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7.

Es war ein schlechter Sommer für den Müller-Hannes. Die beiden Mühlen oberwärts an der Kleinen-Kyll, die machten ihm viel zu schaffen. Er war nie hämisch gewesen, aber wenn er nun sah, wie die Bäuerlein mit ihren Säcken den neuen Mühlen zustrebten, verzog er höhnisch die Mundwinkel. Neue Besen kehren gut! Und dann fluchte er.

Wenn er jetzt nach Manderscheid fuhr, vermied er den Talweg, obgleich der weitaus der kürzeste war. Wozu sich ärgern?! Das Echauffieren tat ihm nicht gut; dann sprudelte ihm das Blut wie ein Springquell zu Kopf, und vor den Augen wurde es ihm schwarz. So machte er lieber den großen Umweg durch den Forst, hinter dem Mosenkopf herum, um im weiten Bogen die Chaussee, die von Eisenschmitt nach Manderscheid führt, zu erreichen; oder er jagte gar über Stock und Stein auf Holzabfuhrwegen durch die Schluchten gen Bleckhausen, um von dort, von links her, an sein Ziel zu kommen. Es war nicht ungefährlich hier zu fahren; die Räder stolperten und holperten in tiefausgefahrenen Gleisen, in deren Löcher man Steine geworfen. Knack – krach – da brach schon wieder etwas am Wagen! Aber mochte der zum Teufel gehen – nur nicht bei den neuen Mühlen vorbei!

»Hott, hahr, Biest verdammtes!« So hatte Hannes früher niemals auf die Pferde eingehauen. Sie strengten sich über die Maßen an; bald ging's bergab auf glitschigem Wiesenrain, bald steil bergan auf Geröll. Die glatten Schieferstückchen prasselten unter den Hufen, die Gäule strauchelten, das Chaischen rollte rückwärts. Schimpfend sprang der Herr ab und riß die zitternden Braunen am Zaumzeug. Er mußte sich dann doch entschließen, die eigenen Beine anzustrengen und noch dazu die Pferde hinter sich drein zu zerren. Ein paarmal schon war ihm der Handgaul gestürzt und hatte sich bös geschunden. Aber lieber die Pferde hin, als sich vom Aerger über die Mühlen den Humor verderben lassen!

Hier im Gewirr der Schluchten, gleich weit von Maarfelden wie von Bleckhausen entfernt, lag ein Haus. Eine Hütte nur; von weitem gesehen nur ein Vogelnest, das am nackten Hang klebt, grau, schmutzig, unscheinbar. Gehörte es zu Maarfelden, gehörte es zu Bleckhausen? Keine Gemeinde machte sich etwas daraus. Das Haus war verlassen. Wer es sich einmal gebaut, wußte man nicht; es war ja schon alt. Vielleicht, daß einstmals Pestkranke darin gehaust, Sieche, zu jener grauen Zeit, da die böse Krankheit noch umging, da Krieg das Eifelland zerstörte und Mütter ihre Kinder schreckten mit den Verschen:

»Bet', Kindchen, bet',
Morgen kömmt der Schwed',
Morgen kömmt der Ochsenstiern',
Der wird die Kinder beten liehrn.«

Wer es nicht nötig hatte, wollte wahrhaftig nicht darin wohnen. So lag auch das Aeckerchen beim Hause verödet; niemand bebaute es.

Wenn Hannes hier unweit vorbeikam und das graue Haus auf dem grauen Hang sich zeigte, peitschte er jedesmal auf die erschrockenen Pferde; ihn grauste vor dem trübseligen Anblick. Das Strohdach war verfault; die Laden lagen wohl vor dem winzigen Fensterchen, aber windschief, halb losgelöst, hingen sie nur noch in den Angeln. Der Acker war verrast, der Stall halb eingestürzt; die Bank vor der Tür zusammengebrochen, als hätte sich das Unglück zu schwer daraufgesetzt. Und ein Zugwind war immer hier, als ob alle Winde sich zwischen den Bergen verfingen und am grauen Haus aufeinanderstießen und um die verlassenen Mauern heulten.

Hu, Gott bewahr'! Hannes war stets froh, wenn er die abscheuliche Hütte im Rücken hatte, und fing dann hell an zu pfeifen. Lag der Aufstieg nach Bleckhausen auch noch steil und beschwerlich vor ihm, man kam dann doch wieder unter Menschen, heidi, in die Welt, in der beladene Erntewagen über die staubige Chaussee schwankten, Mähderinnen in weißen Kopftüchern, die Sichel in der Hand, auf die Felder schritten, und Wirtshäuser gastlich ihre Pforten auftaten.

Müller-Hannes hatte in Manderscheid ein gut Teil Bekannte, die gern mit ihm zechten. Warum er gerade dahin ging? Er hätte ja auch andern Ortes einkehren können, Wirtshäuser gibt's überall; aber zu Manderscheid wohnte der Laufeld. Kam er nun dort ins Wirtshaus, so steckte er die Hand in die Hosentasche und klimperte mit Geld – mochten sie das dem Laufeld erzählen! Das hoffte er. Hatte der nicht überall verbreitet, mit ihm gehe es rückwärts; er sei zu großspurig, betreibe sein Geschäft nicht mit Verstand und Eifer?! Ho, was ging's den an, wie er sein Geschäft betrieb?! Verstand – Eifer – Eifer – nun, er war doch kein Hausierer, der sich überall anbieten konnte: »Mit Verlaub, laßt doch bei mir mahlen!« Er war auch kein Blutsauger, der den Leuten, die zu zahlen zögerten, die letzten Groschen auspreßte. Es gab ihrer genug hierherum, die ihm etwas schuldig waren, aber er hatte nicht aufgeschrieben: wieviel. Auch nicht, von wem er zu fordern hatte. No, sie würden ja alle schon mal von selber kommen und zahlen, wie der Bäcker Driesch es getan!

»Wer seinen Schuldigern vergibt, dem werden auch die eigenen Schulden vergeben« – das war recht kommod im Vaterunser. Hannes machte sich gar nichts daraus, noch einmal bei der Sparbank in Wittlich ein Sümmchen aufzunehmen; wenn er nur die Zinsen zahlte, merkte er ja gar nichts von dieser Schuld. Merkwürdig, was man immer viel auszugeben hatte! Da hatte er sich letzthin einen feinen Tuchanzug in Trier müssen machen lassen, ein schwarzes Seidenkleid gekauft für die Tina und gestickte Höschen für die Fränz, lang bis auf die Fußknöchel. Aber der Anschaffungen waren noch mehr. Bah, schadet nichts, die Geld haben, müssen es auch unter die Leute bringen, das ist nicht mehr als Pflicht! Der Alte im Dorf sah zwar scheel dazu. Komisch, wie die Leute mit den Jahren anders werden; früher war der immer so nobel!

Der alte Matthes dachte nicht daran, seinem Sohn Vorwürfe zu machen, dazu hatte er ihn immer viel zu sehr bewundert, seinen Hannes, seinen Jung'; und jetzt vollends, da er selbst alt und müde wurde und in die Erde hineinwuchs, während der andere sich immer mehr herauswuchs, breitete und wölbte und protzte in Vollsaftigkeit, hätte er sich kein Wort getraut. Aber er war jetzt oft grämlich und ließ der Schwiegertochter mehr Gerechtigkeit widerfahren als früher.

Das Kind, die Fränz, war der Großeltern Sonnenschein. Stundenlang konnte der Alte es fertig kriegen, mit der Fränz in seinem Gärtchen vor der großen Glaskugel zu stehen, in der sich der Kranz der kahlen Berge ums Maar so seltsam in wetterdrohender, banger Beleuchtung spiegelte. Dann kommandierte die Fränz, und der Großvater schnitt Fratzen, daß sich sein Gesicht, in die Breite verzerrt, spiegelte und die Enkelin sich zu Tod lachen wollte. Ja, die war ganz wie der Hannes, als der noch klein war; der hatte auch so hell gelacht, wenn ihm der Wille geschah!

Jetzt freilich hatte sein Lachen einen ganz anderen Klang bekommen. Frau Tina schreckte jedesmal zusammen, wenn ihr Mann seine Lache aufschlug; die tat ihr weh in den Ohren. »Haha, – hohoho!« – ein Riesenlärm, und dazu das Schlagen auf den Tisch und das blutunterlaufene Weiß der Augen und das blaurote Aufquellen des strotzenden Gesichtes. Da war es ihr noch lieber, er schäumte im Aerger über, oder am liebsten: er war gar nicht daheim. Früher hatte sie auf ihn gewartet, in Sehnsucht manche Nacht; jetzt fuhr sie zusammen, wenn sie seinen Tritt hörte. Und doch hatte sie ihn lieb. Er erdrückte sie nur, wie der Mosenkopf all die niederen Hügel des Tales. Sie ging nicht mehr zu dem geistlichen Herrn und klagte; fast schämte sie sich, daß sie das einmal getan – was sollte der Noldes nun vom Hannes denken? Und der Hannes sagte doch nie einem Menschen etwas nach, lieber war er grob ins Gesicht – aber sie, sie war hingelaufen, ihn zu beklatschen! Der mitleidige Blick des Noldes war ihr jetzt fatal. Nein, ihr Hannes war doch ein Schöner und Starker, mit dem sie einstmals Brennende Liebe gepflanzt beim Rauschen und Brausen, beim Schlagen und Pochen des lustigen Mühlenrades!

Jetzt stand das Herz der Mühle oft still, und wenn es pochte, pochte es träge, als habe es selber keine rechte Lust mehr an seinem Gang. – –

Schon wieder düsterten frühe Herbstschatten über dem Mühlenbach und schauten fahläugig in die Fenster.

Die Seele der einsamen Frau quälte sich. Auch um die Fränz bangte ihr. Die war als einziges Kind gar herrisch. Und üppig schoß sie auf wie ein geiler Trieb, mit zehn Jahren schon wie eine, die einen langen Rock trägt. Sie hätte zu den lieben Nönnchen gemußt beizeiten, daß sie beschnitten ward mit der Gartenschere, fein säuberlich, wie ein junger Rosenstock. So war sie ein Wildling. Ihr selber, das fühlte die Mutter, fehlte die Kraft für dieses Kind. Aber der Hannes, dem sie einmal zu vertraulicher Stunde klagte, lachte sie aus: das fehlte noch, für ein Mädel so viel Geld ausgeben! Und die Großeltern wurden ganz aufgebracht: was, die Fränz sollte weg?! Die Schwiegermutter meinte ganz spitz:

»Unnen an der Musel mag et eweil neumodsch sein, de Mädercher in Pensjohn zu duhn, ech zweifeln net; äwer hei owen, guder Leit Könder, die bleiwen derhäm!«

Von der Mutter hatte die Fränz nur die schwarzbraunen Augen, aber sie blickten nicht sanft wie bei jener, sie glänzten und funkelten. Der Vater schaute ganz gern hinein, besonders zuweilen, wenn ihm gerad einer gesagt: »Ech gradelieren, Eier Fränz gieft en Staatsmensch!«

Dann schoß ihm wohl plötzlich eine Erinnerung durch den Sinn an ein paar andere schwarzbraune Augen, die ihn glühend in Liebe und glühend in Haß angeblitzt … das schwarze Luder! … Ja, wo mochte die hin sein?! Neulich war der Herr Reisende, der Simeon Lewy, der die Müllergaze und andere Mühlenartikel verkaufte, hier oben gewesen, und der hatte von ihr erzählt. Ganz zufällig. Aber ob's wahr sein mochte? Der war eben noch immer der alte Spaßvogel. Einst hatte der Lewy, als der Hannes noch mit der Seph auf den Kirmessen herumzog, die auch sehr poussiert. Nun erzählte er: er habe sie in Echternach zu Pfingsten springen gesehen – herrje, so fromm! – und hernach am Nachmittag auf dem Karussell fahren sehen – herrje, so toll! Er habe sie nicht gleich erkannt, – höllisch eingepackt hatte sie – aber sie ihn wohl; an dies und jenes hatte sie ihn erinnert und nach allem und allen in der Heimat gefragt. »Neun Jahre habe sie ihrer Tant', der Pfarrköchin zu St. Mattheis, im Haushalt beigestanden, nun sei die aber tot und habe ihr was hinterlassen, nun wolle sie in ein Kloster gehen.«

Die und in ein Kloster?! Haha, hoho! Auch der Lewy hatte ihr's nicht glauben wollen. Die Backen wie Feuer, die Augen wie Feuer, die Haare verstruwelt, und dann ins Kloster?!

Hannes mußte heute noch lachen: wenn der Reisende ihn nicht zum Narren gehalten, dann hatte die Seph aber den gehörig zum Narren gehabt! Die und in ein Kloster?! Eher kommen Berg und Tal zusammen, und Ostern und Pfingsten fallen auf einen Tag. Wer schwarz ist geboren, an dem ist alles Waschen verloren! Ja, die Seph – unwillkürlich wischte sich Müller-Hannes mit der Hand über die Lippen – die war eine stattliche Dirne gewesen! So heiß hatte ihn nie eine andere umgefaßt, Kotzdonner! Die war ein feiner Schatz gewesen – aber als Frau? Und wenn sie noch zehnmal reicher gewesen wäre als die Tina, nein, heiraten hätte er die doch nicht mögen! Ei, die wäre schön unbequem gewesen mit ihrem dicken Starrkopf!

Und von einem seltenen, fast mitleidig zärtlichen Gefühl bewegt, rief Hannes:

»Tina, Tina, komm ehs här!«

Als die Frau gleich gelaufen kam, ihn verwundert ansah ob des liebenden Tones, und ein wenig scheu zugleich, zog er sie zu sich, nahm ihr schmales Gesicht in seine breite Hand und küßte es ab. Aus einem kleinen Quell kann man auch seinen Durst löschen.

Gehorsam hielt sie still, aber in ihre Wangen schlug keine Flamme, in ihre Augen kam kein Strahlen.

Da fühlte er, daß er doch noch durstig blieb.

 

In der ganzen Gegend, rundherum, schwatzten sie viel über den Müller-Hannes. Seit dem Talerregen von dazumal war er der populärste Mann. Aber er hatte auch seine Feinde. War es nicht Sünde, das schöne Geld auf die Straße zu schmeißen, damit Unmündige und Lungerer es auflasen und vertaten?! Ihrer etliche hatten sich bei der Jagd um die Taler Beulen gestoßen und Schrammen gerissen; und noch waren Mütter von Kindern, die nichts erhascht, verfeindet mit Müttern von Kindern, die ja was erhascht hatten.

»Mer sieht et jao, esu ebbes bringt kein Säjen,« sprach Jakob Laufeld im Gemeinderat. »Wann ech dän Hähr Börjemaster sein däht, ech dähten dän« – damit wies er mit dem Daumen über die Schulter, ungefähr in die Richtung von Maarfelden, und dann spuckte er aus –, »ech dähten dän unner Kuratel stellen!«

Dies Wort wurde bekannt. Manche wollten sogar gehört haben, daß der Laufeld gesagt: »Dän kömmt sons zu bal uf dän Hund!«

Auch dem Alten, dem Müller-Matthes, kam dergleichen zu Ohren. Da hatte er eine schlaflose Nacht und geriet mit seiner Alten aneinander.

Die Mutter weinte viel und eiferte dann: wer hatte denn den Hannes so erzogen, so aus dem Vollen, daß er's Protzen gewöhnt ward, he? Sie gewiß nicht, sie stammte aus bescheidenem Haus; ihr Vater selig hatte gearbeitet wie ein Pferd und um ein paar Heller sich die Hände zerschunden. Nein, von ihr hatte der Hannes die Verschwenderei nicht, gewiß und wahrhaftig nicht! Sie hob die Hände mit Zetern und verschwor sich hoch und teuer.

»Hal dei Maul,« sagte Matthes, aber dann sagte er weiter nichts mehr; er fühlte sich getroffen. Wenn er ehrlich war, mußte er sich's eingestehen: nein, von der Mutter hatte der Hannes das Großtun nicht – Weiber sind meist genau – eher von ihm selber! Aber – und damit richtete er sich aus seiner Zusammengesunkenheit auf – aber war er denn nicht auch der Matthes gewesen, der Sohn, der Enkel aus behäbigem Müllergeschlecht? Sein Vater hatte auf der Mühle gesessen, der Großvater, wohl gar schon der Urgroßvater. Als die Eifel noch wüst war und leer, Maarfelden, das Dorf, nur drei, vier armselige Hütten wies, hatten sie schon regiert. Ein jeder hatte sie gekannt, ein jeder sie gegrüßt; die letzte des hochadligen Grafengeschlechts, das Fräulein auf der Burg zu Manderscheid, war nicht mehr angesehen. Was Wunder, daß man weiß, wer man ist. Aber freilich, der Hannes – der Alte rieb sich die Nase und kratzte sich hinterm Ohr – der trieb's doch zu arg! Taler regnen lassen zu Manderscheid, das darf nur der liebe Gott. Ob er einmal mit dem Herrn Noldes sprach? Ei was, nein, nein – da empörte sich doch sein Stolz – dem, dem armen Schlucker den Hannes ins Maul geben?!

Müller-Matthes trug es seiner Schwiegertochter noch heute heimlich nach, daß sie einmal beim Pfarrer geklagt hatte; das Engelchen hatte es seiner Frau verraten. Nein, nur nicht was unter die Leute bringen!

Der alte Mann wurde rot und biß die Zähne aufeinander, und dann ballte er die Hände: die Klatschbasen! Daß er denen nur die Schnattermäuler stopfen könnte!

Aber, als er so dasaß am Morgen nach schlafloser Nacht und Stunden vergrübelte, beschlich ihn doch eine Ahnung, daß es kein Segen sei um das von Geschlecht zu Geschlecht ererbte Gut; nicht eigener Schweiß klebt daran und nicht eigene Mühsal. Schwer muß es erarbeitet sein, um dauernd zu bleiben. Der Hannes würde gewiß nicht so mit dem Gelde schmeißen, wenn er's selber verdient hätte, Pfennig nach Pfennig!

Nun, am Ende war ja noch nicht alles verloren, der Hannes nicht schlimm, wahrhaftig ein guter Jung', der ließ sich noch weisen! – Und der alte Mann entschloß sich, ernsthaft mit dem Sohn zu reden.


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