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Um vier Uhr bekamen die Erntearbeiter Vesperbrot, und die Herrschaft Kaffee ...

Knagsted hatte einen Gang durch den Garten und auf die Felder hinaus gemacht. Seine sentimentale Seele hatte so recht geschwelgt in dem heiligen Land der Erinnerungen, in dem er jeden Baum, jeden Graben, jede Wagenspur kannte ...

Jetzt sass man um den Kaffeetisch im Wohnzimmer.

»Dort am Fenster stand Mutters Fenstertritt mit ihrem Nähtisch,« erklärte der Zöllner. »Und ich entsinne mich noch ...«

»Still!« sagte der Gutsbesitzer und lauschte. »Was ist das für ein Raunen draussen auf der Diele?«

Im selben Augenblick wurde an die Tür gepocht. Ein junger Mann trat ein, verneigte sich stumm und stellte sich aufrecht an den Türpfosten rechts.

Der Mensch war nahe daran, vor unterdrücktem Lachen zu ersticken. Sein Gesicht war krebsrot, und er biss sich verzweifelt in die Lippe, um nicht loszuplatzen.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie?«

Meincke drehte sich auf dem Stuhl herum und seine Frau erhob sich ängstlich.

Es konnte nämlich auch so aussehen, als wenn der Bursche an der Tür im Begriff sei, in Weinen auszubrechen ...

Dann klopfte es wieder. Ein junges Mädchen trat ein, machte einen Knicks und stellte sich links von der Tür auf.

»Was zum Kuckuck ...«

Wieder klopfte es. Ein neuer Mann erschien, verneigte sich und nahm Platz neben Nummer eins.

Dann kam abermals ein Mädchen. Und dann wieder ein Mann.

Und so ging es abwechselnd weiter. Vierzehn Personen im ganzen.

Aber als Nummer zwölf den Kopf hereinsteckte (es war Mine), gerieten sie alle in Verwirrung, die zur Linken wie die zur Rechten, und sie knickten zusammen, mit einem vielfarbigen Gelächter, hell und ausgelassen von Seiten der Mädchen, mehr brummend und beherrscht von Seiten der Kavaliere.

Schliesslich erschienen Christian Werner und Line. Sie kamen auf einmal. Das Lachen der andern hatte ihnen ihr Entree verdorben.

»Schafsköpfe!« sagte Line. »Ihr solltet doch nicht lachen!«

Aber sie lachten nur noch lauter, und sie stimmte selbst mit ein:

»Könnt ihr sehen, dass wir euch einen Streich gespielt haben, Zöllner!«

»Ja, Line hat sich das Ganze ausgedacht!«

Sie redeten alle durcheinander:

»Wir sind in dem grossen Kremser gekommen!«

»Der hält drüben am Wege!«

»Wir haben uns auf die Diele heraufgeschlichen!«

»Gott, wie bange waren wir, dass uns jemand hören würde!«

»Line hat Pardautz in den Holzschuppen eingeschlossen, damit er nicht bellen sollte!«

»Ihr Galgenstricke! Ihr Galgenstricke!« lachte der Gutsbesitzer.

»Aber nun sollt ihr Kaffee haben ...! Tassen und Kuchen her, Mutter!«

»Ja, die Jugend muss mir aber helfen!«

»Kommt!« rief Line. »Wir wollen alle vierzehn in die Küche hinausgehen und Kaffee machen!«

»Ja–h–h ...!«

»Nein, nein, nein! Niemand weiter als meine eigenen beiden!«

Frau Meincke und ihre Töchter gingen, und es trat ein wenig mehr Ruhe ein ...

»Sag mir doch nur einmal, Christian,« fragte der Gutsbesitzer, »wie kannst du eigentlich heute von Hause fort, wo ihr doch bei der Ernte seid?«

»Ich habe frei, weil mein Geburtstag ist.«

»Das ist ja auch wahr: Gratuliere!«

»Er wird dreiundzwanzig Jahre alt.«

»Und Vater hat ihn zu Ehren des Tages zum Unterverwalter ernannt!« erzählte eine der Schwestern.

»Gratuliere abermals, mein Junge!« sagte Meincke und drückte ihm die Hand. »Ja, so ein Bursche wie du fehlt uns hier auf dem Gut. Mutter hat nur Mädchen rausgerückt.«

»Darüber können Sie sich freuen, Herr Gutsbesitzer,« meinte eine der jungen Damen. »Jungens sind so eingebildet!«

»Und doch könnt ihr nicht ohne sie fertig werden, ha, ha, ha! ... Stellt euch nun mal alle in einer Reihe auf, damit ich erfahren kann, wie ihr heisst! ... Christian, willst du die wilden Tiere vorstellen ... Paarweise sollt ihr stehen ... Ja, einzelne von euch kenne ich freilich.«

Die ganze Gesellschaft stellte sich auf, Christian Werner nannte die Namen, und Meincke streichelte den jungen Mädchen die Wangen:

»Ach ja,« sagte er. »Wie war es doch schön in dem Alter, du lieber Gott!«

»Hört, hört!« brummte der Zöllner ...

Und dann kamen die vierzehn Tassen Kaffee und drei gehäufte Schüsseln mit Kuchen.

»Steckt euch die Taschen voll, Kinder!« riet der Gutsbesitzer. »Es ist angenehm, Vorrat auf der Reise zu haben!«

»Siehst du wohl, Zöllner,« fragte Line, die an Knagsted herangetreten war, »dass wir doch zu dir zurück kamen, obwohl du uns weggejagt hattest.«

»Ja, das war hübsch von euch ...« nickte der Zöllner und ergriff ihre Hand.

»Line,« rief Meincke, und er lachte, so dass es gluckste. »Findest du nicht auch, dass der Zöllner Ähnlichkeit mit einem Heuschober hat, mit all dem Haar und Bart?«

»Ja!« lachte sie zurück, »so sieht er, weiss Gott, aus!«

Knagsted stand auf und breitete die Arme aus:

»Willst du mal in den Schober rauf?«

»Nein, nein,« schrie sie und zog sich wie in Angst zurück.

»Aber Line ...« beschwichtigte Frau Meincke.

»Ja ... ich ... ich weiss nicht ... Verzeih, lieber Zöllner ...« sagte sie und kehrte zu ihm zurück. »Aber du sahst wirklich so gierig aus.«

»Ja, nimm du dich nur in acht,« lächelte er, »es ist gefährlich, sich mit mir einzulassen!«

»Ich glaube wirklich, du bist gefährlich geworden, ja ... ach lass dir doch das Haar und den Bart wieder abnehmen ...?« bat sie einschmeichelnd, »so kenne ich dich gar nicht.«

»Nein,« lächelte der Zöllner. »Davon kann keine Rede sein! Bedenke, wie es dem seligen Simson bei einer ähnlichen Gelegenheit erging ...«

Als der Kaffee getrunken und der Kuchen verzehrt oder in die Tasche gesteckt war, setzte sich die Jugend wieder in den Kremser, der inzwischen vor der Tür vorgefahren war.

Sie sassen zu Sechsen auf den beiden langen Bänken und zwei bei dem Kutscher, paarweise dicht nebeneinander ...

»Gott soll mich bewahren!« sagte der Gutsbesitzer, als das Fuhrwerk vom Hof herabfuhr. »Nicht wahr, Mutter!«

»Ja, Meincke!« nickte Frau Trine. »Das war dazumals!« Der Zöllner, der hinter ihnen stand, nickte ebenfalls und sagte:

»Ja, das ist der Fluch einer glücklichen Jugend, dass man sie nie vergessen kann!«

 

Am Abend, nach beendeter Mahlzeit, sassen die drei »Alten« im Wohnzimmer um den ovalen Tisch unter der Hängelampe und spielten Whist mit einem Blinden.

Pardautz lag in seinem Korb am Ofen und schlief. Das Gesinde war zur Ruhe gegangen; es war herrlich still im Hause ...

»Sie geben, Zöllner ... Mutter mischt.«

»Sagen Sie mir doch, Zöllner, warum haben Sie eigentlich nie geheiratet?« fragte Frau Meincke.

»Hm, ja ... warum, warum und warum, liebe Frau Trine ... Warum ist Pardautz keine Kommode geworden?«

»Ein süsses kleines Weibchen am Tisch und im Bett ist im Grunde gar nicht zu verachten,« meinte der Gutsbesitzer und strich seiner Frau zärtlich über das Haar.

»Und wenn ich sieben hätte,« sagte Knagsted, »ich könnt' es nicht aushalten! ... Und dann hat die Sache ja auch den Haken, dass eine Frau nicht jünger wird.«

»Jünger ...?« fragte Frau Trine.

»Ja, allmählich, während der Mann älter wird, meine ich ... so zum Beispiel, dass sie, wenn er achtzig würde, zehn wäre.«

Der Gutsbesitzer nickte.

»Das hat was für sich ...!«

»Und ausserdem,« endete Knagsted, »wenn man auf die Dauer Gentleman sein will, muss man unverheiratet bleiben. Die Frau zieht hinab.«

»Ha, ha, ha!« lachte Meincke. »Grand!«

»Sagst du nun schon wieder Grand, Meincke! Du pfuscherst!«

»Ich möchte dich doch darauf aufmerksam machen, dass Knagsted gegeben hat ...«

»Dann pfuschert der auch! Sehr ritterlich, das muss ich sagen!«

Frau Meincke spielte mit dem Blinden ...

»Übrigens träumte ich neulich nachts, ich hätte mich verheiratet,« fuhr Knagsted fort.

»Nun,« fragte Frau Trine interessiert, »mit wem denn?«

»Ja, das weiss ich nicht ... Aber stellen Sie sich doch das vor: sie verlangte, mit am Tische zu essen! ... Aber dann wachte ich, Gott sei Dank, auf!«

»Ha, ha, ha!« lachte Meincke abermals. »Kannst du Cœ-Ass stechen, Mutter?«

»Hast du das auch! Du hast doch auch alles! Nein, das kann ich natürlich nicht stechen! ... Mit bei Tische essen?« wandte sie sich an den Zöllner. »Meinen Sie, dass eine Frau nicht mit bei Tische essen soll?«

»Hm, ja, das soll sie ja nun einmal – leider! Und das ist der Grund, warum ich mich nie verheiratet habe. Das ist der einzige Punkt, wo ich es mit den Bauern halte: die lassen sich von der Madam aufwarten ... und sie kann dann hinterher in der Küche essen.«

»Ach was! Das meinen Sie ja alles gar nicht so!«

»Wahrhaftig meint er das so, Katrine! ... Treff-Ass, Dame, Bube, Zehn, Neun ... kleiner Schlemm! Warum hast du auch den König vorhin abgeworfen!«

Frau Trine warf die Karten hin:

»Banditen!« sagte sie. »Ihr seid ein Paar wahre Banditen!«

Meincke lachte und braute sich einen frischen Whisky:

»Du solltest auch ein Glas trinken, Mutter.«

»Nein ... aber gib mir eine Zigarette.«

»Ha, ha, ha! Nun kommt Leben in die Alte!«

Der Gutsbesitzer holte die Zigaretten aus seinem Zimmer.

Knagsted strich ein Streichholz an.

»Sie können also doch galant sein?«

»Grosser Gott, ja! Wissen Sie, wie ich einmal eine Dame behandelte, die ich in einem Konzert traf?«

»Nein ...?«

»Es war bei Beethovens neunter Symphonie im Konzertpalais, damals, als ich in der Hauptstadt wohnte.«

»A–h, Beethovens Neunte!« sagte Frau Trine träumerisch. »Hier drüben hören wir ja nie Musik.«

»Nun, was taten Sie der Dame an?« fragte Meincke.

»Ja,« fuhr Knagsted fort. »Ich hab' es ja nun mal so an mir, dass ich mich wütend an Leuten sehen kann ... Und da sass denn eine Dame, eine von diesen langen, mageren, mit einer Stangenlorgnette, nur ein paar Plätze von mir entfernt ... sie erinnerte übrigens an die Bürgermeisterin Rosenbaum ...«

»Der Baum der Erkenntnis von Gift und Galle!« lachte der Gutsbesitzer.

»Ihr seid selbst ja auch nicht um ein Haar besser!« meinte Frau Trine.

»Bewahre sind wir so ... Weiter, Zöllner!«

»... Auf die hatte ich also schon lange ein Auge geworfen,« fuhr der Zöllner fort. »Jedesmal, wenn etwas so recht Schönes kam, seufzte sie und stöhnte, als wenn sie siamesische Zwillinge bekommen sollte, und störte uns anderen ganz die Andacht ...

Und da auf einmal fühle ich, wie mich etwas so schrecklich am Halse sticht; und als ich zugreife, krieg' ich einen mächtigen Floh gefasst ... Der kam natürlich von ihr!«

»Aber wenn sie doch drei Plätze von Ihnen entfernt sass!« wandte Frau Meincke ein.

»Er kam aber doch von ihr; ich konnt' es an dem Biss merken; das Vieh war ganz ausgehungert, denn bei ihr war nichts zu holen gewesen ... Und wissen Sie, was ich dann tat?«

»Ja–h, ja–h,« der Gutsbesitzer schüttelte sich vor Lachen. »Aber erzählen Sie nur!«

»... Ich stand auf ... es war mitten während des Engelschors ... schlich mich hinter die Dame und liess ihr das Tier auf ihren Rücken herunterfallen. Sie war natürlich ausgeschnitten, das Ungetüm! Und nach einer Weile hätten Sie nur sehen sollen, wie sie drauflos juckte ...! Ich habe nie etwas unternommen, was mir eine so tiefe, seelische Befriedigung gewährt hat, kann ich Ihnen versichern!«

»Ha, ha, ha!« lachte Meincke.

»Sie sind ja boshaft,« sagte Frau Trine.

»Ja,« nickte der Zöllner, »nach schwachen Kräften ... Sie hätten nur sehen sollen, wie sie auf dem Stuhle herumwippte ... Und dabei war sie so geschnürt, dass sie nicht an den Tatort gelangen konnte. Sie klopfte sich mit der Stangenlorgnette und versuchte, sie hinter das Korsett hinunterzubohren, sie focht mit den Armen in der Luft herum und hörte kein Wort von der Musik. Schliesslich wurde sie wahnsinnig ... Und nun soll sie, wie man sagt, in einer Irrenanstalt herumgehen und glauben, dass sie die Direktrice eines Flohtheaters ist; und darüber freue ich mich, denn dann sind wir sie doch los!«

»Ha, ha, ha!« lachte der Gutsbesitzer. »Was sagst du dazu, Mutter?«


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