Johann Karl Wezel
Lebensgeschichte Tobias Knauts
Johann Karl Wezel

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22.

Abends wurde mit den nämlichen Zerimonien die Mahlzeit eingenommen, wie es Tages vorher geschehen war. Nach Tische gingen die Kinder vor die Türe, um in dem hellen Mondenschein zu tanzen, zu singen, zu spielen. Die Frau vom Hause setzte sich in einer Ecke der Stube auf ihren gewöhnlichen hölzernen Sessel, um ihrem Manne und ihrem Gaste Gesellschaft zu leisten oder vielmehr – um zu schlafen. Tobias saß, wie gemeiniglich, neben dem Patienten und suchte durch allerhand verwandte Gespräche ihn zu seiner nachmittags abgebrochnen Erzählung zurückzubringen.

»Klare!« rief der Alte seiner Frau, die das Gemurmel ihrer Unterhaltung so sanft, wie ein Wiegenlied, schon eingeschläfert hatte.

»Klare! weißt du noch, wie vergnügt uns die Zeit verging, da wir miteinander in meiner Mutter Hause waren?«

»O das war eine vergnügte Zeit!« antwortete sie völlig erwacht und rückte mit beiden Händen die Haube, die bei dem Niedersinken des Kopfes sich sehr verschoben hatte, wieder in Ordnung. – »Das war die erste vergnügte Zeit, die ich auf der Welt zugebracht habe.«

»Für mich war sie auch sehr vergnügt!« erwiderte der Mann. »Die Arbeit ging mir so frisch von der Hand, daß der Abend immer da war, wenn ich dachte, es wäre erst Vesperzeit; und wenn ich vollends auf einem Stücke mit dir arbeitete, so wurde mir alles so leicht! – Ja, es ist wohl wahr, was ich immer gesagt habe! Die Vornehmen haben das Geld und wir Geringen die Freude. Unser voriger Herr hatte auch zu der Zeit eine Braut, die viele tausend Taler hatte. – Du, Klare! waren's nicht zwanzigtausend?«

»Je, noch einmal so viel!«

»Nu, siehe einmal! und waren doch nicht so vergnügt wie wir. Sie kam mit ihren Eltern oft zu ihm; da wurde getanzt, nach dem Vogel geschossen, gespielt, gegessen, getrunken; aber sie sahen alle aus wie die liebe Langeweile. Hätten sie gearbeitet miteinander wie wir, so wären sie auch so vergnügt gewesen. Ach, die Arbeit ist gar ein gutes Ding! Ich habe sie in meinem Leben allzeit gern getan. Ich wäre itzt nicht halb so krank, wenn ich arbeiten könnte. Nicht wahr, du meinst auch so, mein Sohn?«

Tobias, der die Güte der Arbeit nicht so lebhaft empfand, antwortete auf diese Anrede bloß mit einer Bewegung des Kopfes, die das Mittel zwischen Bejahung und Verneinung war.

»Wie hätten wir auch fortkommen können«, fuhr der Alte nach einer kleinen Pause fort, »wenn wir die Arbeit gespart hätten? Ich besinne mich noch, wie ich einmal des Abends hinter dem Hause am Bache unter den Weidensträuchen lag – du mochtest ohngefähr ein Vierteljahr bei meiner Mutter gewesen sein. – Ich war recht wehmütig darüber, daß wir einander nicht nehmen konnten, weil wir noch keine Nahrung hatten. Hm! dachte ich, so viele Leute haben einander geheiratet und hatten nichts mehr als wir, warum können wir's denn nicht tun? Vier gesunde, fleißige Hände können viel ausrichten. Sie müssen uns ja itzt ernähren. Wenn meine Mutter nur nicht so sehr dawider wäre! – Und was ich alles noch weiter dachte. Indem kamst du, Klare – du weißt ja wohl noch! –, hurtig kamst du herzugelaufen und schriest: ›Die Mutter ist tot! Der Schlag hat sie gerührt!‹ – Ich erschrak; aber – der liebe Himmel vergebe mir's! – es fiel mir wider meinen Willen ein: Nun können wir einander heiraten! Ich hatte sie gewiß recht lieb, und es tat mir weh, daß sie so plötzlich starb. Ich habe mich auch mannichmal darüber betrübt, daß mir das einkam; aber ich war gewiß nicht schuld daran.

Nun waren wir Mann und Frau! Freilich mußten wir uns sehr genau behelfen. Von meiner Mutter hatten wir nichts als ein Häuschen und ein paar Stückchen Feld geerbt, und gleich mein erstes Jahr war ein schweres Jahr. Von meiner ganzen Aussaat bekam ich nicht einen Bissen Brot; sie ertrank ganz und gar. Was war zu tun? Wir mußten borgen und kümmerlich leben. Drei Jahre darauf starb mir mein Vieh. Ich war immer noch ziemlich vergnügt gewesen, aber nun sank mir der Mut. Borgen konnte ich nicht mehr: denn mein Haus und Feld war schon verpfändet. Ohne Vieh konnte ich unmöglich sein. Das war eine Not! Und wenn ich nur noch meine Schulden hätte bezahlen können! So war ich nicht sicher, daß sie mir mein Häuschen nahmen. Wo denn hin?

Höre nur, mein liebes Kind, wie es wunderlich in diesem Leben zugeht! Ich dachte wohl immer: Zeitlebens ist doch noch niemand unglücklich gewesen; es wird dir gewiß wieder gut gehn; aber so hätte ich mir's doch nicht eingebildet.

Einmal arbeit' ich des Nachmittags um Lohn auf meines Nachbars Felde, da kömmt ein Gerichtsmann von * zu mir und fragt nach meinem Namen. Darauf sagte er mir, daß ich mit ihm gehen sollte, weil die Gerichte bei ihm notwendig mit mir zu reden hätten. Ich war mir nichts Böses bewußt; ich ging mit ihm; aber es wurde mir doch bange. Ich fragte etlichemal, was es wäre; er sagte mir's nicht.

Da ich hinkomme – kannst du dir's wohl vorstellen? – Denk einmal: Der Pfarr, der mich mit meiner Klare im härtesten Winter fortgetrieben hatte, war gestorben. Er hatte keine Frau, keine Kinder und sonst niemanden, und mir waren in seinem Testamente zweitausend Taler! vermacht, um mir zu zeigen, daß er's bereute, wie unbarmherzig er mit mir umgegangen wäre, hatte er dazugesetzt. Der gute Mann! Ich hatte ihm schon lange alles vergeben. Er hatte mir's noch auf seinem Todbette abbitten wollen; allein er war gestorben, ehe sie mich hatten holen können.

Nun war ich reich! Ich nahm die alte Marthe zu mir und pflegte sie recht; sie ist auch bei mir gestorben, wie ich dir schon gesagt habe. Ich baute mir ein besseres Haus; ich kaufte mehr Feld; ich kaufte Vieh; ich war fleißig mit meiner Frau, und in unsern alten Tagen können wir nun ruhig leben und andern Leuten Gutes tun. Wir sind immer fröhlich gewesen und sind's noch. Meine Söhne sind gut verheiratet, sind fleißig; meine älteste Tochter wird auch bald einen Mann bekommen; meine Kinder haben mich alle lieb – bin ich nicht recht glücklich? – Wenn ich nun vollends gesunde Füße hätte – aber es muß ja nicht alles sein, wie man wünscht. Desto fröhlicher werde ich sein, wenn ich wieder gesund bin.«

Man ging zu Bette.


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