Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

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15.

Tobias, ein völliger Ignorant in allen Vorfällen des schönen Lebens, ließ sich es nicht eine Sekunde einkommen, dieses Geschrei seiner wahren Ursache zuzuschreiben. Nein! er dachte eben, als es entstund, daran, wie unumgänglich seine bedrängten Umstände menschliche Hülfe erfoderten, und nichts schien ihm daher gewisser, als daß man ihm durch diesen Lärm den nötigen Beistand anbieten wollte, ohne die Unwahrscheinlichkeit zu bedenken, daß eine Seele außer ihm wissen konnte, daß er Beistand brauchte. Um, dieser Auslegung zufolge, gegen eine solche Güte nicht undankbar zu sein, kam er dem ausdrücklichen Anerbieten der Hülfe durch eine flehentliche Bitte zuvor, und sein Vortrag, seine Miene, seine Sprache und tausend andre Dinge, wodurch gewöhnlich die Menschen gerührt werden sollen und worunter vielleicht in dem gegenwärtigen und ähnlichen Fällen kein einziges für sich an der Rührung Anteil hat – genug, diese oder andre Umstände taten eine so starke Wirkung auf die Herzen beider Nymphen, daß sie auf der Stelle beschlossen, dem armen Notleidenden nach allen ihren Kräften mit Hülfe beizustehen. Verschiedene Leute, die sich mit Grillenfängereien über die Ursachen der menschlichen Handlungen abgeben, sind der wunderlichen Meinung, daß bei jeder andern Verbindung der Umstände, wo Tobias sich unentblößt gezeigt hätte, die Hülfe entweder gar nicht oder wenigstens nicht so angelegentlich betrieben sein würde. Wenn man nun aus diesem Einfalle einen allgemeinen Grundsatz ziehn wollte, so könnte man wohl gar sagen, daß Frauenzimmer oft darum gegen die Mannspersonen so mitleidig und barmherzig sind, weil sie – ich kann es nicht denken, viel weniger schreiben! – Fruchtbare Folgen ließen sich aus dem Satze ziehen, das ist nicht zu leugnen; nur schade, daß ihn so wenige Leute und ich selbst nicht zugeben wollen.

Indessen kann in dem vorhabenden Falle ein jeder sich die Sache denken, wie es seine Erfahrung oder Neigung zuläßt! Das muß aber doch alle Menschen gleich stark ärgern, daß sich, wie bei den meisten guten Handlungen, den löblichen Absichten der beiden Mitleidigen ein beinahe unüberwindliches Hindernis in den Weg stellte. Tobias war nackt; wie konnte man ihn daher, ohne vor – Empfindlichkeit will ich's unterdessen nennen – beinahe zu sterben, in einer solchen Verfassung aus dem Teiche steigen sehn? – Und aus dem Teiche mußte er doch, wenn er ihre Hülfe genießen wollte! Denn eine Viertelstunde weit bis in das Schloß des Rittergutes zu gehn und jemanden mit den notdürftigen Kleidern zu ihm herauszuschicken, der ihn alsdann hereingeführt hätte, um eine kleine Mittagsmahlzeit einzunehmen, das fiel keiner einzigen ein, und ein Mittel, woran man nicht denkt, ist, wie bekannt, nicht mehr wert als ein unmögliches.

So lange hat gewiß noch keine Schöne mit und ohne Ahnen über der Wahl einer Bandgarnitur oder Y** über der Wahl eines Hofmeisters für seine Kinder beratschlagt, als itzt geschah. Endlich kam es zum Schlusse. Beide – man höre nur, welches wirksame Mitleid! –, beide legten die entbehrlichsten Stücke ihrer Kleidung, zwo florne Saloppen, mit säuberlicher Sittsamkeit, mit zugekehrtem Rücken und weit hinter sich ausgestreckten Armen an den äußersten Rand des Dammes, so daß Tobias nur einen Sprung aus dem Wasser zu tun hatte, um sie zu ergreifen und sich damit zu bedecken. Kaum waren sie hingelegt – husch! liefen sie davon, so schnell, als Frauenzimmerfüße es erlauben. Tobias tat nach der Verordnung seiner Wohltäterinnen und folgte ihnen sogleich auf dem Schritte nach, ohngefähr so gut bedeckt als unsre ersten Großeltern seligen Andenkens, da sie zuerst für nötig erachteten, sich voreinander zu schämen. In einer Entfernung von zwölf Schritten folgte er ihnen nach, welches eine Sünde wider ihre Verordnung war, die ich an meinem Tobias nicht rechtfertigen kann; denn sie hatten ihm ausdrücklich befohlen, sich ihnen unter sechzehn Schritten nicht zu nähern.

Freilich, wenn man es genau betrachtet, war wohl die Natur vorzüglich schuld daran, und das ist auch die einzige Entschuldigung, die mich mit meinem Helden wieder aussöhnt. Darinnen machte es die Natur sehr gut: sie gab, wie Anakreon in seiner philosophischen Laune sagt,

– den Stieren Hörner,
Den Rossen gab sie Hufe,
Dem Hasen schnelle Läufte,
Den Löwen weite Rachen,
Dem Fisch die Kunst zu schwimmen,
Den Vögeln leichte Flügel,
Dem Manne Mut und Weisheit; –
Fürs Weib war nichts mehr übrig? –
O leider viel! – die Schönheit!
Die dient statt Schwert und Bogen,
Statt Spieße, Schild und Panzer.

Alles recht sehr gut! Hätte nur die liebe Natur die Vorsicht gebraucht, mit diesem gefährlichen Geschenke der Schönheit, mit diesem zweideutigen Geschenke, das, wie das Schießpulver, die Feinde tötet und bei der kleinsten Unvorsichtigkeit uns selbst ums Leben bringt, ein andres zu verbinden, das sie an ein verächtliches Tier verschwendet! Sie gab

Dem Hasen schnelle Läufte!

Warum gab sie nicht dem Weibe bei den täglichen Gefahren dieses Geschlechtes

Die Schönheit und die schnellsten Füße?

Und so hätte Tobias seine Entfernung von sechzehn Schritten richtig halten können. Seine Führerinnen marschierten zwar aus allen Kräften, um sich ihn nicht zu nahe kommen zu lassen, und waren sogar genötigt, sich oft nach ihm umzusehen; allein man kann es ihnen ebensowenig zur Last legen, daß sie immer noch nicht geschwinde genug liefen, als der guten Syrinx, daß sie sich ihre Lenden vom Pan umfassen ließ, ehe sie zum keuschen Schilfe wurde.

Manche paradoxe Sonderlinge äußern bei dieser Gelegenheit schon wieder eine ungereimte Meinung. Sie behaupten, daß dieser Mangel an Schnelligkeit der Füße von einer weisen Vorhersehung der Natur herrühre, die wohl gewußt hätte, daß sie dem schönen Geschlechte ein unnützes und überlästiges Geschenk damit machen würde. – Ich widerspreche dieser ketzerischen Behauptung geradezu. Meine Gründe dawider – die soll man ein andermal hören.


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