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Knagsted kam eines Vormittags auf seinem Rad aus der Stadt gejagt und fuhr den Vibyer Weg entlang. Die Sonne schien. Es hatte in der Nacht geregnet. Die Luft war frisch und leicht.

»Flieger ohoj ...!« wurde hinter ihm gerufen. Frank Neumann glitt neben ihm dahin.

»Wohin geht die Reise?«

»Ach, nur so ein bisschen die Landstrasse entlang.«

»Haben Sie nicht Lust, mit hineinzukommen und den ›Sportsaal‹ zu sehen? Jetzt ist er fertig.«

»Gern!«

»Sie können auch mit uns frühstücken.«

»Famos!«

»Das ist doch eine prachtvolle Maschine, die Sie haben,« sagte der Maler. »Halten Sie es selbst so rein und fein?«

»Nein, das tut Thorwald.«

Der Maler sah den Zöllner auf einmal erstaunt an:

»Aber wie sehen Sie nur einmal aus? Sollen Ihr Haar und Ihr Bart so weiter wachsen?«

»Ja.«

»Aber warum denn nur? Sie sehen ja zwanzig Jahre älter aus.«

»Das will ich ja auch gerade,« sagte Knagsted kurz.

»Wie geht es mit dem Bild von den Damen im ›Kalten Knochen‹?« fragte er dann.

»Ausgezeichnet.«

»Ist es bald fertig?«

»In vierzehn Tagen, ja.«

»Freue mich darauf, es zu sehen ...«

Sie waren jetzt an die kleine Tür in der Mauer gelangt, die zu der Malers-Villa führte.

Neumann sprang flott ab, während Knagsted vorsichtig bremsen musste, ehe er herunterkrabbelte:

»Wer doch jung wäre wie Sie!« sagte er.

»Sonnenbad!« lachte der andere und schlug seine weisse Flanelljacke zurück.

Er war nackend unter der Jacke. Seine Haut leuchtete bronzegelb.

Der Zöllner sah ihn bewundernd an:

»Was sagt Frau Svendsen zu dem Kostüm?«

»Ich halte den Rock zugeknöpft.«

»Das ist wirklich unrecht gegen sie.«

»Sie ist guter Hoffnung.«

»Frau Svendsen ...!«

»Ja.«

»Unmöglich – bei dem Fett.«

»Es ist aber so. Sie hat es mir selbst erzählt.«

»Von wem?«

»Von Bernhard, dem kleinen Kellner.«

»Unsinn.«

»Das sagt sie ... Sie wollen sich heiraten.«

»Hören Sie jetzt auf! Madam Svendsen und Bernhard! Er könnte ja in ihr logieren!«

»Sie wollen sich heiraten!«

»Will sich Rikke Elster dann nicht auch mit Hundertundelf verheiraten?«

 

Als die Herren glücklich hinter die Mauer gelangt waren, zog der Maler die Jacke ganz aus. Seine Beinkleider wurden nur von den Hüften getragen. An den nackten Füssen hatte er Sandalen.

»Puh!« sagte er, »dass Sie das aushalten können, Zöllner, in all diesen Futteralen und mit all dem Haar!«

Auf dem untersten Rasenplatz zwischen den Birken ging die junge Frau Neumann umher und begoss Leinwand, die auf der Bleiche lag. Sie trug einen langen, lose sitzenden Sonnenmantel. Das blonde Haar lag wie eine Krone aus Flechten um ihren Kopf ...

Eine Schwarzdrossel lief in kleinen unterbrochenen Vorstössen über den Kiesweg, stieg darauf mit einem trillernden Schrei in die Höhe und verschwand zwischen den Büschen.

Vom Spielplatz her ertönten Erichs und Elses Stimmen:

»Mirja! Mirja!«

Und oben von der Blumenrabatte vor dem Hause kam wie in Wellen ein süsser Duft von Rosen herab ...

»Da geht Sonja ...« flüsterte der Maler, »ist sie nicht schön?«

»Ja–a,« brummte der Zöllner, »aber sie hat einen so affektierten Namen! Alle Frauenzimmer sollten Mette heissen.«

»Oder ›Thorwald‹,« schlug der Maler vor und blinzelte verschmitzt.

»Thorwald ist auch gut ...« nickte Knagsted ruhig. (»Thorwald« war der Name von des Zöllners treuer Haushälterin. Sie hiess eigentlich Helia-Hevalda; aber wer vermag solche Worte über seine Lippen zu bringen? Deswegen hatte Knagsted sie umgetauft.)

Neumann schlich sich hinter seine Frau und legte einen Arm um ihre Taille.

Sie wandte sich lächelnd nach ihm um:

»Guten Tag, Maler ...!« sagte sie und bot ihm den Mund zum Kuss.

Knagsted faltete die Hände und trat näher:

»Ich auch ...?« bat er demütig.

Sonja lachte:

»Gern ...! Aber Sie können ja nicht ankommen.«

Der Zöllner war fast einen Kopf kleiner als das Ehepaar Neumann.

»Und sich zu mir herabbeugen will die Dame wohl nicht?«

»Nein ... ach nein! Und dann all das Haar und der Bart, den Sie sich zugelegt haben!«

»Holen Sie sich eine Bank, Zöllner!« riet der Maler.

Knagsted holte die nächste Gartenbank, stieg hinauf und küsste von hier aus Frau Sonja mitten auf den Mund ...

»Mehr ...!« bat er.

»Nein, wissen Sie was ...!« und bei dem Sprung stiess sie gegen eine der Birken, so dass die Tropfen von dem Nachtregen auf sie herabrieselten.

»Grossartig!« sagte der Maler und zog schnell die Beinkleider aus. »Brausebad! Komm, Sonja!«

Sie zögerte.

»Genierst du dich? ...«

»Nein! ...« und schnell entschlossen warf sie den Sonnenmantel ab und lief zu ihrem Mann hin. Ihr Körper war goldbraun wie der seine ...

Und lachend gingen sie nun von Baum zu Baum und liessen die Regentropfen auf sich herabrieseln.

Der Maler schlang die Arme um sie:

»Darf ich mir für über Nacht einen Platz auf Ihrem Jungfrauenlager reservieren, Frauchen?« fragte er.

»Aber Frank!«

Sie riss schnell den Sonnenmantel, der auf dem Rasen lag, in die Höhe, warf ihn über und lief dem Hause zu.

»Gott, wie gut ihr es habt ...!« brummte der Zöllner. »Das ist ja grässlich anzusehen!«

 

Der Sportsaal war ein grosser, hoher, weissgetünchter Saal, in den das Licht durch gelbfarbige Fensterscheiben hineinströmte, die selbst bei trübem Wetter einen goldigen Sonnenschimmer über den Baum gössen.

Unmittelbar über den Fenstern, an allen Wänden war ein ellenhoher a-fresco-Fries in schwarzer Silhouette gemalt, der einen Zug von nackenden, spielenden und tanzenden Kindern darstellte, die, anmutig und graziös, bald ernsthaft beschäftigt dahinschritten, allerlei Instrumente spielend, sich bald ausgelassen zwischen einer Schar wilder Tiere des Waldes und der Ebene herumtummelten: zwischen Tigern, Löwen, Elefanten, Straussen, Störchen und Schwänen, die entweder vor kleine blumengeschmückte Wagen gespannt waren, oder auf denen die Kinder kühn ritten, sie ohne Zügel und Zäume lenkend. Langbeinige Reiher und zierliche Flamingos schritten gravitätisch Seite an Seite, lustige Affen sprangen Bock und zogen einander am Schwanz, breitbäuchige Kröten sahen stumpfsinnig zu, und Schlangen, Nattern und Ottern spielten munter mit ihren gespaltenen Zungen ...

Namentlich aber hatte doch der Künstler die Kinder darstellen wollen, die nackten unbekümmerten Menschenkinder, die furchtlos und voll festlicher Hoffnung der unbekannten Ferne entgegenziehen ... Der sonnenfrohe Triumphzug des Lebens, der Vollkommenheit entgegen!

Knagsted war mitten im Saal stehengeblieben.

»Maler!« sagte er, von Bewunderung ergriffen. »Dies ist ja ein Meisterwerk!«

»Zöllner!« lächelte der Mann zurück, »leider is es nur eine Kopie.«

»Wer hat denn das Original zu Werke gebracht?«

»Karl Wilhelm Diefenbach.«

»Wer ist das?«

»Ein deutscher Maler, der in Landflüchtigkeit getrieben ist und auf Capri wohnt.«

»In Landflüchtigkeit ...! Was hat er denn getan?«

Frank Neumann zuckte trübselig die Achseln.

»Er war Sonnenanbeter, so wie ich.«

»Deswegen kann man doch nicht in Landflüchtigkeit getrieben werden?«

»Er wurde es aber ...«

»Von der Polizei?«

»Nein ... von den Priestern. Er und seine Frau und Kinder gingen nackend in ihrem Garten herum, so wie ich und die meinen, da riefen die Herren ›eine Bewegung‹ gegen ihn ins Leben, schikanierten ihn auf alle Weise, verleumdeten ihn, verfolgten und quälten ihn ... und schliesslich gelang es ihnen, ihn aus dem Lande zu vertreiben.«

»Unglaublich!« sagte Knagsted. »Wo in Deutschland hat sich das zugetragen?«

»In Bayern.«

»Das konnte ich mir ja denken ...« nickte der Zöllner, »so etwas ist nur unter Katholiken möglich.«

Der Maler lächelte:

»Meinen Sie ...?«

Er legte dem Zollkontrolleur eine Hand auf die Schulter und zog die Stirn in Zornesfalten:

»Jetzt will ich Ihnen doch erzählen, was unser eigener hochehrwürdiger Pastor Sörensen sich neulich erlaubt hat,« sagte er dann. »Hother und Hanne hatten eine Wanderung draussen im Vestermarker Walde gemacht und badeten dort im Sund. Der Pastor kommt zufällig vorüber und sieht sie. Da ruft er Hother aus dem Wasser heraus und hält ihm eine Jüngstegerichtspredigt über das ›Unmoralische‹, dass zwei so grosse Kinder verschiedenen Geschlechts zusammen badeten.«

»Hm ... Und was sagte denn Hother dazu?«

»Nichts; er verstand es nicht. Er weiss ja nicht, was ›unmoralisch‹ ist. Hier im Hause hat er das Wort nie gehört ... Aber die Folge von des Pastors Schmutzigkeit war, dass der Junge sich am nächsten Tage weigerte, zusammen mit uns zu baden.«

»Hm ...«

»Da nahm ich ihn denn vor und erklärte ihm, der Pfarrer sei in diesem Punkte geistesschwach, unzurechnungsfähig, und der Junge habe sich nur an die Vorschriften zu halten, die seine Mutter und ich ihm gäben; und das versprach er denn auch. Aber es ist etwas so wunderlich Scheues, Zurückhaltendes in sein ganzes Benehmen gekommen, etwas Unsicheres; er, der früher so frisch und natürlich war ...«

Der Maler ballte plötzlich die Hände und streckte sie drohend in die Luft empor:

»Und das alles habe ich dem Teufels-Pastor zu verdanken!« sagte er. »So ein Schwein!«

»Na, na ...!«

»Ja, Schwein! Hierher zu kommen – die Phantasie meines prächtigen, gesunden Jungen mit seiner schleimigen Rede zu verderben!«

»Der Pfarrer hat ja doch nur in bester Absicht gehandelt, lieber Freund ...«

»Das ist ja gerade das Unglück; sonst hätte ich ihm ja nur einfach eine Tracht Prügel geben können. Jetzt stehe ich machtlos da.«

»Haben Sie gar nicht mit ihm über die Sache geredet?«

Der Maler sah zur Seite:

»Nein,« sagte er gleichsam geniert, »denn dann kam ja diese Geschichte mit seiner Frau und Förster Treschau, ihre Flucht und ... und da fand ich ... da dachte ich ... Aber bei passender Gelegenheit will ich ihm schon die Leviten lesen!« brauste er wieder los. »Und wie ich es ihm im Grunde gönne, dass ihm die Frau weggelaufen ist!«

Knagsted sah lächelnd auf:

»Nein, das tun Sie wahrhaftig nicht, lieber Malersmann!«

»Weiss Gott, das tu' ich! Denn der Pastor ist natürlich ein liederlicher Ekel, und hat sie nie in Ruhe lassen können!«

»Dann hätte sie sich ja nicht an den Förster zu wenden brauchen ...«

»Ja; denn der ist doch höchstwahrscheinlich ein Mensch ... der andere kann nur ein perverser Affe sein.«

Der Maler wandte sich ab; und wie um die Unterhaltung abzubrechen, nahm er ein Buch von dem zunächst stehenden Tisch:

»Hier sollen Sie einmal sehen, Zöllner,« sagte er, »hier ist das Original, nach dem ich den Fries gemalt habe.« Es war:

Carl Wilhelm Diefenbach

Per Aspera Ad Astra

Capri 1907.

Knagsted nahm das Buch und öffnete es: »Entzückend!« sagte er. »Wunderbar! ... Sagen Sie mir,« fragte er dann nach einer Weile und kniff das eine Auge verschmitzt zusammen. »Glauben Sie, lieber Neumann, dass Sie sich ebenso für den Mann begeistert hätten, wenn er hier in Flachland geboren wäre?«

»Ja natürlich! Warum nicht?«

»Hm,« lächelte der Zöllner, »ich weiss es im Grunde selbst nicht. Aber hierzulande pflegt man das ja nicht zu tun.«


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