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8.

Sie hatten nun doch noch ein paar Tage mit dem Lesen der Kritiken gezögert. Elisabeth hatte so viel mit dem Kinde zu tun gehabt; es schlief nicht mehr, es wurde lebhaft, aber es war leicht weinerlich, wie Kinder in der Genesung sind. Es sollte ruhig sein und doch unterhalten werden; nun spielte sie stundenlang mit ihm. All die kleinen Scherze ihrer Kinderzeit kamen ihr wieder ins Gedächtnis, sie holte sie hervor mit einer rührenden Geduld.

Es war ein merkwürdiger Anblick, die große Frau vor dem Bettchen knien zu sehen; ihre hohe Gestalt beugte sich tiefer und tiefer, das Schäkern stand ihrem ernsten Gesicht seltsam. Ebel war gerührt, wenn er sie so sah; sie gab sich so unendliche Mühe und machte sich so müde. Aber er ließ sie gewähren, er wußte, es war ihr eine Genugtuung.

Nun spielte der Kleine schon an seinem Tischchen unter Miles ängstlicher Obhut. Elisabeth saß an ihrem Schreibtisch, mechanisch hatte sie den gewohnten Platz wieder eingenommen. Ebel ging im Zimmer auf und ab, er ließ sie gar nicht aus den Augen, und Heider saß auf dem Sofa. Ein Zeitungsblatt nach dem andern legte er vor sich auf den Tisch, das Päckchen war schon hoch.

»Eine Menge Makulatur«, sagte er.

»Ich will sie alle hören. Weiter!« Elisabeth sprach ganz ruhig, nur die Farbe auf ihren Wangen kam und ging, sie wurde abwechselnd blaß und rot.

»Na, denn wieder an die Gewehre!« Heider schlug einen forciert heiteren Ton an und warf einen schnellen Blick auf Elisabeth.

Sie fing den Blick auf und lächelte. »Lesen Sie ruhig weiter.«

»Nun kommt die allerschlimmste!« sagte er.

»Lesen Sie nur!«

»›Einen schlimmen Durchfall erlitt gestern Herr Direktor Schwertfeger mit Aufführung des fünfaktigen Dramas der als Novellistin nicht unbekannten Frau Elisabeth Reinharz. Zu verwundern ist nur, wie der feinsinnige Leiter dieser wirklichen Kunstinteressen gewidmeten Bühne in seinem sonst so vortrefflichen Urteil so irren konnte; zu bedauern ist ferner, daß die Darsteller ihre schönen Kräfte an dieser literarischen Totgeburt verschwendeten. Um gleich vorwegzunehmen: Fräulein Maschkas stummes Spiel bei der vergeblichen Erwartung ihres Bräutigams im ersten Akt war geradezu vollendet; es verwischte in etwas den peinlichen Eindruck, den die technische Ungeschicktheit der Autorin hervorrief. Ebenso ausgezeichnet war das Spiel unseres Schoenfließ, der aus seiner matten, farblosen Rolle das Möglichste herausholte. Was er darin leistete, ist gar nicht genug anzuerkennen. Es war schon eine Selbstverleugnung, überhaupt diese Rolle zu übernehmen.

Ein gründlicheres Fiasko haben die Mauern unseres schönen Theaters wohl kaum je gesehen. Es ist bewundernswert, daß das Publikum eine so würdige Haltung bewahrte; es ist eben das gut gezogene Publikum der Residenz – diesen Abend hätte ich in einer anderen Stadt erleben mögen! Es ist geradezu unverständlich, wieso dies von evidenter Talentlosigkeit zeugende Machwerk …‹«

Heider hielt inne, er glaubte einen zitternden Atemzug vernommen zu haben, aber es war eine Täuschung. Elisabeth sah ihn ruhig an. Er las weiter:

»›Die Verfasserin umgibt sich mit dem Nimbus einer Realistin. Wenn reine oder vielmehr schmutzige Äußerlichkeiten, beleidigende Ausfälle gegen Gesellschaft und Geistlichkeit, eine verrohte Sprache, krasse Gefühlsäußerungen ohne jede Vorbereitung und Übergang Realismus sind, so ist Frau Reinharz eine Realistin; wir lehnen jede Fühlung mit dieser Art Realismus ab. Uns scheint, der Lorbeer ihrer hochbegabten Kollegin, Wlodzimira Starzynska, hat die Verfasserin der gestrigen Unglaublichkeit nicht ruhen lassen. Vermessen greift ihre Hand nach Sternen, die ihr unerreichbar sind …‹«

Nun hielt Heider doch inne, ein unterdrückter Laut schnitt ihm das Wort ab. Elisabeth war aufgefahren, totenblaß stand sie da.

»Warum wollen Sie auch solchen Wisch lesen!« Wütend knäulte er das Blatt zusammen und schleuderte es in eine Ecke.

»Weiter«, sagte sie tonlos und setzte sich wieder.

Ebel trat zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Laß, es greift dich doch an«, flüsterte er.

Sie lehnte den Kopf in seinen Arm. »O nein.« Die Augen schließend, blieb sie in derselben Stellung. »Lesen Sie weiter!«

Heider ergriff ein anderes Blatt. »Aha!« Ein Freudenschein flog über sein Gesicht. »Da sind doch auch Gerechte! Hören Sie, was der schreibt … nun erst allerhand im allgemeinen, das lasse ich aus … aber dann:

›Ein merkwürdiges Stück. Nur ein echtes Talent kann das schreiben. Da ist Kraft, Leidenschaft, Mut und Originalität. Eine echte, wenn auch freilich noch unbeholfene Dichternatur spricht zu uns. Noch ist Frau Reinharz nicht auf der Stufe angelangt, wo der Schriftsteller aufhört und der wahre Künstler anfängt – aber sie wird dahin kommen, besonders wenn es ihr gelingen wird, auch die männliche Individualität so zu zeichnen, daß sie sich ihren trefflich gesehenen Frauencharakteren ebenbürtig an die Seite stellt. Noch ist ihr der Mann ein Buch mit sieben Siegeln; aber ich zweifle nicht, sie wird lernen, und wir werden mit der Autorin als einem wichtigen Faktor unseres literarischen Lebens noch dereinst zu rechnen haben. Glück auf! Schade nur, daß durch den Mangel an Lokalkolorit, durch den verfehlten Schluß und durch die Darstellung … durch …‹«

Heider ließ das Blatt sinken. »Das hat kein Interesse mehr, es sagt nur, was wir leider wissen. Aber Glück auf, Elisabeth Reinharz! Glück auf!« Er war aufgesprungen und hielt ihr die Hand hin.

Sie hob den Kopf nicht vom Arm ihres Mannes. »Ich denke, Sie geben nichts auf Kritiken, Sie pfeifen drauf?!«

Er sah betroffen drein. »Ja, freilich, eigentlich, das hatte ich ganz vergessen. Ja, ich pfeife auch drauf. Aber, weiß Gott, man freut sich doch. Mut, Elisabeth!« Seine Stimme hatte einen ungemein herzlichen Klang. »Man hofft noch was von Ihnen!«

»Ich nicht mehr.« Sie lächelte, aber ein müdes Lächeln. »Ich kann nicht mehr. Ich habe mir das Wort gegeben am Bett meines Kindes – ich schreibe nicht mehr.«

Heider sah sie einen Augenblick starr an. »Unsinn!« sagte er dann rasch, wie sich selbst beruhigend.

»Viele sind berufen,« sprach sie ernst, ihr Gesicht veränderte keinen Zug, »wenige sind auserwählt – ich bin nicht auserwählt. Ich schreibe nicht mehr.«

»Sie werden schreiben, Sie müssen schreiben!« Heider sprudelte die Worte nur so heraus. »Hören Sie denn nicht, was vernünftige Leute sagen? Habe ich's Ihnen nicht vorgelesen, glauben Sie uns nicht, mir, Ihrem Manne? Es ist einfach ein Unrecht, Sie müssen

»Ich will nicht!« Sie scheuchte mit der Hand durch die Luft, als jage sie etwas fort.

Heider sah Ebel an und erwartete von ihm Widerspruch; dieser schüttelte nur unmerklich den Kopf, im Blick seiner Augen lag: »Abwarten. Ich habe keine Angst.« Er strich seiner Frau zart übers Haar. »Meine brave Frau!« Und dann bückte er sich und flüsterte ihr etwas ins Ohr.

Ein feines Rot stieg ihr ins Gesicht. »Ja,« sagte sie träumerisch, »ich weiß, du glaubst an mich.«

»Wir alle!« Es packte Heider wie Ungeduld. »Wenn Sie sich gleich von ein paar lumpigen Rezensionen so verstimmen, so niederdrücken lassen … hören Sie mal, hier schreibt ein anderer.« Er durchflog rasch ein neues Zeitungsblatt. »›Novität … gewagter Stoff … originelle Behandlung … Aufführung … Hitze … Urteilsunfähigkeit des Publikums …!‹« Er unterbrach sein Gebrumm und las deutlicher:

»›Ein Talent, das eigene Bahnen geht, hat stets zu kämpfen. Ich erinnere nur an Hebbel, Grillparzer …‹« Er unterbrach sich. »Nun, das können Sie sich schon gefallen lassen, die zitiert zu sehen!

›… an Sudermann, Hauptmann. Jahre mußten sie warten, bis auch pekuniäre Erfolge einigermaßen Früchte am Lorbeer ansetzten.‹« Heider lachte. »Sieh mal, der ist praktisch! Nun, wieviel hat Ihnen Schwertfeger ausgezahlt?«

»Maier schreibt: Fünfzehn Mark – bare fünfzehn Mark.« Elisabeth sagte es ohne jede Ironie. »Ich hätte Schwertfeger die fünfzehn Mark gern gelassen, was soll ich damit?«

»Wir legen sie unserem Jungen in die Sparbüchse«, sagte Ebel und lächelte freundlich. »Er mag später wissen, wie sauer seine Mutter sie erworben hat; sie werden ihm Glück bringen!«

»Oder auch nicht!« Elisabeth sprach hastig. »Wirf sie lieber weg, schenke sie niemand, es klebt Herzblut daran.« Sie sah geradeaus, über ihr ausdrucksvolles Gesicht gingen noch einmal alle Schauer des Erlebten. »Nein, gib sie ihm nicht!«

»Die letzte Zeitung!« sagte Heider, noch ein Blatt entfaltend. »Auch gut, aller guten Dinge sind drei. Nur der Held genügt ihm nicht; auch möchte er vor allen Dingen freundlichere Bilder haben. ›Bitte, recht freundlich‹, wie der Photograph sagt.

›… Warum vertieft sich die geschätzte Autorin in die Nachtseiten unseres Lebens? Ihr ernstes Talent …‹

Sehen Sie,« unterbrach Heider die Vorlesung, »immer Talent! ›… ihre nicht gewöhnliche Gestaltungskraft, ihr Mut, das zu sagen, was not tut, treibt sie leicht dazu, die schwarzen, allzu schweren Töne zu forcieren. Noch fehlt die Sonne. Wenn doch sieghaftere Töne in diese Poesie kämen! Frau Reinharz sollte lichtere Farben wählen, freundlichere Stoffe, und den männlichen Charakter eines eingehenderen Studiums würdigen. Dann wird es ihr auch nicht an Erfolg fehlen.‹

Immer der Vorwurf der ungenügenden männlichen Charakterisierung«, sagte Heider. »Es kann wohl möglich sein, daß Sie da …«

»Die Kritiker haben recht«, unterbrach sie ihn rasch. »Aber was wollen sie? Zeigt mir den Mann, der die Frau so zeichnet, wie sie wirklich ist! Er wird nie ganz wahr sein. Und ich den Mann zeichnen? Nun, ich bin eben eine Frau.«

»Aber dann: heitere Stoffe!« Heider nickte ihr ermutigend zu.

»Das sagen Sie mir?!« Sie sah ihn groß an. »Wissen Sie's denn nicht? Ich suche die Stoffe nicht, die Stoffe suchen mich.« Schwerfällig stand sie auf und ging ins Nebenzimmer zu dem Knaben. –

»Wir werden verreisen«, sagte Ebel. »Ich habe Urlaub erhalten, von Ende dieser Woche ab für fünf Wochen. Elisabeth muß herauskommen, es tut ihr not.«

»Aber wohin?«

»In ihre Heimat; da hat sie ihre Kunst gefunden, da wird sie sie auch wiederfinden.«

Heider sah ihn forschend an: hatte der Mann denn gar keine eigenen Wünsche, ging er kalt neben ihr her? Elisabeth war nicht glücklich – und der da?!

»Alter Junge, bist du glücklich?« fragte er plötzlich und legte dem anderen die Hand auf die Schulter.

»Ich hoffe es zu werden!« Ebel vermied den forschenden Blick Heiders nicht, sondern erwiderte ihn ruhig und offen. Dann sagte er in ganz demselben Ton: »Ich werde um Wohnung schreiben. Elisabeth hat mir vom Förster erzählt, ich denke, da kommen wir unter. Das Gutshaus ist geschlossen, der jetzige Besitzer wohnt nicht darin, sondern läßt alles verwalten. Im Dorfwirtshaus möchte ich nicht bleiben, da werden die Betten schlecht sein, und es ist auch nicht reinlich genug.«

Heider schüttelte den Kopf. Jetzt an so etwas zu denken! Der war doch ein Philister. – –

Elisabeth hatte wehmütig gelächelt, als ihr Mann sagte: »Nun können wir in deine Heimat reisen, ich habe Urlaub.« Vor Wochen hätte diese Botschaft ein belebendes Feuer in ihr angefacht, jetzt nickte sie nur. »Das ist lieb von dir!« Sie sagte nicht: »Ich freue mich.« Mit einer gewissen Lässigkeit betrieb sie die Vorbereitungen zur Reise. Sie wäre kaum fertig geworden, wenn Mile nicht mit Feuereifer gewaschen, geplättet und gepackt hätte. Die Alte war selig in dem Gedanken, noch einmal dahin zu kommen, wo sie, wie sie zutraulich zu dem Herrn sagte, »ihre besten Jahre verlebt hatte«. Ebel hörte sie dem Kinde von der Muhkuh, von den schönen Blümchen, von der guten, guten Milch erzählen, von dem großen Wald, wo Erdbeeren wachsen, so süß, wie es sonst gar keine mehr gibt. Ihre knarrige Stimme bekam dabei einen ganz melodischen Klang. Ebel mußte lächeln. Heimat, das war ein Zauberwort, das Alte jung macht und Betrübte froh – hatte es denn für Elisabeth gar keinen Reiz mehr? Vor Wochen noch hatte sie sich gesehnt, jetzt schien sie keiner lebhaften Empfindung mehr fähig zu sein. Sie war sanfter als sonst, von einer liebenswürdigen Nachgiebigkeit, wie sie nur Schwachen eigen ist. War sie körperlich leidend? Ihre Augen waren ohne Glanz, und sie hatte einen Teint wie ein bleichsüchtiges Mädchen.

Mit einer gehaltenen, ihr sonst fremden Ruhe erledigte sie, was zu erledigen war; es berührte Ebel eigentümlich, wenn er sah, wie sie aufräumte, wegpackte, einkampferte, als hätte sie nie für anderes Interesse gehabt. Als er am letzten Tag vor der Abreise nach Hause kam, fand er sie vor ihrem Schreibtisch. Sie saß am Boden, zerrissene Papiere waren um sie herumgestreut, in dem einen Seitenschränkchen lagen schon schön geordnete Bündel mit Bindfaden fest verschnürt. Jetzt räumte sie nicht weiter. Wie lange mochte sie schon so dagesessen haben, ein dünnes blaues Heft, anscheinend ein Schulheft, in der Hand, den verträumten Blick darauf gerichtet.

»Was hast du da?« fragte er.

Sie schrak zusammen. »Mein erster Versuch!« Sie hob das Heft in die Höhe, ein leiser Schmerz zuckte über ihr Gesicht. »Ich schrieb hier auf … hier hinein … früher …« Hastig warf sie das Heft in den Kasten zu den Bündeln und schloß fest zu. »So.« Langsam stand sie auf. »Nun habe ich abgeschlossen.« –

Es war das erstemal seit vier Jahren, daß sie wieder in die Freiheit hinauskam, in die wirkliche Freiheit, wo die Bäume wachsen, wie sie wollen, nicht sorgsam umhegt sind, zum Zählen vereinzelt wie die Bäume im Grunewald.

»Denke, du wirst wieder Korn wachsen sehen und Vögel singen hören«, sagte er. »Du wirst Blumen pflücken können, du liebst sie ja so. Wir wollen in der Wiese liegen und im Wald spazierengehen; wir besuchen alle deine alten Bekannten im Dorf. Freust du dich denn gar nicht?«

»O ja«, klang es müde.

»Du wirst mir die Plätze zeigen, wo du als Kind gespielt hast.«

»O ja.«

»Du windest einen Kranz aus Heidekraut, wir legen ihn dem Onkel aufs Grab.«

»Ja!« sagte sie lebhafter. Und dann düster: »Ich gehe über ein Grab.«

Sie sah traurig aus; das Wort erstarb ihm im Munde, er sagte nichts mehr.

Nun war der Morgen der Abreise da, ein schöner, lichter Morgen, an dem der Großstädter mit sehnsüchtigen Augen den Wagen nachschaut, die, mit Gepäck beladen, zur Eisenbahn rollen. Die Droschke hielt vor der Tür, die Koffer waren aufgeladen, Mile saß schon auf dem Rücksitz, das strampelnde Kind auf ihrem Schoß; noch waren die Bäckchen des kleinen Wilhelm blaß, aber der Sommerwind des freien Landes würde schon Rosen darauf erblühen lassen. Ebel hatte alles besorgt; nun wartete er unten. Elisabeth kam noch immer nicht herunter, sie hatte oben abschließen wollen, denn das Mädchen war zu seinen Eltern gereist.

Er sprang noch einmal hinauf. Da stand sie in der verödeten, kampferdurchdufteten Wohnung, alle Jalousien waren geschlossen, Spiegel und Polstermöbel hatte man verhängt, der Sofateppich war zusammengerollt; da stand sie unweit ihres Schreibtisches mit hängenden Armen, den Kopf gesenkt, schlapp fiel der graue Reisemantel an ihr herunter. Sie hatte ihres Mannes Schritt nicht gehört; jetzt drehte sie den Kopf, einen langen, langen Blick warf sie auf den Platz, wo sie so oft gesessen hatte – es war ein Abschiedsblick. Ebel wollte sie nicht stören, er ging vor ihr die Treppe hinunter. Da kam sie nach, er hörte sie zuschließen.

»Komm, Elisabeth, komm, wo bleibst du?!«

Schwer tappte ihr Schritt die Treppe hinunter. Sie trat auf wie jemand, der eine Last trägt. Nun war sie bei ihm. Er nahm sie bei der Hand; sie gingen die letzten Stufen miteinander.

Auf dem Bahnhof erwartete sie Heider; er hatte sich's nicht nehmen lassen, hier noch einmal den Freunden Lebewohl zu sagen. Elisabeth hatte sonst von niemand Abschied genommen; bei dem Gedanken an Besuche hatte sich ihre Stirn verfinstert und ein nervöses Frösteln sie überlaufen. An einem Tag war sie schon im Begriff gewesen, zu Kistemachers zu gehen – Frau Julie hatte sich wohl einen Dank verdient, die war so oft dagewesen –, aber unten an der Haustür war sie wieder umgekehrt. Nein, sie konnte nicht hingehen. Sie stieg wieder die Treppe hinauf, legte sich aufs Sofa und verträumte apathisch ein paar Stunden.

Heider hatte ein paar Rosen für Elisabeth und eine Tüte für den kleinen Wilhelm mitgebracht. Elisabeth war seltsam weich, er auch; immer wieder streifte sein Blick sie von der Seite – wie blaß, wie still! Ihr wehmütiges Lächeln mit dem kaum merklichen Ziehen der Mundwinkel schnitt ihm ins Herz. Sie gingen auf dem Bahnsteig hin und her; Ebel trug den Kleinen auf dem Arm, nun blieb er mit ihm vor dem Automaten stehen und zauberte eine Tafel Schokolade daraus hervor, während Mile aufgeregt das Handgepäck bewachte.

»Kommen Sie gut wieder!« sagte Heider zu Elisabeth und sah sie besorgt an. »Ebel tut Ihnen doch alles zuliebe, was er nur kann.« Er wartete einen Augenblick – was würde sie dazu sagen?

»Ja, das tut er.« Sie sah sich scheu um, ob auch niemand hörte. »Er tut mir so leid. Er wäre mit einer anderen glücklicher geworden.« Eine gewisse Unruhe lag in ihrem Ton. »Könnte ich's doch ändern! Er muß viel an mir vermissen.«

»Dafür liebt er Sie eben!« Es kostete Heider Überwindung, das zu sagen, es ging ihm eigentlich gegen den Strich; seine rabenschwarze Mähne sträubte sich, er fuhr sich mit den gespreizten Fingern durch.

»Was soll ich tun?!« Ihr ratloser Blick irrte umher. »Ich bin so müde,« klagte sie, »meine Kraft ist zu Ende – wo soll ich neue finden?!«

»Die kommt schon wieder. Schreiben, schreiben, sich frei schreiben!« Er warf die Mähne aus der kantigen Stirn zurück, seine Augen blitzten auf. » Dies Vorrecht ist unser

»Ich denke an das, was vergangen ist«, murmelte sie. »Wie war ich so anders! Ich könnte weinen. Hoffnungsfreudig, mutig – – oh, jene Tage, meine schönen Tage! Mein Stern, der …« Sie brach ab, ihr Mann näherte sich.

»Nun wird es aber Zeit,« sagte Ebel, »der Zug ist schon signalisiert. Da fährt er ein!«

Das Gedränge war nicht sehr groß, Vergnügungsreisende fahren nicht viele in jene Gegend. Da ist das Land zu flach, die Verhältnisse sind zu einfach und die Kiefernwälder zu eintönig.

»Reisen Sie glücklich!« sagte Heider. Er stand vor dem Abteil; sie waren schon alle darin, Mile und das Kind, Ebel brachte eben das Gepäck unter. Elisabeth stand am geöffneten Fenster und reichte dem Freunde noch einmal die Hand hinab.

Er ergriff sie und schüttelte sie kräftig. Das Blut war ihm zu Kopfe gestiegen, mit einem innigen Blick umfaßte er ihre Gestalt, und dann richtete er seine Augen fest auf ihr Gesicht. Ihre Blicke begegneten sich. Heider nickte.

»Mut, Mut!« sagte er leise und herzlich.

»Nicht weinen, weil sie vorüber!
Lächeln, weil sie gewesen!
Und werden die Tage auch trüber:
Unsere Sterne erlösen!«

Er schwenkte den Hut:

»Auf frohes Wiedersehen!«


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