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Dicht bei der Giebelwand, da, wo der Mühlenpfad zur Straße hinauf gen Maarfelden führt, standen Weidenbäume. Bis vor wenig Jahren hatten sie noch Mark und Saft gehabt, alle Frühjahr ihre graugrünen, wehenden Blätterbüschel neu aufgesteckt; jetzt waren die alten Stämme geborsten im klingenden Frost des letztvergangenen Winters, und der Lenz hatte ihnen kein Grün mehr entlocken können. Nur hie und da noch waren aus rissigem Stumpf ein paar unkräftige Zweige aufgeschossen und standen gen Himmel, wie deutende ängstliche Finger.
In diesem Winter hatten Käuzchen Wohnung genommen im Bauch der alten Weiden. Kaum, daß es dunkelte, so huben sie ihr greuliches »Huhuhu« an; es war, als wollten sie um die Wette schreien mit dem Kuckuck, der drinnen im Haus aus der alten Uhr rief. Dazwischen bellte wohl einmal der Nero. Das waren aber auch die einzigen Stimmen, die hier laut wurden.
Die befehlende Herrenstimme hörte man nicht mehr; es gab nichts zu kommandieren, denn die einzige Magd hatte gekündigt und war in anderen Dienst gezogen, und niemand neues wollte sich hierher verdingen. Das war Hannes gerade recht: erst mußte es hier wieder anders, besser, wieder ganz gut, sehr gut werden, dann konnte er auch wieder Leute kriegen, so viele er nur wollte! Was mußte anders werden?! Das konnte er sich nicht sagen. Aber er hoffte. Das Geschäft würde schon wieder blühen, tröstete er sich; das eingeschlafene Rad, an dem jetzt fußlange Eiszapfen hingen, würde schon wieder munter werden und sich drehen im Schwung, und die Hühner, die Fränz jetzt in der Küche unterm Herd hielt, fanden dann in der Mahlstube wieder reichlich zu picken und legten brav Eier, besonders große mit dunkelgelben Dottern, die prachtvoll schmeckten.
Wenn der einsame Mann also träumte, schnalzte er und leckte sich die Lippen. Was die Fränz jetzt kochte, schmeckte ihm nicht. Roch er nur schon die ewigen Kartoffeln und das bißchen Schmelze, so schob er die Schüssel weg, stützte den Kopf in die Hand und war satt. Keine Forellen gab's mehr, kein gesüßtes Mus, kein fettes Schweinefleisch vom Schlachtfest und auch keinen Wildbraten zur Jagdzeit.
Einen verlangenden Blick warf der Schlecker hinauf zum Stutzen über dem Bild des jungen Hannes – ja, wenn er noch so zielen könnte, wie der forsche Jung da auf dem sich bäumenden Schecken, dann wollte er wohl nicht lange die Zähne heben, dann hing er sich den grünen Gurt über die Schulter und stapfte hinaus in des Försters Revier. Oben hinter Maarfelden in der dichten Kiefernschonung grunzten jetzt schon die Bachen, und im königlichen Kunowald gab's Hochwild genug. Pfui, hier dieser gemeine Fraß! Seine Frau selig hatte ihm den nicht auf den Tisch zu bringen gewagt, oder hätte sie's einmal gemußt, wäre sie vor Angst schier vergangen. Ach, die – ja, die fehlte ihm nun manchmal!
Fränz warf trotzig den Kopf zurück, wenn der Vater tadelte, und sagte ganz dreist: »Wann ech ke Gäld haon, kann ech aach neist anneres kochen!«
Das freche Ding! Aber – hm, recht hatte sie! »Wann ech ke Gäld haon!« Wenn sie längst abgetragen hatte, starrte er noch auf die Tür, die sie hinter sich zugeschlagen, und murmelte gedankenlos in einem fort ihr nach: »Wann ech ke Gäld haon!«
Nein, er hatte wirklich kein Geld, und wenn er die Taschen, in denen einst Taler geklimpert, auch um und um kehrte, es fiel kein einziger mehr heraus.
»Vertan – kuckuck! Verjuxt – kuckuck – –!«
He, wer sagte das?! Wer war so frech?! Wild sah er sich in der Stube um – wer?!
Klapp! Eben schlug der Kuckuck sein Türchen zu.
Da hob der Mann wild die Faust gegen die verstaubte Uhr: »Luder, lao bowen, unnerstieh dech noch ehs zerick zu kommen!«
Als Fränz wieder eintrat, hieß der Vater sie die Uhr anhalten. Aber als er dann noch eine Stunde aufgeblieben war nach dem Abendmus – der Alte schien heute nicht zu kommen –, und als er sich dann, verdrießlich vom vergeblichen Warten, zu Bett legte und der Schlaf auch nicht kam, wurde ihm bange. Nun ging's lautlos hinein in die lange, endlose Winternacht.
Es war ganz still, totenstill, jetzt nicht einmal das gewohnte Ticken mehr zu hören. Und die Käuzchen draußen, die der Ruf des Rivalen in der Uhr sonst herausgefordert hatte, hielten auch den Schnabel. Jesus Maria, ein Schweigen war's wie im Grab – wie im Grab! Draußen lag der Schnee; dick, bis halbhoch die Fenster schichtete er sich auf, da kam kein Schall durch. Und woher sollte auch einer kommen? Auf den Fußtritt des Alten noch länger zu harren, war Unsinn. Der kam jetzt nicht mehr, der konnte ja heut auch nicht kommen, hatte sich wohl gar nicht erst hinausgewagt in den lautlos und endlos sinkenden Schnee, lag wohl schon seit sechs Uhr im Bett und schlief längst, wie alte Leute schlafen, friedlich, traumlos gleich Kindern. Jesus, wer's auch so gut hätte!
Müller-Hannes faltete die Hände überm Bauch; wahrhaftig, er beneidete seinen Alten. Ihm kam der Schlaf nicht, und wenn er sich auch bemühte, noch so gleichmäßig zu atmen, so recht durch die Nase zu schniefen, wenn er auch zählte: »Eins – zwei, eins – zwei!« und an ein Kornfeld dachte, das sich leise wogend, immerfort leise wogend nach einer Seite neigt – der Schlaf kam ihm nicht. Statt dessen kam der Brand, eine Hitze, so furchtbar, daß sie ihm zu Kopf schlug, wie feurige Lohe zum Hausgiebel. Das Blut wallte in seinen Adern, er fühlte das beständige Hinundherrollen. Sapperlot noch einmal, ging die Tour wieder an?! Er stieß unbändig mit den Füßen – ha, so mußte alles weg, was ihn ärgerte!
Aber die Sorgen, gingen die denn fort? Die waren wie die Schmeißfliegen, immer bohren sie sich einem wieder ins Fell.
Kein Geld!
Wie trostlos das klang: kein Geld! Und auch keine Aussicht, welches zu kriegen. Woher sollte es kommen? Der Tina Haus an der Mosel war längst verkauft – einen Dreck war's wert gewesen. Und der Weinberg? Der war verpachtet; aber was brachte der ein?! Ach, ach, ach!
Zu dieser Stunde konnte Müller-Hannes nichts tun als seufzen. Wie ungerecht ging das Schicksal doch mit ihm um! »Vertan,« sagte der Kuckuck, »verjuxt.« Kreuzdonner noch einmal, immer nur verschenkt hatte er, aus lauter Gutherzigkeit! Und jetzt ging's ihm so?! Erbittert ballte er die Fäuste und schüttelte sie drohend ins Dunkel. Da stand die Not und grinste ihn an, als hätte sie schon lange auf ihn gelauert. Was sollte er machen, wenn die Wittlicher Sparbank ihm das Haus überm Kopf verkaufte?!
Herrgott, wenn er nun eines Tages aus dem Haus mußte, nichts als den Stecken in der Hand?! Das durfte er gar nicht ausdenken; nein, das konnte ja auch gar nicht sein, 's war unmöglich! Ganz unmöglich. Er, der Müller-Hannes fort von der Mühle?! Wenn das passierte, dann ging auch gleich die Welt unter; die Berge ums Maar fingen wieder an Feuer und Schwefel zu spucken, wie vor hunderttausend Jahren, und der Mosenberg, der große Krater, schüttete alles zu.
Hei, wie das brannte – wie das drückte – Luft, Luft! Eine ungeheure Beklemmung überkam den Grübelnden. Mit einem Ruck saß er aufrecht im Bett und schnappte nach Atem. Verflucht! Einen Schnaps her, schnell einen Schnaps!
Mit schweren Füßen stapfte er aus dem Bett – drüben auf dem Wandbord mußte noch eine Flasche Doppelkorn stehen – er tastete sich hin, schon hatte er sie gepackt, den Pfropfen heraus, da – horch! Der Hund unter seinem Bett schlug plötzlich an.
Wer, wer ging denn noch draußen?! Der Schnee knackte. Klang's da nicht wie ein gedämpftes Tappen?
Wenn's der Alte doch noch wäre?!
Eine fast wahnwitzige Freude überkam plötzlich den Einsamen, der in der todstillen Winternacht schauerte. Ach, wenn's der Vater wäre! So hatte er sich noch nie nach dem gesehnt. Wenn der sich doch aufgemacht hätte, allem Schnee zum Trotz?! So spät noch?! Ei, am Ende war's noch gar nicht so spät; heute war's früher dunkel geworden denn je, und die Uhr stand ja. Er kam gewiß! Der gute Alte! Den ließ er aber heute abend nicht mehr heim – was mußte der wohl müde sein vom Waten durch den tiefen Schnee mit seinen gichtischen Beinen –, zu sich ins Bett nahm er den, den besten Platz gönnte er ihm, liebe Zeit, der gute alte Mann war ja so dünn geworden, der brauchte nicht viel Platz mehr!
Eine dankbare Rührung überkam den Sohn; er hörte schon das: »Wat michste, Hannes, wat denkste dann eweil?« Ach, so deutlich hörte er's! Lebhaft riß er das Fenster auf, daß der Schnee stiebte, und schrie mit dröhnender Stimme:
»'n Aowend, Vadder! Vadder!«
Und noch einmal: »Vadder!«
Aber keine schon etwas schwache, pfeifende Stimme aus zahnlosem Mund antwortete. Alles blieb still. Nur der Nero knurrte.
Enttäuscht schloß Müller-Hannes das Fenster. Und dann schimpfte er: war er nicht ein Narr, so was sich einzubilden?! Das alte Männchen sollte noch kommen, bei dem Schnee! Lag der nicht dort bei den Weiden ellenhoch? Vom Fenster aus konnte er deutlich sehen, trotz seines schlechten Blickes, wie der Schnee gerade dort am Mühlpfad zusammengeweht war, zu hohen, hohen Federbetten aufgeschichtet; die grauen Knorren der Weiden ruhten, bis an den Schopf hineingepackt, darin.
»Deiwel aach,« schimpfte er. Der Wind hatte ihm eine ganze Ladung voll eisigen Grobkorns ins Gesicht geworfen. Er mußte das Fenster schließen, es mit aller Macht zudrücken gegen die Last des Schnees, die von außen gegenpreßte. Mit einem Seufzer tappte er wieder zu seinem Bett zurück. Ach, so allein! Wenn der Kuckuck doch wenigstens riefe, daß man wußte, was die Zeit war!
Droben in der Giebelkammer spukte die Fränz auch noch herum, er hörte ihre Pantoffeln über die Dielen schleifen; die konnte auch nicht schlafen.
»Schlaof, Kreizgewieder noch ehs, schlaof!« Er nahm seinen Stecken und stieß damit dreimal derb unter die Decke; da wurde es still oben.
Aber ihm kam der Schlaf immer noch nicht. Tausenderlei quälte ihn. Herrgott, wenn nur der Alte da wäre, daß er's mit dem besprechen könnte! Wahrhaftig, er wollte dem nun nie wieder übers Maul fahren; mochte der immerhin fragen, besser wie der meinte es ja doch sonst keiner mit ihm. Wenn's morgen noch so ein Schnee war, daß der Vater nicht durchkommen konnte, wollte er sich aufmachen und selber zum Dorf hinuntergehen. Mochten sie ihn alle angaffen – schier sechs Monate hatte er sich nicht in Maarfelden sehen lassen – ganz gleich, der Alte war wohl das Opfer wert. Und die Gaffer würde er wieder angaffen. Wieder so einen Abend ohne den Alten – nein, das hielt er nicht aus!
Die Welt war am Morgen noch immer weiß, viel weißer noch als am gestrigen Abend. Und es schneite in einem fort. Von den Weiden waren nun auch die Schöpfe verschwunden, die alten Bäume waren ganz und gar ertrunken in dem Meer von Schnee. Und der Pfad auch. Ob hoch, ob nieder, ob Hügel, ob Mulde – alles eine glatte Schneebreite.
Müller-Hannes stand unschlüssig am Fenster. Nun es Tag geworden, draußen die Krähen flogen und in der Küche die Fränz sang, fühlte er nicht mehr so sehr das Verlangen nach seinem Alten. Und sollte er erst in seine hohen Stiefel fahren, den Spaten zur Hand nehmen, sich mühselig allein den Weg bahnen, den sonst die Knechte für ihn frei geschaufelt, und dann nach all der Plage sich noch neugierigen Blicken aussetzen?! Die Bequemlichkeit hielt ihn zurück.
Aber als allmählich die Stunden vorrückten, der Kuckuck – er hatte den Pendel selber wieder angestoßen – drei Uhr nachmittags rief, als noch immer, noch immer die Flocken gleichmäßig sanken und niemand bei der Mühle vorbeikam, befiel ihn eine Angst. Würde der Vater wieder nicht kommen?! Ihn grauste vor der langen, einsamen Nacht.
Jetzt machte er sich rasch auf. So rasch war er sonst noch nie in die Stiefel gekommen; bei seiner Leibesfülle ward ihm das Bücken sauer. Die Tür wollte nicht aufgehen, so schwer staute sich außen die Schneemauer gegen, aber mit aller Kraft schaffte er sich Bahn. Ums Hans herum gelangte er noch, aber hinterm Giebel bei den Weiden war kein Durchkommen mehr. Bis an die Schultern sank der große Mann ein. Hier führte sonst der Pfad durch eine Senkung hinauf zur Landstraße – diese Mulde war jetzt ein Schneelager geworden. Unter Anstrengung nur arbeitete Hannes sich wieder heraus.
Auch dem Nero war es außerm Spaß; der war wie sein Herr, Anstrengung liebte er nicht. Das Fell sträubend, kläffte er wütend den leidigen Schnee an und kratzte mit allen vier Pranken. Hannes faßte ihn am Halsband und gedachte sich von dem starken Tier ein wenig ziehen zu lassen, aber der Köter parierte heut gar nicht, wollte nicht vom Fleck, machte zuletzt feige kehrt und rannte heulend ins Haus zurück. Dahin folgte ihm gar bald sein Herr. Nein, es war kein Durchkommen heut! Dazu blendete die unendliche Weiße; gegen die blaue Brille flogen Flocken an – o weh, nun kam schon wieder die verhaßte Nacht! –
Drei Tage lag die Mühle ganz eingeschneit. Der dritte Tag brachte endlich klingenden Frost; das Schneien hörte auf, der erste Schlitten passierte. Aber er fuhr nicht vorbei, merkwürdigerweise hielt er an beim sonst gemiedenen Haus.
Fränz stand im Flur und starrte mit offenem Mund, an ihrer Schürze zupfend. Eigentlich war sie sich so in ihrem verwaschenen Alltagsrock nicht schön genug. Aber sie durfte doch nicht fehlen! In den toten einsamen Tagen des lautlos fallenden Schnees hatte sie geträumt, geträumt, wie in den Nächten, in denen sie nicht schlafen konnte vorm Drängen der unausgenutzten Kraft, vorm Rumoren des jungen Blutes, der strotzenden Vollsäfte. Doch jetzt – wie eine Erlösung war es plötzlich über sie gekommen beim Trab des Pferdchens, beim munteren Schellengeläut, in jähem Wechsel wurde sie rot und blaß – jetzt, jetzt kam wohl die goldene Kutsch?! Und in ihr ein Stolzer, ein Feiner, der sie holte! Fast zitternd wartete sie.
Aber nur der Ortsvorsteher stieg aus.
»Es dän Vadder zu Haus?« fragte er kurz.
Sie zuckte zusammen, unsanft aus ihrem Traum geweckt: was wollte der, der Kerl mit dem einfältigen Alltagsgesicht?!
»Wuh soll hän dann anners sein!« antwortete sie schnippisch und drehte sich weg; kaum, daß sie dem Besucher die Stubentür wies.
Der Ortsvorsteher trat ein: da saß der Müller am Tisch in seiner gewohnten Stellung, den Kopf zwischen die aufgestemmten Arme gestützt.
So saß Hannes nun schon seit dem hellichten Morgen und boste sich, daß sein Alter ihn so ganz im Stiche ließ. War der auch treulos wie die andern? Aha, da war ja so einer aus Maarfelden! Recht erkannte er das Gesicht nicht mehr, erst als es ihm dicht gegenüber war. Der Ortsvorsteher?! Was wollte der hier?!
Dhein's Nikla guckte sich unruhig in der Stube um und sagte dann: »Es Dein Alden hei, Müller-Hannes?«
»Mein Alden hei? Nä!«
»Aewer hän waor doch hei de letzten zwei Däg?«
»De letzten Däg? – Nä! – Vor drei Däg waor hän derletzt hei; dann net mieh.«
»Dann net mieh?!«
Es war etwas Merkwürdiges in dem Ton, mit dem der Dhein fragte. Hannes hob plötzlich den Kopf aus den Händen und sah den andern an:
»Nä! Kreizdonnerparaplei, wat fraogste esu domm?« Er war nun ungeduldig geworden, heftig und rot übers ganze Gesicht bis hinab zum Stiernacken, der in einer großen Fettfalte über den Rockkragen schwappte.
»No, no,« beruhigte der andere, »ech fraogen ja nor!«
»Dän Alden es doch ken Wickelditz. Ech kann hän net hüten! Gieh häm nao em kucken, duh liet hän in der Heija Bett.!«
»Duh liet hän net,« sagte der Dhein bestimmt. »Fürroaniggestern Vorvorgestern. haot hän sich uf dän Weg gemaach – et waor schuns Aowend – de Modder haot hän net giehn laosse wolle: ›Bleiw derhäm, et gitt arg Schnie!‹ – äwer hän haot gesaot: ›De Jong waart uf mech!‹ On haot sich ufgemaach. De Modder es ufgebliewen bis half hint Mitternacht., dann es se schlaofe gange. Se daacht: ›dän Vadder bleiwt in der Mühl bei dem Sauwäder!‹ Aewer eweil es dän Weg frei, mer kann widder dorch, on eweil schickt de Modder mich, ech soll hän ahfnehme Abholen. komme, dän Vadder, on –«
Der Ortsvorsteher stockte plötzlich und wischte sich mit der Hand über die harte Stirne, auf die ihm kalter Schweiß in ein paar Tropfen trat. »Schrei nor net esu – schrei nor net esu,« stotterte er jetzt erschüttert.
Hannes war aufgesprungen. Einen einzigen Schrei hatte er ausgestoßen, aber einen durchdringenden, lauten. Mit beiden Fäusten trommelte er sich jetzt gegen die gedunsene Stirn: »Hannes, dau, dau, weißt dau et? Wuh es hän, wuh es hän?!«
Fränz kam hereingelaufen: »No, wat es dann los?«
Aber als der Dhein ihr Bescheid tat, schwand auch ihre ärgerliche Gleichgültigkeit. Der Großvater wurde vermißt?! Jesus, wenn der alte Mann im Schnee stecken geblieben war! Ach, der arme, alte Großvater! In einem Hui flog's ihr durch den Kopf: wie der ihr immer allen Willen getan, Fratzen mit ihr geschnitten hatte vor der großen Glaskugel – o weh, o weh, der lag wohl jetzt irgendwo im Schnee, vom Wege abgeirrt und erfroren!
Der angeborene Schauer vor dem Tod lief durch ihr junges Blut. Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen, und dann konnte sie doch nicht genug von dem Schrecklichen hören. Wirklich, der Großvater war von Haus weggegangen, durch all den Schnee – hierhin?! Hier würde er nie mehr ankommen! O je, o je! Sie fand wenigstens Worte des Jammers, und dann fand sie auch Tränen.
Hannes fand keines von beiden. Mit einem Gesicht wie aus Stein stierte er vor sich hin, wieder in seiner altgewohnten Stellung, die Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf zwischen die Hände gestemmt.
Der Ortsvorsteher, dem selber der blasse Schrecken auf dem Gesicht stand, redete auf ihn ein: sie wollten ja suchen, ohne Rast, überall, alle Mann des Dorfes sollten aufgeboten werden; die würden es gern tun, der alte Matthes hatte ihnen immer so leid getan.
»Leid gedahn?« Einen verzweifelten Blick warf Hannes auf den jetzt leeren Platz sich gegenüber. Dann, ehe die andern ihn daran hindern konnten, war er aufgesprungen; beide Fäuste hebend, schlug er sie ins Fenster, durch das er an jenem Abend nach seinem Alten ausgeschaut hatte. Blut rieselte; Blut und klirrende Scheiben sprangen hinaus in den weißen Schnee.
»Vadder! Vadder!«