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11.

Wenn Müller-Hannes geglaubt hatte, der Laufeld würde nun an ein Ausweichen denken, so hatte er sich geirrt. Der blieb gelassen stehen, als die Pferdeköpfe ihm plötzlich über die Schulter schnauften, nahm die Pfeife aus dem Mund, spuckte, steckte sie wieder in den anderen Mundwinkel und rührte dann, im ruhigen Weiterschreiten, lässig an seine Mütze.

Aha, jetzt konnte der Kerl grüßen, der Schleicher, der Halunke! Jetzt, wo er nicht das Dorf hinter sich hatte, oder die beiden oben vom Bach, oder gar den Herrn Bürgermeister und den Gemeinderat. Ja, hier im Wald, so ganz allein, da wußte er, was sich gehört – nein, doch nicht – nicht bloß die Mütze gerückt, ganz herunter damit!

Im Bogen flog die Mütze von des Laufeld graugesprenkeltem Haar und fegte in die nächste Regenlache.

»Könnt Ihr Eier lausig Kapp net vom Kop duhn, Ihr …?« grollte Hannes. Dicht stellte er sich vor den Laufeld hin und maß ihn mit glühenden Blicken. »Ech will Eich liehren, anner Leit beschandmaulen – eraus mit der Sprach – wat fiehrt Ihr alleweil für en schändliche Red?«

»Ech, ech –?!« Einen Augenblick sah Jakob Laufeld betroffen drein, er kriegte einen roten Kopf, dann aber wurde er ganz blaß und preßte die Lippen aufeinander. »Plaatz,« sagte er kurz, »ech haon kein Zeit!«

Er versuchte den ihm den Weg Vertretenden beiseite zu schieben, aber Müller-Hannes stand wie eine Mauer. Den Hut hatte er schief auf einem Ohr; er sah sehr verwegen aus. –

Dem Laufeld wurde es ungemütlich; nicht, daß er sich gefürchtet hätte, – als er noch jung war, hatte er bei jeder Keilerei seinen Mann gestellt, und jetzt war er ja des Schutzes aller Heiligen gewiß, – aber unwillkürlich faßte er doch den derben Wanderstock, dessen Spitze eine eiserne Zwinge trug, fester.

Müller-Hannes sah die Bewegung und mißverstand sie. Ein Griff seiner mächtigen Faust, und der Knotenstock war seinem Besitzer entrissen und flog der Mütze nach, ein Stück weit weg in den Schmutz.

»Wat, hauen wollt Ihr – Ihr – Ihr?« brüllte er. »Es et net genug, dat Ihr mir gebrannt Herzeleid anduht? Hauen wollt Ihr aach noch?!« Er packte den Laufeld vorn am Rock und schüttelte ihn; er hörte gar nicht, was der sagte, er war wie von Sinnen. All die lang unterdrückte Wut, die gekränkte Eitelkeit und ein Schmerz – um was nur, ja, um was?! – verlangten gebieterisch ein Austoben. Ihm war, als habe er tausend Jahre geschlafen, wie der alte Kraterberg da oben; aber nun brachen sich Gewalten Bahn, die in seinem Innern geruht hatten, und stürmten los: Feuer und Schwefel. Nun war kein Einhalt mehr.

»Dau Kalmäuser, wat haste gesaot? Ech dähten kaputt giehn? – Hallunk! Lügener! Ech giehn noch lang net kaputt! Unner Kuratel müßt ech gestellt gänn? Komm ehs här, prowier, ob de dat riskierst!« Er ließ den Rock, an dem er den anderen fortwährend hin und her geschüttelt hatte, fahren, streifte sich mit einer krampfhaften Hast die eigenen Rockärmel in die Höhe und riß die Hemdpriesen auf, daß seine starken, festen Arme sich entblößt zeigten. Er schüttelte die Arme überm Kopf: »Nau, prowier't!«

»Ihr seid besoff,« sprach Jakob Laufeld gemäßigt, der immer noch hoffte, die Sache gütlich beizulegen; er hatte keine Lust zum Prügeln mehr, er war zu steif und zu fromm dazu. »Ihr seid besoff, dat es en Exküs!«

»Ech danken für die Exküs, ech brauchen die net – mein Rächt will ech haon, weiter neist – noren mein Rächt –, on wann et dann kein Rächt mieh uf der Welt gitt, esu schaffen ech et mer!«

Er warf sich in die Brust, als er dies hinausschrie in den Wald, dessen Wipfel sich im Novembersturm beugten. Ein glättender Triumph zog über sein eben noch wutverzerrtes Gesicht. »Ech schaffen mer mein Rächt – eweil, Laufeld, ufgepaaßt, eweil sein mir allein, eweil gitt et Prüjel!«

Das wurde ernst. Dem Laufeld wurde es einen Moment schwarz vor den Augen – also wirklich sich keilen?! Gott verzeih' die Sünd'! Er hätte gern ein Kreuz geschlagen, aber er kam nicht mehr dazu, des Müllers Fäuste waren schon über ihm, er mußte sie schleunigst parieren. Allerhand Jugenderinnerungen erwachten – der fromme Beter war auch ein achtbarer Streiter.

Das war keine gemeine Prügelei unter den hohen Fichten des Kaisergartens, das war ein Turnier, mit Herausforderung und Waffengang. Sie hatten nichts wie ihre Fäuste, aber die fielen nieder wie Keulen, und die Blicke, die sie aufeinander warfen, waren Dolchstöße.

Hannes fühlte es mit wilder Freude: der war ihm gewachsen! Hei, desto größer die Genugtuung! Mit Ungestüm griff er an; sein Riesenkörper, der schon bequem geworden war, straffte noch einmal alle Muskeln. Ans Leben wollte er dem andern nicht – nein –, aber die Faustschläge, die er austeilte, hätten einen Ochsen niederschmettern können. Ehe er sich's versah, flog der Laufeld seinem Stock und seiner Mütze nach und lag blutend in einer Pfütze. Da stieß Müller-Hannes ein Triumphgeschrei aus, daß der Wald bebte.

Von dem Geschrei erwachte selbst der Alte, der unterdessen in der Wagenecke schier einen Todesschlaf getan. Verwirrt rieb er sich die Augen: er sah einen Menschen am Boden liegen, den Hannes mit schweißtriefendem Gesicht, die Fäuste noch geschwungen, und im Nu war ihm alles klar. Sein Hannes hatte einen verprügelt, wer mochte es sein?! O je, o je, was hatte der Jung wieder angerichtet!

Mit schlotternden Knien stieg er vom Chaischen. Aber plötzlich wandelte sich sein Schreck in eitel Pläsier. Potztausend, lag da nicht der Laufeld im Dreck?! Seine Steifbeinigkeit ganz vergessend, förmlich jugendlich leicht, sprang er vollends herzu: das gönnte er dem Duckmäuser!

Er stellte sich neben dem Gefällten auf und beguckte sich den behaglich. Der hatte ordentlich was abgekriegt, das Blut lief ihm aus Mund und Nase. Er rührte sich nicht. Sapperlot, am Ende war er tot! Nun kriegte der Alte doch wieder einen kleinen Schreck.

»Hannes,« rief er ganz kleinlaut, »Jesses, Jong, wat michste, wann dän Laufeld eweil dud es?!«

»O, dän!« Das war Hannes im Augenblick ganz egal. Ein ungeheurer Triumph schwellte seine Brust. In den sinkenden Tag hinaus hätte er's jubeln mögen, daß der jung ward wie bei der Morgenröte – hinein in den sterbenden Wald, daß der wieder grünte wie zur Frühlingszeit – hinauf zum Mosenkopf. Alle sollten es hören: »Ech haon mein Rächt!« Und er lachte und stampfte mit den Füßen und brachte den Mund nicht zusammen vor unbändigem Jubel.

»O jemine!« Der Vater kratzte sich den Kopf und beugte sich immer besorgter über den für tot Daliegenden. »Dunnerkiel, eweil sein mir schien in der Bredullich! Mir können hän doch net hei liege laosse, dän es jao pitschenaaß!«

Nein, wahrhaftig, das ging eigentlich nicht an! In Hannes regte sich eine Großmut gegen den Unterlegenen. Buh, war der zugerichtet! Nein, er hatte nichts dagegen, sie konnten ihn ja anfassen und wenigstens ins Trockene legen, oder … oder …

Er stand noch und überlegte, da rührte sich der Laufeld, stöhnte und schlug die Augen auf. Einen Blick voll Haß warf er auf die über ihn Gebeugten, dann versuchte er sich aufzuraffen. Der Alte wollte ihm helfen, aber er wurde mit ungeahnter Kraft zurückgestoßen. Ein paar Vorderzähne waren dem Laufeld ausgeschlagen; er spuckte den beiden das Blut vor die Füße.

»Jeßmarijusep, hatt Ihr äwer en Kladderadatsch uf de Schnöß gekritt,« konnte Matthes sich nicht enthalten, mitleidig auszurufen und die Hände zusammenzuschlagen. Ein zweiter wütender Blick lohnte ihn dafür.

Jakob Laufeld war totenbleich; nun hatte er sich aufgekrabbelt, aber seine Füße trugen ihn noch nicht, er mußte sich an den nächsten Baum lehnen. Gott im Himmel, wie sah er aus! Der Rock in Fetzen, die Hose mit Kot besudelt; naß hingen die Haare in das verzerrte Gesicht. Keine Mütze, keinen Stock.

An der Unterlippe nagend, finster stand Hannes, ebenso blaß wie der andere. Nun, da der Unterlegene sich rührte, sah, ging, stand, war auf einmal die Großmut wieder verflogen, die alterbitterte Feindschaft wieder da. Aber er hinderte den Vater nicht, daß er die Mütze aus dem Kot auflas und dem Laufeld überstülpte, ihm auch den Stock holte.

Laufeld dankte nicht; seine Lippen preßten sich immer fester zusammen, aber er nahm den Stock doch – was sollte er machen in seiner Not? Er stützte sich so schwer auf den Stecken, daß dieser sich bog wie eine Weidengerte.

»Hannes,« tuschelte der Alte und zog den Sohn nach dem Wagen hin, »maach, dat mir fortkommen hei!« Es war ihm gar nicht recht geheuer. Einen scheuen Blick warf er hinter sich: der Wind heulte so schauerlich dort vom Liemerborn, darum die immergrünen Pflanzen wachsen, in deren Kranz die Hexen tanzen. Und es wurde jäh dunkel. Zerrissene Wolken, Ungeheuern gleich, jagten über den stöhnenden Wald, und Raben, eine ganze Schar der schwarzen Galgenvögel, kreisten ihnen unruhig zu Häupten.

»Komm, komm!« Matthes zerrte den Sohn am Rock. Sie stiegen auf. Aber im Aufklettern kam dem Alten ein Gedanke – diesmal fragte er nicht erst, was sein Sohn dazu sagte – es war gar zu ungetrost im Wald, man konnte den Laufeld doch nicht so im Stich lassen! Das steife Bein, das er schon mühselig ins Wägelchen gehoben, zog er noch einmal zurück – au, das tat weh! »Laufeld,« schrie er kurz entschlossen, »Laufeld, no, wißt Ihr wat – steigt eweil aach met uf!«

Aber da kam er schön an! Die zitternde Hand hob Jakob Laufeld in die Höhe und ballte sie zur Faust. Er konnte nicht sprechen, aber immerfort schüttelte er die Faust. Er schüttelte sie noch, als die Räder des Gefährtes längst verrollt waren und Dunkel und Einsamkeit ihn umfingen.

Vater und Sohn sprachen kein Wort. Jeder dachte was für sich. Den Alten beschlichen Sorgen: der Laufeld lebte, wenn er sie nun anzeigte?! Er rückte unruhig auf seinem Sitz, und allerhand ungewisse Befürchtungen umflatterten ihn.

Die Sorgen des Hannes waren anderer Art. Daß der Laufeld ihn anzeigen könnte, dieser Gedanke, der seinen Vater beunruhigte, kam ihm gar nicht – der würde sich schon hüten, was verlauten zu lassen, man gibt doch nicht seine eigene Demütigung preis! – aber er war nicht mehr zufrieden. Der Laufeld hatte noch lange nicht genug gekriegt – nein – am liebsten möchte er den einmal verwamsen, angesichts des ganzen Dorfes. So in der Heimlichkeit war's doch nur halbe Sache gewesen.

All der vorschnelle Siegesjubel war verrauscht. Hannes' Kopf brannte; ungebärdig die Mütze abreißend, gab er die glühende Stirn dem niederströmenden Regen preis. Auch den Rock riß er auf; der stöbernde Wind fuhr ihm zwischen Weste und Hemd und bis auf die nackte Brust. Aber keine Kühlung, noch immer war's zum Ersticken. Seine Stirn war düster zusammengezogen, unheilschwanger brütete sie, wie da oben die finstere Kuppe des Kraterberges; eine unbezwingliche Gereiztheit kochte in ihm. Ah, wenn er sich nur austoben könnte an irgend was, an irgend wem! Schlüge ein Wetter gleich drein mit Donner und Blitz, daß Bäche Meere würden und alle Berge bebten, ihn sollte es nicht gereuen; er führe mitten hinein, mit Donner und Blitz um die Wette. Es sollte ihm eine Erlösung sein.

Finstere Nacht war es, fast Mitternacht, als Müller-Hannes auf seinen Hof rasselte. Er hatte erst den Vater heimgebracht und war dann noch einmal im Dorfe eingekehrt. Es hatte ihn gedürstet, aber sein Durst war nicht zu löschen gewesen, solange er auch in der Schenke gesessen. Die Kehle war ihm immer noch trocken, in der Brust hatte er einen noch quälenderen Brand. Wein her! Bier her! In den Keller gestiegen! Schlafratzen, aufgewacht!

Halt, blinkte dort aus dem nach rückwärts zu liegenden Fenster der guten Stube, wo das Gewehr an der Wand hing, darunter das Bild des jungen Hannes auf dem sich bäumenden Schecken, nicht noch Lampenschein?!

Das bescheidene Licht erhellte nicht einmal den dunkel fließenden Bach hinter der Mühle, nicht jenseits die schwarzen Höhen; nur ein feines Strählchen zitterte hin zu den ragenden Holzstapeln und zum Pfad, der an diesen vorbei zum versunkenen Gartengrund führte. Die Läden waren nicht vorgelegt.

Der Mann tappte die Wand entlang und guckte ins Fenster. Darinnen saß seine Frau auf dem Kanapee, hatte sein Soldatenbild von der Wand genommen und vor sich auf dem Tisch liegen. Hatte sie's betrachtet? Ihre Hände hielt sie darüber gefaltet. Jetzt war sie eingeschlafen; sie hatte das Räderrollen nicht gehört. Mußte die denn selbst im Schlaf greinen? Auf ihren schmalen Wangen schimmerten Tränen und hingen schwer wie Bleitropfen im Lampenlicht.

Die Heulliese! Derb schlug Hannes mit dem Peitschenknauf ans Fenster. Die Frau fuhr mit einem lauten Schrei des Erschreckens auf. Da lachte er roh und trappste zurück zur Haustür; schon trat er ins Zimmer. Sie war so erschrocken, daß sie zitterte.

No, auf einmal so schreckhaft?! Sie hatte wohl gar ein böses Gewissen?! Wieder flennen, ei natürlich, was anderes konnte sie ja nicht! Es war Hohn in der Stimme des Mannes, eine ätzende Bitterkeit. Fast wie Widerwillen stieg's in seinem Blick auf. Die da war nichts für ihn – nein, eine ganz andere hätte er haben müssen, eine, die besser zu ihm paßte, eine große und starke! Dürftig war die hier und allezeit weinerlich – ä, so ein schlappes Frauenzimmer, nicht einmal einen Buben brachte die zuwege, nicht einmal einen kleinen Dreikäsehoch!

Ein plötzlicher Haß überkam den Halbtrunkenen: war nicht alles zum Rasendwerden?! Er schrie sie an:

»Wat heulste eweil widder?!« Und als sie keine Antwort gab, trat er ihr drohend näher: »No, wat heulste, maach!«

Da raffte sie sich auf, ihre Empörung überwand ihre stete Scheu. Was hatte sie getan, daß er sie so anfuhr?! War es etwas Böses gewesen, daß sie sich, nachdem die Fränz im Bett und die ganze Mühle zur Ruhe war, in ihrer Einsamkeit hier hereingeschlichen und Zwiesprach gehalten hatte mit dem Hannes von früher? Den liebte sie noch. Den hatte sie sich heruntergelangt und betrachtet, und darüber waren ihr die müden Augen zugefallen, und sie hatte im Schlaf um den Hannes geweint. War das etwas Unrechtes? Nein, dazu hatte sie ein Recht. Sie hatte überhaupt ein Recht. Hatte die Magd nicht erst gestern gesagt: »Fra, wann ech Ihr dähten sein, ech ließen mir dat nie on nimmer gefaalen! Wann mer de Blindschleich tritt draußen im Gestein an der Straß, esu krümmt die sich aach, richt sich uf dän Schwanz on züngelt akkerat wie en richtige Schlang!«

»Laoß mech in Ruh,« sagte Tina mit bebender Stimme, »ech han Leid's genug, et braucht net noch größer zu werden!«

Er schlug eine Lache auf: »Kuck hei, dat Tina krieht en gruß Maul – äwer ech will se liehren, jao, dat will ech!« Aufgeregt schlug er sich auf die Brust: »Ech, ech, ech! Wat gaffste? Hei gitt et net gemuckt, hei gitt et nor pariert – voran, maach, hol mer noch en Flasch Bitburger aus'm Keller!«

Sonst war sie immer gelaufen. Aber nein, jetzt, heute an diesem benedeiten Tag, heute, wo sie ganz bestimmt wußte, daß sie noch einmal gesegnet war, kam sie ein Stolz an. Wenn er's freundlich gesagt hätte, gewiß gern! Aber so – so – nein! Der Eigensinn der Schwachen gesellte sich dem Stolz.

»Ech gehn net mehr in den Keller. Wann Du noch Bier drinke willst, mußte Dir dat selber hole gehen – ech net!«

Er sah sie einen Moment ganz verdutzt an: was – was sagte die?! Aber dann brach er los, er griff sie am Arm und zog sie zur Stubentür.

Aber sie widerstrebte: nein, nein, sie ging nicht, nun erst gerad nicht! Sie ging nicht in den dunklen Keller, wo die Stufen glitschig waren und jeder Schritt ein Fehltritt sein konnte!

Mit Kraft riß sie sich los und kreischte ihm ins Gesicht: »Et is en Schand wie Du bist … Du bist ja besoffen … aber wart, ech schreiben et nach Haus, ech sagen et mei'm Vadder!« Sie hätte nie daran gedacht, das zu tun, aber nun erschien es ihr Notwehr. War sie sich nicht auch etwas schuldig, sich und dem Leben, das die lieben Heiligen in ihren Schoß gesenkt?! Er hatte Lust sie zu schlagen, das sah sie ihm wohl an, aber nein, das durfte er jetzt nicht. Jetzt nicht! Ihre sanften Augen flammten … kam er ihr nicht schon drohend näher … zuckte es ihm nicht schon in der Hand? In höchster Erregung hob sie die Arme und hielt sie sich schützend vor:

»Unnersteh Dich net, rühr mich net an!« Und nun noch einmal lauter: »Rühr mich net an!«

»Biste doll?!« Er verstand nicht ihre Exaltation, er hielt die für Frechheit. Was, auch sein Weib wollte ihm trotzen?! Hatten sich denn alle gegen ihn verschworen: der Laufeld, die Müller, der Vater, der Advokat? Nun, mochte selbst der Alte ihm obstinat sein, aber hier – hier zu Haus ging's nach seinem Kopf! Das Weib sollte still sein mit seinem Gekreisch, es machte ihn toll, ganz rasend.

»Biste still,« brüllte er sie an.

Aber sie schrie unter Schluchzen:

»Bis' Du nur still! En andere hätt sich als sechsmal beklagt, ech sein alleweil still gewest. Awer jetzt will ech reden, üwer uns is doch dat Unglück! Et is üwer der Mühl, ech weiß et längst. Du has verspielt, ech han verspielt, mir han all verspielt! Kuckste …!« Ihre großen Augen starr aufreißend, wies sie mit zitterndem Finger nach dem Fenster, durch das der dunkle, winterkahle Hang und zerrissenes Nachtgewölk herein dräuten. »Kuckste, da hängt et! Da lauert et üwer der Mühl, et wart nur sein' Zeit ab! … O Mann, Mann –,« ganz außer sich schlug sie die Hände zusammen – »da is neist mieh zu maachen!«

»Eweil kriehn ech et äwer saat!« Ein Grausen war dem Mann über den Leib gefahren: was meinte sie, was wußte sie?! Vorwürfe? Nein, sie machte ihm ja gar keine, aber doch hörte er sie heraus. Und er wollte nichts hören – zum Donner noch einmal, still – nein, gar nichts hören! Packen wollte er das vorlaute Weib, gegen die Wand schleudern …

»Rühr mich net an!« schrie sie gellend auf.

Er hatte sie um den Leib gefaßt, alle Besinnung hatte ihn verlassen; was er mit ihr wollte, wußte er selber nicht, still sein sollte sie – nein, keine Vorwürfe, die Mühle war noch sein, und er stand da, groß und mächtig, er, der Müller-Hannes! Was rief sie die Angst, daß die ihn nun plötzlich packte?! Nein, keine Angst – wovor denn, warum denn?! – totmachen muß man die Angst, daß die nie mehr lebendig wird – so – so – nie mehr …

»Hannes – rühr – mich – net an!«

Halb gewürgt schrie sie. Sie stieß ihn zurück. Er ihr nach – wie ein Wilder hinter ihr drein – hierher, dorthin – aus dieser Ecke in jene. Zur Tür wollte sie hinaus, seine breite Gestalt verstellte den Ausgang. Da stürzte sie zum Fenster, riß es auf, mit einem Schwung war sie oben, und nun sprang sie hinaus, strauchelte, raffte sich auf und jagte fort in sinnloser Angst.

In den Stall?! Hinter die Holzstapel?! Da würde er sie zuerst suchen. Weiter, am toten Mühlrad vorbei, hinunter ins tote Gärtchen, dessen Beete in Schnee und Schmutz und Nacht versunken waren. Kam er auch hierher nach?! Sie hörte seine Stimme:

»Tina! Tina!«

Es klang furchtbar. Ganz klein machte sie sich und kauerte sich hinter einer Hecke zusammen. Da, horch, ein Knall! Jesus Maria, das war ein Schuß! Jetzt hatte der Hannes wohl das Gewehr von der Wand gerissen, – schoß er durchs Fenster?!

»Tina! Tina!«

Wieder ein Feuerstrahl! Sie konnte seine Gestalt erkennen; er stand am Fenster, das Gewehr an der Backe.

In tödlichem Entsetzen kniff sie fest die Augen zu und preßte die Hände gegen die Ohren. Oh, und jetzt, jetzt fühlte sie's plötzlich, wie sich das neue Leben in ihr regte. Da riß sie die Hände von den Ohren und rang sie empor zum stummen Himmel:

»Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt' für uns!«


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