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Thorwald hatte das Teegeschirr herausgeholt. Der Zöllner und Mademoiselle sassen nebeneinander auf dem Sofa.

»Ist es nicht ein wenig ... sonderbar für Sie, hier in der Stadt aufzutreten?«

»Ja ... Konnten Sie mir das gestern abend nicht ansehen?«

»Nein! Sie sahen ganz unverzagt und fröhlich aus.«

» Wirklich! Ach, das ist schön! ... Haben Sie den Jockei beachtet, der mich fing?«

»War das ... der ›Spiritist‹?«

Sie nickte plötzlich tief ernsthaft.

»Ach, er ist ein so prächtiger Mensch! ...« sagte sie.

»Und schön ...!« fügte Knagsted hinzu.

»Ja ... Ich bin so glücklich, dass er bei der Gesellschaft ist.«

»Das will ich wohl glauben!«

»Ach was!« Sie schlug den Zöllner auf den Arm. »Natürlich bin ich in ihn verliebt und ... und all dergleichen. Aber wir können auch miteinander sprechen; er ist ein gebildeter Mensch, so wie ich ... Die andern ... Ach, sagen Sie mir doch, ist es wahr, dass Treschau jetzt der Konsulin den Hof macht?«

»Das weiss ich wirklich nicht ...«

»Sie sind immer so vorsichtig; aber das ist gewiss klug ... Soll ich Ihnen etwas erzählen? Damals, als Treschau und ich gute Freunde waren, drohte Fräulein von Löwenfeldt dadraussen, ihn zu erschiessen!«

»Nein, wirklich!«

»Ja! Sie wäre wie ein Panther, sagte er ... Sie können sich keine Vorstellung davon machen, wie sie ihn liebt. Es existieren buchstäblich keine anderen Männer für sie auf der Welt. Was für Szenen zwischen ihnen stattgefunden haben!

Einmal hat sie die Pistole in der Hand gehabt und auf ihn gezielt; das hat er mir selbst erzählt; aber dann schlug er gegen ihren Arm, so dass der Schuss in die Luft ging ... Wie herrlich muss es sein, so geliebt zu werden! ... Ich weine immer nur ...« (sie lächelte) »und tröste mich.«

»Aber du lieber Gott,« nickte Knagsted, »das ist doch auch das einzig Vernünftige.«

»Meinen Sie? Ich sollte meinen, das lässt auf Leichtsinn schliessen ...« Sie lehnte sich fast geniert nach dem Zöllner hinüber und zupfte an seinem Rockaufschlag: »Aber wenn dann so ein schöner Mann kommt und sagt, dass er einen anbetet ... und man es seinen Augen ansehen kann, dass es wahr ist ...«

»Dann betet man natürlich wieder an!« ergänzte Knagsted.

»Ja! Nicht wahr? Wie?« lachte sie. »Selbst wenn man nun alt wird, und da keine mehr sind, die sich was aus einem machen?«

»Hm – ja ... dann muss man dafür sorgen, dass man etwas hat, womit man sich trösten kann ... zum Beispiel: Spiritismus.«

Frau Magei legte den Kopf auf die Seite und sah zu dem Zöllner hinüber:

»Machen Sie sich auch lustig über mich?«

»Bewahre!« versicherte Knagsted. »Warum in aller Welt sollte ich mich wohl lustig machen?«

»Ja, aber Sie selbst?« fragte sie dann. »Womit würden Sie sich ›trösten‹?«

»Ich bin ja ein Mann!«

»Aber wenn Sie nun achtzig Jahre alt werden?«

»Das verhüte Gott!«

»Ja, aber wenn Sie trotzdem so alt werden?«

»Ja–a, dann fange ich am Ende wieder an, mit Zinnsoldaten zu spielen ... Jungens kommen immer durch die Welt ... Für euch Mädels ist es weit schlimmer; ihr seid geistiger veranlagt!«

Frau Magei seufzte tief:

»Ja, machen Sie sich nur lustig!« sagte sie. »Aber es ist wirklich schwer für Mädchen ... Nun, kommt Zeit, kommt Rat!« lachte sie dann. »Vorläufig habe ich keinen Grund zur Klage ... Sie können sich keinen Begriff davon machen, wie bezaubernd er in seiner Verliebtheit ist! So zärtlich und fein ... und dabei doch leidenschaftlich ...!« Sie erhob sich. »Aber jetzt muss ich gehen. Die Uhr ist sieben; und um acht Uhr fangen wir an ... Sie kommen doch heute abend wieder hin? Ach ja, bitte!« flehte sie, als sie etwas wie ein Zögern in dem Blick des Zöllners gewahrte. »Bitte? Dann ist doch wenigstens ein Mensch, der mich mit guten Augen ansieht ...?«

Knagsted nickte:

»Ich werde kommen!«

Sie fiel ihm um den Hals und küsste ihn:

»Danke! Danke! Danke! ... Aber, puh–h, dass Sie sich doch den Bart nicht abschneiden! Es ist gerade so, als wenn man einen Staubwedel küsst!«

Und sie nieste ...

 

Natürlich erschien Knagsted seinem Versprechen gemäss an den beiden letzten Vorstellungsabenden. Aber jetzt sass er in einer der ersten Reihen und leitete das Beifallklatschen, wenn der Künstlervorhang zurückglitt und Mademoiselle Magei in ihrem Florgewand auf dem Koliker hereingewumpt kam ...

 

Am Montag morgen war das Zelt verschwunden, und am Montag nachmittag kehrte Pastor Sörensen mit der kleinen Rigmor nach Söby zurück.

 

Aus Hanne Neumanns Tagebuch.

Zum erstenmal Feindschaft zwischen † und mir.

† hatte in der Stadt etwas davon gehört, dass ich mit Svend gegangen wäre. Ich kann mir recht gut denken, woher das gekommen ist; als ich eines Abends mit Agnes und »Löschpapier« gegangen war, hatte ich gesagt (damit Agnes glauben sollte, dass ich und † uns erzürnt hätten), Svend und ich wären dreimal um die Hintergärten herumgegangen. Und das hat dann Agnes zu – gesagt, denn »Löschpapier« gibt weder Nass noch Trocken von sich.

Ausserdem hatten sie erzählt, ich hätte Kai Augen zugeworfen und umgekehrt. (Wer die Klatscherei gemacht hat, weiss ich auch, denn das stammt von Olga.)

Und dann bin ich so unvorsichtig gewesen, Agnes zuviel davon zu erzählen, wie † und ich gute Freunde geworden wären; und alles, was ich gesagt hatte, das hat sie wieder an – ausgeplaudert.

Dass das – teilweise unangenehm war wegen seines Freundes (sie sind seit Hothers Tode wie ein Paar rote Kühe) und teils ärgerlich, kann ich sehr gut verstehen; – hat es dann an † gesagt, † ist rot und blass geworden und hat gesagt: »Auf Hanne hätte ich Häuser gebaut«!

Zwei Tage später bekam ich das Ganze von dem »Reserveleutnant« zu wissen, von diesem blondlockigen Knirps, dem alle ihre Herzen ausschütten.

Ach,wie fatal mir das ist!

Freitag:
Das
zwischen
mir und †
soll aufgehoben
und
vorbei
sein,
haben Olga und ich in der Singstunde beschlossen.

 

Jetzt ist es bis heute gut gegangen, nach dem Brief, den ich ihm geschickt habe, haben wir uns nicht einmal angesehen. Dann bekam ich etwas zu wissen, was mich sehr ärgert. Olga hat es mir erzählt; sie sagte, † ginge mit Agnes, die meine beste Freundin ist!

 

Wie schnurrig! An meinem Magen und unter meinen Armen fangen Haare an zu wachsen, ich erzählte es heute morgen in der Geographiestunde an Olga, sie sagte, bei ihr wäre es ebenso, sie sagte, das bedeutete, dass man erwachsen würde; das ist doch sonderbar. Und dann kommt Blut da unten, und das tut weh; aber Mutter sagt, das hat nichts zu bedeuten.

 

Heute habe ich Olga und † zusammen gesehen. Darum also war sie so erpicht darauf, dass ich es aufheben sollte. Ich bin zum Binden wütend; könnt' ich ihnen doch etwas antun! Ich hasse Olga und ich sage es an –, das kann ihr nichts schaden; er ist viel zu gut für sie.

 

Heute machen † und ich wieder einen Spaziergang auf dem Vibyer Wege. Er bat um Verzeihung. Aber ich habe ihm nicht verziehen.

 

Was haben wir für einen Spass in der Schule gehabt!

In »Lummers« zoologischer Stunde heute vormittag war Olga einmal unten auf dem Hof gewesen; aber sie stellte sich an und sagte, ihr würde schlecht, denn amüsant kann der Racker ja sein; aber »Lummer« sagte, sie dürfe nicht wieder raus. Da machte sie ihr Gesicht mit Kreide weiss und steckte sich ein paar Kirschen in den Mund, kaute sie, stiess einen Schrei aus und spuckte sie an den Fussboden. Alle wir andern schrien: Olga ist krank, sie bricht Blut und ist leichenblass! »Aber mein Gott, Kind, dann geh doch lieber nach Hause,« sagt »Lummer«. Und dann durfte sie gehen. Wir andern lachten, so dass ich mir die Hosen nassmachte, selbst das »Löschblatt« konnt' nicht an sich halten.

Sonntag.

Es ist etwas Trauriges geschehen:

Zum Frühstück kam Erich aus dem Garten und trug Mirja an dem einen Bein; sie war tot, irgend jemand hatte sie totgeschossen und über die Gartenmauer geworfen. Ach, wie haben wir doch alle geweint!

Heute nachmittag haben wir sie unten auf dem Farnenhügel in einem Zigarrenkasten begraben, der ganz mit weissen Astern und Grün angefüllt war. Das Kindermädchen Marie war Pastor, sie hatte Vaters Havelock um und einen Matrosenkragen von Erich. Sie redete so schön, dass wir wieder weinten.

Friede sei mit deinem Staub

steht mitten in einem reizenden Kranz, zu dem die Kinder das Grün gesammelt haben und den ich gebunden habe. Es war nur gut, dass Sonntag war, denn da hatten wir keine Schule.

 

Ich will nichts mehr mit † zu tun haben, nein, ich will nicht mehr; er grinste, als ich ihm von Mirjas Begräbnis erzählte. Und gestern abend hab' ich ihn mit Agnes gesehen. Jetzt hasse ich Agnes auch.

 

Olgas Onkel ist gestorben. Darüber ärgere ich mich, einesteils, weil nun kein Ball zu ihrem Geburtstag ist, und dann, weil sie nun einige Tage frei bekommt, dadurch wird sie so eingebildet.

 

Das »Löschblatt« und der »Reserveleutnant« haben sich scheinbar gefunden. Sie gingen heute abend und ströpten unten am Hafen herum. Na, mir kann es ja schnuppe sein!

Den 4.

Wieder mit † ausgesöhnt. Er hat schwören müssen. Um sieben nickte er mir vom Barbier Jakobsen zu. Ich hatte ihm befohlen, sich die Haare schneiden zu lassen, er sah schon ganz weibisch aus.

Heute abend um sechs gingen † und † Mutter vorbei. Ich stand hinter der Eingangspforte und hatte sie gesehen, tat aber ganz unbefangen. Ich begegnete jedoch dem Blick der Mutter und machte einen Knix. † nahm den Hut ab; es steht ihm wirklich mit dem kurzen Haar. Hinter ihnen her kam Onkel Zöllner, er drohte mir mit dem Finger, und ich wurde rot und lief weg. Er ist wirklich süss!

 

Heute Agnes und – zusammen gesehen. Das gönne ich Fräulein Olga!

 

Ich habe lange nicht in mein Tagebuch geschrieben. Es hat hier unter meiner Sprungfedermatratze gelegen. Ich bin krank gewesen und habe Fieber gehabt, aber jetzt ist es besser. Vater sagt, er freue sich eigentlich über meine Krankheit, denn Mutter geht ja immer herum und denkt an Hother, und das ist auch wirklich wahr. Heute ist Agnes zu Besuch bei mir gewesen; als Mutter hinausgegangen war, erzählte sie, jetzt wären Olga und † so gute Freunde, dass sie sogar gelacht hätten, als der Arzt gesagt hätte, ich schwebe in Lebensgefahr. Agnes selbst hat Olga – weggenommen, sagt sie.

Freundinnen
sind
wirklich
Pack!

 

Im Sportsaal lärmten die Kinder. Die Tür zum Atelier stand offen, und von Zeit zu Zeit kamen bald Erich, bald Else rot und warm vom Spiel hereingestürmt und zerrten den Vater am Malkittel, damit er kommen und sehen sollte, was für ein Kunststück sie jetzt ausfindig gemacht hätten.

Und Neumann stand geduldig auf und folgte ihnen. Stand eine Weile da und sah sich die »Kunst« an, klatschte den Auftretenden Beifall und schlich dann zurück an seine Arbeit. – –

Er hatte in einem Skizzenbuch geblättert und ein Motiv gefunden, das zu malen ihn reizte. Er hatte eine Leinwand in einem Blendrahmen auf die Staffelei unter das elektrische Licht gestellt, und sass nun da und zeichnete die Skizze mit einem Kohlenstift auf die Leinwand...

Es war ein drolliges Motiv. Und er lächelte vor sich hin, als er sich der Situation erinnerte:

Eines Abends, einmal im Sommer hatten er, Sonja und Hother unten auf der Bank unter den Linden bei der Kegelbahn hinter dem Spielplatz der Kinder gesessen. Die Sonne war zur Ruhe gegangen, die Dämmerung brach herein, alles war still. Auch Sonja, er und der Junge hatten lange stumm dagesessen.

Da hörten sie auf einmal ein feines kleines Knistern und Pusseln zwischen den Büschen hinter ihnen.

Unwillkürlich hatte er Hothers Hand ergriffen und »Still!...« gesagt.

Nach einer Weile kam ein Stachelschwein auf dem Kieswege zum Vorschein, sah sich vorsichtig mit seinen leuchtenden Stecknadelknopfaugen um, schnüffelte, prustete, drehte sich ein paarmal rund herum und eilte weiter. Dann kam noch ein Stachelschwein, wahrscheinlich die Madam. Auch sie prustete, aber lange nicht so männlich. Dann kamen eins... zwei... drei... vier Junge hintereinander dahergezottelt, nicht grösser als eine gute geballte Faust...

Vater hatte die Kegelbahn erreicht und war auf das Brett hinaufgeampelt. Mutter hinterdrein, ebenso drei von den Jungen. Aber das vierte, das kleinste, konnte nicht hinaufgelangen und stiess schwache, jammervolle Klagelaute aus. Die ganze Karawane machte halt. Vater stiess ein missbilligendes Grunzen aus: Verdammt und verflucht mit diesen Gören! Die warmherzige Mutter liess sich jedoch augenblicklich vom Brett herunterplumpsen, dort, wo sie stand, huschte geschwind zu dem Ausgangspunkt zurück und half dem Kleinen, indem sie es mit der Schnauze in das Hinterteil stiess.

»Hu–it ...!« platzten Sonja und Hother gleichzeitig los.

»Still doch!« warnte der Maler.

Die Stachelschweinmutter drehte scheu den Kopf herum und lauschte. Als aber alles ruhig blieb, huschte sie an ihren vorherigen Platz zurück, und der Zug setzte sich von neuem in Bewegung. Er glich einer Reihe kleiner in Mäntel gehüllter Verschworener, die der entscheidenden Versammlung entgegeneilten. Man hörte das leichte Kratzen der hundertundzwanzig schnellen Klauen gegen das Brett der Kegelbahn. Aber nach und nach verlor sich das Geräusch, und die Familie verschwand in der zunehmenden Dämmerung ...

Ja, das wollte er malen! Die ganze Abendstimmung sollte mit auf das Bild. Und er selbst, Sonja und Hother sollten auf der weissen Bank unter den Linden sitzen und mit verhaltenem Atem nach den Tieren ausspähen ... Er hatte sicher eine Skizze von Hother, die er benutzen konnte!

Wieder begann er im Buche zu blättern und wieder lächelte er.

Da war die Zeichnung vom Marktplatz!

Ein Kriegsinvalide, verkommen und versoffen, mit einem hölzernen Bein und einer eisernen Hand, stand da und leierte auf seinem Kasten eine schmachtende Melodie aus dem »Karneval von Venedig« herunter. Auf dem Bürgersteig sass ein riesenhafter Bernhardiner mit Leckaugen und weit aufgesperrtem Maul und weinte jammervoll im Takt zu der Musik; je höher die Töne stiegen, um so lauter heulte der Hund. Aber rings um das Tier herum tanzten in Scharen eine Menge lachender kleiner Kinder, entzückt, jubelnd, ausgelassen vor Freude ...

Auch diese Skizze sollte in Öl ausgeführt werden; die Farben würden das Bild noch lebendiger machen.

Und dann dies hier:

Vor einem niedrigen, offenstehenden Kellerfenster sass eine rotbunte Katze, steif, hypnotisiert, völlig versunken, nur die äusserste Spitze des Schwanzes lebte. Drinnen auf dem Fensterbrett standen zwei Vogelbauer. In dem einen sass in einem Ring ein grosser, giftgrüner, aufgeregter Papagei, in dem andern ein kleiner, jämmerlicher, zerzauster Kanarienvogel. Dem Papagei standen die Federn wild um den Kopf, er war wütend, man konnte förmlich hören, wie er schalt und schimpfte: Lumpenpack! Aas! Schafskopf! Schurke! Während der Kanarienvogel in der entferntesten Ecke seines Bauers auf einer Stange sass, zusammengekrochen, leer im Gehirn, vernichtet, flach vor Todesangst ...

Ha, ha, ha! Ja, dies Bild sollte auch gemalt werden!

Aber bald, bald! Er musste sich beeilen! Denn wenn sie jetzt nach Italien zogen, kamen ja so viele andere Vorwürfe ...

»Vater ...«

»Ja ...«

Else kam aus dem Sportsaal gelaufen. Sie trug einen bequemen Turnanzug: Beinkleider, Matrosenbluse und Leinwandschuhe.

»Kommst du jetzt, Vater?«

»Ja, aber ich ...«

»Du hast uns versprochen, zu kommen; es nützt dir nicht, wenn du auch mogeln willst.«

»Ihr spielt ja so ausgezeichnet.«

»Wir spielen viel besser, wenn du mit dabei bist!«

Neumann erhob sich:

»Plagegeist!«

»Kommt er?« tönte Hannes Stimme durch die Tür.

»Ja – ja!« Else zog ein Paar Turnschuhe unter dem Diwan hervor. »Wirf den Rock ab!« sagte sie. »Und mach deine Hosentaschen leer. Hier sind deine Schuhe.«

Der Maler warf lustig Rock und Weste ab, leerte die Taschen und wechselte das Schuhzeug.

»Nun,« fragte er, »ist es so gut?«

»Nimm auch den Kragen ab!«

Er nahm Kragen und Schlips ab, dann kauerte er nieder:

»Willst du reiten?«

Ihre Augen strahlten:

»Ja!« und sie kletterte auf seinen Rücken und setzte sich zurecht, ein kleines dickes Bein auf jeder Seite seines Halses.

»Ist Mutter heute abend wieder bei Pastor Sörensen?« fragte sie.

Ein nervöses Zucken huschte über Frank Neumanns Gesicht.

»Ja, das ist sie wohl ... Warum?«

»Hm ... dann können wir mehr Spass machen!«

Er seufzte.

Aber dann stiess sie ihn mit den Beinen gegen die Brust:

»Hüh!« sagte sie.

Und der Maler galoppierte mit ihr in den Sportsaal hinein ...

Hier waren die elektrischen Lampen angezündet: der Raum war hell und warm, und oben unter der weissen Decke zogen Diefenbachs schöne Kindergestalten auf ihrem Siegeszuge dahin: Per aspera ad astra ...

»Wir wollen fangen spielen!« rief Hanne.

Sie, Knud und Erich ritten, ebenfalls in Turnanzügen, oben auf dem obersten Balken des Kletterapparats.

Der Maler warf Else auf die Sprungmatratze ab und enterte die Strickleiter wie eine Katze. Aber im selben Augenblick, als er oben war, rutschten die Kinder an Stangen und Tauen herunter.

Und nun begann eine wilde Jagd rund um den Saal herum.

»Hoppla!« rief Neumann und setzte über das »Pferd« hinweg.

»Hoppla!« riefen die Kinder und suchten ihm das Kunststück nachzumachen.

Aber Erich kam nicht weiter als bis auf den Schwanz des Tieres hinauf, da hing er und heulte: miro, miro, miro! Else kugelte sich vor Lachen auf der Matratze herum.

Plötzlich blieb Hanne mitten im Spiel stehen und sagte ängstlich:

»Da ist Mutter ...!«

Frau Neumann erschien in der Ateliertür, in Trauerkleidung und vergrämt:

»Was für einen Lärm ihr doch macht ...« sagte sie und presste die Augen zu, als blende sie das Licht in dem weissen Raum.

Verlegen und scheu standen die Kinder da.

»Wir glaubten, du wärest nicht zu Hause,« entschuldigte sich der Maler. »Und die Kleinen müssen ja doch Bewegung haben, jetzt, wo sie nicht im Freien sein können ...«

»Ja, brauchen sie denn aber so zu lärmen ...?«

»Sonst amüsieren sie sich ja nicht ...« lächelte er.

»Nein ... sonst amüsieren sie sich wohl nicht...« Frau Sonja sprach, als seien ihre Gedanken meilenweit weg. »Wir wollen essen,« sagte sie dann. »Geht hinauf und macht euch zurecht, Kinder.«

Hanne nahm Erich und Else an die Hand:

»Darf Knud nicht mit essen, Mutter ...?« fragte sie.

Frau Neumann sah den fremden Knaben abweisend an:

»Meinetwegen gern ...«

Scheu schlichen die Kinder an ihr vorüber und hinaus ...

Der Maler war im Begriff, die Lampen im Saal auszulöschen. Diefenbachs fröhliche Friese schwanden mehr und mehr in die Finsternis hinein ...

»Hanne ist wirklich zu alt, um mit dem Jungen herumzurennen und zu tollen!« sagte Frau Neumann.

Der Maler trat an sie heran und wollte einen Arm um ihre Taille legen, aber sie machte sich frei.

»Sonja!« sagte er sanft, fast flehend, »siehst du denn nicht, Sonja, dass deine Kinder auf dem besten Wege sind, bange vor dir zu werden ...?«

Sie wandte sich unwillig um und schickte sich an zu gehen:

»Sie haben dich ja!«

Aber da brausten der Mann und der Zorn in ihm auf:

»Ja, wenn du nur an die Toten denkst, muss ich mich wohl der Lebenden annehmen!« sagte er hart.

Aber Frau Sonja war schon halbwegs im Atelier und antwortete nicht ...


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