholm geführt und am Morgen losgelassen und kräftig gefüttert. Worauf er sich augenblicklich in alle auf dem Hofe anwesenden Hündinnen verliebte, wie er auch im Laufe der zunächst folgenden Tage und Nächte zahlreiche illegitime Verbindungen in der Umgegend einging. Duldet ungern Vertreter seines eigenen Geschlechts in seiner unmittelbaren Nähe, weswegen, wie bereits oben erwähnt, beständig Scharmützel zwischen ihm und dem Gordonsetter Hektor stattfinden, während er jedoch gleichzeitig klug genug ist, eine Art bewaffneten Neutralitätsbündnisses mit Prinz (siehe unten), Fräulein Michaelas Lieblingshund, zu schliessen. Treibt im übrigen seine Antipathie gegen Nebenbuhler so weit, dass er sogar einen finsteren Groll gegen Familien hegt, die Hunde männlichen Geschlechts halten. – Kann, wenn er guter Laune ist, reizende Kunststücke machen, wie »sitzen«, über Spazierstöcke springen und mit geschlagenem Zucker auf der Nase gehen. Führt diese Kunststücke auch aus, wenn er durchaus dazu gezwungen wird, tut es dann aber mit einem bösen Ausdruck in den Augen und verlässt in der Regel das Haus unmittelbar nach der Vorstellung, um mehrere Tage fortzubleiben. Verachtet schäbig gekleidete Personen und untergeordnetere Dienstboten. Betrachtet überhaupt das Gut als sein Privateigentum, weswegen er sich stets, wenn er in die Zimmer hinaufkommt, auf die weichsten Sofas und die bestgepolsterten Lehnstühle legt. Ist seiner Besitzerin und ihren bevorzugten Gästen gegenüber reichlich wedelnd, kritisiert sie aber scharf und treffend hinter ihrem Rücken. Woher er seinen etwas plebejischen Namen hat, ist ein Rätsel, da er in der Regel in seinem ganzen Auftreten an einen Hofchef oder einen ersten Lordkammerherrn erinnert. Ist wahrscheinlich ein Kind der Liebe. Das Freiluftprodukt eines Stammherrn und einer Zirkusprimadonna.

Lajla.

Dackel. Hündin. Ein kindlicher Körper, der eine grundverdrehte Seele umschliesst. Gehört zu einer uralten Familie, deren Mitglieder sich beständig untereinander verheiratet haben. Ist infolgedessen ein heuchlerischer, unreinlicher, kataleptischer Kopraphag und geheimen Lastern ergeben. Kurz: ein weiblicher Heliogabal, der mit relativem Schweigen übergangen werden muss.

Sascha.

Russischer Windhund. Mager, krankhaft, poetisch. Weiss mit blaugrauen Flecken. In Schweden geboren. Prüde und ablehnend den Hunden des andern Geschlechts gegenüber, betrachtet sie aber mit durchdringenden Blicken, sobald sie sich unbeachtet glaubt. Leidet an einer Hundekrankheit und erinnert überhaupt an eine ältere Gouvernante.

Der Prinz.

Terrier. Auf einem Schloss zwischen den Bergen in der Gegend von Edinburg geboren. Hat etwas von der ernsthaften Majestät und unerschütterlichen Beherrschtheit eines Hochschotten an sich. Daher der Name. Treu, gut, hochherzig. Höflich, würdig und gehorsam ohne Spur von kriechender Untertänigkeit Vorgesetzten gegenüber. Freundlich und entgegenkommend in seinem Verhältnis zu Untergebenen ohne eine Spur von der so unschmackhaften süsssauren Herablassung, die leider so oft Personen von Rang eigen ist. Ist kein Freund von vielen Worten, äussert aber nachdrücklich seine Ansicht, wenn er das zweckmässig findet. Ist Fräulein Michaelas Lieblingshund und weiss es, lässt es sich aber nicht merken. Hat keine Liebschaften auf dem Schloss, da er der korrekten Auffassung huldigt, dass man sein Heim respektieren soll. Hat jedoch versucht, Freja zu seiner legitimen Gattin zu machen, doch sass ihm das Ziel zu hoch. Hält sich deswegen in dem nahegelegenen Dorf ein paar Dämchen, die er hin und wieder auf ein paar kurze Stunden mit seinem Besuch beehrt. Wandert nach einer solchen Visite langsam durch den Wald zurück, in tiefe Gedanken versunken, und von Zeit zu Zeit sein königliches Haupt schüttelnd über die sonderbaren Funktionen, die ein Wesen hier auf Erden auszuführen hat, um seine Gesundheit einigermassen ungeschädigt zu bewahren. Verbringt darauf den Rest des Tages ein wenig matt in einem Lehnstuhl von passender Weichheit, wo er zu einem Knäuel zusammengerollt liegt und ein paar Pfund graumelierten Wollgarns gleicht, das in Unordnung geraten ist.

Wird zusammen mit dem gnädigen Fräulein photographiert, wenn sie in Gesellschaftstoilette ist.

 

Dies sind Michaela von Löwenfeldts Hunde, ihr täglicher Verkehr und ihr hauptsächlicher Zeitvertreib.

Doch ist zu bemerken, dass sie ein paar Tage nach Förster Treschaus traurigem Ende den Hühnerhund Diana eigenhändig erschoss und nie wieder auf Jagd ging.

Das Motiv unbekannt.


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