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Im ersten Jahr wohnte das Ehepaar in dem väterlichen Pfarrhause bei Michaels Eltern, wo der Sohn Kaplan war.

Dies Jahr war wie eine ununterbrochene Qual für die junge Frau, denn ihr Mann stand völlig unter der Herrschaft der Alten, und alle drei verlangten sie unter Drohungen vom ewigen Feuer und Schwefel, dass Alvilda der Welt mit ihrem Fleische entsagen und Honig aus den Kräutern des Himmelreichs saugen solle.

Ja, der Schwiegervater betete sogar öffentlich von der Kanzel herab für die Erlösung ihrer irregeleiteten Seele:

– Das Leben müsse ertötet werden, sagte er. »Denn der Tod ist das Leben, und das Leben ist der Tod und zwei mal zwei sind fünf!«

Und als sie ihr Kind geboren hatte, nahm man es ihr weg, unter dem Vorwand, dass es nur dann in dem Herrn gedeihen könne, wenn es von einer wahrhaft christlichen Frau mit gläubiger Milch aufgesäugt würde ...

Da aber verliess Alvilda heimlich das Pfarrhaus und suchte Zuflucht in der Hauptstadt bei ihrer verheirateten Schwester, Rose Höberg.

Von hier aus schrieb sie an den Kaplan, dass sie nie und nimmer zu ihm zurückkehren würde, solange er sich auf der Halbinsel aufhielt.

Und Michael, der sie noch immer liebte, bewarb sich um eine andere Pfarre ...

So kamen sie nach Söby; aber der Kampf zwischen ihnen hörte nicht auf.

Als Pfarrer und Seelsorger musste er ja nämlich versuchen, sie unter das Hauptgebot seiner Religion: Entsagung des Fleisches, zu zwingen.

Und er, der selbst ihre Sinne wachgerufen hatte, hielt es nun für seine Pflicht, sie zu ertöten.

Zu dem Zweck setzte er sie auf Ration:

»Denn uns beiden geziemt es, zu sühnen, was wir verbrochen haben.«

Und er setzte deswegen ein für allemal den Mittwoch an, als am besten geeignet für das, was er »das Opfer des Vergessens« nannte.

Den Mittwoch, der von Gott so fürsorgsvoll mitten in der Woche, gleich weit entfernt von den Vorbereitungen des Sonnabends und der Verkündigung des Sonntags angebracht ist.

Und näherte sie sich ihm zum Beispiel des Montags in Begierde, so wies er sie schroff zurück, selbst wenn auch er noch so brennend auf dem nachbarlichen Lager an ihrer Seite lag.

Denn entweder ist man Christ, oder man ist es nicht.

Und er war es. – –

Und dann traf sie Gudmund Treschau, den bestallten Don Juan der Gegend, Förster unter Kammerherr Löwenfeldt, Löwenholm. Ein grosses und prachtvolles Männchen mit einem mächtigen Bart, der ihm auf die Brust hinabfloss.

Kraft seiner männlichen Insignien besass er eine unbeschränkte Macht über das andere Geschlecht.

Wen er haben wollte, bekam er.

Demütig legten sich die Frauen vor ihm platt auf den Bauch, sich dem Zentrum der Erde nähernd, wie die Hühner vor dem Hahn:

»Hier liegen wir, Sire, s'il vous plaît ...!« glucksten sie.

Es war an einem Nachmittag im Januar mit Schlittenbahn und leisem Schneefall. Es hatte zu dämmern begonnen. Alvilda wanderte heimwärts der Stadt zu, von einem ihrer Spaziergänge auf der Vestermarker Landstrasse heimkehrend.

Weich und weiss sickerte der Schnee auf sie herab. Ihr war erwartungsvoll zumute. Es war Mittwoch.

Da ertönte Glockenklang und Schellengeklingel. Ein Schlitten ward sichtbar und glitt vorüber:

– Der Förster!

Sobald er sie erkannte, hielt er das Pferd an.

»Aber gehen Sie denn da so allein, liebe Frau Pastorin? Darf ich nicht die Ehre haben, Sie nach Hause zu befördern? Es ist ja schon fast dunkel ...«

Er schlug die Bärenfelldecke zurück und sprang aus dem Schlitten:

»Bitte schön!« sagte er. »Setzen Sie sich hinein. Ich stelle mich hinten auf.«

»Nein, nein ...« flehte Alvilda.

Aber er lächelte nur: »Sie können dieses hier umbinden; sonst könnten Sie frieren.«

Er entledigte sich seines Pelzes und zog ihn ihr an.

»Nein, nein ...« flehte Alvilda wieder.

Aber er nahm sie in seine Arme und brachte sie im Schlitten unter.

Er selbst setzte sich auf den Kutschersitz.

»Nun machen wir erst eine flotte kleine Fahrt auf die Landstrasse hinaus,« lächelte er. »Wir kommen immer noch früh genug zu Sr. Hoch würden zurück.«

Und er wendete Pferd und Schlitten um und fuhr nach dem Vestermarker Walde zurück ...

Alvilda schloss die Augen und kroch tiefer in den Pelz zurück.

Der war noch warm von seinem Körper. Und es war Mittwoch.

 

Ein paar Stunden später sass Frau Alvilda bleich und klein in Zollkontrolleur Knagsteds Wohnstube. Ihr dunkelblondes Haar hing ihr in nassen Strähnen in das Gesicht.

Der Zöllner ging langsam vor ihr auf und nieder.

Das Lampenlicht fiel gedämpft durch den roten Papierschirm.

Und die Pastorin erzählte:

– Sie hatte einen ihrer gewohnten Nachmittagsspaziergänge nach dem Marientaler Weg hinaus gemacht, berichtete sie. – Und dann war sie plötzlich von einem heftigen Unwohlsein befallen. Sie war nach dem nächsten Hause geeilt, um Schutz zu suchen, war aber in eine Schneewehe gesunken und ohnmächtig geworden. Als sie wieder so weit zu sich gekommen war, dass ihre Beine sie tragen konnten, hatte sie sich auf den Heimweg gemacht. Aber hier gerade vor der Villa des Zöllners war sie wieder elend geworden ...

– Das sind ja alles ausgestunkene Lügen, was du mir da vorfaselst, kleine Frau! dachte Knagsted.

»Aber jetzt, glaube ich, bin ich so weit erholt, dass ich nach Hause kommen kann,« schloss Alvilda.

»Gestatten Frau Pastorin, dass ich Sie begleite ...?«

»Nein, ich danke, Herr Zollkontrolleur, das tut wirklich nicht nötig ...«

»Ja, wenn ich nicht neben Ihnen hergehen darf, dann trolle ich hinterdrein. Allein lass' ich Sie nicht gehen.«

»Wie liebenswürdig Sie doch sind!« lächelte sie. »Und nun habe ich Sie obendrein fast eine Stunde mit meinem Gejammer aufgehalten.«

»Ja, eine gute Stunde!« lächelte der Zöllner zurück

(Die Dame war höchstens zwanzig Minuten im Zimmer gewesen.)

Alvilda stand einen Augenblick da und sah nieder. Dann fiel sie ihm plötzlich um den Hals:

»Wie lieb Sie sind!« sagte sie.

»Und wie süss Sie sind!« sagte er. »Wollen wir nun gehen? ...«

Als sie in die Nähe des Pfarrhauses gelangt waren, kam ihnen Pastor Sörensen aus der Nebenstrasse entgegen.

Der Zöllner fühlte, wie sie gleichsam kleiner wurde, als sie ihn erblickte.

Aber dann raffte sie sich auf.

Im selben Augenblicke sauste ein Schlitten an ihnen vorüber.

Es war der Förster.

»Guten Abend! Guten Abend!« rief er. »Noch so spät draussen!«

»Wie schnell der Mensch doch fährt!« sagte Alvilda. »Wer war das?«

»Kannten Sie ihn nicht ...« sagte Knagsted.

Jetzt stand Pastor Sörensen vor ihnen: » Aber Alvilda, Kind, wo bist du nur einmal gewesen?«

Er vergass ganz, den Zöllner zu begrüssen:

»Wie du mich doch geängstigt hast!«

Sein Gesicht war bleich und leidend. Der Rock war schief zugeknöpft. Und die roten, unbehandschuhten Hände hielt er ihr gefaltet entgegen.

»Ihre Frau ist krank, Herr Pastor.«

»Krank ...? Aber wo ist sie doch nur den ganzen Nachmittag gewesen?«

Alvilda wollte antworten, aber Knagsted kam ihr zuvor:

»Bei mir ...« sagte er. »Ich fand sie am Wegesrande draussen vor meinem Hause sitzen, und da half ich ihr in die Stube hinein ... Ich konnte Ihnen keine Nachricht zukommen lassen ... meine Haushälterin war aus ... und ein Telephon habe ich nicht ... Aber wollen wir Ihre Frau nicht lieber nach Hause bringen; ich glaube, es ist das Beste für sie, wenn sie so schnell wie möglich zur Ruhe kommt ...«

Langsam führten die beiden Herren die Kranke nach dem Pfarrhause.

Alvilda ging schwerfällig und prächtig schwankend zwischen ihnen ...

Dies Ereignis fand also im Januar statt.

Jetzt war Sommer. Und heute hatte der Pastor seine Ehehälfte persönlich aus der Försterei in Vestermark abholen müssen.

Ein eifriges Mitglied der Gemeinde hatte sie da hineinschlüpfen sehen und ihm einen Eilboten geschickt.

 

Acht Tage später verliess Alvilda zum zweiten Male ihren Mann und suchte von neuem Zuflucht bei ihrer Schwester in der Hauptstadt.


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