Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

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23.

Wenn es in dem Reiche der menschlichen Seelen nicht ein Grundgesetz wäre, alsdann am meisten nach einem Ungewissen, abwesenden Glücke zu verlangen, wenn wir ein gewisses gegenwärtiges am stärksten genießen, so würde Tobias sich in diesem Hause nicht Tage, sondern Jahre aufgehalten und in einem Elysäum zu befinden geglaubt haben; allein die Dazwischenkunft eines kleinen Umstandes, der ihn nicht einmal die Frist abwarten ließ, die in jenem Gesetze bestimmt wird, nötigte ihn schon innerhalb acht Tagen sein Elysäum zu verlassen.

Niemand hatte sich nach seiner Geburt, seinem Vaterlande, seinen Aussichten und andern dahin gehörigen Sachen in diesen acht Tagen erkundigt, nachdem eine Anfrage, die man gleich die erste halbe Stunde nach seiner Ankunft hierüber an ihn tat, wegen seines großen Schreckens unbeantwortet geblieben war. Warum dieses geschah, weiß ich in der Geschwindigkeit nicht anders als durch einen Zufall zu erklären. Auf einmal hielten es Wirt und Wirtin durch einen ähnlichen Zufall für nötig, von seinen ganzen Umständen unterrichtet zu sein. Sie befragten ihn darüber, und er antwortete mit seiner gewöhnlichen Offenherzigkeit, was seine Genealogie anbetraf; man fragte weiter nach seiner Geschichte, besonders nach den Ursachen seiner Entfernung von dem väterlichen Hause, und Tobias, so gerne er aufrichtigen Bericht davon gegeben hätte, war so unglücklich, daß ihm keine einzige beifiel. – »Ich wollte Soldat werden«, sagte er. »Du? Soldat?« rief der Alte lachend. »Wie fiel dir das ein? – Wie? – Wie?« wiederholte er zweimal, und – kurz, er wußte es selbst nicht. Sein Entschluß war nicht durch eine Reihe Überlegungen ausgebrütet worden, sondern durch eine plötzlich auffliegende Idee, die durch eine ebenso plötzliche Empfindung befruchtet wurde, wie ein wilder Stengel aufgeschossen, wie alle meine Leser vom ersten Bande her noch wissen werden; und wer mir in einem solchen Falle meinen Tobias übertrifft und eine Ursache, aus welcher ein solcher Entschluß aufwuchs, zu nennen weiß, der – Phyllida solus habeto – und ein ganzes Serail dazu, wenn jene nicht genung Belohnung ist.

Die ganze Sache geht sehr natürlich zu. Von einem Dinge, das keine Ursache hat, läßt sich unmöglich eine angeben, oder man muß lügen oder sich selbst hintergehn und eine falsche dafür halten. Wenn in der Atmosphäre unsers Kopfs durch die beständige Gärung und wechselseitige Wirkung der Ideen, die darinnen herumschwimmen, ein Entschluß wie ein Meteor auffliegt, muß es dann nicht ebenso unmöglich sein, die besondern Ideen anzugeben, durch deren Stoß und Gegenstoß er entstund, als die Teilchen herzuzählen, die sich aneinander reiben, wenn eine Sternschnuppe oder ein Blitz durch die Luft fährt? Trifft der Blitz irgendwo hin, so zündet oder zerschmettert er, und stößt der aufgestiegne Entschluß an dem rechten Orte an, so ist jedes Glied an dem Leibe, das er zu seiner Ausführung braucht, augenblicklich geschäftig – und die ganze Aktion geht so hurtig zu, daß wir nicht mit einer sekundenlangen Bedenklichkeit zwischen Stoß und Wirkung kommen können. Eine Erscheinung, die auf allen Seiten eines psychologischen Tagebuchs vorkommen würde, wenn ein Hell oder ein Euler in der Atmosphäre der Seele ebenso genaue Beobachtungen anstellte, als diese großen Astronomen es in der physischen tun!

Ich wette, Servante würde so verlegen wie Tobias sein, wenn man bei ihr anfragen wollte, warum sie ihrem Manne heute einen Kuß gab – den ersten seit ihrem Hochzeittage, warum sie ihren Bologneser neulich vom Kanapee jagte, damit ihr Mann sich zu ihr setzen konnte, da er doch dem Herkommen gemäß beständig weichen mußte, wo der Hund sitzen wollte – und bei andern Fragen mehr. Demungeachtet hätten manche in der Seelenkenntnis höchst unerfahrne Leute oft Lust, sich nach der Ursache bei ihr zu erkundigen, wenn es sich schickte, und wären wohl gar imstande, nach Maßgebung ihres Temperamentes zu schmälen oder sich darüber zu wundern, daß Tobias seinem Wirte nicht berichten konnte, warum er Soldat werden wollte.

Sogar der gute, sonst sehr billige Mann, der die Frage an ihn tat, wußte sich in seine Unwissenheit nicht zu finden. Sie machte ihm seinen Gast verdächtig, und er vermutete eine Menge Ursachen, die ihn nötigen konnten, seine Bewegungsgründe zu verhehlen; er äußerte sogar seinen Argwohn hierüber und hielt es, so sehr sich Tobias rechtfertigte, für seine Pflicht, ihn seinem Vater, den er ehmals gekannt haben wollte, richtig auszuliefern. Er machte sogar schon Anstalten, ihm seinen ältesten Sohn zur Bedeckung mitzugeben, und schmeichelte sich, dadurch eine sehr verdienstliche Handlung zu tun, worinnen Tobias' Begriffe von den seinigen himmelweit unterschieden waren.

Schon den vierten Tag nach der Ankunft meines Helden in diesem Hause war von seiten des Bewirters ein Fehler begangen worden, der jenem seine Glückseligkeit wo nicht verbitterte, doch wenigstens um die Hälfte ihrer Süßigkeit beraubte. Nach seinen strengen ländlichen Grundsätzen hielt er es für unanständig und beschwerlich vier Tage lang zu essen und zu trinken, ohne sich zu beschäftigen. Er bot ihm also in der guten Meinung, ihm durch Ersparung der Langeweile seinen Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen, eine Beschäftigung an, wie sie seinen Kräften und seinem Alter angemessen war. Der Antrag war für ihn so bestürzend, als er manchem sein würde, und ein paar Tage darauf kam gar das menschenfreundliche Anerbieten dazu, ihm wieder zu seinen Eltern zu verhelfen! Nun war in dem Hause nicht mehr auszudauren. Also wie jener Heilige, der lieber nicht in den Himmel wollte, weil er besorgte, auch Frauenzimmer dort anzutreffen, wobei seine Keuschheit in Gefahr geraten könnte, entschloß sich Tobias, zur Vermeidung eines größern Übels, seinem Glücke freiwillig zu entsagen. Stillschweigend ging er, ehe die Anstalten zu seiner Auslieferung zustande waren, zur Hintertür durch den Garten hinaus, und alle glückliche und unglückliche Erwartungen in der ganzen Welt waren nunmehr wieder seine. Ein eigner und vielleicht der einzige Vorzug aller Avantürer!


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