Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4.

Es war nur ein blinder Lärm! Nun schnarcht er wieder so ruhig, als wenn er es heute noch nicht getan hätte. Da es aber doch nicht lange mehr dauern dürfte, so muß ich geschwind etwas erzählen, ohne das vieles in der künftigen Geschichte unverständlich sein würde.

Als Tobias ohngefähr siebenunddreißig Minuten, etwas mehr oder weniger, geschlafen hatte, so fand sich, ich weiß nicht, auf was für einen Antrieb, eine Weibsperson zu ihm, die die ganze Figur des Schlafenden genau in Augenschein nahm. Nach einer kurzen Beobachtung setzte sie sich leise hinter Tobias' Rücken nieder – denn, wohl zu merken, Tobias lag auf dem rechten Ohre, zusammengekrümmt wie ein Armadillo in seinem Panzer; seine gewöhnliche, höchst ungesunde Lage, die ihm die Frau Knaut nicht hatte abgewöhnen können, weil sie seit seinem zehnten Jahre nicht mehr bei ihm schlief. – Kaum hatte, ohne sein Wissen, diese fremde Gesellschafterin sich leise bei ihm niedergelassen, als sie ebenso leise mit ihrer linken Hand durch die Spalte an dem Schoße des Kleides sich durchdrängte – und, was weiß ich, wohin weiter.

Hätte jemand von ferne die ganze Szene mit angesehen, so hätte er sein Urteil darüber bedächtlich aufschieben müssen oder gar keins fällen können oder ein falsches gewagt. Eine züchtige Keusche hätte gewiß beim ersten Anblicke die Schürze vor das Gesicht gezogen und mit weggekehrtem Gesichte gelispelt: »Himmel! das unzüchtige Weib! sich mit ihren Händen – ich erschrecke, wenn ich mir's nur denke –, sich mit ihren Händen an einen so gefährlichen Ort – zu wagen; ich stürbe, wenn ich's tun müßte! – das unzüchtige Weib!«

»Das gottlose Weib!« rief mit aufgesperrtem Munde und verdammender Miene, als ich ihn um seine Meinung darüber fragte, ein theologischer Heuchler; »sie will das junge, unschuldige Blut zur Sünde verführen! Wenn ich doch Aufseher über die Hölle wäre! Mit Leib und Seele wollte ich sie den Augenblick hineinwerfen – das gottlose Weib!«

Alle beide irren sich; aber was hat die Frau für eine Absicht?

Der Philosoph, dächte ich, könnte am besten entscheiden; er ist ans Entscheiden gewöhnt. »Das Gegründete ohne den Grund zu denken ist ungereimt. Selbst die subitanen Handlungen, die am wenigsten Effekte der denkenden Substanz und beinahe ganz vom Mechanismus herzurühren scheinen, müssen durch die selbsttätige, auf die Handlungswerkzeuge wirkende Kraft der Seele hervorgebracht werden, und zwar –«

Gut! – Mich däucht, das ist wohl gerade genug, um zu lernen, daß das gerühmte Licht der Philosophie niemals besser als am hellen Tage leuchtet; in der Dunkelheit ist es eine düstre Lampe, die eher blendet, als Licht gibt.

Indessen da doch die Absichten der Menschen bei ihren Handlungen für mich die wichtigsten Kenntnisse unter der Sonne sind, so beschloß ich, mich an die übrigen zwo Fakultäten zu wenden. Ich fragte also einen Arzt: »Und was, denken Sie, konnte die Frau im Sinne haben?«

»Umbringen wollte sie ihn!« schnarrte er mir zu und schlug mit beiden Händen, die er in Form eines Uringlases zusammenballte, dabei auf den Tisch, »und in dieser Absicht«, fuhr er fort, »hätte sie, nach pagina 14 meiner anatomischen Positionen, keinen bequemern Ort wählen können, – genug, sie hätte ihn nicht geschickter umbringen können, wenn sie auch gleich –«

»– vier völlige Jahre Medizin studiert hätte?« unterbrach ich ihn.

»Nein, nicht besser«, antwortete er, ohne mich zu verstehen, »Sie wissen, daß da die großen Blutadern, die nervi – – – um das – – – zusammenlaufen. Ein Stich! so muß er fort. Ich verordne ihm nichts als kühlende Umschläge, ein Unze Salpeter in sechszehn gleiche Teile geteilt, und morgens und abends –«

Ruhig ließ ich ihn sein Rezept vollends für sich verschreiben und wandte mich zu einem hinter mir stehenden Advokaten. »Sie haben die Sache gehört«, sagte ich, »was urteilen Sie darüber?«

»Sie will mehrbenannten Tobias Knaut bestehlen«, rief er mit lautem Gelächter. »Es ist nur gut, daß mein verschriebnes Rieß Papier gestern mit dem L–berger Fuhrmann angekommen ist – und vor Endigung der Inquisition kann das Holz zum Galgen, wenn es itzo bald geschlagen wird, noch sehr gut austrocknen.«

»Recht, mein Herr, ich bin Ihrer Meinung! Sie will ihn bestehlen« – und jeder einsehender Leser wird ihm mit mir darinne beistimmen, hoffe ich. – Sie will ihn bestehlen! Daß doch auf dergleichen affaires d'honneur sich niemand besser als die Priester der Gerechtigkeit versteht!

Nur schade, daß das gute Weib, um sich den Galgen zu verdienen, ihre Maßregeln sehr schlecht genommen hatte. Tobias reiste bekanntermaßen wie ein Gelehrter, und wer dergleichen Leute bestehlen will, begeht allezeit eine doppelte Torheit. Er wird zum Diebe, und nicht der Strick, womit er gehängt werden soll, wird ihm bezahlt. Die Frau, die itzt diese Torheit an meinem Tobias beging, hatte entweder mit ihrer Hand sich an einen zu empfindlichen Ort auf dem Wege nach dem Geldbeutel verirrt, den sie nach den gewöhnlichen Begriffen wohl nirgends anders als in der Hosentasche suchen mochte, oder hatte vielleicht den Eingang dazu, der durch die vielen Kleidungsstücke zu stark verpalisadiert war, mit Gewalt sprengen wollen; genug, er streckte einen Fuß, er streckte den andern aus und machte überhaupt alle die Bewegungen, die mich zu Ende des vorigen Absatzes in solche Unruhe setzten, bis er endlich erwachte und sich aufrichtete.

Nicht den dritten Teil so sehr konnte Daphne erschrecken, wenn sie ja erschrocken ist, da sie ihre Lenden vom Apoll umschlungen fühlte, als Tobias, wie er einen weiblichen Schatten neben dem seinigen gewahr wurde, sich umkehrte und eine weibliche Substanz neben sich sitzen sah, und sein Schrecken war um so viel größer, weil ihm diese Erscheinung bei dem ersten Anblicke seine Mutter zu sein schien. Doch da dieser Selbstbetrug besonders durch die freundliche Anrede seiner Gesellschafterin völlig gehoben worden war, so schlich sein Blut aus dem Gesichte, wohin es der Schrecken gejagt hatte, allmählich wieder nach den übrigen Teilen zurück, und nunmehr sah er nichts, als was in Natur neben ihm saß – ein ziemlich fettes, dickstämmiges Weib, bis an die Knie entblößt, wo ein leichter Unterrock anfing, der wegen seiner ungeheuren Löcher auch dem Teile, für welchen er eigentlich eine Beschirmung sein sollte, sehr schlechte Dienste leistete. Von da bis an die Achseln war ein Stück zerrißne, schmutzige Leinwand gewunden, das die ganzen Arme bloß ließ und die Reichtümer des Oberleibes in ihrer völligen, ansehnlichen Größe und Schönheit jedermann zur freien Ansicht darbot. Die Haare waren verwirrt untereinander geflochten, zum Teil hingen sie zerstreut um den Kopf herum. Sie mochte in einem Alter von ungefähr – ja, dreißig Jahre gebe ich ihr! – aber nicht eine Minute weniger, und ihr Gesicht hatte noch einige Ruinen von einer ehmaligen ländlichen Schönheit. An allen sichtbaren Teilen ihres Leibes war sie eine so fürchterliche Brünette, daß ein Neger bei dem ersten Anblicke vom Kopf bis auf die Füße hätte in sie verliebt sein müssen. Doch Tobias blieb bei allen diesen Schönheiten ungerührt. Kein Wunder! da er ein Europäer war und in seinem Dorfe die ersten Begriffe der Schönheit von dem kreideweißen Schwanenantlitze der gnädigen Frau und dem schimmelfarbnen Gesichte der Frau Magisterin abstrahiert hatte und also zweiundfünfzig Grade weit von dem Äquator nicht so wie unter den ersten zehn Graden von demselben empfinden konnte; da er überdies ein so erstaunlicher Verächter des ganzen schönen Geschlechts war, daß er auch selbst diejenigen nicht leiden konnte, die äußerlich nicht die geringsten Merkmale an sich trugen, daß sie zu diesem Geschlechte gehörten.


 << zurück weiter >>