Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

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2.

Acht Tage lang ließ man ihm Zeit, sein System auf alle Seiten zu drehen, es auszuputzen und in die gehörige Form zu bringen; doch kam es für diesmal nicht weiter; alles, was vorhin davon gemeldet worden ist, war der Kern, die Substanz seiner Selbstbetrachtungen. Nach diesem Termine näherte sich ihm eine menschliche Figur, die ihm mit brummenden Tone seine Befreiung ankündigte. Fast wußte er nicht, ob er sich darüber freuen sollte, so sehr hatte ihm die Gewohnheit seinen Zustand annehmlich gemacht, und nur noch einmal so viel Zeit fehlte, so schlug er seine Entlassung wie jener gefangne Chineser aus, der in den Ketten grau geworden war und also auch lieber in Ketten als in der Freiheit sterben wollte.

Er wurde einer Gesellschaft vorgestellt, die ihm bei seiner Erscheinung sogleich ankündigte, daß er von seiner Erbschaft nicht das geringste zu erwarten habe, daß sein geerbtes Haus bestohlen, nebst dem ganzen Dorfe abgebrannt und das ganze Gut von den Gläubigern seines Erblassers in Beschlag genommen sei. – Er stutzte; sein Herz schlug ein wenig stärker. – Ha! rief seine Philosophie, bist du nicht unter jeden Umständen glücklich? – Das Blut rebellierte noch eine Zeitlang; aber da man hinzusetzte, daß man ihm die Erlaubnis gebe, bei der Gesellschaft zu bleiben und Glück und Unglück mit ihr zu teilen, so setzte sich die Unruhe allmählich, die sich bisher in keiner Miene des Gesichts gezeigt hatte. Diese anscheinende Unempfindlichkeit verschaffte ihm den Beifall aller Umstehenden; sie glaubten, ein solches Subjekt als ein tüchtiges Werkzeug zu ihren Absichten gebrauchen zu können.

Wenn ich acht Tage lang in einer dunklen Höhle glücklich sein konnte, so bin ich's itzt noch mehr. Mein Haus ist verbrannt? – Gut, daß ich nicht mit verbrannt bin, sagte sich unser Philosoph und ließ sich unter die Gesellschaft durch ein feierliches Versprechen seiner Treue aufnehmen.

Nachdem er so eingeweiht worden war, kam der junge L. zum Vorschein, umarmte ihn und erneuerte unter vielen Freundschaftsversicherungen seine ehmalige Bekanntschaft, die nach seinem Ausdrucke nunmehr nichts als der Tod zerreißen sollte. Ohne Zweifel mußte seine stoische Seele eine kleine Neubegierde überfallen, das Rätselhafte dieser ganzen Geschichte aufgelöst zu sehn. Er erkundigte sich also bei ihm; allein sein Freund beteuerte, daß er noch zu neu in der Gesellschaft sei, um das völlige Geheimnis derselben zu erfahren, daß er ihm aber in Ansehung seiner bisherigen Begebenheiten so viel Licht erteilen wolle, als es seine eignen Verbindungen und Pflichten gegen den ansehnlichen Körper, von welchem sie beide Mitglieder wären, zuließen. Seine Nachricht belief sich also darauf, daß seine nunmehrigen Mitbrüder es einzig und allein wären, die ihm sein kaum geerbtes Haus geplündert und verbrannt hätten. – »Was?« rief Knaut etwas hitzig.– »Ja, sie sind es!« bekam er zur Antwort. »Darum mußtest du acht Tage in diesem Loche zubringen; unterdessen wurde dein Haus erbrochen und geplündert; aber es war verdammt wenig darinne; das machte uns böse, und wir zündeten den ganzen Plunder an. Was wäre dir denn ein leeres Haus nütze gewesen?« – »Das habt ihr getan!« rief Knaut etwas hitziger. – »Ja«, sagte Evander – dies war der Name des jungen L. bei der Gesellschaft –, »ja«, sagte er lachend. »Sei froh, daß du auf diese Art in unsre Gesellschaft gekommen bist!« – »Was soll ich aber hier?« – Diese Frage wurde in einem Tone getan, der ganz außer der Tonleiter seiner Philosophie war. – »Das sollst du erfahren«, erwiderte Evander, »nur Geduld!« – und mit diesen Worten verließ er ihn.

»Geduld!« rief der Philosoph und machte ein Geräusch dabei, das einem Zähneknirschen sehr nahe kam. – »Geduld?«, noch einmal und streckte sich dabei auf den Boden. – Wenn dir jemand Unrecht tut, so zürne nicht über ihn, sagte mir Selmann; er tut sich Schaden, nicht dir, du wirst darum nichts schlechter, aber er, denn er tat eine schlechte Handlung. – Mögen sie mir mein Haus verbrannt haben! Ich bin dadurch nichts schlimmer geworden – ich bin noch immer Tobias Knaut wie vorhin.

Während dieses Selbstgespräches trat ein langer ansehnlicher Mann zu ihm, dessen Miene so etwas Geheimnisreiches, einem Geisterbanner Ähnliches hatte, daß der Philosoph sich ehrerbietig von der Erde aufhub und unruhig erwartete, ob er ihn durch sein Zauberwort in ein Schwein oder einen Affen verwandeln werde. Elmickor, der das Haupt der Gesellschaft vorstellte, öffnete seinen Mund mit vieler Feierlichkeit, brummte etliche unverständliche Worte, worauf er den ehrlichen Knaut plötzlich bei dem Wirbel faßte und ihn in größter Geschwindigkeit so lange im Kreise herumdrehte, bis er schwindelnd auf den Boden sank. Darauf gab er ihm einen weitläuftigen Unterricht von den Absichten und den Verrichtungen der Gesellschaft, welche, wenn man seine Worte in gutes Deutsch übersetzen wollte, in nichts Geringerem bestunden, als die ganze Erde auf das feinste betrügen. Um sich seine Diener und Gehülfen desto ergebner zu machen, brauchte Elmickor einen gewissen Enthusiasmus zum Mittel, den er ihnen durch seine dunkle aufgedunsne Beredsamkeit so glücklich einzuflößen wußte, daß ein jeder ihn als den größten Mann und beinahe als einen halben Geist von einer höhern Ordnung anbetete. Nichts war hierzu dienlicher, als daß er jedes Mitglied, wenn es zur Gesellschaft zugelassen wurde, durch gewisse fürchterliche Feierlichkeiten einweihte; hielt man diese aus und zeigte beizeiten eine hinlängliche Verwirrung des Kopfs, so war man zu seinem Werkzeuge tüchtig. Von dieser Einweihungszerimonie wurde mit unserm Knaut gegenwärtig das Vorspiel gemacht; und da sein zerstreutes philosophisches Betragen, wenn man ihn obenhin beurteilte, einer Verwirrung sehr ähnlich schien, auch außerdem dringende Angelegenheiten es nicht erlaubten, sich lange mit ihm aufzuhalten, so ließ man es bei diesem Vorspiele bewenden.


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