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5.

»Hochgeehrte Frau!

Ihr Stück verdankt seine Entstehung einem ganz originellen Einfall. Ich habe mir drei Tage Bedenkzeit erbeten, um mir, da ich viel Wert auf Stil und Ausführung lege, über seine eigentliche Signifikation klar zu werden und Ihnen keine fälschlichen Elogen zu machen. Analog meinem Charakter verhehle ich Ihnen nicht, daß Ihr Stück einige schwache Seiten hat (siehe Tabelle).

1. Warum ist der Ort der Handlung aufs Land verlegt? Sowohl Vorder- als Hinterhaus der Großstadt bilden ein anziehenderes Milieu.

2. Warum stirbt der Bauer am Tage, noch dazu in der Mittagsstunde? Man merkt zu sehr die Absicht; die Mittagsglocke ist in der betreffenden Szene ein rein äußerliches, theatralisches Effektmittel. Die meisten Leute sterben in der Nacht.

3. Warum bringen Sie die Geistlichkeit auf die Bühne? So etwas ist zu vermeiden, weil es Anstoß erregt.

4. Warum betritt die Gutsherrschaft die Bauernstube, noch dazu ein ungelüftetes Sterbezimmer? Das ist unnatürlich.

5. Warum diese Karikaturen der städtischen Gäste? Die Städter sind als Träger der Kultur aufzufassen.

6. Warum dieser unharmonische Schluß? Dem Publikum sind Anhaltspunkte zum Klatschen zu geben.

Ich habe Ihnen vorstehende Exposition gegeben, da es Ihnen an der Hand dieser ein leichtes sein dürfte, die kleinen Mängel zu beseitigen. Im übrigen ist das Stück ein ausgezeichnetes, für dessen Erfolg, falls Sie die kleinen Änderungen vornehmen, ich garantiere. Ich gratuliere Ihnen aufrichtig und schüttle Ihnen die Hand mit kollegialem Gruß.

Ergebenst
Eugen Goedecke.

P. S. Heute werde ich das Stück Direktor Schwertfeger überreichen – die Saison drängt – und meinem Freund Wadler die nötigen Winke erteilen. Spätestens übermorgen haben Sie Bescheid.«

*

Diesen Brief hatte Elisabeth empfangen; nun wartete sie. Acht Tage waren bereits vergangen – noch keine Antwort. Wieder stieg sie die rotbelegten Stufen zu Herrn Goedeckes Wohnung hinauf.

»Ah, sehr anjenehm, werte Frau. In der Tat, Sie müssen sich wundern, aber ich bin wirklich noch nicht dazu jekommen, Ihr Stück … ich bin mit Jeschäften überhäuft,« Goedecke wand sich verlegen, »aber heute, heute sofort werde ich es Schwertfeger überreichen.« Er warf sich in die Brust und pustete die Backen auf. »Es ist doch immerhin eine Verantwortung. Aber wenn ich es rekommandiere – nur ruhig, echauffieren Sie sich nicht!«

Endlich, nach vierzehn Tagen, kam wieder ein Brief von Goedecke. »Erwarte Sie morgen Punkt zwölf Uhr vor der Tür des Theaterbureaus. Schwertfeger will Sie sprechen.« – –

Es schlug zwölf. Elisabeth war schon eine Viertelstunde zu früh dagewesen. Jetzt war es ein Viertel nach zwölf, jetzt halb eins – sollte sie die Verabredung vielleicht falsch verstanden haben?

Endlich erschien Goedecke; er kam in einer Droschke angefahren, hatte unaufschiebbare Geschäfte gehabt. Er hatte sich unmenschlich beeilen müssen, um halb eins schon da zu sein.

»Courage,« sagte er zu Elisabeth, die sehr blaß war, »er beißt nicht!«

Durch den Theaterdiener schickte Goedecke seine Karte hinein; es dauerte eine ganze Weile, der Direktor war nicht zu finden. Endlich kam der Diener wieder und meldete: »Herr Direktor läßt bitten, er ist augenblicklich auf der Bühne beschäftigt.«

Der Diener ging voran. Hier war Elisabeth noch nie gewesen. Schmale Gänge und winklige Ecken, kleine Treppchen und geheime Türen, ein Gewirr von unbekannten Räumlichkeiten. Allerhand Requisiten an den Wänden und verstaubte Kulissen. Ein paar dunkle Stufen führten seitwärts hinab zur Orchesterloge; man sah in ein gähnendes, schwarzes Loch – den Theaterraum. Goedecke spielte den Cicerone, er war hier ganz zu Hause. Links, rechts Türen, nun wieder ein Treppchen hinauf.

»Servus, servus!« Goedecke machte zwei Diener hintereinander. »Jestatten Sie, Herr Direktor – die Autorin!«

Schwertfeger begrüßte Elisabeth artig und sah sie mit einiger Neugier an. »Sehr verbunden, gnädige Frau, daß Sie sich hierher bemühen! Ich hätte mir sonst erlaubt … aber ich weiß wirklich nicht, wo mir der Kopf steht … so viel zu tun … muß so vielerlei Ansprüchen gerecht werden. Wadler, Wadler! Ist Wadler da? Rufen Sie Wadler her!« fuhr er den Diener an. »Gnädige Frau, darf ich bitten!« Er bot Elisabeth galant die Hand. »Treten Sie einstweilen hier ein.« Er öffnete eine kleine Tür und wies hinein. »Fräulein Maschkas Garderobe. Wadler wird gleich kommen.« Damit zog er sich zurück.

Es roch nach Puder und nach Schminke. Auf den einen Pfosten des Toilettenspiegels war eine Perücke gestülpt, der andere trug einen blonden Haarzopf. Alles schien durchfettet zu sein, der Teppich und die Chaiselongue und vor dem kleinen Fensterchen die Gardine. Elisabeth hatte sich die Garderobe einer ersten Schauspielerin eleganter gedacht; man konnte kaum atmen, die ganze Luft war erfüllt von einem parfümierten Dunst.

Goedecke ging leise pfeifend in dem engen Raum auf und nieder. Er zupfte bald hier, bald dort, guckte in jenen Karton, in diesen und untersuchte alles. »Fein!« Er hob den langen blonden Haarzopf in die Höhe. »Steht der Maschka jroßartig. Wissen Sie was, schreiben Sie doch im Stück vor: lange Haarzöpfe. Macht Ihnen die Maschka riesigen Effekt.«

Elisabeth antwortete nicht, sie war sehr aufgeregt. Draußen hörte sie Hin- und Herrennen, Poltern auf der Bühne, Rufe: »Wadler, Wadler! Wo ist Wadler?«

Da – sie fuhr auf –, die Tür öffnete sich, ein unbekanntes Gesicht guckte herein. »Herr Wadler schon hier?«

Draußen riefs wieder: »Wadler! Wadler!«

Endlich! Der Gesuchte schien gefunden. Man hörte Stimmen vor der Tür.

»Bitte, Herr Direktor!« Der schlanke, nicht große Mann mit dem ausgeprägten Charakterkopf – Hakennase, dünne Lippen, scharfe Augen –, bekomplimentierte den Direktor hinein.

»Oberregisseur Wadler!« Schwertfeger stellte vor. Dann lächelte er zerstreut. »Also, lieber Wadler, Sie werden mit der geschätzten Autorin verhandeln, ich habe gar keine Zeit.« Er war schon halb auf dem Sprung.

»Einen Augenblick, Herr Direktor!« Wadler sprach sehr bescheiden und leise, und doch klang es sehr bestimmt. »Also führen wir das Stück der gnädigen Frau auf?«

»Ja, wenn Sie meinen, lieber Wadler, wenn Sie meinen! Sie kennen ja meine literarischen Prinzipien. Sie sind der Praktiker. Gestatten, gnädige Frau,« er küßte Elisabeth die Hand, »daß ich mich empfehle. Habe noch eine Konferenz. Mein Oberregisseur wird mir über alles referieren. Also auf Wiedersehen bei der ersten Probe … ich selbst werde die Inszenierung übernehmen … ich bin furchtbar eilig … auf Wiedersehen, auf Wiedersehen!« Er lächelte verbindlich und verschwand.

»Na, so 'ne wichtige Konferenz …?« Goedecke zog die Augenbrauen hoch und blinzelte Wadler verständnisinnig an.

Dieser hielt die Hand vor den Mund und flüsterte. Elisabeth glaubte etwas von »Gläubiger« und »Vergleich« zu verstehen.

»Also, meine gnädige Frau,« der Regisseur ging mit Ernst zur Sache über, »eins muß ich Ihnen aber gleich von vornherein sagen: Sie müssen den Dialekt ändern. Ich bitte Sie, das Stück spielt auf dem Lande, in Posen, Pommern oder so wo – wer soll das bäuerliche Kauderwelsch reden? Schlesisch geht noch allenfalls, aber auch schwer. Wir müssen die Dialektstellen ins Wienerische übertragen, das spricht jeder nur halbwegs gebildete Schauspieler.«

»Das geht nicht.« Das Blut stieg Elisabeth in die Wangen. »Wenn das Lokalkolorit verlorengeht, steht mein Stück gar nicht mehr auf den Füßen.« Sie lächelte halb ungläubig – es war wohl Scherz? »Ohne das Lokalkolorit? Das ist unmöglich!«

»Lokalkolorit hin, Lokalkolorit her! Meine gnädige Frau,« Wadler zuckte die Achseln, »glauben Sie einem alten Theaterpraktiker: Lokalkolorit, was heißt Lokalkolorit?«

»Ich kann unmöglich … nein, ich werde nicht …«

»Habe ich's Ihnen nicht jleich jesagt?« fiel Goedecke triumphierend ein. »Warum die Aktion aufs Land verlejen? Den ersten Akt im Hinterhaus, den zweiten Akt im Vorderhaus, das macht sich jut; fällt der olle Dialekt ganz weg. Aber Sie wollten ja partout nichts ändern!«

»Sie werden sich doch entschließen müssen, meine gnädige Frau«, sagte Wadler. »Wenn ich auch nicht so weit gehe, wie Herr Goedecke – dieser Dialekt ist unmöglich.«

»Aber die Bauern da reden doch so!« Sie wurde ungeduldig.

»Ich war als Charakterdarsteller in Riga, in Wien, in Karlsruhe, in Frankfurt am Main, in Petersburg, in Hamburg, in New York engagiert – – ich habe überall nur wienerisch gesprochen.«

»Ja, Wadlerchen, Sie können was!« Goedecke klopfte ihm vertraulich auf die Schulter. »Was, wir beide?! Wir sind nämlich Landsleute,« wandte er sich an Elisabeth, »wir sind beide mit Spreewasser jetauft … ach so, Sie sind ja jar nicht …! Na, schadet nischt, wir sind beide helle.« Er lachte wohlgefällig.

Wadler schien gar nicht zu hören und schwelgte in Erinnerungen. »Ja, das waren Zeiten! Da könnte ich Geschichten erzählen.« Sein Mund spitzte sich. »Wenn Sie mich recht schön bitten, gnädige Frau, gebe ich Ihnen einen wirklich packenden Stoff, aber«, er klopfte sich auf den Mund, »ein andermal. Nun zum Geschäft!« Sein Gesicht wurde wieder ernst. »Noch eins, gnädige Frau! Sagen Sie mir nur: warum – um alles in der Welt – dieser Schluß?«

»Sagte ich's nicht, sagte ich's nicht?!« Goedecke triumphierte. »Janz meine Meinung. Viel zu abrupt. Optimistischer, optimistischer! Ein freundlicherer Blick in die Zukunft!«

Wadler wandte sich dringend an Elisabeth. »Durch diesen Schluß gefährden Sie den ganzen Eindruck Ihres Stückes. Meine langjährige Praxis lehrt mich, daß Stücke mit einem solchen Schluß, bei dem man nicht recht weiß, was nun eigentlich wird, durchfallen.«

»Aber das kann sich doch jeder denken! Sind denn lauter Idioten im Theater?« Elisabeth sagte es schärfer, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte.

»Sie sind naiv!« Wadler lachte. »Denken, denken …! Das ist doch ein bißchen viel verlangt: denken soll das Publikum auch noch, wenn es sich amüsieren will?!«

Sie sah ihn groß an. »Amüsieren …?! Sie sollen sich ja gar nicht amüsieren.«

Er lachte herzlich. »Gnädige Frau, Sie sind noch sehr jung in der Praxis. Zu einem guten Bühnenschriftsteller gehört vor allen Dingen eine gewisse Kulanz, ein … ein … wir wollen sagen: ein allgemein menschliches Entgegenkommen, eine Rücksichtnahme auf die Wünsche des Publikums.«

»Und wenn er die nicht hat?«

»So wird er ewig durchfallen.«

»So«, sagte sie finster. Und dann: »Ich ändere meinen Schluß nicht. Ich kann ihn nicht ändern!«

»Aber hören Sie mal!« brauste Goedecke auf.

Wadler machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Sie wollen doch, daß wir Ihr Stück aufführen, gnädige Frau?«

Sie nickte stumm.

Er zog die Achseln hoch. »Wenn Sie den Schluß nicht ändern wollen, ist es für uns unmöglich. Es ist sowieso schon ein gewagtes Unternehmen. Aber dann haben wir einen Krach aus dem Effeff.«

»Sagen Sie mir eins,« bat sie hastig, »finden Sie denn den Schluß nicht gut?«

»Aber ja doch, freilich!«

Sie sah ihn erstaunt an.

Er lächelte. »Liebe gnädige Frau, wenn wir vom literarischen Standpunkt aus redeten – aber so! So begreifen Sie doch,« er ereiferte sich ordentlich, »wir sind doch nun mal beim Theater, müssen den Theaterverhältnissen Rechnung tragen, volles Haus zu machen suchen. Kasse – Kasse! Wir müssen leben!«

»Leben …«, sagte sie wie verloren. »Und wir …?!«

»Sie müssen auch leben, natürlich! Aber lebt denn ein Autor, wenn er nicht aufgeführt wird? Was nutzt es Ihnen, wenn Sie nach Ihrem Tode aufgeführt werden? Bis dahin ist der Geschmack des Publikums vielleicht ein anderer geworden – aber was haben Sie dann davon?!« Er sah ihr forschend ins Gesicht.

»Ich kann nicht!« Sie senkte den Kopf.

»Auf der Dialekt- und Schlußänderung müssen wir bestehen. – Nun?« Er war erstaunt. Elisabeth hatte sich erhoben und schritt der Tür zu.

»Ich empfehle mich«, sagte sie tonlos. »Wir verstehen uns nicht. Ich will gehen.«

»Aber meine gnädige Frau!«

»Was, was? Ich bringe Ihr Stück an, und Sie …« Goedecke hielt sie mit Gewalt zurück.

»Seien Sie doch nicht eigensinnig, gnädige Frau!« Wadler nahm ihre Hand. »Sehen Sie, wenn ich mich nicht für das Stück interessierte, wenn ich mir nicht was davon verspräche, würde ich Sie ruhig gehen lassen. Sie haben Prinzipien, schön. Sie wollen aufgeführt sein, schön. Wir haben aber auch Prinzipien, wir müssen sie haben. Wir wollen Sie aufführen, schön; aber da müssen Sie von Ihren Prinzipien ein klein wenig nachlassen, ein winziges Opfer bringen gegenüber dem ungeheuren Risiko, das wir eingehen.« Er erschöpfte sich in Beispielen, Beweisführungen, Beteuerungen und schloß: »Glauben Sie mir, wenn Sie keine Konzessionen machen, sind Sie tot. Sie werden nie aufgeführt, nie

»Sehen Sie: Konzessionen, Konzessionen!« Goedecke schnappte nach dem Wort. »Konzessionen – wie ich's Ihnen schon schrieb!«

»Nein, ich kann … ich kann den Schluß nicht ändern!«

Elisabeth hob die Hände wie zu einer stummen Bitte und krampfte sie dann ineinander. Sie schwankte. »Ich … kann … nicht!«

»Sie werden müssen.« Wadlers Stimme klang ganz kühl. »Andernfalls können wir uns zur Aufführung nicht verpflichten.«

Ihr schauderte – – nicht aufgeführt?! Ein Zittern überlief ihre ganze Gestalt. Nicht aufgeführt! Sie wurde totenblaß, öffnete den Mund und schloß ihn wieder, ihre Lippen zuckten wie im Krampf. Sie versuchte zu sprechen, die Stimme versagte ihr noch einmal, dann klang es heiser: »Den Dialekt … den …«, sie würgte jedes Wort mit Gewalt heraus, »den Schluß … den … ändern Sie!«

*

Die Proben hatten ihren Anfang genommen; in dieser Saison noch sollte das Stück der Reinharz zur Aufführung kommen. »Fällt es durch, tut's um die heiße Zeit nicht viel Schaden«, hatte Wadler zu Goedecke gesagt. »Macht's was, kann es Schwertfeger vielleicht noch herausreißen.«

Goedecke war von einer wahrhaft aufopfernden Liebenswürdigkeit. Er hatte bemerkt, daß Wadler etwas von dem Stück hielt, nun begleitete er die Autorin bei ihren Besuchen.

Zuerst war Egbert Schoenfließ zu berücksichtigen. Dieser versprach sich etwas von der Rolle; er würde in der Gestalt des modernen Menschen eine famose Leistung geben – und aussehen würde er …! Egbert Schoenfließ hatte schon das bewundernde Flüstern sämtlicher Damen in den Ohren.

Dann kam die Maschka an die Reihe. Auf Wadlers Anraten hatte ihr die Autorin ein schön gebundenes Exemplar des Stückes geschickt mit einer eigenhändigen Widmung.

Fräulein Silvia Maschka empfing Elisabeth in ihrem verführerischsten Negligé, war von einer ausgezeichneten Liebenswürdigkeit und umarmte die Autorin stürmisch. »Wenn das Stück nicht gut wäre, würde ich sonst die Rolle übernehmen?« Sie fegte mit einer langen rosa Schleppe über den Teppich. »Da können mich die berühmtesten Autoren bitten, wenn mir eine Rolle nicht gefällt, spiele ich sie eben nicht. Aber Sie, liebste Frau, Sie …«, wieder eine stürmische Umarmung, »Sie haben mich gerührt, ergriffen.« Sie tupfte mit dem parfümierten Taschentuch auf die bepuderten Augenlider. »Mit welch packender Verve läßt sich die Heldin darstellen! Da ist alles echt, Empfindung, Sprechweise. Ich werde mir eine neue Perücke machen lassen, blonde Zöpfe und ein süßes, weißes Kleid, wie die Unschuld auf dem Lande es zu tragen pflegt. Ich stehe für den Erfolg.« Die Maschka stand hoch aufgerichtet, ihr Organ hob sich zu mächtiger Fülle. »Ich spiele Ihnen die Rolle!«

Die übrigen kamen weniger in Betracht. Da war noch der sterbende Bauer – der alte Rabe würde den ganz gut geben, er hatte von Natur schon einen krächzenden Husten, den konnte er hier trefflich anbringen. Und dann die verführte Magd? Der kleinen, achtzehnjährigen Bremer, dem mageren Ding mit den unschuldigen Augen, war die Rolle wie auf den Leib geschrieben; der glaubte man's, die war zu dem Kind gekommen, sie wußte selber nicht, wie.

»Alles bestens inszeniert!« Goedecke hatte geschmunzelt.

Auf Elisabeths Gesicht war kein Lächeln erschienen, sie blieb ernst, fast traurig. Mit einer nervösen Angst klammerte sie sich an ihren Mann. »Komm mit, du mußt mich zu den Proben begleiten!«

Er konnte nicht, da er seinem Beruf nachgehen mußte. Elisabeth kam sich in der Welt des Theaters wie verloren vor; was sie empfunden hatte im tiefsten Innern mit einer fast schmerzhaften Wahrhaftigkeit, ging so leicht aus dem Mund dieser Leute. Sie war entsetzt. Bei der ersten Probe markierten sie nur, kein Mensch konnte seine Rolle. Ganz verschüchtert saß sie im verdunkelten Parkett; draußen war's heiß, hier innen wie in einem Keller. Es fröstelte sie. Eine Todesangst überkam sie, eine zärtliche Sorge um ihr Stück; nervös stand sie auf, wollte etwas sagen und wußte doch nicht was. Nur so nicht, so durfte es nicht sein!

»Meine gnädige Frau, ruhig, wird schon alles. Nur nicht dreinreden!« beruhigte Wadler. »Wenn nur erst jeder mal weiß, wo er zu stehen und wie er sich zu bewegen hat. Auf die Worte kommt's erst später an!«

Sie setzte sich wieder. Hier wurde geändert, dort wurde zugefügt, da gestrichen. »Glauben Sie einem Theaterpraktiker«, rief Wadler alle Augenblicke von der Bühne herunter und kam dann mit katzenartiger Geschwindigkeit über die Brüstung der Orchesterloge ins Parkett geklettert. »Nur ruhig, meine gnädige Frau! Aber wie Sie's da geschrieben haben, so können wir's wirklich nicht machen; das Publikum lacht, es lacht einfach, sage ich Ihnen. Das verstehen die Leute nicht, das sind sie nicht gewohnt. Wir müssen so etwas … so etwas …«, er wiegte mit den Händen sacht hin und her, »etwas ihnen Gewohnteres einfließen lassen. – Bremer, steck' den Leib doch nicht so 'raus, man glaubt's dir schon! – Rabe, realistischer! Wie oft soll ich's Ihnen denn sagen, realistischer! Spucken Sie nach rechts, nach links. Noch mal! So,« er machte es vor, »tüchtig krächzen, das wirkt. Zum Henker noch mal, können Sie denn nicht hören?!« Er schrie.

Wadler war berüchtigt grob, besonders gegen Anfänger und Invaliden des Theaters. Anders verhielt es sich mit Egbert Schoenfließ und der Maschka; die waren die Rettungsanker des schwankenden Schiffes, die hatten beide ein großes Publikum. Sie waren virtuose Künstler, eine unüberbrückbare Kluft trennte sie von den übrigen Mitspielenden.

»Herr Schoenfließ, würden Sie die Güte haben, eine kleine Wenigkeit mehr vor … so … wunderschön, wunderschön! – Bremer, wie oft soll ich dir's denn sagen, pflanz' dich nicht so ungeschickt hin, du verdeckst ja Herrn Schoenfließ ganz. Zur Seite, Donnerwetter, zur Seite!«

Das magere Persönchen den großen Mann verdecken?! Elisabeth empfand ein inniges Mitleid, die Kleine weinte, sie sah so verhungert aus, so schmal und hatte so große, unschuldige Kinderaugen.

Fräulein Maschka beklagte sich, man habe sie auf den Fuß getreten.

Wadler stürmte auf die Bühne. Mit ausgebreiteten Armen, wie man eine Herde scheucht, jagte er die übrigen in den Hintergrund. »Lassen Sie Platz für Fräulein Maschka! Platz! Zurück!«

Fräulein Maschka war noch nicht zufrieden. »Ich kann so nicht spielen«, sagte sie erregt. »Ich stoße an Rabe. Und Schoenfließ ist mir auch im Wege. Sie inkommodieren mich.«

»Zum Donnerwetter, Rabe, so gehen Sie zurück!«

»Aber mein Bett steht doch hier, ich liege doch im Bett«, wagte der schüchtern einzuwenden.

»Lieber Schoenfließ, dürfte ich Sie vielleicht bitten, in dieser Ensembleszene etwas mehr nach rechts und nach hinten. Bitte sehr!«

Schoenfließ rührte sich nicht.

»Nur ein klein wenig – ein paar Augenblicke, Fräulein Maschka hat nicht Platz.«

»So soll sie nicht wie eine Wütende toben. Hier, sehen Sie?« Schoenfließ zeigte auf die seidene Klappe seines eleganten Gehrocks. Sie war abgerissen. »Ich weiß nicht, wer hier der Inkommodierte ist.«

»Ich habe ihn gar nicht angefaßt!« Das schöne Organ der Maschka schlug in einen unangenehmen Diskant um.

»Das nennen Sie ›nicht angefaßt‹?« Hohnlächelnd hielt ihr der erste Liebhaber die Klappe unter die Nase. »Ich nenne das ›abgerissen‹.«

Ein leises Beifallsgemurmel ließ sich vernehmen und unterdrücktes Lachen. Der alte Rabe verschluckte sich.

»Donnerwetter, Rabe, wenn Sie husten, gehören Sie in ein Sanatorium, aber nicht aufs Theater! Ruhe!« Wadler sprang zwischen die gereizten Parteien. »Liebe Maschka, Sie haben sich von Ihrer Leidenschaft hinreißen lassen … großartig … aber bitte doch etwas weniger, ein kleines Wenig weniger! Lieber Schoenfließ, darf ich Sie bitten, haben Sie Geduld! Noch einmal diese Szene.«

»Ich spiele nicht!« Die Maschka warf hin, was sie gerade in der Hand hielt.

»Aber, liebe Maschka, liebstes Kind, ich bitte Sie, Sie werden doch nicht …?! Bedenken Sie die Autorin! Gnädige Frau, gnädige Frau,« Wadler winkte ins Parkett, »helfen Sie doch bitten! Liebe Maschka, denken Sie an uns! Sie werden uns doch das nicht antun?!« Er sprang um die Maschka herum.

»Wenn ich nicht einmal die Hand ausstrecken soll, kann ich nicht spielen, ich bin nicht aus Pappe, nicht aus Steifleinen.« Sie ließ ihre Augen zur Seite nach Schoenfließ rollen. »Ich habe Leidenschaft, ich kenne dann keine Schranken – ich bin Künstlerin!«

Wadler stieß einen unerklärlichen Seufzer aus. Dann klang seine Stimme schmeichelnd. »Sie sind großartig in der Rolle, liebe Maschka, unvergleichlich! Sie werden einen Riesentriumph feiern. Also noch einmal diese Szene, bitte, noch einmal!«

»Ich spiele nicht!« Die Maschka stampfte auf.

Elisabeth wurde bleich vor Schreck. Was tun, wenn die Maschka nicht spielte? Sie hatte sich zwar die weibliche Hauptrolle anders gedacht, viel weniger äußerlich, viel mehr innerlich – aber die Maschka war nun einmal der Liebling des Publikums, und die Schönheit hatte sie für sich, und an einer großen theatralischen Leidenschaft fehlte es ihr gewiß nicht. Wo so rasch eine andere finden? Das Herz fing ihr an zu zittern.

Wadler blieb ganz ruhig. »Ja, dann müßte ich's mal so versuchen. Bremer, komm mal her, mach' du mal die Szene! Wird am Ende auch gehen.«

Schon spielte die Maschka. – –

Jeden Tag neue Aufregungen. Der Direktor ließ sich zuweilen sehen; dann saß er im Parkett neben der Autorin und sagte ihr Verbindliches. Er war in aller Eile sehr entzückt. »Das haben Sie wunderschön gemacht, ganz wunderschön!« Er baute fest auf den Erfolg des Stückes. Elisabeth wünschte, er wäre einmal bis zum Ende geblieben; die Maschka gefiel ihr im letzten Akt so gar nicht, und die Schlußänderung von Wadler traf sie wie ein Schlag ins Gesicht.

Sie sprang auf. »Das geht nicht! Darf ich mir erlauben, Herr Wadler – bitte, Fräulein Maschka!«

Der Direktor zog sie erschrocken am Kleid nieder. »Um Gottes willen, reden Sie Wadler nicht drein. Der weiß schon, was er tut. Wenn der nicht mehr mitmacht, sind wir pleite.« Er lachte, es sollte ein Scherz sein, aber sein Lachen klang hohl in dem leeren Raum.

Ein paar Augenblicke später kam Wadler von der Bühne herunter. Elisabeth war unruhig, mit nervöser Ungeduld, den Vorgängen da oben auf der Bühne gefolgt. Sie war rot und blaß geworden, war aufgestanden und hatte sich gesetzt und war wieder aufgestanden.

»Pst!« flüsterte Wadler ihr zu; er machte ein ernstes Gesicht und hob warnend den Finger. »Nur nicht Mißfallen zeigen! Reden Sie um Gottes willen der Maschka nicht drein, gnädige Frau, sie ist – eine Künstlerin.«

Näher rückte der Tag der Aufführung. Eine brennende Julihitze draußen. Der Himmel blendend wie blanker Stahl, blendend auch das Weiß der Häuser; der Asphalt heiß wie ein durchglühter Rost, jeder Windhauch fegte Staubwolken auf, grauschwärzlich und schwer wie Asche.

»Kein Theaterwetter«, seufzte der Direktor, als er in die Kostümprobe angekeucht kam, und wischte sich den Schweiß von der triefenden Stirn. Er sah sehr blaß aus. »Ihr Stück muß uns herausreißen«, sagte er zu Elisabeth und drückte ihr krampfhaft die Hand. Da – er zuckte zusammen; ein Theaterdiener huschte herein und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er wurde noch blasser. Er versuchte zu lächeln, lächelte auch, aber der umherirrende Blick seiner Augen, das Zittern seiner Lippen straften dieses Lächeln Lügen.

»Der Theaterrestaurateur ist ausgerückt.« Schwertfeger schien ganz vergessen zu haben, daß er nicht allein war. »Weg … aus Furcht vor Pfändung … alles mitgenommen … Porzellan, Gläser, Tischzeug. Kein Mensch kriegt jetzt was zu trinken.« Er stöhnte. »Was machen wir da?! Wadler, Wadler, einen Augenblick!«

Wadler kam; trotz der Hitze stand kein Tropfen Schweiß auf seinem hageren Gesicht.

Der Direktor fuhr sich wirr durchs Haar. »Denken Sie, die Restauration ist geschlossen! Der Mensch ist weg, hat alles mitgenommen. Was sagen Sie?«

»Müssen wir uns eben anders zu helfen suchen.« Wadler sprach ohne langes Besinnen. »Meine Frau wird ihr Tischzeug, Gläser und Teller herschicken. Sie haben jedenfalls noch mehr von dem Zeug als ich, Herr Direktor. Reicht's nicht, borgt man noch was unterderhand. Bier legen wir auf, irgendein Restaurateur findet sich schon.« Er sagte es ganz ruhig und veränderte nicht einmal die Farbe. Er war ein alter Theaterpraktiker.


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