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8.

Frau von Lindenhayn lag auf ihrem Diwan, die schönen Arme hinterm Kopf gekreuzt. Ihr weißes Negligé floß in weichen Falten bis auf den Teppich. Träumerisch sah sie nach den kleinen Rauchwölkchen ihrer Zigarette, mit schwimmenden, halb verschleierten Augen.

Sie liebte es, in der Dämmerstunde hier zu liegen; neben ihr auf dem Tischchen stand das Kistchen mit den russischen Zigaretten, ihre Hand griff immer wieder hinein. Lässig hingestreckt, sah sie im leichten Rauch Gestalten kommen und gehen, sich drehen und winden in phantastischen Verschlingungen. Sie dehnte sich auf dem weichen Lager – immer farbiger wurden die Gestalten, immer bunter, aus jedem Winkel des üppigen Gemachs flüsterten verführerische Stimmen, starke Männer, lockende Weiber tanzten bacchantisch durcheinander.

Sie gehörte seit einiger Zeit nicht mehr zu dem beliebten Schriftstellerinnenkleeblatt; mit Bolten und seinem Journal hatte sie endgültig gebrochen. Für das Publikum war sie weniger geworden, desto mehr für die Feinschmecker. Eingefleischte Junggesellen spitzten den Mund, wenn sie bei den Buchhändlern vorbeigingen, wo der neueste Band der Lindenhayn in schreiendem Rot – eine nackte Frauengestalt präsentierte sich auf dem Einbanddeckel – sofort in die Augen fiel. »Lauter Nuditäten!« sagte Herr Eugen Goedecke und ging verachtungsvoll vorbei; im übrigen hatte er das Buch längst von seinem Dienstmädchen holen lassen und abends im Bett – seine Frau war in Heringsdorf – heimlich verschlungen. Verlagsbuchhändler Maier machte kein schlechtes Geschäft.

Frau von Lindenhayn sichtete in diesen Dämmerstunden, die nur selten ein besonders Bevorzugter stören durfte, den Stoff, den ihre heiße Phantasie gebar. Mit geschlossenen Augen, umhüllt von den Rauchwölkchen der Zigarette und dem Ambraduft der eigenen Gewänder, schilderte sie das Leben – »wie es wirklich ist«, sagten ihre Verehrer.

Heute arbeitete sie nicht, sie las. Ein heißes Rot auf den Wangen, las sie mit eifersüchtiger Neugier. Ihre brennenden Blicke überflogen die Seiten. »Ach, bloß Dorfgeschichten«, hatte sie gesagt, als ihr Maier das Buch empfahl. Mit einem halb spöttischen, halb mitleidig wohlwollenden Lächeln hatte sie die ersten Seiten durchflogen; jetzt lachte sie nicht mehr.

Mit einem tiefen Atemzug ließ sie das Buch aus der Hand fallen, es glitt von der seidenen Decke herab auf den Boden; da blieb es liegen. Frau von Lindenhayn nahm es nicht mehr auf. Sie preßte die Fingerknöchel gegen die Augen und verharrte so lange in nachlässiger Haltung.

Auf keine ihrer Kolleginnen war sie eifersüchtig gewesen. Mit einem liebenswürdigen Lächeln hörte sie Alinde Rosen, die Widmann, die Starzynska und noch manche andere preisen; nur Eingeweihte entdeckten in diesem liebenswürdigen Lächeln die Überlegenheit. Aber diese kleine Reinharz – die schöne Frau schnellte aus ihrer Versunkenheit auf –, die, die!

Ihre Füße stießen die Decke zurück, sie sprang auf und lief im Zimmer auf und ab – wie kam das Mädchen dazu, so zu schreiben? Dieses simple Mädchen aus der Provinz, mit den glattgestrichenen Haaren und der phantasielosen Kleidung! Schwarzseidenes Kleid, bis unters Kinn zugeknöpft, weiße Rüschen – wie eine Pastorentochter! Frau von Lindenhayn grub die Hände in die schwarzen Haare, ihre verschleierten Augen öffneten sich groß – ein Nebelbild stieg vor ihr auf, weit in der Ferne –, sie sah sich selbst. So hatte auch sie einst angefangen, ganz bescheiden, ganz schlicht. Jetzt war sie die berühmte Schriftstellerin, aber, weiß Gott, ihre Arbeiten waren damals nicht schlechter gewesen. Sie seufzte und grübelte.

Die Zofe kam leise herein und brachte den Teeapparat und das silberne Kuchenkörbchen. Heute war Empfangstag. Es dauerte nicht lange, so erschien die Starzynska, hoch toupiert und eng geschnürt.

Sie fuhr herein wie ein Sausewind. »Wissen Sie's schon, Liebste? Maier verlegt mein Trauerspiel, er ist ganz entzückt! Und der Intendant hat mich darum gebeten, er will es demnächst zur Aufführung bringen!«

»Welcher Intendant?«

»Oh, ich meine den Direktor – Direktor Schwertfeger«, verbesserte die Starzynska. »Hoftheater riskieren ja mein Stück nicht, es ist zu stark. Haben Sie's nicht gelesen im ›Lokalanzeiger‹? Ich weiß gar nicht, woher man das gleich gewußt hat. Wie gesagt, es wird aufgeführt.«

»Ich gratuliere!« sagte die Lindenhayn.

Und nun kam Mia Widmann, Alinde Rosen gleich hinterdrein. Sie wußten bereits von dem Trauerspiel.

»Habt ihr schon die Kritik über die Reinharz gelesen?« platzte Alinde sofort heraus. Sie war ganz erregt. »Denkt euch, in der heutigen Morgenzeitung stand eine. Ein ellenlanger Artikel!«

Allgemeines Erstaunen.

»Es ist nicht anders möglich,« sagte Mia Widmann, »sie muß den Redakteur gut kennen. Wahrscheinlich sehr gut. Alinde, du bist ja näher mit ihr bekannt?«

»Gott, wer weiß, vielleicht hat sie Beziehungen. Aber ihr müßt doch nicht gleich was Schlimmes denken.« Alinde zuckte die Achseln. »Mir kam sie immer sehr harmlos vor; als sie mich das erstemal besuchte, zeigte ich ihr meine Truhe – ihr kennt sie ja, die mit den Erinnerungen. Sie wurde dunkelrot und war ganz verdutzt. Ich finde ihr Buch ganz niedlich.«

»Ich kann nichts daran finden«, wandte sich Mia Widmann an die Starzynska. »Du, Wlodzka?«

»Gar nichts, kein Talent. Sie versteht es nur, sich in Szene zu setzen.«

Mia Widmann stimmte eifrig zu. »Das ist es. Wenn ich bedenke, wie schwer es mir geworden ist, mich durchzuringen!« Sie hob stolz das Köpfchen. »Aber was ich geworden bin, bin ich aus mir selbst geworden.«

»Ich habe auch niemand etwas zu verdanken«, rief die Starzynska.

»Neue Besen kehren gut«, sagte die kleine Widmann; sie liebte die kräftigen Ausdrücke. »Aber Bolten will doch nichts von ihr wissen.«

»Das glaube ich.« Frau von Lindenhayn machte ein undurchdringliches Gesicht bei diesen Worten.

»Unterhalten wir uns doch von etwas anderem!« Wlodzimira wurde ungeduldig. »Mein Stück …«

Frau von Lindenhayn schnitt ihr das Wort ab. »Sie ist ein sehr hübsches Mädchen,« sagte sie nachdenklich, »sie könnte Karriere machen.«

»Hübsch? Hübsch?«

»Hübsch? Sie sagen hübsch?« Alinde war ganz naives Erstaunen. »Das ist das erste, was ich höre. Wlodzimira, findest du sie hübsch?«

Fräulein Starzynska schlug die Hände zusammen.

»Keine Spur! Gar kein Schick! Findest du sie hübsch, Mia?«

»Ein Alltagsweibchengesicht. Ich kann so etwas unmöglich hübsch finden.« –

Man sprach seit ungefähr einer Stunde über Elisabeth Reinharz, als Goedecke erschien. Er kam mit einem kostbaren Blumenstrauß; da seine Frau nicht zugegen war, erlaubte er sich das. Er küßte jeder der Damen die Hand und wurde mit Lächeln empfangen.

Jede hatte ein Anliegen an ihn.

»Also Sie arrangieren einen Damenabend?«

»Bitte, lassen Sie's noch in drei, vier Zeitungen setzen, daß mein Stück …«

»Wann werde ich lesen?«

»Können Sie mir nicht sagen, welche Robe die Prinzessin gestern bei der Galavorstellung trug?«

»Wenn mein Stück als Buch erscheint, müssen Sie …«

»Ich brauche es nämlich zu meinem Roman. Also welche Robe?«

Es schwirrte auf Goedecke ein; er dienerte und lächelte.

»Mein Pinscher hat sich verlaufen,« sagte jetzt Frau von Lindenhayn, »gehen Sie zur Polizei, lieber Goedecke!«

»Mache mir 'ne Ehre draus.« Goedecke dienerte wieder; er sah das unbeachtet auf dem Boden liegende Buch und hob es auf. »Nanu?« Er zog die Augenbrauen hoch und pustete die Backen auf. »Da haben wir ja die Reinharz auch hier; wohin ich komme. Habe ich's Maiern nich jleich jesagt? Mir hat er sie zu verdanken.« Er hielt das Buch in die Höhe und wedelte aufgeregt damit hin und her. »Jrandioses Talent! Ein Evenemang! Außer Ihnen, meine Damen,« er legte die Hand aufs Herz und ließ einen verbindlichen Blick reihum gehen, »das jrößte Talent der Jejenwart.«

»Echauffieren Sie sich nicht, lieber Goedecke«, sprach Frau von Lindenhayn über die Schulter. »Darf ich Ihnen eine Tasse Tee zur Abkühlung anbieten?«

Er stand ganz verblüfft; die Damen lächelten ihn nicht mehr an, eine merkwürdige Kühle wehte ihm entgegen.

Es war gut, daß die Zofe hereinkam und mit einer Miene, die ganz der Wichtigkeit der Situation entsprach, Herrn Wolfgang Eisenlohr anmeldete.

Eine gewisse Aufregung bemächtigte sich der Damen. Alinde Rosen warf einen schnellen Blick in den Spiegel. Goedecke eilte zur Tür, ihm entgegen; die Starzynska lief hinter Goedecke drein.

Da war er.

»Wie schön, daß Sie kommen, Meister!« Die Starzynska zerdrückte ihm fast die Hände.

»Servus, servus!« Goedecke schleppte diensteifrig den bequemsten Sessel herbei.

Alinde errötete. Mia Widmann fühlte sich ganz als Kollege des berühmten Mannes und schüttelte ihm kräftig die Rechte.

»Ich freue mich«, sagte Frau von Lindenhayn in ihrer schleppenden Sprechweise und reichte ihm die Hand zum Kuß.

Eisenlohr schien nicht angenehm überrascht, hier diesen ganzen Kreis zu finden. Er ließ den Blick nicht von der schönen Frau. Sie sah bezaubernd aus in ihrem losen, weißen Gewand, mit dem müden Aufschlag ihrer langbewimperten Lider. Sie hielt ruhig seinem Blick stand, sie errötete nicht; mit lässiger Grazie ließ sie sich wieder auf dem Sofa nieder.

Die Zofe bot Tee an. Goedecke nahm ihr das Tablett ab und präsentierte selbst, rief dabei aufgeregt nach Rum und Zuckerdose. Eisenlohr liebte den Tee sehr süß und sehr stark mit Geistigem versetzt.

»Der Zaubertrank der Circe!« sprach der Dichter nach dem ersten Schluck mit einem bezeichnenden Blick nach dem Sofa hin.

Alinde kicherte hell auf.

Die Starzynska rückte ungeduldig mit ihrem Stuhl hin und her. »Wissen Sie's schon, Meister, mein Stück …«

»Weiß schon.« Er bewegte nachlässig die Hand. Und dann, sich ganz zur Lindenhayn wendend, gratulierte er ihr in warmen Ausdrücken zum Erfolg ihres neuesten Buches. »Ich freue mich,« schloß er, »in Ihnen eine kongeniale Natur gefunden zu haben. Auf Ihr Wohl!« Er trank seine Tasse Tee leer. »Ich trinke auf das Wohl der besten weiblichen Feder, des Venussterns am Himmel der Kunst!«

»Sie vergessen die Reinharz!« rief Wlodzimira dazwischen. Ihr Organ klang grell.

Und Mia Widmann setzte hinzu: »Unseren neuesten Stern!«

»Mein Gott, ist sie denn wirklich so bedeutend?« flüsterte Alinde Goedecke zu. »Sie hat doch erst ein einziges Buch geschrieben!«

Goedecke hütete sich wohl, etwas zu erwidern; er hing an den Lippen des berühmten Mannes.

Eisenlohr machte ein Gesicht wie: »Ihr könnt mir leid tun.« Er lehnte sich hintenüber und schlug ein Bein übers andere.

»Was sagen Sie, Meister?« Wlodzimira fuhr auf ihn los. »Ist sie wirklich so bedeutend?«

»Bedeutend? Wer?«

»Nun, die Reinharz!« Außer Frau von Lindenhayn riefen sie's alle.

»Bedeutend …?« Eisenlohr zog das Wort in die Länge. Er zuckte die Achseln. »Anfängerin, steckt noch mit allen Fasern im Dilettantismus. Kann ja sein, daß sie mal eine ganz leidliche Schriftstellerin wird, aber jetzt«, er zuckte wiederum die Achseln, »kann sie doch noch nicht mitreden!«

Die drei Damen lauschten ihm wie einem Orakel. Wlodzimira warf den Kopf auf. »Sagte ich's nicht, gar kein Talent!«

» Das habe ich nicht gesagt!« Eisenlohr wurde rot. »Ich spreche nie jemand das Talent ab.«

»Sie ist ein Talent«, sagte Frau von Lindenhayn.

»Natürlich!« Goedecke war nicht mehr kleinlaut, er fühlte sich von Frau von Lindenhayn unterstützt. »Ein Talent, natürlich, mehr habe ich auch jar nicht behauptet. Apropos, haben Sie denn die Kritik gelesen, heute in der Morjenausjabe?«

»Ich lese keine Kritiken.« Eisenlohr kreuzte die Arme über der Brust.

»Was will eine Kritik besagen?« Mia Widmann zuckte die Achseln. »Wer liest überhaupt eine Kritik?«

Frau von Lindenhayn lächelte fein. »Ich habe sie gelesen.«

»Was stand denn drin? Wie war sie denn?« Die Starzynska beugte sich weit über den Tisch. »War sie gut?«

Frau von Lindenhayn ließ einen flüchtigen Blick um den Tisch gleiten. Alle Köpfe neigten sich ihr lauschend zu, alle Blicke waren auf sie geheftet; der Dichter allein schien sich nicht zu interessieren.

»Sehr gut!« sagte sie.

»So erzählen Sie doch!« Ungeduldig klopfte die Widmann mit dem Füßchen.

Es dämmerte etwas wie geheimer Spott in den unergründlichen Augen der schönen Frau. »Oh, der Rezensent fühlte sich erst gedrungen, über die Vielschreiberei im allgemeinen zu reden. Über die Unsitte der Autoren, ohne von innerer Notwendigkeit getrieben zu sein, jedes Jahr ihren Band auf den Markt zu schleudern. Aber das interessiert Sie ja weiter nicht.« Sie wandte sich besonders an Eisenlohr.

»Weiter!« drängte die Starzynska.

»Er rühmte im Gegensatz dazu das echte Talent der Reinharz, das schreibt, weil es schreiben muß

Frau von Lindenhayn machte wieder eine kleine Pause. »Wenn ich mich recht erinnere,« sagte sie dann und stützte den Kopf in die Hand, »sprach er von der Entdeckung einer dichterischen Größe.«

»Lächerlich!« Die Starzynska gestikulierte lebhaft.

»Er prophezeite, die Reinharz würde bald – ja, so lautete der Passus – sie wird bald andere Sterne verdunkeln, die bis jetzt …« Frau von Lindenhayn hielt inne.

Niemand sprach.

Durch das Gemach schwebte etwas, lautlos und schwül wie die Stille vor dem Sturm, der loszubrechen droht.

»Sie wird bald andere Sterne verdunkeln, die bis jetzt als solche galten«, wiederholte Frau von Lindenhayn lauter. »Eine glänzende Rezension, nicht wahr?«

Ihre zartgewölbten Brauen zogen sich etwas in die Höhe; sie sah reihum.

»Was sagen Sie nun?« triumphierte Goedecke.

»Ein persönlicher Freund! Männer sind feile Schmeichler!« Mia Widmann war empört, sie tuschelte der Starzynska in die Ohren.

»Ein Ignorant!« sagte Eisenlohr mit solchem Nachdruck, daß Goedecke zusammenfuhr. »Menschen, die nichts verstehen, sollten keine Rezensionen schreiben. Ich habe das Buch gelesen. Wir haben wohl alle das Buch gelesen?«

»Gewiß, natürlich!«

»Wir dürfen uns doch wohl ein Urteil zutrauen. Wohl verstanden: ich spreche als Kollege der jungen Autorin, als ein Freund. Ich halte nicht viel von diesen hier so maßlos überschätzten ›Einfachen Geschichten‹.«

Um Frau von Lindenhayns Mundwinkel zuckte es eigentümlich. Ein zartes Rot kam unter der marmorblassen Vornehmheit ihres Gesichts zum Vorschein. »Gott schütze mich vor meinen Freunden!« sagte sie.

»Da haben Sie recht!« Eisenlohr griff das auf. »Ein schlechter Dienst, den dieser Kritiker und Freund dem Fräulein geleistet hat. Statt das Talentchen anzufachen durch gerechten Tadel, hat er es ausgepustet durch ungerechtes Lob. Es wird sich nie zur Flamme entfachen. Jeder ehrliche Mensch muß sich doch von solch einer Lobhudelei abwenden.«

»Ich habe nie von so etwas gewußt«, flüsterte Alinde träumerisch.

»Sie wird bald andere Sterne verdunkeln, die bis jetzt als solche galten …« Die Ader auf des Dichters Stirn schwoll. »In dieser traurigen Sudelei steckt ein verborgener Angriff auf uns alle. Wer hat die Kritik geschrieben?«

»Es steht kein Name darunter.«

»Aha!« Eisenlohr strich sich um Mund und Kinn. »Da haben wir's – intime Beziehungen. Sieh, sieh, dieses kleine Mädchen! Nun, ich muß sagen, mein Geschmack wäre sie nicht.«

»Das sagen Sie?« Wlodzimira Starzynska wurde rot, man sah es selbst unter dem Puder, wie ihr eine jähe Eifersuchtswelle zu Kopf schäumte. »Und Sie haben doch selbst die Reinharz nach Hause gebracht nach jenem Sommerfest!«

»Wer? Ich?« Eisenlohr schüttelte verneinend den Kopf.

»Ah, ich erinnere mich sehr wohl – in einer Droschke. Es regnete!«

»Mir ist so dunkel. Wie war's doch gleich, Goedecke, waren Sie nicht auch dabei?«

»Selbstverständlich!« Goedecke glänzte über das ganze Gesicht.

»Hm, ja, jetzt erinnere ich mich. Wir konnten die Dame bei dem Gewitter nicht auf der Straße stehenlassen. Ich nahm mir bei der nächsten Haltestelle eine zweite Droschke und überließ ihr die erste.«

»Wie ritterlich!« Die Starzynska blitzte ihn mit ihren Kohlenaugen an und lächelte schnell versöhnt. »Hätte ich Sie früher gekannt, Meister, mein Trauerspiel wäre ein Schauspiel geworden. Meine Heldin«, sie machte eine kleine Pause und feuerte einen Blick auf ihn ab, »hätte sich nicht erschossen, sie hätte Sie geliebt!«

Eisenlohr strich sich um Mund und Kinn. Die anderen lachten.

»Wlodzka, du bist doch ein Original!« Frau Widmann umarmte sie.

Wlodzimira erwiderte stürmisch die Umarmung. »O Mia, ich liebe ihn!«

War das Ernst, war das Scherz? Wlodzimiras Blicke wurden immer deutlicher. Der Dichter empfahl sich. Er hatte für heute eine Einladung zu einem Diner um acht Uhr bei Mannhardts und mußte noch Toilette machen. –

Als Goedecke gegen sieben Uhr nach Hause ging, nahm er seinen Weg über die Alsenstraße. Ob schon alles erleuchtet war? Wer mochte bei Mannhardts sein? Fingen die schon so früh in der Saison an? Er ging langsam vorüber. –

Da fuhr ein Wagen vor. Goedecke blieb stehen. Mannhardt sprang heraus.

»Servus, servus!«

Mannhardt stutzte. »Ah, lieber Goedecke, 'n Abend!« Er drückte ihm flüchtig die Hand und wollte ins Haus.

»Sie haben wohl noch was besorgt, eh?« Goedecke hielt ihn am Rockknopf fest. »Eisenlohr erzählte es mir eben, er ist heute abend zum Diner bei Ihnen invitiert.«

»Jawohl – eine Gesellschaft, eine ganz kleine – nur ein paar, die wir notwendig einladen mußten.« Mannhardt war entschieden peinlich berührt. »Wir hätten Sie so gern dazu gebeten, lieber Goedecke, wir konnten nur leider nicht, wir sind sonst dreizehn!«

»Ich bin über Aberjlauben erhaben, das wissen Sie doch. Aber, apropos, Sie haben doch nicht etwa die Reinharz dazu invitiert?« Er drückte die Augen heraus und sah den anderen unter hochgezogenen Brauen von unten bis oben an.

»Warum?« Mannhardt stutzte.

»Nanu? Sie wissen doch!« Er kniff ein Auge zu.

Mannhardt sah ihn verwundert an. »Warum sollten wir Fräulein Reinharz nicht einladen? Sie ist die Freundin meiner Frau und nebenbei – man spricht von ihr. Sie ist der spezielle Schützling meiner Frau.«

»Tata!« Goedecke lächelte überlegen. »Da werden Sie Eisenlohr keinen besonderen Gefallen tun. Er ist sehr aigriert. Es ist ja 'ne Taktlosigkeit, 'ne janz unerhörte Taktlosigkeit! Eisenlohr hat sich eben bitter bei mir beklagt.«

»Über was denn? Ich bitte Sie!« Mannhardt wurde unruhig.

»Na, schreibt da irgendeiner 'ne Kritik über die Reinharz, streicht sie 'raus auf Kosten von Eisenlohr: er wäre überwundener Standpunkt, sein Stern ginge unter, etcetera, sie würde ihn bald verdunkeln und so'n Quatsch mehr. Imaginieren Sie sich!«

»Wo stand das, ich bitte Sie?«

»Ich habe es nich jelesen – st!« Goedecke sprach hinter der vorgehaltenen Hand. »Es bleibt auch janz entre nous. Er hat mir's anvertraut. Wenn Sie darüber sprechen, würde ich mich jenötigt sehen, Sie öffentlich zu desavouieren. Also, Silentium, lieber Freund!« Er legte ihm die ganze Hand auf den Mund.

»Selbstverständlich – aber ich bitte Sie! –,« Mannhardt war entsetzt, »das ist mir sehr unangenehm. Was wird meine Frau sagen? Sie hatte sich's so reizend ausgedacht: eine kleine Gesellschaft zu Ehren der jungen Schriftstellerin. Das Buch hat doch Aufsehen gemacht, meine Frau hat so viel dafür getan – wenn ich bedenke, sie hat alle Leute aufmerksam gemacht. Was wird sie sagen? Nur hervorragende Leute sind da. Nein, wie unangenehm!« Er schob den Zylinder auf die Seite; er trug immer einen Zylinder.

»Ja, das ist fatal, sehr fatal!« Goedecke wiegte nachdenklich den dicken Kopf. »Hätten Sie mir man vorher ein Wort davon jesagt. Eisenlohr wird schöne Augen machen. Der ist imstande, steht auf und jeht weg. Sie wissen doch – Künstler – unberechenbar!«

»Das wird er nicht tun.«

»Na!« Goedecke duckte den Kopf zwischen die Schultern, wie sich eine Schildkröte in ihr Gehäuse verkriecht. »So'ne Sachen arrivieren im menschlichen Leben. Ich bin froh, daß ich nicht dabei bin. Servus!« Er schüttelte dem anderen die Hand. »Viel Verjnügen!«

Er sah Mannhardt nach, wie der in seinem Haus verschwand, dann warf er einen Blick auf die Uhr: halb acht. Da konnte er noch auf einen Augenblick in den Klub gehen. Wen würde er da alles treffen? Er überlegte – immerhin genug Leute! Er rief eine vorbeizockelnde Droschke an und schwang sich hinein:

»Kutscher, man los!«


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