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Fräulein Mine Meincke war vor einem halben Jahr als ausgelernte kleine Hausfrau nach Abildtorpegaard zurückgekehrt und ging nun Frau Trine in Küche und Keller zur Hand.

Sie war ein völliger Gegensatz zu der Schwester: klein, rundlich, dunkeläugig, harmonisch.

Knagsted war – »Gott steh mir bei!« wie Nasen-Fredriksen sagte – im Begriff, sich auch in sie zu verlieben. Doch wusste Line mittels ihrer beständig schillernden Chamäleonslaune in seinem Herzen die Tête zu behalten.

Sie war jetzt achtzehn Jahre alt, Mine zwanzig.

Sonntag für Sonntag stellte sich der Zöllner draussen auf dem Gut ein. »Dass du dich nicht unterstehst, nächsten Sonntag auszubleiben, Zöllner!« sagten die Mädels, wenn sie am Abend wetteiferten, ihm draussen auf der Diele in den Überzieher hineinzuhelfen. »Dass du dich nicht unterstehst, dich zu drücken!«

Und der Zöllner kam ...

Zuweilen machten sie lange Radelfahrten zusammen in der Umgegend, mit dem Frühstück in der Tasche ... und mit Essschokolade.

Die Mädels besassen zusammen nur ein Rad. In der Regel legte Line Beschlag darauf; und wenn Knagsted so hin und wieder einmal durchsetzte, dass jetzt die Reihe, mit ihm zu fahren, an Mine sei, konnte die andere so rasend werden, dass sie mit den Füssen stampfte und davonlief und für den ganzen Rest des Sonntags kein Wort mehr sprach.

Bis zum Abend also, wo sie sich wie gewöhnlich auf der Diele zum Abschied einstellte. Da konnte sie Knagsted einen wehmütig ersterbenden Blick zusenden und fragen: »Du kommst doch nächsten Sonntag wieder, Zöllner?«

»Ja, aber Line,« versuchte dann Mine, »wenn nun der Zöllner mehr Lust hat, andere von seinen Freunden zu besuchen, so ...«

»Das ist mir ganz schnuppe!« brauste die andere abermals auf. »Das kann er ja am Montag tun!« Aber dann besann sie sich, streckte die Hand aus und sagte mit ihrer weichsten und einschmeichelndsten Stimme: »Niemand hat ihn ja doch so lieb wie wir ... Nicht wahr, Zöllner; du kommst nächsten Sonntag? Womit sollen Mine und ich sonst wohl den ganzen Tag hinbringen ...«

Und der Zöllner drückte ihre ausgestreckte Hand und kam ...

Aber er sagte ja freilich bei der Heimkehr zu Jochum: »Jochum,« sagte er, »du musst nicht lachen; aber dies hier ist eine lächerliche Geschichte!«

 

Jeden Sonntag stellte sich Line todsicher bei dem Steinhaufen vor Post-Peters Haus ein, entweder allein oder in Gesellschaft der Schwester.

»Hier traf ich dich zum erstenmal, Zöllner!« sagte sie und schob ihren Arm in den seinen.

Der linke Arm gehörte ihr, der rechte der Schwester. Und die Freude wollte kein Ende nehmen, wenn sie lachend und plaudernd zusammen die Allee hinauf marschierten:

»Da ist er! Da ist er!« riefen die Mädels und rissen die Dielentür auf.

Herr und Frau Meincke kamen heraus und hiessen ihn willkommen:

»Wenn er auch, weiss Gott, nicht unseretwegen kommt, Mutter!« lachte der Gutsbesitzer. »Er kommt nur der Mädel wegen. Die denken kaum mehr an ihre alten Eltern!«

Da liess Line den Arm des Zöllners sinken, fiel dem Vater um den Hals und überschüttete ihn mit Küssen und Liebkosungen.

»Na, na, na! Aber Line! Line! ...«

»Schafskopf! Schafskopf! Schafskopf!« rief sie bei jedem Kuss, den sie gab. »Du weisst ja doch recht gut, dass es niemand mit dir aufnehmen kann!«

Aber dann war die Reihe, eifersüchtig zu werden, an Knagsted. Ein brennender Stich fuhr ihm durch das Herz, während er gleichzeitig ganz verzagt murmelte:

»Jochum, Jochum! Du Beichtvater meiner Seele und einziger Vertrauter, sag dies zu niemand, damit die Welt nicht umkommt vor Lachen!«

 

Auf den beiden letzten Radfahrten war Line, wie zufällig, in den Weg eingebogen, der nach Storgaarden führt. Und ebenso zufällig hatte der Sohn des Besitzers, der junge Christian Werner, entweder im Garten oder auf einem der Felder gestanden.

Und man hatte gegrüsst ...

Und dann eines Abends auf einem Sommermarkt in den »Söbyer Anlagen«, wozu Knagsted seine beiden kleinen Freundinnen eingeladen hatte, trafen sie – wahrscheinlich auch ganz zufällig – selbigen Christian Werner.

Er grüsste ehrerbietig. Und sie gingen zusammen weiter. Aber die Unterhaltung wollte nicht so recht wieder in Fluss kommen. Man wanderte schweigend unter den bunten Lampions in den Gängen umher.

Plötzlich blieb dann Line stehen und sah Knagsted förmlich wütend ins Gesicht:

»Schafskopf!« sagte sie. »Hast du deine Sprache verloren?«

Da riss dem Zöllner die Geduld. Ohne dem Mädel zu antworten, wandte er sich an Werner, sah nach der Uhr und sagte:

»Ach, Herr Werner, wollen Sie sich nicht, bitte, der Mädels annehmen und sie nach Hause begleiten? Ich habe Frank Neumann versprochen, um acht dabei ihm zu sein, und es fehlen nur noch zehn Minuten ... Guten Abend!«

Und ohne eine Erwiderung abzuwarten, nahm er den Hut ab und ging ...

Kaum hatte er den Rücken gewandt, als sich ein Arm unter den seinen schob.

»Zöllner ...« bat Lines Stimme, ach so demütig.

Er aber schleuderte den Arm von sich: »Nein!« sagte er. »Jetzt will ich, verdammt und verflucht, nicht mehr!«

Und daheim in seinen Stuben ging seine Haushälterin umher und war eifersüchtig.

Herr du meines Lebens, was kann ein älterer Herr sich einbrocken ... wenn er jung ist!

 

Am nächsten Sonntag sass Line auf ihrem Wächterposten vor Post-Peters Haus.

Als sie Knagsted unten auf dem Söbyer Wege sah, stand sie auf und ging ihm langsam entgegen. Das Gesicht hielt sie auf die Brust gesenkt, versteckt:

»Zöllner ...« bat sie, als sie vor ihm stand. »Zöllner ...«

Im selben Augenblick platzten sie beide in ein schallendes Gelächter los ...

»Aber wollen wir es nicht doch lieber aufgeben, Altersgenossen zu sein?« fragte Knagsted.

»Nein, nein! Ich verspreche dir ...! Ich will ganz gewiss ...! Ich ...«

»Ja, aber du kannst nun doch einmal nicht, kleines Menschenkind!«

»Ja, ja! Jetzt sollst du nur sehen!«

»Wollen wir dann nicht doch lieber wenigstens Sie zueinander sagen?« schlug der Zöllner vor.

»Nein, nein ... Jetzt musst du nicht mehr böse sein ...« (Sie sah ihn so flehend an.) »Aber du bist ja heute gar nicht rasiert?«

»Nein ...«

»Das steht dir nicht.«

»Nicht?«

»Und deine Nägel hast du auch nicht geputzt!«

»Nein; ich habe beschlossen, so wie der alte Kaufmann Birk, die Zähne auf den Tisch zu legen.«

»Die Zähne? Hast du denn falsche Zähne?«

»Ja ... Willst du sie mal sehen?«

» Nein,« schrie sie ganz entsetzt und zog sich zurück.

Nach einer Weile näherte sie sich wieder und fragte, – und es kam gleichsam ein kleines neugieriges Aufblitzen in ihre Augen:

»Bist du eifersüchtig auf Christian Werner?«

»Eifersüchtig ...! Bist du verrückt!«

»Ja, denn Vater ist doch manchmal eifersüchtig auf dich; da kannst du doch wohl auch eifersüchtig auf Christian Werner sein?«

– Kluger, kleiner Racker! dachte Knagsted.

Laut aber sagte er:

»Nein ... aber ich bin neidisch auf ihn.«

»Neidisch ...! Warum denn das?«

»Weil er die paar Jahre jünger ist als ich.«

»Aber das ist es ja doch gar nicht,« lächelte sie unschuldig. »Denn du bist doch der allerjüngste, den ich jemals getroffen habe.«

Es ging wie ein Schaudern durch den Zöllner. Es fror ihn und er litt:

– Wo in aller Welt hat doch das Kind nur diese Gedanken her! dachte er. – Achtzehn Jahre ist sie alt! Sage und schreibe achtzehn kleine, kurze Jahre! ... Selbstredend bin ich eifersüchtig auf Christian Werner – den Laffen ...

Aber dann schob sie zärtlich den Arm unter den seinen und lachend und plaudernd gingen sie weiter ...

Grönbäksgade 114
Hauptstadt W.

Lieber Michael!

Ja, nun sitze ich also hier bei meiner Schwester und schreibe Dir; sie und ihr Mann sind sehr freundlich gegen mich und haben mir angeboten, in ihrem Heim zu bleiben, bis ich einen Entschluss in bezug auf meine Zukunft gefasst habe. Sie wussten ja nicht, dass ich kam und waren daher sehr erstaunt, als sie mich plötzlich in die Tür treten sahen; aber als ich ihnen das Ganze erzählte, und dass es mir unmöglich sei, länger an Deiner Seite zu leben, und ihnen das Ganze mit Treschau und all das erklärte, da hielten sie mit mir und sagten, ich habe recht gehandelt, indem ich meiner Wege ging, und darüber habe ich mich gefreut. Du musst ja auch selbst zugeben, lieber Michael, es war ein grosses Missverständnis, dass wir beide uns jemals heirateten, so wie Du allmählich geworden bist, bei meinem warmen Temperament; ich mache Dir keine Vorwürfe, aber Du hättest mich nicht zwingen sollen, Dich zu heiraten, wir haben nie zusammengepasst, und Du bist schuld daran, dass ich meinen Jugendgeliebten nicht bekommen habe. Man soll sich nur dem hingeben, den man wirklich liebt, aber dann soll man es auch tun, und ich liebte damals wirklich meinen kleinen Apotheker und nicht Dich, und ich liebe ihn auch noch! Wo in der Welt er sein mag, weiss ich nicht; und er hat mich wahrscheinlich wohl auch vergessen. Mein Schwager sagt, dass Du mir etwas Bestimmtes im Monat aussetzen musst, aber darin hat er wohl kaum recht, da der Bruch von meiner Seite ist, aber wenn Du es trotzdem willst, so nehme ich es mit Dank an, da es ja für den Anfang schwere Zeiten für mich werden und meiner Schwester und meines Schwagers Gehälter am Metropole ja nicht gross sind. Kinder haben sie auch; vielleicht lasse ich mich selbst da engagieren; irgend etwas muss man ja anfangen, und ich habe ja eine gute Figur und eine nette kleine Stimme. Antworte mir nun, bitte, auf diesen Brief, lieber Michael, und teile mir Deinen Entschluss mit, ob wir uns scheiden lassen wollen, oder was Du meinst; natürlich werde ich, falls Du es wünschst, Deinen Namen nicht mehr tragen, sondern mich Frau Magei nennen, was sich ja auch auf einem Plakat besser ausnehmen wird. Wie geht es der kleinen Rigmor, dem kleinen Wurm? Gib ihr einen Kuss von mir, und sorge gut für sie; sie wird Dir ja auch zugesprochen werden, da ihre Mutter die Ehe gebrochen hat; ich hätte Dich lieben können, Michael, ja, wirklich, aber Du warst ja so kalt wie Eis geworden, und ich habe Liebe nötig. Ich verstehe es so gut, dass Du diesen Augenblick sehr böse auf mich bist, als Ehemann und als Geistlicher, ach, aber ich sage, und das werde ich auch vor Gottes Richterstuhl sagen, Du hättest mich nicht zwingen sollen, mich mit Dir zu verheiraten, wenn Du so bist, wie Du bist; alles, was Du sonst gegen mich verbrochen hast, auch damals, als ich noch ein reines Kind war, das habe ich Dir ja längst vergeben, darauf kannst Du Dich verlassen, denn das kann ja gerade gegen den Kummer aufgehen, den ich Dir später bereitet habe. Aber antworte mir jetzt bald auf diesen meinen Brief, hörst Du!

Mit freundlichem Gruss an Dich und einem Kuss für Rigmor

Deine Dich immer liebende
Alvilda Sörensen
geb. Magei.

PS. Nachschrift.

Meine Kleider und andere Kleinigkeiten kannst Du in den grossen Korbkoffer packen und mir hierherschicken. Ich werde den Koffer gerne nach Empfang zurücksenden, da er Dir ja gehört.

Grüsse Knagsted, wenn Du ihn siehst, das ist ein prächtiger Mann.

Grönbäksgade 114
Hauptstadt W.

Lieber Herr Zollkontrolleur Knagsted!

Sie wundern sich gewiss sehr, einen Brief von Unterzeichneter zu bekommen; aber da Sie immer so lieb gegen mich gewesen sind, will ich Ihnen nun doch erzählen, dass ich hier bei meiner Schwester und meinem Schwager Höberg sitze und es den Umständen nach ganz gut habe. Sind Sie böse auf mich? Finden Sie, dass das, was ich getan habe, schrecklich ist? Meinen Mann betrogen und von meinem Kinde weggelaufen; es ist gewiss schrecklich, aber ich konnte es nicht aushalten, länger bei Michael zu sein; er nahm mir alle Freude weg, und jetzt, wo das mit dem andern angefangen hatte, fand ich, dass ich kein Recht mehr hatte, da in Söby herumzugehen und Pfarrersfrau und Mutter meiner Tochter zu sein; für sie ist es viel besser jetzt, wo ich weg bin; meine Gedanken waren mit so viel anderem beschäftigt. Ich habe jetzt zweimal an Michael geschrieben, ob er sich von mir scheiden lassen und mir jeden Monat eine feste Summe aussetzen will, bis ich etwas anderes angefangen habe, aber er hat noch nicht geantwortet; können Sie ihn nicht dazu bewegen? Er braucht mir ja gar nichts zu geben, da ich ihn betrogen habe und nicht umgekehrt; und doch, ja, trotzdem hat er es gewissermassen getan, denn er hätte mich nie zwingen sollen, ihn zu heiraten, denn da war nämlich ein anderer, lieber Herr Knagsted, und hätte ich den damals gekriegt, dann wäre jetzt gewiss alles anders gewesen. In der Stadt reden sie gewiss hässlich von mir, wie? Mit den Damen hab' ich nie so recht gekonnt; die Herren sind nun einmal nicht so hart in ihrem Urteil; wenn Sie Rigmor auf der Strasse treffen, dann reden Sie sie von mir an und geben Sie ihr einen Kuss und seien Sie so lieb, mir auf einer Postkarte zu erzählen, wie es ihr geht.

Wissen Sie wohl noch, wie lieb Sie an dem schlimmen Abend im Winter gegen mich waren? Ich konnte es Ihren Augen ansehen, dass Sie die ganze Wahrheit wussten; aber Sie sagten es nicht, und ebenso, als wir ihm nachher begegneten, da schwiegen Sie auch; das vergesse ich Ihnen nie, nie!

Mit herzlichem Gruss

Ihre dankbare
Alvilda Sörensen
geb. Magei.

PS. Ich denke stark daran, in einen Zirkus zu gehen und Kunstreiterin zu werden; was sagen Sie dazu? Ich habe ja seinerzeit viel mit Treschau geritten.

Grönbäksgade 114
Hauptstadt W.

Herrn Pastor Michael Sörensen
Söby.

Dieses schreibe ich Ihnen, Herr Pastor, ohne meiner Schwester Alvilda Wissen. Sie hat mir erzählt, dass sie Ihnen jetzt dreimal geschrieben hat, ohne eine Antwort zu bekommen. Darf ich fragen, was das zu bedeuten hat? Hat sie sich gegen Sie versündigt, und das leugne ich nicht, so haben auch Sie sich, weiss Gott, entschuldigen Sie! zuerst und am grausamsten gegen sie versündigt, als sie noch ein unmündiges Kind war! Und sollten Sie Ihre Aufführung damals ganz vergessen haben, so seien Sie hierdurch höflichst daran erinnert. – Und, bedenken Sie, Herr Pastor, dass, was Sie sich damals meiner Schwester gegenüber erlaubten, das würde in den Augen aller rechtlich denkenden Menschen eine Todsünde genannt werden, wenn sie es zu wissen bekämen. Und nicht nur das, sondern es würde noch heutigen Tags, wenn es ans Tageslicht käme, Ihnen an Talar und Priesterkragen und Ehre gehen.

Nun dürfen Sie diesen Brief keinen Erpresserbrief nennen, denn ich fordere nichts nach der Richtung hin für Alvilda; was sie sich jetzt gegen Sie hat zuschulden kommen lassen, kann wohl gegen das aufgehen, was Sie seinerzeit ihr angetan haben. Und doch ist sie viel mehr zu entschuldigen, denn Sie waren damals ein erwachsener Mensch und studierten obendrein Pastor!

Ich schreibe also nicht, um meiner Schwester Geld zu verschaffen, denn Höberg und ich können ihr wohl noch gratis Aufenthalt geben, bis sie selbst etwas verdienen kann. Nein, ich schreibe Ihnen nur, um Sie zu bitten, auf ihre Schreiben zu antworten und ihr Ihre Entschlüsse in bezug auf die Zukunft mitzuteilen.

Und hiermit erkläre ich Ihnen, dass, wenn sie Ende dieser Woche keine Antwort von Ihnen erhalten hat, ich für nichts einstehe. Nun wissen Sie das!

Mit Hochachtung
Ihre ergebene

Rose Höberg
geb. Magei.

Es ist ganz selbstverständlich, dass dies ein Geheimnis zwischen uns bleibt.


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