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Die Bürgermeisterin Rosenbaum sass da und spielte mit einer von den Blumen auf dem Tisch.

»Sagen Sie mir doch, Herr Zollkontrolleur,« versuchte sie von neuem eine Annäherung, »was bedeutet eigentlich das Wort Orchidee?«

Der Zöllner zuckte zusammen: »Das kann ich Ihnen nicht sagen, Frau Bürgermeister!«

»Wissen Sie es nicht?«

»Ja ... aber ich kann es Ihnen nicht sagen.«

Beleidigt wandte sie sich an ihren Nachbar zur Rechten:

»Würden Sie vielleicht die Güte haben, Herr Stiftspropst?«

»Was soll ich?«

»Mir sagen, was das Wort Orchidee bedeutet.«

Der alte Herr errötete bis unter sein weisses Haar:

»Es ist ein griechisches Wort ...« sagte er.

»Ja, aber was bedeutet es?«

»Das ... das kann ich nicht sagen ...«

Im selben Augenblick kam eine von den Baumwollbehandschuhten zum zweitenmal mit dem Fisch.

Hansen Hochrippe und das Versuchskaninchen waren die einzigen, die sich bedienten.

 

Fräulein von Löwenfeldt hatte endlich den Blick des Försters gefangen und hielt ihn fest. Er erhob sein Glas und trank ihr zu.

»Der Förster will Ihnen zutrinken, Herr Bürgermeister ...!« sagte sie und wandte das Gesicht ab.

Nach dem Fisch kam Rinderfilet mit Bearnaise.

Das Schwatzen und Lärmen steigerte sich ... ebenso die Temperatur.

 

»Konsul!« rief der Kammerherr und erhob das Champagnerglas.

»Sie trinken auch Louis Roederer extra Dry, wie ich sehe!«

»Selbstredend, Herr Kammerherr ...! Gestatten Sie ...?«

»Ist mir eine Ehre ...!« Sie leerten die Gläser. »Ah–h!« nickte der Kammerherr. »Süperb! Der einzige, den man überhaupt trinken kann!«

 

Hansen Hochrippe erhob sich (ein wenig rot und schwankend), um das Wohl des Geburtstagskindes auszubringen.

»Diese Bauern drängen sich doch auch überall vor!« murmelte der Stiftspropst. Er hatte sich auch auf eine Rede vorbereitet.

Der Folketingsabgeordnete begründete sein Candatio dahin, dass Konsul Wäver ein Mann sei, der an der Spitze der Bewegung gehe (dies spielte auf des Konsuls Übergang von der stockkonservativen Partei zu der gemässigten Linken an) ... ein Mann, der an der Spitze der Bewegung gehe also, und ein Mann, der der Stadt Grossstadtschwung verleihe durch seine Persönlichkeit, sein Geschäftstalent, seine Bank, seine noble Wohnung, seine reiche Geselligkeit, seine üppige Geselligkeit... und er schloss seine Rede mit den Worten: »Früher mussten wir Bauern immer mitgebrachtes Butterbrot in einer kleinen Stube vor dem Kontor des Kaufmanns essen; jetzt werden wir an die Festtafel gesetzt und zusammen mit anderen Honoratioren bewirtet! Das ist die neue Bewegung, und an der nimmt Konsul Wäver als Erster mit teil; und dafür spreche ich ihm meinen Dank aus! ... Herr Bankdirektor, Konsul und Kaufmann Hagbart Wäver lebe hoch!«

Als die Hurrarufe verstummt waren, legte sich für eine Sekunde eine Totenstille über die Versammlung.

Aber dann sagte die Konsulin ... sie sagte es nicht gerade laut, aber bei dem allgemeinen Schweigen klang es weit durch den Saal:

»Ich wollte eigentlich Tafelmusik haben!« sagte sie.

»Nein, nein!«

»Ja, doch!«

»Nein, dann hätte man ja sein eigenes Wort nicht hören können!« ertönte es ringsumher.

Und die Unterhaltung stieg von neuem ausgelöst zur Decke empor.

»Haben Sie gehört, dass ein Zirkus in die Stadt kommt?«

»Ist es der des Barons?«

»Ja.«

»Haben Sie aber auch gehört, wer mit dabei ist?«

»Nein ...«

»Alvilda Magei!«

»Wer ist denn das?«

»Frau Sörensen ...! Die Pastorin ...! Sie ist ja Kunstreiterin geworden.«

»Was Sie sagen, Fredriksen!«

»Ja ... Ihr Vater ist auch so was gewesen.«

»Haben Sie das auch schon gehört, Herr Stiftspropst?«

»Nein, das wusste ich wirklich nicht ...«

»Und Fräulein von Löwenfeldt auch nicht?«

»Nein ...«

»Ah, englischer Sellerie mit Mark!«

»Das war ja ein förmlicher Stierkampf, ha, ha, ha!«

»Ist das wirklich wahr, Herr Kammerherr?«

»Auf Ehre! ... Der Hirtenjunge hat das Ganze mit angesehen; und er hat es dem Futtermeister erzählt.«

»Gott! ...«

»Wie tragen die Malersleute dadraussen den Selbstmord des Sohnes?«

»Weltfrieden! Weltfrieden! Ich pfeife auf den Weltfrieden!«

»Ein Land muss doch seine Selbständigkeit verteidigen!«

»Die erste Pflicht der Frau ist, wohlgestaltet zu sein, Herr Gutsbesitzer; zum Teufel auch mit den Kleidern!«

»Rebhühner! Jetzt gibt es Rebhühner!«

»Ja, ich habe auch einmal gedichtet ... es war eine Komödie ... ›Des Königs Handschuh‹ hiess es ... und ich bin selbst darin aufgetreten ... Haben Frau Etatsrätin nicht davon gehört ...?«

»Wollen Sie mir nicht, bitte, sagen, was Orchidee bedeutet, Herr Stiftspropst?«

»Ich wage es, nicht, Frau Bürgermeisterin ... ich wage es nicht ...!«

»Frejlif! Du musst Fräulein Meincke nicht belästigen!«

»Und stellen Sie sich vor, er nennt sie Thorwald!« »Und wir hier in der Stadt, die wir so rein sind!«

»Dass sich der alte Birk in diese Hundewirtschaft der Solberg finden will!«

» Haben Sie nie geliebt

»Ja, mordsmässig!«

»Sie sind allerliebst, die beiden kleinen Fräulein Meincke.«

»Es ist ein Nierenpräparat, Frau Stiftspröpstin.«

»Eine Dame geht nur bis an den Gürtel; und dann fängt sie wieder bei den Knien an ... Gott mag wissen, wie sie es anstellt, Kinder zu kriegen!«

»Aber sehen Sie doch mal Hansen Hochrippe! Was hat er nur einmal! Ist er betrunken? Er ist ganz grün im Gesicht!«

»Strassburger Gänseleberpastete in Aspik ... Was ist Aspik eigentlich ...?«

»Das arme Fräulein von Löwenfeldt! Erst die Pastorin und jetzt die Konsulin!«

»So eine Schlemmerei!«

»Waren da Austern in der Sauce?«

»Ein blindes Huhn kann auch einen Hahn finden!«

»Trinken Sie keinen Champagner, Herr Bürgermeister?«

»Aber sehen Sie doch nur den Folketingsabgeordneten! Ich glaube, er muss sich übergeben!«

»Aber du grosser Gott, so ein Skandal!«

»Ja, da haben Sie, weiss Gott, recht!«

Kammerherr Löwenfeldt schlug an sein Glas, erhob sich und brachte ein Wohl auf seine »schöne Tischdame, die ewig junge Konsulin, die Gattin, die Mutter, die gastfreie Wirtin« aus ...

Nach einer Weile bat Obergerichtsrat Ivar Petersen die Gesellschaft, ein Glas auf den Sohn zu leeren, auf »die junge Hoffnung, den bisherigen einzigen Zukunftsträger des Familiennamens«.

Dann kamen die Fausthandschuhe mit dem Dessert: Omelette surprise, Trauben, Nüsse, kandierte Früchte, Schokolade und Konfitüren ... Sherry, Madeira, Portwein ...

Noch ehe der Kaffee getrunken war, taten sich die Flügeltüren zum Gartensaal auf; der Tanz sollte beginnen. Zwei Violinen, eine Flöte und ein Klavier arbeiteten aus Leibeskräften drauflos ...

Line Meincke war dem jungen Wäver glücklich entronnen und sass nun da und plauderte und lachte zusammen mit der Schwester und Christian Werner, die bei Tische nebeneinander gesessen hatten.

Da stand das Versuchskaninchen plötzlich wieder vor ihr:

»Gnädiges Fräulein!« sagte er und legte ihren Arm in den seinen, »wir wollen den Ball eröffnen!«

»Ich habe Christian Werner versprochen, mit ihm zu tanzen,« entgegnete sie schnell.

»Man tanzt den ersten Tanz mit seinem Tischherrn. Werner muss mit Ihrer Schwester tanzen ...«

Line entzog ihm ihren Arm:

»Ich bin müde ... ich möchte lieber warten ...«

Aber er fing sie ein und beugte sein Gesicht dicht über das ihre.

Line stiess einen Schrei aus und rang, um sich zu befreien.

»Aber Frejlif! Wie benimmst du dich einmal gegen die junge Dame!«

Die Konsulin war herbeigeeilt. Sie kannte die Unbeherrschtheit des Sohnes von den Klagen der Mädchen.

Der Junge wandte sich nach ihr um. Seine Froschaugen funkelten boshaft:

»Kümmere du dich um deinen Förster!« sagte er und zog mit Line in den Ballsaal ab.

Die Jugend schloss sich an, Paar auf Paar, durch den ganzen Saal. Christian des Siebzehnten Honneurmarsch wurde gespielt.

»Und hier steht des Hauses schöne Wirtin so einsam und allein ...!« sagte Hansen Hochrippe; er kam blass und schweisstriefend von der Diele herein. »Könnten Sie mir nicht eine gute, starke Tasse Kaffee verschaffen, Frau Konsul?«

»Ja, ja ... ich will sofort ...!« und die Konsulin eilte durch die Zimmer.

»Da ist der Folketingsabgeordnete ... Da ist Hansen Hochrippe ... Dann ist er also doch damit fertig geworden!« flüsterte man ringsumher in den verschiedenen Gruppen.

»Ja, wir fanden ihn draussen im W.C.; er lag auf den Knien und ... rin in die Kumme!« belehrte O. W. Fredriksen. »Wir wollten, dass er sich ein wenig auf die Chaiselongue legen oder nach Hause fahren sollte ... Aber – glauben Sie wohl, dass der Mann das wollte!«

»Und einen Kunjak!« rief der Folketingsabgeordnete der entfliehenden Frau Wäver nach. »Einen Kunjak zum Kaffee, liebe Frau Konsul!«

Elegant, stilvoll, englisch kam der Konsul aus dem Herrenzimmer gegangen. Er hielt vier Karten fächerförmig in der ausgestreckten Hand:

»L'hombre?« fragte er. »Whist? Bridge?«

Aus dem Gartensaal schallten taktfeste Klaviertöne. Jetzt tanzte man dort Polka.

Gleich in der Tür sass die Bürgermeisterin, umringt von fünf bis sechs Damen. Sie ragte zwischen ihnen auf wie die Stange einer Plat de menage und krallte die Augen in die Tanzenden, während sie vorüberkamen.

»Na,« sagte sie. »So haben sie sich doch endlich gefunden!«

Die Damen folgten ihrem Blick.

Förster Treschau und Fräulein von Löwenfeldt hatten ihr Interesse erregt.

Stumm glitten sie über das Parkett hin. Ein schönes Paar, gross und schlank, wie füreinander geschaffen. Sie lag hingebend in seinen Armen, den Kopf leicht zurückgelehnt, bleich, die Augen halb geschlossen, während der lange Buschmannbart des Försters gleichsam liebkosend über ihren entblössten Hals hin und her strich.

»Nein!« sagte die Bürgermeisterin. »Dies ist denn doch ...!«

»Und sehen Sie nur die Konsulin!« flüsterte Frau Obergerichtsrat Petersen. »Sehen Sie doch die Konsulin!«

»Dass sie sich nicht beherrschen kann!« sagte die Maklerin Blom.

Frau Wäver stand in der Tür zum Wohnzimmer, wie hypnotisiert von dem tanzenden Paar.

»Mutter!« rief Frejlif, der mit dem jüngsten Fräulein Blom vorüberraste. »Mutter!« rief er und lachte quäkend. »Bist du in Trance verfallen?«

Die Konsulin machte hastig kehrt und verschwand.


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