Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

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17.

Ohne mich übrigens weiter in einen Streit darüber einzulassen, melde ich itzt, daß unsre Gesellschaft, während der Betrachtung im letzten Absatze, vom Teichdamme glücklich und wohlbehalten und, was noch mehr ist, ungesehen in dem adligen Schlosse angelangt ist und die Fräulein schon Sorge tragen, ihrem unglücklichen Begleiter Kleidung und Essen zu verschaffen, unterdessen daß der letztere in einer Stube die Wirkung ihrer Veranstaltungen erwarten muß. Ungesehen! sagte ich, ja, bis auf den gnädigen Papa der Fräulein Kunigunde, dem Herrn Hauptmann von V+++, der seiner Gewohnheit gemäß am Fenster seiner Wohnstube die genoßne Predigt verdaute und die Enten in der nächstgelegnen Pfütze mit vielen Freuden fütterte. Er war der witzigste Kopf in der ganzen Nachbarschaft, auf zwo Meilen in der Runde, und wenn ja hier und da einer einen gescheutern Einfall vorzubringen wagte, so setzte er doch sogleich einen aus seinem Kopfe mit einem so herzhaften Lachen darauf, daß der erste wie ein leichter Span von einem großen Strudel verschlungen wurde. Wischte jemand mit einem auffallenden Witze zwischen seine Deklamationen so hurtig hinein, daß er nicht Zeit hatte, ihn vor seiner Wirkung niederzudrücken, und die Gesellschaft schon anfing, ihn mit einem lächelnden Wohlgefallen zu belohnen, so lachte er mit einer so starken Ausdehnung der Lunge und so unwitzigen Erklärungen darüber, daß der andre sich schämen mußte, seinen Witz durch den ungestümen Beifall eines Mannes erniedrigt zu sehen, der so unschmackhafte Sachen sagen konnte. Jedermann in dem ganzen Bezirke, wo er mit seinem Witze tyrannisierte, lobte ihn als einen Mann von der besten Laune, und wenn er mit ausgeschüttetem Lachen, kreischender Stimme, durch die geöffneten zween Flügel der Tür hereinpolterte, so zogen in dem langweiligsten Zirkel die Muskeln eines jeden Gesichts sich auseinander, und jede Miene wurde zum Gelächter; jedermann ergötzte sich über seine Ergötzung; jedermann lachte mit der größten Erschütterung der Lenden bis zum Keuchen, und oft fragte hinterdrein der Nachbar den Nachbar: »Was sagte er?« – hörte es und konnte nicht lachen; dessen ungeachtet war der nächstfolgende Einfall, auch ohne verstanden zu werden, der belachenswürdigste, so gut, als wenn der vorhergehende nicht albern gewesen wäre. Kein Wunder war es, daß er bei einer täglichen, ja stündlichen Übung des Witzes nicht auch zuweilen erträgliche oder wohl gar bis auf einen gewissen Grad feine Gedanken, ohne Bewußtsein ihrer Güte, ausstieß; allein dies waren einzelne Stücken Konfekt, die ein überladner Magen unter einem Schwalle verdorbner Speisen auswirft. Alles, was Lob an ihm verdiente, war seine Lunge, und auch diese verlor die Hälfte ihres Verdienstes dadurch, daß sie durch Betäubung ein denkendes Gehirn acht Tage lang in einen Schwindel versetzte, der es so unfähig machte, daß zwischen ihm und dem Gehirne des Herrn Hauptmanns kein sonderlicher Unterschied war.

Kaum sahe er die Karawane, nämlich seine beiden Fräulein und meinen Tobias, sechs oder acht Schritte hinter ihnen, durch die Gartentüre hereinkommen, als er schon in ein so lautes Gelächter ausbrach, daß alle Enten vor Schrecken den Bissen aus dem Schnabel fallen ließen und an das äußerste Ende des Sumpfes flüchteten.

Dreimal stärker wurde dieses Gelächter, als er die Fräulein selbst, nachdem ihre wohltätigen Veranstaltungen vorüber waren, ins Zimmer treten sah, die, ganz durchdrungen von ihrer menschenfreundlichen Handlung, mit voller Begierde eilten, ihre Begebenheit in dem empfindungsvollsten Tone zu erzählen, und mit einer so großen Menge witzigen Schuttes von ihm überschüttet wurden, daß die ganze Erzählung darunter ersticken mußte. Endlich bekam sie Luft; sie ging so ziemlich ihren geraden Weg fort, ausgenommen an den Stellen, wo die höchst bedenklichen Situationen, in welche die Züchtigkeit seiner Fräulein geraten war, es unvermeidlich machten, daß er sie durch seine sich hervordrängenden Einfälle unterbrechen mußte. Er hörte die ganze tragische Geschichte meines Tobias vom Diebstahle der Zigeunerin bis auf seine Einwicklung in die flornen Saloppen so kaltblütig, mit so halben Ohren an, als neulich Sarkand bei einer wohlbesetzten Tafel mit vollen Backen anhören konnte, daß seine Schwester auf dem Wege wäre, in etlichen Wochen Hungers zu sterben.

Die beiden Schönen beschlossen ihre Erzählung mit einer Bitte, sich des geretteten Unglücklichen anzunehmen, und der Herr Hauptmann erzählte ihnen, daß heute keine Seele in der Kirche gewesen wäre als er. Sie erneuerten ihre Bitte und machten sie für ihn dadurch noch annehmlicher, daß die Fräulein Tochter ihm berichtete, der vornehmste Teil der nötigen Vorsorge sei bereits durch sie geschehen, die Cousine Adelheid hätte ihm eine alte Kleidung für ihr Geld verschafft, und wäre also nichts mehr vor der Hand übrig, als ihm einige Tage den Aufenthalt im Hause zu verstatten, bis man ihn auf irgendeine Art weiter unterbringen könnte.

»Ja«, unterbrach sie der Herr Hauptmann, »wißt ihr auch« – und dabei ging er nach dem Fenster zu, wo er bei ihrer Ankunft gestanden hatte –, »wißt ihr auch, daß meine Enten heute gar nicht fressen wollen. Das Teufelszeug muß eine Indigestion haben, oder es hat ihnen ein Schurke schon etwas zu naschen gegeben.« – Er klingelte; es kam der Jäger, der Verwalter mit untertänigsten Berichten und unmaßgeblichen Vorträgen, und das Schicksal meines Tobias blieb unentschieden, außer daß die beiden Fräulein während dieses wirtschaftlichen Auftrittes in dem einen Fenster stunden und heimlich Operationsplane für ihn machten.

Man setzte sich zu Tische; das einzige Gespräch bei der Suppe und dem ersten Gerichte war Tobias, bis endlich der Herr Hauptmann, als eben die zweite Schüssel und in derselben ein stattlicher Rehrücken aufgesetzt wurde, mit halben Unwillen ausbrach: »Meinethalben macht ihn zu euren Kammerpagen! Laßt mich nur wenigstens ruhig essen!« Dieser Bescheid brachte es dahin, daß die sittsamen Schönen ganz schwiegen, bis der Rehrücken zerschnitten war. Alsdann fingen sie von neuem an, jedoch ohne ihre Rede in gerader Linie an den Herrn Hauptmann zu richten, sondern es war nur ein halblautes Gezischel und dauerte so lange, bis endlich die gnädige Frau vom Hause mit einer phlegmatischen Neubegierde sich erkundigte: »Was habt ihr denn?« – Die Erzählung hub von neuem an und wurde von ihr mit derselben kalten Aufmerksamkeit angehört, mit welcher sie schon dreimal sie vernommen und wieder vergessen hatte. Den Schluß machte abermals eine Peroration an den Herrn Hauptmann, und der Herr Hauptmann ergrimmte, ließ den schönsten Bissen, der jemals durch seine Zähne gegangen war, aus dem Munde fallen und rief sprudelnd: »Geht zum – mit eurem Bettler!«

Der unmenschliche Wilde! Wenn der Himmel mich einst zu seinem Grabe kommen ließ, wie wollte ich meinen Tobias rächen! – Zwar, rächen? an ihm? einem Toten? – Wäre das nicht viel unmenschlicher, als den Lebendigen seine Hülfe versagen? Nein, auf seinen Leichenstein will ich mich setzen und mit drei lauten Seufzern ihn beklagen, daß die Natur ihm das größte Glück entzog – ihm ein Herz und kein Gefühl gab. Mit nicht geringerem Erstaunen, als mein und meiner Leser Unwille sein muß, hörten die beiden Fräulein jene schrecklichen Worte aus dem Munde ihres Vaters und Onkels und verstummten. Gern hätten sie laut wider ihn gezürnt, wenn es nur nicht Vater und Onkel gewesen wäre. Es blieb also bei einer aus Unwillen, Erstaunen, Scham und Verlegenheit zusammengesetzten Empfindung, die sich aber nicht weiter hervorwagte als bis auf die Wangen, wo sie sich durch ein glühendes Rot ankündigte. Der erzürnte Hauptmann kaute indessen mit so vieler Heftigkeit, als wenn er den beiden Schönen trotzen wollte, die allen Appetit sogleich verloren hatten. Eine fünfminutliche allgemeine Stille herrschte über dem ganzen Tische, bis endlich die Frau Hauptmännin, die ungemein langsam dachte und empfand und also itzt erst am Ende der fünf Minuten die Erzählung ihrer Tochter gefaßt hatte, ohne den fürchterlichen Befehl ihres Mannes gehört zu haben – bis diese, sage ich, das Stillschweigen unterbrach, indem sie mit langgedehntem Tone fragte: »Wo ist er denn her?« – »Das wissen wir nicht«, war die Antwort. »Er will Soldat werden«, setzte Fräulein Kunigunde halbzitternd hinzu.

»Soldat?« fragte der Hauptmann kauend. – »Ist der Junge groß?« – »Sehr klein, gnädiger Papa.« – »Was, Henker, will denn der Zwerg unter den Soldaten? – Laßt ihn herkommen!«

Bei diesen letzten Worten wurde die Röte auf den Backen der beiden Fräulein um die Hälfte höher und glühender, und die Freude nebst der Dankbarkeit sprach durch Augen, Mienen und Gebärden.

Tobias kam, redete mit vielem Enthusiasmus von seinem kriegerischen Plane, und der Herr Hauptmann wurde so sehr mit ihm ausgesöhnt, daß er ihm mit eigner Hand ein Stück Braten abschnitt und nebst einem Glase Wein überreichte. Nur das konnte er ihm nicht vergeben, daß er so klein, bucklicht und also ohne alle Talente zum Soldatenstande war; dieser ungünstige Umstand war auch Ursache, daß das Wohlwollen, welches Tobias' Neigung zum Soldatenleben ihm abzwang, um ein großes nicht so warm und herzhaft war, als es gewesen sein würde, wenn die Natur den Stoff zu seinem Körper ein paar Ellen länger gedehnt hätte. Sein Patron würdigte ihn der Ehre, seine Figur mit etlichen höchst faden Einfällen zu belachen, und erteilte ihm, als er erschöpft war, den Befehl, sich hinwegzubegeben, nachdem er ihm noch zuletzt geraten hatte, seinen Buckel auf die Schultern zu nehmen und ins Land der Liliputer zu wandern, wo er gewiß Flügelmann werden würde.

»Wo ist das Land?« fragte Tobias hitzig. – »Draußen vor meinem Tore.«

Mein Held hörte, verstund es und war nicht einen Augenblick empfindlich darüber, sondern küßte allen an der Tafel lächelnd die Hände und ging davon. Seine Wohltäterinnen hingegen empfanden statt seiner für ihn, gaben ihm einen Zehrpfennig auf den Weg und begleiteten ihn mit wehmütigen Augen bis zum Zimmer hinaus, worauf der witzige Paroxysmus des Hauptmanns von neuem anfing und binnen acht Tagen Rot und Weiß auf den Wangen der armen Fräulein mit jeder Minute abwechseln ließ!


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