Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

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29.

»Aber warum nun das alles so und nicht anders?« – fragte jener Philosoph, da er über seine Schicksale nachdachte; und vermutlich werden meine Leser eine ähnliche Frage tun. Schriebe ich eine erdichtete Geschichte, so antworte ich geradezu – weil ich meinen Helden nach dem Handwerksgebrauche mit einer Frau versorgen und, weil sie nirgends sonst zu bekommen ist, aus einem Bordelle holen muß; allein von einem Erzähler wahrhafter Begebenheiten wie ich fodert man, daß er die Reihenfolge derselben aus bessern Gründen entwickelt – und das von Rechts wegen.

In welchem Zustande sich unser Philosoph befand, als die Liebe sich seines ehmals gegen alles, was weiblich heißt, unempfindlichen Herzens so plötzlich bemächtigte, ist vorhin gemeldet worden; – ein Zustand war es, der recht gemacht schien, den Keim der Zuneigung zu erwärmen, zu befruchten und die Liebe daraus hervorwachsen zu lassen. In keinem Erdreiche wächst die Liebe schneller und besser als auf der Dankbarkeit. Während seiner Trennung von der ehmaligen Fräulein Adelheid – denn itzt kann man diesen Namen nicht mehr an sie verschwenden – war seine Abneigung gegen das schöne Geschlecht bloß durch den Umgang mit verschiedenen Personen desselben, die ihn sich verbindlich gemacht hatten, nicht nur vermindert, sondern sogar bis zu dem Grade weggeräumt worden, daß er die Frauenzimmer mehr als erträglich fand. Die Hindernisse der Liebe waren also aus dem Wege geschafft, und seine respektive Gönnerinnen, Gebieterinnen und Liebhaberinnen hatten die Portion von dem Gefühle der Liebe, die die allgütige Natur seinem Herze anvertraute und seine ersten Schicksale in einen Winkel niederdrückten und beinahe ganz umbrachten, in Bewegung gesetzt und ihn gleichsam fähig gemacht, ein Frauenzimmer zu lieben. Nach solchen Vorbereitungen ist es nicht unwahrscheinlich, noch zu überraschend, daß aus dem Samen der Dankbarkeit Liebe bei ihm aufwuchs; daß aber diese Liebe sogleich in eine Liebeserklärung ausbrach und diese erste Liebeserklärung eine förmliche Brautwerbung war, das ist wenigstens wunderbar, wenn gleich nicht unglaublich.

Da alle Szenen seines Lebens, wobei Adelheid eine Mitspielerin gewesen war, wie die Verwandlungen eines Operntheaters in seinem Kopfe erschienen und verschwanden, so mischte sich eine darunter, bloß weil sie mit jenen durch die Reihe des Erfolgs zusammenhing – sein Aufenthalt bei dem zufriednen Landphilosophen, die Lebensgeschichte desselben und vor allem schön und licht ausgemalt, weil sie mit seinen gegenwärtigen Gedanken und Empfindungen in Verwandtschaft stund, in welchem Fall das Gedächtnis zu seinen Bildern allzeit die hellsten hervorstechendsten Farben nimmt – vor allen andern die Verheiratung jenes Mannes mit seiner Klare. Die Vorstellung von ihrer Liebe, ihren Schicksalen und ihrer häuslichen Glückseligkeit war so rührend angenehm, daß er sie beneidete oder, welches eins ist, nach ihr verlangte. Die Liebe zu seiner wiedergefundnen Wohltäterin lag schon völlig fertig im Herzen; was war natürlicher, als daß sie, mit jenem Verlangen verbunden, bei einem Manne, der nicht gewohnt war, über den gegenwärtigen Augenblick hinauszudenken, sogleich in eine Liebeserklärung ausbrach und daß diese Liebeserklärung, weil er keine andre Art von Liebe als die Ehe kannte, sogleich eine Anwerbung um ihre Hand war? – Er hielt ohne Bedenken, ohne zu überlegen, daß sie beide Fleisch und Blut hätten, Nahrung und Kleider bedürften – mit einem Worte, ohne gehörige vorläufige Rechnung, um sie an; und sie – schämte sich, grimassierte und zierte sich anfangs so artig und fein wie eine richardsonische Heldin – und vermutlich auch nur der Lady Grandison, der Miß Clarissa Harlowe zu Ehren – ein Umstand, der allein schon vermögend war, ihr meinen Philosophen lieb und teuer zu machen, daß er ihr eine so vortreffliche Gelegenheit, einer Byron nachzugrimassieren, verschafft hatte! Sie zierte sich, bis sie stürzte, bis mein Held, wie ein höflicher Romanritter, ihre Sittsamkeit wider seine beiden Gefährten verteidigte; und das war die glückliche Epoque, wo die vorhin angefangne Hochachtung für ihn in Liebe überging.

Je mehr sie nach ihrer Flucht in ihr Kabinett den ganzen Vorfall und besonders die letzte merkwürdige Handlung ihres Liebhabers betrachtete, desto heller wurde der Glanz, den ihre Phantasie wie die Glorie eines Heiligen um sie herumzog. Nichts konnte der ritterlichen Tat des Grandison, da er seine Byron aus den boshaften Klauen eines Sir Hargrave Pollexson errettete, in ihrer Einbildung ähnlicher sein; und was der Ähnlichkeit in unsrer kalten Vorstellung abgeht, das setzte ihre warme Phantasie aus eigner Erfindung hinzu. Sie zog die Parallele den ganzen Abend hindurch genau und umständlich, und Grandison paßte auf Tobias Knauten so allerliebst als zween Triangel, die einander decken; – kein Zug des Charakters, der nicht herrlich übereinstimmte! Ihr Knaut und Grandison waren eins; einen Grandison und nur einen Grandison hatte sie sich beständig gewünscht – um die Freude zu haben und sich als eine Miß Byron ansehn zu können – er war da, er liebte sie; – genug, es war nichts anders zu tun, sie mußte ihren Grandison lieben; sie tat es. – Doch zur Ehe? – dazu konnte sie teils nicht eher schreiten, als bis sie alle Zierereien ihres Modells durchagiert hatte, teils – fiel ihr der Gedanke ein, ob sie ihr Grandison so gut wie sein Vorbild ernähren könne? – Von diesem Umstände mußte vorher Nachricht eingezogen werden; war diese erwünscht, so ging es nach dem gewöhnlichen Laufe, wie Goldsmith uns erzählt:

Miß zierte sich, ward rot, und sagte – ja!


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