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Die Gewinne wurden verteilt. Die Königskette wurde Schneidermeister Bügel abgenommen und Gerbermeister Igel um den Hals gehängt.

Fanfare und Katzenköpfe!

Die Hörner bestiegen von neuem den Balkon, worauf man unter den ohrenbetäubenden Klängen von des Hochseligen Jochum des Achtzehnten Honneurmarsch um die hufeisenförmige Tafel im Festsaal Platz nahm ...

Rechts von dem Präsidenten sass der neue Vogelkönig, links der entthronte. An seiner Seite wiederum das Ehrenmitglied P. A. Birk mit Kanone, Haushälterin und Zähnen, die letzteren in der hinteren Rocktasche. Dann folgten, wie es sich gerade traf, die gewöhnlichen Mitglieder mit Weib und Kind.

Der Förster und Fräulein von Löwenfeldt sassen ein wenig isoliert an der Innenseite des Hufeisens; es war, als wagten die übrigen Gäste nicht, sich ihnen zu nähern. Mochte es nun Ehrerbietung oder Indignation sein ...

Mitten während der Suppe (klar mit Fleischklössen) erhob sich der Präsident Svarte und hielt eine seiner bekannten Reden auf das regierende Fürstenhaus. Svarte hatte im Laufe der Jahre so viele Reden gehalten, dass es schien, als denke er nicht mehr dabei; wenigstens nicht über das, was er sagte. Die Worte bubbelten und surrten aus ihm heraus wie Wasser aus einem kochenden Teekessel. Es war, als sei er nur auf das Ende bedacht. Er fuhr über Stock und Stein ohne Kommata, Punkte und Semikolons, bis er sich plötzlich unerwartet mit einem Plumps niedersetzte und völlig entleert aussah.

»Meine lieben Brüder und Schwestern,« sagte er, »darf ich Sie bitten, ein Glas mit mir zu trinken und ein Hoch auf unsern teuren jungen Fürsten Jochum den Neunzehnten und Familie auszubringen sein hoher Vater ist kürzlich gestorben daher ist der Sohn auf den Thron gekommen er lebe!«

Plumps! Und dann sass er.

Hurra und Fanfare im Saal. Kanonensalut draussen. Im selben Augenblick erhob sich der Präsident von neuem:

»Gestatten Sie mir den Vorschlag,« sagte er, »dass wir in Anlass des zweihundertjährigen Geburtstags des Vereins vorschlagen, unserm geliebten Herrscher folgendes Telegramm zu senden:

Die Vogelschiessgesellschaft von Söby und Umgegend, die heute ihr zweihundertjähriges Jubiläum feiert, sendet Eurer Fürstlichen Hoheit untertänigen Gruss und Huldigung mit dem Wunsche einer langen und glücklichen Regierungszeit.

Alleruntertänigst

Daniel Svarte
Präsident.«

Dieser Vorschlag wurde mit Jubel angenommen. Und stehend sang man die Nationalhymne: »Fürst Jochum stand am hohen Mast ...«

Das heisst nur den ersten Vers; denn man konnte die andern nicht ...

Dann erhob sich der Vogelkönig:

»Schwestern und Brüder: Ein Hoch auf unser geliebtes Vaterland! Ehrlich währt am längsten! Es lebe!«

»Hurrah–ah!«

Weh stolz auf Kodans Woge
Blutroter Flachlandsbrog ...!

stimmte P. A. an.

Dann kam der Fisch (gekochte Schollen mit Petersiliensauce).

Exkönig Bügel redete auf die Frauen:

»des Heimes Zier und grösster Gewinn«!
Spärlich in Flachland Blumen wir finden,
Bleich ist die Farbe und schwach nur ihr Duft ...

Dann kam der Braten (Lamm mit runden Bratkartoffeln).

Der Präsident erhob sich von neuem und liess den abgehenden (hopp hopp über Stock und Stein) Vogelkönig leben (Plumps!).

Worauf der abgehende Vogelkönig den Präsidenten und den neuen Vogelkönig leben liess.

Welch letzterer dann wiederum die Vogelschiessgesellschaft und ihren verehrten Ehrengast, Herrn Kaufmann P. A. Birk, leben liess.

(Das Dessert bestand aus Himbeeren mit Sahnerand.)

Darauf erhob sich der alte P. A. Birk.

Auf die Schulter seiner Haushälterin gestützt, und die Kanone vor dem Seh-Auge, äusserte er folgendes – und auch er legte keinen Wert auf kleinliche Interpunktion –:

»Schwestern und Brüder,« sagte er. »Als in den Krieg ich zog, da wollt mein Mädchen mit ... Möchten die Zeiten bald wiederkehren, wo unsere stolzen Jungen wieder in den Krieg ziehen möchten die Siegespalme unsere Fahne und so weiter umwogen, möchte die Bevölkerung sich erheben und bis zum letzten Mann kämpfen denn alle Flachlands Mädchen die bauen nun auf mich und vielen Dank euch allen weil ihr auf mein Wohl eure Gläser geleert habt und so weiter!«

Präsident Svarte erhob sich jetzt zum drittenmal und sah gedankenleerer denn je aus:

»Noch ein Hoch möchte ich ausbringen,« sagte er, »ein Hoch auf unser altes Ehrenmitglied Kaufmann P. A. Birk, der gewaltig viel dazu beigetragen hat, dass Söby zu der Grossstadt geworden ist, die es geworden ist möge Kaufmann Birk lange leben und lassen Sie uns (surre, surre) seine treue Haushälterin Fräulein Solberg mit einschliessen sie leidet ja freilich an der Hundekrankheit (heulendes Gelächter), aber du lieber Gott dann leiden wir andern wohl an was anderm sie mögen lange leben und nun möchte ich gleich allen meinen lieben Brüdern und Schwestern ein herzliches Gesegnete Mahlzeit zurufen der Kaffee und die Zigarren werden auf der Verangda serviert Gesegnete Mahlzeit alle miteinander und einen Dank an den Wirt weil er sein Bestes in bezug auf das Essen getan hat ...«

Hier wurde dem Redner ein Telegramm in die Hand gesteckt. Er öffnete es und sagte bewegt:

»Antwort von unserm lieben hochgeliebten Fürsten!«

Alle erhoben sich. Der Präsident verlas das Telegramm:

Bringe der Vogelschiessgesellschaft von Söby und Umgegend meinen herzlichsten Dank und Gruss dar.

Jochum Rex.

Hurrarufe und Jubel.

Der Redner steckt das Telegramm in seine Brieftasche und fährt fort:

»Wo bin ich doch stehengeblieben ...? Ach das ist ja wahr beim Wirt... Hallo wo sind Sie denn Ferdinandsen? Wir wollen gern Gesegnete Mahlzeit sagen ...« Der Wirt erscheint bescheiden in der Tür zum Anrichtezimmer. »Vielen Dank, Ferdinandsen Sie sind ein tüchtiger Mann wenn nur alle Leute so tüchtig in ihrem Fach wären und dann noch einmal alle zusammen Gesegnete Mahlzeit der Kaffee steht auf der Verangda rechts denn links zieht es!«

Plumps! und wieder in die Höhe und auf die Veranda hinaus ...

Dadraussen sass man so satt und geborgen an dem warmen Sommerabend und starrte über die dampfenden Wiesen hinüber nach der besten aller Geburtsstädte, deren Gaslaternen friedlich am Horizont leuchteten und lächelten ...

Dadraussen sassen auch Förster Treschau und Michaela von Löwenfeldt allein und isoliert ...

Aber die übrige Gesellschaft bildete eine grosse, lachende Gruppe:

»Man hat es weiss Gott gut in dem kleinen Flachland!« sagte Bäckermeister Krummback und schenkte Kognak in die Gläser.

»Freilich hat man es gut!« nickte Zöllner Knagsted. »Prost, Herr Krummback!«

»Prost, Prost, Herr Zollkontrolleur! Wir pfeifen auf das Ganze!« rief der Bäcker lebensfroh. »Wollen wir den Maler nicht mitnehmen, wenn er es vertragen kann, ha, ha, ha!«

 

Um neuneinhalb Uhr begann der Tanz mit einer Festpolonäse dreimal den Saal herum.

Darauf freier und gesetzloser Tanz je nach dem Temperament und den Fähigkeiten der einzelnen.

Die Jugend, die ungeduldig draussen unter den Bäumen gewartet hatte, während die Väter assen, stürzte jetzt zu allen Türen herein.

Der Saal war bald ein wirbelnder, stampfender und schwitzender Menschenknäuel.

Selbst die Älteren schonten sich nicht. Die beiden gewichtigsten Frauen der Stadt, Frau Uhrmacher Winge und Frau Schmiedemeister Kastbjerg, waren sogar die Ersten in den Reihen. Zweihundert Pfund lebendes Gewicht wogen sie; aber das Gesetz der Schwere existierte nicht für sie. Sie gaben sich willenlos dem Tanze hin und liessen der Sache ihren Lauf; mochte geschehen, was da wollte!

»Mutter, Mutter!« schrie der Uhrmacher, »denk doch an dein Asthma!«

»Das vergisst man, Topelius!« schrie die Frau zurück, und ihr Gesicht sah aus wie die Sonne, wenn sie an einem Oktoberabend im Westen versinkt ...

Auf den Stuhlreihen an den Wänden entlang sassen die Matronen und die unabgesetzten reifenden Mädchen. Je zu zweien sassen sie da und steckten die Köpfe zusammen und flüsterten:

»Ja, was sagen Sie denn zu der Pastorin Sörensen, Frau Henriksen!«

Frau Henriksen meinte, man müsse seine Leidenschaften beherrschen.

»Ja, wo würd' die Menschheit sonst wohl hingleiten!« sagte Fräulein Carlsen (Alter siebenunddreissig).

»Und dann Fräulein von Löwenfeldt, die wieder mit dem Förster zusammengelaufen is!«

»Das hat sie von dem Vater, dem Kammerherrn; der ... nein

»Lange wird die Sache wohl nicht dauern, der Förster muss ja jede Woche 'ne neue haben!«

»Ja, wissen Sie, was mein Mann erzählt, was er im Hotel gesagt haben soll ...?«

»Nein, was sagt er?«

»Ich kann es gar nich wiedererzählen!«

»Ach was! Erzählen Sie doch!«

»Er sagt ... es war an einem Abend, als sie L'hombre spielten und von Verheiratetsein sprachen, und warum der Förster noch immer ledig wäre ... Nein, ich kann es wirklich nich!«

»Natürlich können Sie es erzählen, Frau Lorenzen ...!«

 

In den Nebenräumen hatten die ernsteren Männer sich bei ihrem Grog und andern Getränken niedergelassen. Sie setzten Könige ein und setzten Kaiser ab, regierten den Stadtrat und ernannten Regierungen.

»Zum Teufel auch!« fluchte Drechsler Mogensen, »zum Teufel auch, dass sie in Frankreich das Königreich nicht schon längst wieder eingeführt haben! Die Republikaner bemogeln den Staat, dass es man so 'ne Art hat!«

»Is es hierzulande vielleicht besser?« fragte Elektriker Petersen, der Sozialdemokrat war.

»Was sagen Sie dazu, Mogensen, was? is es hierzulande vielleicht besser?«

»Unterseeboote?« rief einer.

»Und Ridikülgewehre, Ridikülgewehre!« schrie ein anderer ...

Schlachtermeister Asmundsen und Manufakturhändler Bork beteiligten sich nicht an der Debatte.

Sie standen in einer Türöffnung und lugten in den Saal hinein, wo man Lancier tanzte:

»So, Asmundsen!« sagte Bork. »Nu man drauf los!«

Und er versetzte dem Schlachter einen Puff in den Rücken, so dass Asmundsen mitten in die Quadrille hineinfuhr, wo er geistesschwach herum polkte und dann wieder aus dem Saal stürzte.

»Da is die dicke Frau Winge, Asmundsen! Auf die los! Auf die los!« flüsterte Bork.

Und wieder flog der Schlachtermeister zwischen die Paare, die lachten und schrien und sich nach allen Seiten zerstreuten.

Asmundsen war grabesernst während seines Vorgehens; Bork aber lehnte, blau vor Lachen, an einem Türpfosten:

»Seht doch den Schlachter! Seht doch bloss mal den Schlachter!« rief er; »kommt doch her! kommt doch her!«

Ein Dutzend gesetzte Bürger eilten herbei: Sie kannten Asmundsen, wenn seine Berserkerwut über ihn kam. Es war zum Umkommen!

Aber es steckte an.

Und wie betrunkene Faune stürzte sich plötzlich die ganze Kohorte mitten in den Lancier hinein, schlang die Arme um die Damen und richtete ein »Chaos« an, wie Bäckermeister Krummback sich ausdrückte.

»Galopas! Galopas!« schrie Bork.

Und die Hörner auf dem Balkon gingen in einen prickelnden Champagnergalopp über.

Alle lachten, riefen, schrien, heulten, drängten und wollten vorwärts; aber man kam nicht vom Fleck.

Das Ganze war in einen grossen, zusammengefilzten und trippelnden Hexensabbat verwandelt.

Und im Zentrum, mitten unter dem Kronleuchter, dessen acht flammende Petroleumlampen vor Erregung kochten, stand die dicke Frau Uhrmacher Winge, Rosalie hiess sie, sowie die Bürgermeisterin, von allen Seiten gedrückt und eingeklemmt. Sie lachte, so dass sie bibberte:

»Topelius, Topelius!« schrie sie. »Rette mich! Rette mich! Ich ersticke ...«

Und den Förster hatten sie in ihrer Lebensfreude vergessen, ebenso Fräulein von Löwenfeldt. Sie waren beide verschwunden, ohne dass jemand es bemerkt hatte.

Und man machte sich auch nichts daraus!

 

Um drei Uhr morgens endete das Fest.

Knagsted und Frank Neumann schritten der Stadt zu.

Zu Wagen und zu Fuss zogen muntere Scharen an ihnen vorüber. Man sang, lachte und jubelte. Die Morgendämmerung schimmerte goldiggelb im Osten über dem Walde.

»Maler!« sagte der Zöllner, »muss man nicht doch, trotz allem, im tiefsten Innern seines Herzens diese grossen, muntern und naiven Kinder lieben?«

»Ja,« nickte der Maler, »zugestanden!«


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