Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

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5.

Die Frau Knaut tritt auf. Sie hatte unterwegs von ihrem Sohne Selmanns Güte und Vorsorge gegen ihn in einem kurzen Abrisse sich vortragen lassen und war also zu einer Lobrede darauf warm genug, die, sobald sie in Selmanns Gesichtskreis trat, unter unaufhörlichen zierlichen Knicksen und Verbeugungen hervorströmte. – Doch wer hat in dieser Welt die Langeweile lieb genug, um Komplimente anzuhören? Wir wollen sie, wie ihr Mäzenat tat, stehenlassen und dafür dem erstarrten Alten in den Wagen helfen, wie Tobias tat, der ihn, ceu pius Aeneas, auf die Schultern nahm und mit Hülfe des Bedienten glücklich in die Schäse brachte.

Man wird bemerkt haben, daß die Nerven der Frau Knaut nicht den mindesten Schaden gelitten haben; gleichwohl wurde ihr, halb aus Mitleid, als einer Leidenden, halb aus Galanterie, als einem Frauenzimmer, ein Platz neben ihrem Manne angewiesen. Selmann und Tobias gingen zu Fuße.

Die Freude des letztern über das Wiedersehn seiner Eltern und den Dienst, den er ihnen zugleich hatte leisten können, und über verschiedene andre Dinge, die ihm seine Einbildungskraft im Augenblicke vormalte, war so groß, daß er den ganzen Weg über keine Silbe redete.

»Daraus folgt«, ruft mir Aldobrandus mit schiefgedehntem Munde zu, »daß Elternliebe und Kinderliebe natürliche Triebe sind.«

Und daraus folgt, daß Herr Aldobrandus Weintrauben von Distelstauden pflücken kann! – Heute disputiere ich nicht.

Aber menschliches Herz, mit dir will ich – nicht disputieren! nicht streiten! nur die Wahrheit will ich dir sagen.

Mußt du, um zu empfinden, beständig die Einbildungskraft vorher um Hülfe bitten, daß sie mit dem Schlage ihres allmächtigen Zauberstabes eine Menge Bilder hervorspringen läßt, die alle unser wertes Ich von verschiedenen Seiten vorstellen? – Warum mußte Tobias sich, in Vergleichung mit der Freude, die er nachher empfand, nur wenig freuen, als er seinen Vater und Mutter wiedergefunden hatte? Dies sollte, wenn ich so sagen darf, die Haupthandlung seiner Freude sein; aber es war nur der erste Akt – nur die Protasis, mit dem Stagiriten zu reden. – Auf dem Wege erschien erst in seinem Gehirne eine Zusammenstellung seines vorigen Zustandes bei seinen Eltern und seines gegenwärtigen – ein fliegender Gedanke, daß er itzt imstande sei, ihnen Gutes zu tun, daß er dadurch einen Anspruch auf ihre Dankbarkeit gewinne, wobei der Stolz sich die Stirne rieb – vielerlei Vorstellungen von dem verbesserten Zustande an Leib und Seele, worinne seine Eltern ihn itzo antrafen – und vor allen Dingen der oft wiederkommende Gedanke, daß sie ihm, ihrem Sohn, ihr Leben, eine freundliche Aufnahme bei seinem Wohltäter, eine vermutlich ebenso freundliche Bewirtung, kurz, alles künftige Wohlsein zu danken hätten. – Diese und tausend andre Vorstellungen, die im Grunde nichts anders taten, als zum Stolze sagten: Siehe, welchen herrlichen Vorteil du dabei gewinnest! – Diese, sage ich, hüpften und sprangen in seinem Kopfe herum, mit jedem Sprunge traten sie auf eine von den mannigfaltigen zahlreichen Federn des Vergnügens, das Herz wurde von ihr berührt, und – die Freude war da!

Inzwischen, wenn man es recht bedenkt, kann man mit dem Herze nicht darüber zanken. Die Natur hat die Kette an dem Uhrwerke desselben sehr kurz gemacht; alle Augenblicke muß sie wieder aufgezogen werden. Ein Stoß von einer einzigen Idee! und sie ist abgelaufen, und wenn nicht gleich ein neuer Stoß geschieht, so steht das Werk gar still. Bei einer solchen Bewandtnis machte sie es gut, daß sie dem Gedanken, Ich, ein so vorzügliches Gewicht anhing; dieser windet sogleich die Empfindung wieder auf, und das Herz bewegt sich wieder so frisch wie eine Goeshamsche Taschenuhr.

Auch auf die Natur kann man darüber nicht zürnen.


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