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10.

Am andern Morgen – noch graute kaum der Tag – pochte ein Knecht aus der Mühle bei dem Alten im Dorf an: er möge einmal herunterkommen zum Herrn, aber sofort, und sein Sonntagszeug möge er auch antun!

Hastig fuhr Matthes in seinen tuchenen Rock; so im schäbigen Kamisol wäre er ohnehin seinem Jungen nicht unter die Augen gekommen. Er eilte sehr, und sein Herz klopfte. Weiß Gott, so in aller Frühe schickte der Hannes, dem mußte was ganz Extras begegnet sein, wohl gar was Gutes?!

Die Neugier plagte ihn gewaltig, sie fraß ihn fast. Mit trippelnden Schritten eilte er neben dem Knecht her und fragte den aus; aber der wußte nur: der Herr fahre wieder aus, das Chaischen sei schon auf den Hof geschoben und das Silbergeschirr herausgetan.

Als der alte Mann atemlos eintrat, stand Hannes vor dem Spiegel und rasierte sich. Er hatte eine Masse Schaum geschlagen, eine ganze Barbierstube hätte daran genug gehabt. Im Glas nickte er dem Eintretenden zu, aber er lachte nicht vergnügt wie sonst, sein Gesicht blieb abgespannt.

Der Alte fühlte sich sofort enttäuscht – der sah nicht nach was Frohem aus!

Der Sohn sprach denn auch nur kurz:

»Mir faohren eweil aus, Dau mußt met, Vadder!«

»Mir – mir – mir zwei?« Der Alte war ganz betroffen. Er war doch sonst nie mit ausgefahren – nun gerade bei dem Schlackerwetter?! Er zog ein langes Gesicht. Halb regnete es, halb schneite es, das war ihm gar nicht kommod. Aber was half's, wenn der Hannes nun mal wollte! Einen Versuch machte er jedoch noch. Trübselig durch das Fenster guckend, seufzte er und zog mit einem: »Autsch, mein Häs Ferse.!« seinen Fuß in die Höhe. »Dat es en miserabel Hundswäder heit – autsch, mein Zehen, ech kommen net aus der Stell, autsch! Eweil sein ech von der Gicht ganz steif!« Er stöhnte und rieb sich den Buckel und hinkte steifbeinig zum nächsten Stuhl.

Aber sein Stöhnen nutzte ihm nichts, der Hannes hatte des gar nicht acht. Als wäre niemand in der Stube, so murmelte er etwas in sich hinein, von dem der Alte nichts verstand.

»Wat, saoste wat?« fragte Matthes und guckte neugierig dem Sohn zu, wie der jetzt seine beste Weste anzog und den feinen schwarzen Kirchenrock. »Woar willste dann eweil faohren?«

»Nao Wittlich!«

»Nao Wittlich?! Esu weit!« Matthes war baß entsetzt.

»Woar anners?!« Ein funkelndes Licht glomm auf in des Hannes Augen, die heute tief unter zusammengezogenen Brauen lagen. »Mir faohren eweil zom Hähr Adfekat, ech –,« und nun reckte er sich auf einmal wieder, stellte sich breitspurig hin und blies die Backen auf und steckte die Hände in die Hosentaschen – »ech klaogen eweil!«

»Wat – wat – klaogen?!« Der Alte sprang auf. »Dau wills klaogen – fürwaohr on enklich?!« Nun kriegte er aber einen Schreck. »Es et menschemiëlich? Klaogen – hm, hm!« Er kratzte sich den Kopf und rückte die Mütze von einem Ohr aufs andere.

Was, der Vater konnte da noch Bedenken tragen?! Hannes fuhr auf, und dann begann er hastig zu erzählen, was ihm gestern beim Bürgermeister geschehen: still sein sollte er, sich alles gefallen lassen von der Bagasch, die ihm's Wasser wegfing und die Forellen?! Schindluder sollte er mit sich spielen lassen und noch »danke« sagen, wie ein Bettelmensch? Nein, das fiel ihm nicht ein! Sein Recht mußte er kriegen! Und der Laufeld mußte auch dran, der war die Wurzel von allem Uebel!

Ja, ja, das war er auch! Da mußte der Alte dem Sohn voll zustimmen. Wenn der nicht wäre und immer intrigierte, dann wäre schon alles anders! Wer weiß, am Ende hatte er auch die beiden Konkurrenten hergezogen – gerad dem Hannes zum Possen – umsonst war er nicht so gut Freund mit den weißen Mühlen, und fuhr auch oftmals hin, und die Müller besuchten ihn. Und daß er den Bürgermeister im Sack hatte, war ausgemachte Sache, wo hatte der Dallmer denn sonst gegen des Hannes gerechte Sache gesprochen?!

Nun hatte sich der Vater in Eifer geredet und war beinahe ebenso zornmütig wie der Sohn. Natürlich fuhr er mit nach Wittlich, mit dem größten Pläsier – er würde doch seinen Jungen nicht im Stich lassen! Und geklagt wurde – selbstverständlich – nun gerad – ein Exempel mußte statuiert werden, daß die drei zeitlebens daran genug hatten!

Dem alten Matthes schwebte dunkel eine Erzählung seines Vaters vor, wonach dessen Vater in seiner Jugend einmal hatte jemanden hängen sehen. Damals war ein Richtplatz gewesen, nicht allzu weit vom Dorf, auf einer öden Gemarkung, wo auch die Weiber verbrannt wurden, die auf einem schwarzen Bock durch den Schornstein gefahren waren zur Buhlschaft mit dem Gottseibeiuns. Dort mußten Verbrecher aller Art am Galgen baumeln. Fast wollte ihn ein Bedauern beschleichen – wegen des Laufeld – daß die Zeit solchen Gerichtes nun vorbei war. –

Mit schnaubenden Rossen fuhren Vater und Sohn durch den Kunowald. Es war ein unwirtlicher Morgen; aus den Nüstern der Pferde stiegen Rauchsäulchen, Nebel brandeten im Grund, und zwischen den Riesenstämmen hingen Wolkenfetzen. Finster blickte der Mosenkopf; seine Hänge waren nicht mehr grün, das Gras, das die Herden so gern weiden, das im Sommer, fast strotzend, herb-würzig duftet, war falb und dürr geworden, und der Schnee, der noch nicht fest liegen blieb, hatte sich in langen, schmutzigen Streifen darüber ergossen.

Der Boden des Waldes war aufgeweicht, nasse, noch nicht gänzlich entblätterte Brombeersträucher standen am Weg und froren. Es regnete eigentlich nicht, und doch waren die Pferde wie aus dem Wasser gezogen, und die Insassen des Chaischens wurden auch naß, trotz des hochgeschlagenen Halbverdecks.

Sie hatten beide das Bedürfnis nach einer Erwärmung. Hannes peitschte auf die Pferde – rasch, daß sie Großlittgen erreichten, ungefähr die Hälfte des Weges, da kehrte sich's gut ein! Er kam ja oft des Weges, und nie fuhr er hier ohne Rast vorüber.

Im ansehnlichen Wirtshaus stand der begrüßende Wirt schon unter der Tür; es tat dem Hannes ordentlich wohl, wie der beflissen den Chaischenschlag aufriß und dem steifbeinigen Alten fürsorglich auf den Boden half. Und auch Matthes schmunzelte – nun sah er's doch einmal recht, was sein Hannes galt.

Sie saßen noch bei ihrem Schoppen Roten, dem ein paar Gläschen Doppelkorn voraufgegangen waren, als die Manderscheider Post ins Dorf einrasselte. Gerade hier am Wirtshaus war die Posthilfsstelle. Dicht am Fenster rumpelte der gelbe Kasten vorbei; es saß niemand darin, oder doch – halt! Vater und Sohn wechselten einen raschen Blick: zum Donnerwetter, da saß der Laufeld drin! Er hatte sie auch gesehen, er mußte die neugierigen Köpfe am Fenster bemerkt haben, aber er tat nicht desgleichen.

Was, konnte der nicht grüßen?! Hannes stieß einen langen Pfiff aus. Aber wart, den wollte er schon lehren, vor anständigen Leuten den Hut abziehen!

»Dän fährt aach nao Wittlich, haste gesiehn?« Aufgeregt stieß der Alte seinen Sohn an.

»On in der Post, net emaol in sei'm Chaische – esu lompig!« Hannes mokierte sich weidlich, und der Wirt, der vergebens auf die Einkehr des einzigen Postpassagiers gerechnet, spöttelte mit: ja, der Laufeld, das war einer, zehnmal drehte der einen Pfennig um, ehe er ihn ausgab – so ein Pfennigfuchser, so ein Geizhals! Die eigenen Pferde waren ihm zu schad; 's könnte ja auch der Wagen mit Dreck bespritzt werden!

Ueber den Tisch geneigt, mit vorgestrecktem Hals und geblähten Nüstern sog Hannes den Duft dieser Worte ein.

Draußen hatte der Postgehilfe den Postsack mit den wenigen Briefschaften des Dorfes unter den Bock geschoben, nun stieß der Postillion wieder ins Horn. »Träträ,« äffte Hannes nach, die Faust am Mund. Im Regen, der jetzt niederstob, mit Schauern von Schnee vermischt, rumpelte langsam die Kutsche von dannen.

Sie lachten alle drei hinterdrein. So ein reicher Mann und mit der Schneckenpost fahren!

Hannes tat sehr fidel, aber innen brannte es ihn doch wie ein Schmerz: der Laufeld hatte ihn nicht gegrüßt.

Und auch andere grüßten ihn nicht. Als er als erster in Wittlich einfuhr – die Post hatte er längst überholt, wie ein Hui war er noch vor Minderlittgen an der vorbeigesaust, so rasch, daß sich der Vater erschrocken mit beiden Händen am Sitz festhielt, so dicht, daß die Schmutzspritzen der quirlenden Wagenräder gegen das Fenster des gelben Rumpelkastens klatschten – begegnete er dicht bei der Bank den beiden Müllern.

Unwillkürlich fuhr er mit der Hand nach der Mütze – das sollte doch keiner sagen, daß er die Nachbarn nicht gegrüßt – aber der eine guckte rechts, der andere links; 's war recht absichtlich, daß sie ihn nicht sahen. Aha, blies es aus dem Loch? Mit dem Laufeld hatten die zwei sich wohl hier verabredet, wer weiß, sie hatten Wind bekommen von seiner Klage, wollten nun ihrerseits auch klagen, alle drei miteinander gegen ihn losgehen?!

Hannes preßte krampfhaft den Arm seines Vaters; war der auch nur schwach, es war doch ein Arm. Zum ersten Male in seinem Leben erachtete er es gewissermaßen als eine Wohltat, jemanden neben sich zu haben. Zärtlich legte er den Arm um die Schultern des alten Mannes und schob ihn so vor sich her in den Flur des Advokaten.

Matthes war etwas zag; vor den Studierten hatte er eine angeborene Scheu, einen ungeheuren Respekt. Als ob die Stufe der Treppe ihn brenne, zog er noch einmal den Fuß zurück.

Aber der Sohn lachte ihn aus: nur Kurasch'! Uebers Jahr um die Zeit – nein, schon viel eher – waren die zwei oben am Bach weggezogen mit Sack und Pack, und der Laufeld hatte ordentlich was zudiktiert gekriegt wegen Verleumdung. Wozu gab's denn Gesetze?!

Und mit dröhnendem Lachen, erhobenen Hauptes wie ein Sieger, pochte Hannes an der Tür des Avokatenbureaus. – – –

Es war am Nachmittag, als der Wagen des Müller-Hannes die großen Kehren aus dem Wittlicher Tal zur Eifelhöhe langsam wieder hinaufschlich, die er am Vormittag blitzgeschwind herabgerollt war. Er kroch wie ein müder Falter, der nicht mehr fliegen kann. Der Eifelwind stemmte sich ihm entgegen und verfing sich im Halbverdeck. Die langen Schweife der Rosse flatterten, und ihre Mähnen wurden zerzaust. Ein böses Wetter.

Böses Wetter war auch beim Hannes. Er schimpfte nicht, er fluchte auch nicht, er lärmte nicht laut gleich dem Sturm, der in den Ebereschenbäumen der Chaussee heulte, aber seine Stirn war zwischen den Brauen ganz zusammengezogen und die Zornesader an der Schläfe dick geschwollen. Sein Kopf glühte; wie bei einem gereizten Stier war das Weiß seiner Augäpfel rot unterlaufen. Die Hand, die die Zügel hielt, ballte sich zur Faust.

O, wie tat es ihm leid, daß er nicht den Hund bei sich gehabt hatte! Auf die Kerle hätte er den sonst gehetzt, als sie ihm begegnet waren, alle drei, rechts ein Müller, links ein Müller, der Laufeld in der Mitte. Wie sie gut Freund waren und sich amüsierten! Aus der »Traube« kamen sie heraus, hatten vergnüglich eins getrunken, während er – er –! O, wie er sich ärgerte! Die Zähne biß er zusammen, daß sie knackten. Was hatte der Advokat gesagt, der Esel, der Nichtskönner, die feile Kreatur, die gewiß schon von den anderen gestempelt war?! »Die anderen Müller hätten genau so viel Recht wie er, er könne doch unmöglich die ganze Kleine-Kyll beanspruchen. Und was die Forellen anlange, so solle er nur fein still den Mund halten, die Fischerei habe er ja ebensowenig gepachtet wie die zwei. Und was den Laufeld betreffe, so könne man dem schwer an den Pelz – Klatschereien seien nicht zu fassen – wenn der nichts Schlimmeres gesagt, als er gesagt haben sollte, so lasse sich beim besten Willen keine Anklage formulieren. So gern er, der Advokat, sein Geschäft auch betreibe, einen Prozeß anzustrengen, wäre lächerlich. Er rate dem Hannes, nicht eigensinnig zu sein, sich gütlich mit den Konkurrenten zu einigen, daß sie das Wasser nicht oben aufstauten, wenn er es unten brauchte.«

Was, gütlich – gütlich?! Spuck drauf! Da ging er eben zu einem anderen Advokaten; und mußte er bis Trier reisen, ja, bis ans Ende der Welt und sich da einen annehmen! Gütlich – gütlich – nicht klagen?!

»Haha! Hohoho!« Hannes lachte so wild auf, daß die Pferde erschrocken einen Seitensprung machten und der Vater ihn scheu ansah. Nicht einmal schreien dürfen, wenn einem was weh tut – wo, wo war Gerechtigkeit?! Nirgends! Auch nach dem Tod nicht, was auch der Pfaffe sagt! Da möchte er doch einmal den Noldes fragen: mußte der Laufeld im Fegfeuer brennen oder nicht? Und wenn der auch »ja« sagen würde – olau, Fegfeuer hin, Fegfeuer her, das war noch lang bis dahin – wenn's dem nur jetzt heimgezahlt würde, jetzt bei Lebzeiten! Was hatte der mit den Müllern zu tuscheln? Was hatten sie in Wittlich miteinander zu schaffen gehabt alle drei? War's Zufall, daß sie sich getroffen? Nein, nein, Hinterlist!

Des Hannes Gedanken waren krank. Mißtrauen hatte er früher nicht gekannt, jetzt hielt ihn das gepackt. Der starke Mann zitterte wie in den Krallen eines bösen Tieres. Und er fühlte einen Schmerz, der ihm die Seele zerriß.

Finsteren Blickes starrte er auf die windgebogenen Bäumchen am Chausseerand: hier war eins vom stützenden Pfahl losgerissen, dort eins eingebrochen, da eins ganz umgeknickt, sterbend tunkte sein Wipfel in den Schmutz des Grabens. Nein, so wollte er sich nicht unterkriegen lassen, nein, nie! Früher, als Kind, hatte er gern die Sagen gehört, die die alten Weiber am Winterabend erzählen: danach hatte nicht bloß der Jäger Hermann zu Seinsfeld und der Ritter von Deudesfeld, und der Baumeister des Turmes der Winneburg, nein, noch manch anderer in der Eifel, dessen Namen man nicht mehr kennt, seine Seele dem Teufel verschrieben. Die hatten noch Kurasch' gehabt!

Sein Blick irrte suchend in die Runde – wo war der, dem er seine Seele geben konnte?!

Das Wägelchen kam gerade an einem Heiligenbild vorüber; der leidende Christus hing am Kreuz. Der Regen, der trotz des Schutzdächelchens über den heiligen Leib strömte, hatte all die Papierrosen, mit denen fromme Hände ihn geschmückt, zu unkenntlichen farblosen Klümpchen verwaschen, aber das Rot der Wundenmale war geblieben, es leuchtete noch. Unwillig kehrte Hannes den Blick ab: der da hatte sich ans Kreuz schlagen lassen von den Juden, und der hätte es doch so gut anders haben können, wenn er sich nur gewehrt hätte! Wenn er sich nur gewehrt hätte!

Ja, wehren, sich wehren bis aufs Blut, das mußte ein Mann! Ihn sollten weder der Laufeld noch die Müller, weder der Pferde-Leiser zu Trier noch die Wittlicher Bank, noch sonst wer in der ganzen Welt je klein kriegen! Wie zum Schwur hob er die Hand und schnitt eine Grimasse gleich hinterher: sie konnten ihm alle den Buckel lang rutschen. Er stand wie der Mosenkopf und rührte sich nicht.

Allmählich fand Hannes einen Teil seiner guten Laune wieder. Der Alte jedoch wurde verdrießlicher, je weiter sie von Wittlich fortkamen. Das Wetter wurde miserabel, er spürte es in allen Gliedern; sein Reißen ward schier unerträglich. Und was der Herr Advokat gesagt, wollte ihm auch nicht aus dem Sinn; der war ein Studierter, der mußte es doch wissen. Ja, der Hannes war gar zu eigensinnig! Vergeblich hatte er ihn schon im Bureau am Aermel gezupft: »Sei net e so bubsterzig!« Kein Hören. Der würde noch ins Unglück rennen mit seinem Dickkopf. Und ein Protz war er!

In eine Ecke gedrückt, grämelte Matthes so in sich hinein und redete kein Wort.

Es war gut, daß Großlittgen jetzt in Sicht kam und sie im Wirtshaus einen Augenblick absteigen konnten.

Aber der Wein beruhigte den Alten nicht; im Gegenteil, der regte ihn auf. Was er sich sonst nie getraut hätte: er fing an mit dem Sohn zu zanken. War das eine Manier, so mir nichts dir nichts nach Wittlich zu fahren – bei dem Wetter! – die Pferde abzutreiben und doch nichts auszurichten?! Er hatte es dem Sohn ja gleich gesagt: mit Klagen ist nichts zu wollen. Fleißig sein muß einer und auf seinen Vorteil bedacht, das ist das Wichtigste – ob dann noch zwei andere am Bach sitzen oder nicht, das ist ganz egal; und was der Laufeld schwätzt, erst recht. Aber: der große Herr sein und auf dem Klavierchen spielen, bringt kein Geld! O, Jesus, wohin sollte es noch mit der Mühle kommen?! Er ergoß sich in Lamentationen.

Mit großer Geduld hörte sich Hannes das Gegrämel an, vielmehr er hörte es gar nicht; seine Ohren waren nicht hier in der Wirtsstube. Die lauschten einem Tritt, der eben draußen vorübergegangen und sich nun wieder weiter entfernte, sich hinein in den einsamen Kunowald verlor. –

Jakob Laufeld hatte seine Geschäfte in Wittlich bald erledigt gehabt – was brauchen die viel Zeit, wenn sie wohlgeordnet und glatt sind – die beiden Müller, die er ganz zufällig hier unten getroffen, waren weitergefahren an die Mosel, und er empfand kein Verlangen, noch länger allein in der Stadt zu bleiben, wo ihn das Pflaster teuer dünkte. Es war noch früher Nachmittag und das Wetter hatte sich etwas gehellt, so entschloß er sich, da die Post erst gegen Abend fuhr, zu Fuß zu wandern. Bis die nach Manderscheid kam, war er wohl längst daheim und hatte das Geld gespart. Und so hatte er sich auf den Weg gemacht. Dicht vor ihm her kroch das Chaischen des Kirchweiler die Kehren herauf, oben auf dem Plateau hatte er es freilich aus dem Gesicht verloren; aber nun, da es vor der Großlittgener Wirtshaustür stand, überholte er es wieder. Beim Vorbeipassieren hatte er nicht acht, daß man ihn von drinnen gesehen; sonst wäre er vielleicht nicht so allein in den Wald gestiefelt, denn ein gutes Gewissen hatte er dem Müller-Hannes gegenüber gerade nicht.

Vater und Sohn saßen derweil noch ein halbes Stündchen. In seinem Aerger hatte sich der Alte ordentlich festgekneipt; das Räsonieren hatte ihm den Hals trocken gemacht. Und mußte er denn nicht auch räsonieren? Er hatte seinem Hannes eine schöne Mühle übergeben mit einem schönen Dach und einer guten Kundschaft dazu, er hatte ihm eine reiche Frau besorgt – und was nun? Das schöne Dach war mit Stroh ausgeflickt! Und die Tina?

»Spaor Dei Red,« brüllte Hannes jetzt und sprang jäh auf. »Eweil haon ech et äwer saat! Wirt, de Rechnung, wit, wit!«

Mit vieler Mühe lotsten sie den steifen Alten auf das Wägelchen; dort schlief er gleich in seiner Ecke ein, während Hannes auf die Pferde peitschte. Ein plötzlicher Gedanke war ihm gekommen, während des Vaters Räsonieren wie ein murmelndes Bächlein nichtssagend an seinem Ohr vorübergerauscht und er ins Glas gestiert, das der Wirt immer und immer wieder frisch füllte – der da, der vorhin hier am Wirtshaus vorbeigegangen war, ganz allein auf Manderscheid zu, der, der mußte noch einzuholen sein!

Jetzt hatte der Laufeld schon das freie Plateau verlassen – jetzt war er im Wald – er war wohl kaum am Liemerborn – noch war der Kaisergarten, von wo die Straße nach Manderscheid rechts abführt, weit! Der war noch zu stellen!

Immer toller peitschte Hannes auf die Gäule, daß sie dahinstoben gleich flüchtigen Rehen.

Nun öffnete der Wald seine Hallen, der Boden wurde weich, man hörte den Hufschlag nicht mehr. Hannes lachte grimmig in sich hinein: das würde eine schöne Ueberraschung geben für den Laufeld! »Hä, Freundchen,« wollte er den anrufen – nein, Freundchen nicht, »hä, Schubjack« – nein, Schubjack auch nicht, der Augenblick würde ihm schon das Richtige eingeben. Und ins Auge wollte er ihn fassen – hier nun so ganz allein, wo nur die finsteren Waldbäume zusahen und über deren Wipfel weg der dräuende Mosenkopf – und ihm bis auf den Grund der Seele blicken: »Dau, wat haste üwer mech schkandaliert? Eweil saoste't uf der Stell – kein Ausred! – nau, sao't!«

Des Hannes Augen blitzten; er stemmte die Füße gegen die Bockwand, wickelte sich die Leine fest um die Linke und ließ mit der Rechten die Peitsche immer wieder und wieder auf die Pferderücken sausen.

Die Tiere rasten. Der Wagen schlenkerte und schleuderte, die tiefhängenden Aeste der Buchen streiften das Halbverdeck – ritz, ratz – knack, krach – abgeknickte Zweige flogen und auch ein Fetzchen vom Wagendach. Wie Hagel prasselte das dürre Holz. Knall, knall, immer nur weiter!

Da war der Kaisergarten, jener Hain schlanker Fichten mitten im breitästigen Buchenwald. Die Pferde schäumten ins Gebiß, ihre Flanken bedeckten sich mit Schaum. Der Lenker stand jetzt auf dem Bock, reckte den Hals und spähte – wo war der Kerl? Wo? Wo?

Da ging er!

»Haalt – brr!«


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