Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

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8.

Panegyrikus auf die Gelehrten
Ein Fragment

– Du wirst in einen Zirkel von Geschöpfen höherer Art versetzt werden, mein Sohn, unter die Weisen, die Auserwählten, deren einziges Geschäfte – die Weisheit, deren höchstes Gut – die Wissenschaft ist, die in die Tiefen des menschlichen Wissens sich hinunter gewagt haben und mit reichen Schätzen zurückgekehrt sind, um sie wißbegierigen Jünglingen mitzuteilen, die selbst das Beispiel zu den Lehren der Weisheit sind, die sie ihren Lehrlingen einflößen; – du wirst unter Sokraten, unter Platonen, unter Ciceronen leben. Bedenke, wie wichtig der Schritt ist, der dich in diese ehrwürdige Versammlung trägt. – Wenn du in eine Gesellschaft tratest, deren Mitglieder durch Stand und Rang über dich erhaben waren, so tatest du es mit aller der Ehrfurcht, die du nach dem angenommenen Gebrauche ihren Vorzügen schuldig zu sein glaubtest. – Hier ist weit mehr! Nicht Vorzüge, die sich auf zufälligen Rang und Stand gründen! Nicht jene Vorzüge, die ein ausgehängtes Schild sind, um Leute zur Bewunderung herbeizulocken, weil man durch sich selbst nichts auszurichten sich getrauete! – Nein, wahre, wesentliche, persönliche Vorzüge! Vorzüge des Geistes! des Verstandes! des Herzens! die erhabensten, die göttlichsten, die Natur und Zufall erteilen können! – Welche Ehrfurcht kann für solche genug sein?

Die Geister, an denen sie glänzen, haben Verdienste um die Menschheit, deren Größe durch jedes Lob verringert wird. Sie irrten in tiefsinnigen Untersuchungen herum, um den allgemeinen Menschenverstand zu erhellen, den Menschen richtige Begriffe, richtige Grundsätze und durch diese Glückseligkeit zu verschaffen. Sie stiegen in den Mond, in den Jupiter und die übrigen Sterne; sie ließen sich in die Eingeweide der Erde hinab; sie drangen mit Adlerblicken in die Seele des Menschen hinein, und sie brachten Entdeckungen zurück! o Entdeckungen, als kein Seefahrer in einem Lande machte, das er zuerst gefunden hatte! – und unter diesen vielen die größte: daß man von allem, wonach sie forschten, nicht mehr wissen kann, als was man zu wissen glaubt. – Welche Verbindlichkeiten ist das menschliche Geschlecht einem Orden schuldig, der seit Jahrtausenden Ruhe, Vergnügen, Gesundheit und selbst das Leben aufopfert, um zu erfahren, wie viel der Mensch wissen kann und wie weit seine Erkenntnis über seine fünf Sinne reicht.

Siehe, mein Sohn –Mehr hat man nach vielem Nachsuchen von dieser merkwürdigen Rede nicht entdecken können.

Mit diesen hochgespannten Begriffen stieg Selmann auf das Pferd; wie lange sie so hochgespannt bleiben, das wird die Zukunft ausweisen.

Der Aufzug unsrer gelehrten Ritter entsprach diesen Begriffen und dem ganzen Unternehmen; so herrlich, als Don Quichotte, der Große, ritten sie auf zwei gewesenen Kutschpferden einher, von einem Bedienten auf einem alten Wirtschaftsklepper begleitet, der die nötige Wäsche und Zehrungskosten in einem grünen Mantelsacke nachtragen mußte und wegen eines Spasma mit seinem Reuter und der übrigen Ladung oft so lange zurückblieb, daß ein minder philosophischer Herr sich ebenso leicht einen Argwohn wider die Treue seines Dieners hätte erlauben können, als dieser in Versuchung geraten konnte, untreu zu werden; doch keinem von beiden fiel so etwas ein. Bei dem Ausritte folgten ihnen eine Menge Einwohner aus dem Dorfe nach, die mit Tränen in den Augen, Selmannen zu seiner Reise Glück wünschten und ihn um eine baldige Zurückkunft baten.

Selmann! brach dir da dein philosophisches Herz nicht? – Bedachtest du nicht, daß du durch deine Abwesenheit allen, die unter deinem Befehle gestanden und durch deine Güte und Wohltätigkeit ihre Armut und Unterwürfigkeit weniger gefühlt hatten, die Glückseligkeit ihres Lebens entzogest? – Fiel dir gar nicht ein, daß du sie insgesamt der Grausamkeit und Habsucht eines Mannes preisgabest, der durch die Verwaltung deines Vermögens den Schiffbruch seines eignen ersetzen wollte und, nach der Gewohnheit solcher BarbarenDer Kanzler Morus beschreibt dergleichen Raubtiere zu seinen Zeiten in seiner »Utopie«; »Qui«, sagt er, »non ipsi modo degunt, otiosi tanquam fuci, laboribus aliorum, quos, puta praediorum suorum, colonos, augendis reditibus ad vivum usque radunt, verum immensam quoque ot otiosorum stipatorum turbam circumferunt, qui nullam unquam quaerendi victus artem didicere.« , kein Mittel sich zu bereichern kannte, als daß er an dem dürftigen Einkommen der armen Hülflosen saugte, die ein unglücklicher Zufall ihm unterwarf? – Dachtest du nicht daran, warum du eine wirkliche Barbarei an so vielen Menschen begingst? – um einer Schimäre, eines Einfalles, eines nichtigen Einfalles willen!

Ja, hätte der gute Weltweise so ruhig wie ich am Tische gesessen und die Geschichte eines Fremden erzählt, so bin ich gut dafür, daß ihm sein Verstand, mit Hülfe seines guten Herzens, alle diese und vielleicht mehrere Umstände sehr rhetorisch vorgepredigt hätte; aber so! – mit einer geschäftigen Einbildungskraft, die das zu erwartende literarische Vergnügen mit den Farben des Himmels abmalte und unter beständigen Abwechselungen goldne Bilder vorhielt! – mit einem Herzen voll ungeduldigen Verlangens, den Genuß dieser Wollust zu erlangen! – und obendrein mit einem Verstande, der die Vernunftmäßigkeit und Nützlichkeit seines Vorhabens mit der deklamatorischen Beredsamkeit eines Kanzelredners herplauderte! – Wer in solcher Verfassung des Gehirns und des Blutes mehr tut als Selmann –

Was soll er zur Belohnung haben? –
Ein schönes Kleid? Minervens Gaben?
Punsch, Wein im Überfluß! und niemals Magenschmerz?
Den größten Spielergeist? ein tugendhaftes Herz? –
O wie gemein! wie alles so geringe?
Ich schafft ihm gleich das größeste der Dinge –
Ein hübsches Weib, das nie nach hübschern Männern schielt –

als der ihrige ist – versteht sich?

Die Ausfoderung gewinne ich, und wenn mein Gegner gleich einen Bart, so ansehnlich, so geistreich, als die Bärte aller griechischen Philosophen zusammengenommen, hätte: ich wette, er tut nichts mehr als Selmann, der über den Abschied dieser Leute bis in das Innerste gerührt war, etliche Tränen fallen ließ, und mit der väterlichsten Güte noch einige Wohltaten unter sie austeilte; – aber daß er weit väterlicher handelte, wenn er ihnen und sich diesen Abschied ersparte – diesen Gedanken vermochte seine gesamte Menschenfreundlichkeit mit allen ihren Rührungen nicht hervorzuziehn.

Nehmt es nun den Eroberern, den ruhmsüchtigen Staatsmännern noch übel, ihr Philosophen! Schmält nur, wenn sie bei dem Bestreben nach ihren Absichten gewisse Pflichten der Menschlichkeit übersehen, die sie bei ruhigem Kopfe und Herzen gewiß nicht übersehen hätten. – Selmann übersieht sie, weil ihm eine gelehrte Donquichotterei vor die Augen tritt, und Wolsey, weil ihm der Kardinalshut vor dem Gesichte schwebt; l'un vaut l'autre, nicht wahr?


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