Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Es ging ein Geraune um in der ganzen Gegend. Die Leute guckten scheu, und die dem Müller-Hannes einst Freunde gewesen, sprachen am meisten: »Uebermut tut selten gut!«
Ja, es ging bergab mit dem Müller-Hannes. Die Mühle war verschuldet, und nun mußte er noch brummen für das, was er dem Laufeld angetan hatte.
Man war allgemein empört über den übermütigen Raufbold. Ueberfallen hatte er den Laufeld, oben im Kunowald, am einsamen Kaisergarten, und hatte ihn so übel zugerichtet, daß der acht Tage das Bett hüten mußte. Aber dann nicht faul, hatte dieser geklagt, und Müller-Hannes war jetzt verurteilt worden zu vier Wochen Haft wegen vorsätzlicher schwerer Körperverletzung.
Es nützte dem Hannes nichts, daß er sich den besten Advokaten zu Trier annahm und sich hoch und teuer verschwor, daß er den Laufeld nicht hinterrücks angefallen, sondern ihn herausgefordert habe zu ehrlichem Faustkampf; der einzige Zeuge, der dabei gewesen oben unter den dunklen Fichten, in der einsamen Größe des Hochwaldes, war der alte Matthes, und der hatte den Hauptmoment verschlafen. Und überdies – ob so oder so – Keilereien waren ein für allemal vor dem Gericht wider das Gesetz.
Es mag einer gegen einen heißen Ofen anblasen, so viel er will – Hannes mußte dran glauben. Es wurde nur Rücksicht genommen auf seinen körperlichen Zustand; erst gegen's Frühjahr trat er seine Strafe an. Die trüben Winterwochen bis dahin hatte er untätig in der Mühle versessen; nur zum Termin hatte er sich aufgerafft.
Er konnte ja auch nichts tun, ein Schlag hatte ihn getroffen von einer unsichtbaren Hand; ein Axthieb den Baum, der da gefällt werden soll. Er konnte sich schwer erholen.
»Eine plötzliche Verkühlung nach übermäßiger Erhitzung hat die tiefe Ohnmacht, in der er hingestürzt ist, veranlaßt,« sagte der Herr Doktor, den der alte Kirchweiler in seiner Herzensangst schon am zweiten Tag von Manderscheid geholt.
Erst nach langer Zeit, nachdem der eigene Knecht und der fremde Knecht und der Müller oben vom Bach, die Tinas Schreckensschrei zu Hilfe gerufen, den schweren Körper aufs Bett getragen hatten, war Hannes wieder beweglich geworden. Und dann hatte er noch für Stunden stumm dagelegen, mit starr offenen Augen, die doch nicht sahen. In der Nacht endlich, als seine Frau allein bei ihm saß, hatte er das erste gesprochen und über seinen Kopf geklagt.
Nun hatte er lange Wochen gedoktert; sein Kopf war wohl besser, aber eine Schwäche der Augen war geblieben. Zuzeiten sah er besser, zuzeiten schlechter, aber nie mehr gut.
Hannes trug eine dickglasige, dunkle Brille, als sein Vater mit dem Wägelchen ihn holen kam von der Eisenbahnstation. Fast hätte der Alte seinen Jungen nicht erkannt – hatten den die vier Wochen Gefängnis zu Trier so verändert?! Pah, wegen Prügelei ist's wahrhaftig keine Schande zu sitzen, das haben schon manche gemußt, darum brauchte er doch den Buckel nicht so krumm zu machen!
Aber Hannes hatte kein Lächeln für das wohlgemeinte Zureden seines Alten. Er hatte die Gelegenheit benutzt und war bei einem Augendoktor zu Trier gewesen; auf das hin, was der ihm gesagt, hatte er noch die kluge Frau zu Euren, die weithin rühmlichst bekannte, konsultiert. Die hatte ihm mehr Hoffnung gemacht, Schneckenspeichel und Auflegen von gekautem Brot angeraten und fleißiges Beten des Rosenkranzes; aber doch wollte keine Hoffnung in sein Herz einziehen, vielleicht, weil er nicht das unbedingte Vertrauen zu diesen Mitteln hatte.
Als er nun neben dem Vater zum Wägelchen ging, wunderte sich der Knecht, der die Pferde hielt, daß der junge Müller nicht mehr viel größer war wie der Alte. Der war seinerzeit freilich auch ein Hüne gewesen, jetzt hatten ihn nur die Jahre geduckt.
»Sei eweil noren alert!« ermunterte der alte Vater und gab sich selber recht forsch; aber ein unruhiges Spiel kam in seine Gesichtsmuskeln und ein ängstlich forschender Blick in seine, hinter Hautfalten fast gänzlich versunkenen und doch noch scharfen Augen, als er merkte, wie ungeschickt der Sohn zutappte und den Tritt des Chaischens erst ein paarmal verfehlte.
Es war ein lichter Tag. Je weiter sie fortkamen von der Station ins Gebirge, vom Kylltal heraufkletterten aufs Eifelplateau, desto großäugiger blickte die Sonne. Sie hüllte die weiße, staubige Chaussee in einen Strahlenglast und sengte den zur Zeit weißblühenden Ebereschen die zarten Frühlingsblättchen. Es war heiß, aber trotz aller Hitze eine herbe Frische. Tausend Himmelschlüssel blühten auf den junggrünen Rainen und zartlila Wiesenschaum; unzählige Bienen summten darüber hin. Ueber frisch gepflügtes Ackerland schritt hier und dort ein einsamer Sämann, das weiße Sätuch um den Leib geknüpft, und griff hinein und warf im Schwung Körner aus – ein goldener Regen: Gerste und Sommerroggen.
Was da gespendet ward, das würde sich nun bald wieder bezahlt machen, tausendfach! Hannes seufzte plötzlich auf und legte die Hand über die Augen.
»Blend't de Sonn Dech?« fragte der Alte besorgt.
Der Sohn nickte stumm. Durch seinen Kopf wogte es: hatte er nicht auch gegeben und gegeben, wie der Sämann da, mit voller Hand? Immer in den Säckel gegriffen und reichlich ausgestreut? Und was erntete er nun dafür?! Undank, Undank! Er hätte es herausschreien mögen aus unendlicher Bitterkeit, hinschreien zu den empfangenden Feldern im Lenzsegen: Undank, Undank! – Mochten die ihn wenigstens hören, den Leuten würde er es ja doch nicht sagen – Undank, Undank! – die Menschen waren zu schlecht – alle, ja alle!
»Es et Der onüwel, Hannes?« fragte der Alte wieder. »Jesses, Jong, wat biste esu rot?«
»Laoß mech in Ruh!« Hannes wehrte ab, und dann saß er, immer mit der Hand über den Augen, und sagte kein Wort.
Nicht einmal kutschieren sollte er mehr?! Das tat der Knecht, den der Vater mitgebracht hatte. Wie zockelig der fuhr – hott, hahr, – hahr, hott – jeden Stein nahm der Kerl mit, und so langsam ging's, als hätte er eine Leichenfuhre hinter sich, aber keinen lebendigen Menschen, den's nach Haus verlangte. Das war nicht zum Ertragen!
In brennender Ungeduld saß Müller-Hannes; er hatte es gar nicht gewußt, wie sehr ihn doch seine Mühle zog – seine Mühle, seine Mühle! Wenn er die nur erst wiedersah! Zu Trier, zwischen den Mauern, war die immer vor ihm aufgetaucht und hatte ihr Bild in seinen unruhigen Träumen aufgestellt – das Rad hatte geschaufelt, das Wasser rauschend geperlt – jetzt däuchte ihn, alles wurde besser, wieder ganz gut, wenn er nur erst in seiner Mühle war. Die war sein Reich, darin war er noch König.
»Ah –!« Er atmete tief und sog die starke Luft ein, die, wunderbar rein, vom ersten Lebensduft der Wälder geschwängert, gewürzt von allerlei blühendem Kraut, und sonnenfroh über die Höhen zog. Ah, das tat gut! Schon fühlte er sich wieder gekräftigt. Er nahm die Hand von den Augen. Nein, das sollte der Laufeld doch nicht erleben, daß er klein beigab – nie!
Matthes war sehr erstaunt, als der Sohn befahl, im nächsten Dorf, am nächsten Wirtshaus zu halten. »Dau solls doch net,« stammelte er, »dän Hähr Dokter haot doch gesaot, Dau därfst net!«
Hannes warf den Kopf in den Nacken. »Meine Saach!« Er ließ drei Glas Bier herausbringen und drei Schnäpse. »Zum Willkomm, Vadder! Prost, Manes!«
Sie stießen an; Hannes leerte sowohl Schnapsgläschen als Bierglas auf einen Zug, und der Alte wagte nicht, ihn daran zu hindern, er war ja froh, daß sein Hannes wieder vergnügt war.
Der Mosenkopf flimmerte in goldenem Glast, als sie ihn jetzt endlich zu Gesicht bekamen. Wie ein roter Ball lastete das Rund der sinkenden Sonne auf dem Gipfel, ein ganzes Bündel Strahlen schoß von dorther über die grünen Matten hinunter. Die schwarzen Lavablöcke, die als zackiger Kamm oben den Krater umgeben, darin ein kleines Maar träumt, standen kolossal gegen den lichtdurchtränkten Aether. Selbst in ihrer Schwärze war heut Gefunkel; als säßen Diamanten im porösen Gestein, so blinkerte und glitzerte das. Und je mehr die Sonne sank, je tiefer sie hinter den Bergrücken rutschte, desto leuchtender die Felsen. Sie glühten nach, sie wurden tiefpurpurn, als hätten sie alle Sonne geschluckt, während der Himmel sich schon zart entfärbte. Weiße Wölkchen mit rosigen Säumen ruderten langsam, schwanengleich, über das leuchtende Berghaupt. Unten im Gewirr all der niedrigeren Hügel und Schluchten wob schon Dämmer.
»Kotzdonner, dat es eweil äwer schien!« Hannes hatte die Brille abgenommen, ihn dünkte sie wie eine Scheidewand zwischen sich und seinem Berg; nie war ihm der so schön erschienen. Nun er ihn Wochen entbehrt, wußte er erst, was er an dem hatte. Wie stolz er sich erhob, wie er glänzte! Der gezackte Kamm der Kraterfelsen wurde zur goldenen Krone, während alles andere schon unscheinbar im Schatten lag.
Er konnte den Blick gar nicht abwenden. In diesen Strom von Licht hätte er untertauchen mögen, sich ganz darin baden. Unwillkürlich war er aufgestanden; und nun reckte er sich und streckte den bis jetzt krumm gehaltenen Rücken, als müsse er dem stolzen Berg da entgegenwachsen. Seine Arme breiteten sich – ah, der Berg, der Berg! Und gleich dem Hannes von ehedem, öffnete er jetzt den Mund, und ein langgezogenes, starkes Jauchzen weckte das Echo.
Ein befriedigtes Lächeln spielte dabei um seine Lippen: mochten sie ihn nur hören, dort in den Häuschen von Bettenfeld, die wie Spielzeug von Zwergen im grünen Vorgarten des Riesen liegen, mochten ihn auch jenseits des Bergrückens die weißen Mühlen im Grund hören! Der Vater hatte recht: vier Wochen im Bulles ist noch keine Schande, und daß er dem Laufeld eines ausgewischt hatte, des war er doch noch froh. Und alles andere? Nun, alles andere würde sich auch wieder machen – wie hatte doch der Doktor zu Trier gesagt? »Nur keine Erregung, kein Echauffemang, immer hübsch ruhig« –, ja, das wollte er auch, fein ruhig bleiben, sich nicht aufregen. Wenn der Laufeld vielleicht dachte, oder sonst irgendwer, daß er sich nun ärgerte, weil er unrecht gekriegt hatte, so irrten die sich – die Hunde, die Kläffer, das feige Gesindel! Erst recht wollte er den Nacken steif machen: blas mir den Staub weg! Platz für den Müller-Hannes – nun erst gerad'!
Und er faßte sich nach dem Genick und dann nach dem Hinterkopf und dann nach den Schläfen – in ihnen fing es plötzlich an zu stechen – vor seine Augen, die den leuchtenden Berg nicht losließen, legte sich schnell ein Nebel. Er hatte zu sehr in die Sonne gestarrt, nun wurde es ihm schwarz vor den Augen, finstere Nacht. Er rieb und wischte – ihn schwindelte – der lichtvolle Berg blieb versunken. Hinter das sich drehende Gespinst schwarzer Punkte, Kringel und unruhiger Farbflecke war die freudige, strahlende Aussicht entrückt, als wäre sie nie gewesen.
Es dauerte eine Weile, bis Hannes wieder sah. Er hatte sich setzen und die Brille auftun müssen.
Nun war es wirklich Nacht, als sie, von hinten herum, in Maarfelden einfuhren und endlich bei der Mühle anhielten. Hannes war steif geworden von der langen Fahrt; schwerfällig kletterte er vom Chaischen herab, er fühlte, trotzdem er jetzt auf dem Boden stand, seine Beine noch nicht recht. Der Hund, der mit wildem Freudengeheul an ihm emporsprang, ihm die Tatzen auf die Schulter legte und mit der langen, dampfenden Zunge nach seinem Gesicht leckte, hätte ihn schier umgerissen, so unsicher stand er. »Kusch, Nero, kusch, verdammtes Biest!« Aber doch war's ihm lieb so – der freute sich doch noch wenigstens bei seiner Rückkehr!
In der Tür stand die Frau und kam langsam, vorsichtigen Schrittes, ihrem Mann näher. Sie gab ihm die Hand: »Tag, Hannes!«
Von Fränz war nichts zu sehen. Konnte die nicht einmal da sein, wenn ihr Vater zurückkam? Wo steckte sie?
Die Mutter wußte es nicht; sie begann gleich zu klagen: die Fränz sei gar so unbändig, nicht zu halten; immer trab, bis gen Manderscheid lief sie, man wußte nie, wo sie war. Und immer ein Rudel Jungen hinter sich!
Der Vater lachte dazu. Aber als die Frau fortfuhr: »der tue ein Jahr bei den lieben Nönnchen gar sehr not,« wurde er ungeduldig und schlug auf den Tisch. Mußte sie ihn schon wieder reizen? Wußte sie denn gar nichts anderes zu sagen, als gerade das, was er nicht hören mochte?! Und er wollte gern Lustiges hören, er gierte förmlich danach, es tat ihm so not, wie der Sonnenschein dem kränkelnden Baum. Mußte sie denn immer das gleich wehleidige Gesicht machen, und nun blühte doch alles draußen, es war Frühling; sah sie ihn nicht?
Doch, doch! Ihre matten Augen glitten zum Fenster, hinter dem, jetzt sanft verschwommen im weichen Lenzabend, die Berglehne aufstieg. Grillen zirpten, es klang traulich; aber unter den großen Klettenblättern, im feuchten Grund, beim toten Mühlenbach, klagten die Unken. Fröstelnd zog die Frau das schwarze Tuch, das sie um die Schultern trug, fester über die Brust zusammen. Sie sagte nichts, aber der Mann merkte es an der Starrheit ihres verlorenen Blickes, an dem jähen Erblassen ihrer zuckenden Lippen, sie sah dort – dort an der Stelle, wo jetzt das sich anklammernde Buschwerk lieblich grünte und Ginsterstauden von goldenen Blüten troffen, wieder das schwarze Unglück über der Mühle hängen.
Schwer stützte er den Kopf in die Hände. Nun hatte er sich so auf die Mühle gefreut, aber merkwürdig, seit er darin war, hielt's ihn wieder gepackt wie mit Krallen, das bange Gefühl unabweislicher Sorge: Gehört dir noch das Dach, unter dem du wohnst? Gehört dir noch das Vieh, das im dunstigen Stall schnauft? Gehört dir noch das Mehl, das du bäckst, das Brot, das du ißt, der Pfühl, auf den du dein Haupt legst? Was, he, wieviel gehört dir davon – alles – etwas – oder gar nichts mehr?!
»Se haon auch geschriewen von der Mosel,« sagte die Frau leise, »daß dem Vadder sein Haus eweil verkauft is. Schon vorgestern. Ich haon et Dir net mieh nach Trier zu wissen getan.« Sie seufzte. »Allzuvill is es ja net, wat et eingebracht hat.«
»On dän Weinberg, dän Weinberg?« fragte er hastig, stemmte die Hände auf den Tisch und sah sie mit seinen dunkeln Brillengläsern an.
»Dän will niemand,« sagte sie noch leiser. »De Zeiten sind schlecht, on –,« sie stockte, die Stirn ihres Mannes hatte sich gerunzelt, die jähe Röte stieg ihm zu Kopf – »äwer et wird sich schon bald jemand finden,« setzte sie angstvoll rasch hinzu.
Er wollte aufbrausen: was brauchte sie ihm gleich mit diesen unangenehmen Geschichten zu kommen, konnte sie nicht damit warten bis morgen früh?! Mußte sie ihm das jetzt gleich zur Zeit des Abendmahls vorsetzen, daß ihm das Mus versalzen schmeckte und das Brot bitter? Daß er keine Ruhe zum Schlafen fand, sondern sich hin und her wälzte in beklommener Hitze? Dummes Frauenzimmer! Schon hatte er den Mund aufgetan, sie anzubrüllen, seine Augen rollten, schon zuckte es in seiner Hand, da …
»Rühr mich net an« – wie ein Geisterhauch wehte es durch die Stube.
Da sah er ihre hochschwangere Gestalt und hielt an sich. –
Mit dem Mus zusammen kam die Fränz, der Hunger mochte sie wohl heimgetrieben haben. Der Vater schmunzelte befriedigt, als er sie sah: das mußte man sagen, die Frau hielt die sauber, und die machte sich recht heraus, fürwahr ein staatses Mädchen! Er rief sie dicht zu sich heran, um sie besser sehen zu können.
Ungern nur schien sie seiner sie näher zu sich heranziehenden Hand zu folgen; es war etwas Störrisches in der Haltung, wie sie den Oberkörper zurückbog und den Kopf im Nacken hielt.
»No, Fränz, wuh warste dann?« Durch den Anblick des jugendschönen Gesichtes besser gelaunt, lächelte Müller-Hannes und klopfte der Tochter auf die feste, flaumige Wange. »Giefste Dei'm Pappa kei Küßche?«
Sie hielt sich steif und blickte halb trotzig, halb verlegen aus ihren sammetschwarzen Augen.
Nun bemerkte er ihr Widerstreben. »Wat es dat dann met Dir?« fragte er plötzlich argwöhnisch. »Dau freust Dech net, wann Dein Vadder hämkömmt, hä?«
Sie schwieg.
»Hä Dau?« Schon wurde er zornig. »No, es et eweil bal gefällig? Wat sticht Der im Kop, hä?« Er faßte sie am Zopf und zog sie daran; noch war es Spaß, aber es tat schon weh.
Sie schwieg und sah ihn stumm und trotzig an; aber um ihre Lippen zuckte es verräterisch wie von verhaltenem Weinen.
»No, gieft et bal geantwort?« Frau Tina sah mit Schrecken, wie ihrem Mann das Blut zu Kopf wallte. Er schrie: »Tu Dei Maul uf, red!«
Jetzt brachen der Fränz die Tränen aus, sie ließen sich nicht mehr herunterschlucken; mit einem Ruck hielt sie sich die Schürze vors Gesicht, und dann heulte sie kindisch laut heraus.
»Kotzdonner noch ehs! … Dao soll doch e Kreizgewieder dreinschlaon! Kaum kömmt mer nao Haus, gleich gieft et Gekrisch! Dat haste von Deiner Modder, die kann aach neist anneres.« Ein wütender Seitenblick streifte die Frau. »Eweil hörste uf, tutswit!«
Er riß dem Kind die Schürze vom Gesicht, und nun brüllte er es an und stampfte dabei mit dem Fuß – nein, er trampelte mit beiden Füßen:
»Heul wo De wills, äwer net hei in der Stuw! Antwort: waorum biste esu bubsterzig? Waorum freuste Dech net – waorum net, Dau Laadsluder, Dau infames!?«
»Hannes, Mann,« mischte sich die Mutter ein, »laß se doch!« Was würde die Fränz sagen?! Tina zitterte vor der Antwort des Kindes und wußte doch nicht warum. »Jesses, Mann, laß se doch gehn!«
»Hal Dei Maul!« Das warf er nur so zur Seite hin, als halte er die Frau gar keiner Beachtung wert. Sein ganzes Interesse gehörte der Tochter.
Die Halbwüchsige hatte zu weinen aufgehört, der Schlucken stieß sie noch, aber sie zwang ihn; eine jähe Röte schlug ihr ins Gesicht. Und nun schrie sie's heraus, in verzweifeltem Trotz, halb in Angst, halb in Pein, ihre dünne Mädchenstimme gellte:
»Ech freuen mech net. Dän – dän – Joseph saot: wann Dän Vadder im Kittche gesess haot, dann es hän't net wert, dat mer sech freuen duht!«
»Fränz, Fränz!« Ganz entsetzt sprang die Mutter zu und wollte der Tochter den Mund zuhalten. Aber ihr Mann riß sie zurück.
»Laoß se reden, laoß se reden! So – also daorum! Freuen duhste Dech net – so!« sagte er leidlich ruhig.
Die Brille riß er ab und schleuderte sie auf den Tisch; er mußte die Tochter nah sehen, ganz nah, selbst ein Glas war zu viel zwischen ihnen. Mit einem Ruck zog er sie zu sich heran und starrte ihr ins Gesicht mit einem suchenden Blick: war da was von ihm? Ja – er tat einen zitternden Seufzer – ja, da war viel von ihm!
Was Frau Tina bestimmt erwartete, traf nicht ein. Er schlug die Fränz nicht. Er ließ sie los mit einem tiefen Aufatmen. Er lachte sogar.
Sollten sie dem Frieden trauen? Die Frau wußte es nicht recht, das Gesicht des Mannes schaute so seltsam drein, am liebsten hätte sie die Tochter hinausgeschickt, aber der Vater hieß die Fränz sich neben ihn setzen.
»Also wann einen im Kittche gesess haot, es hän et net wert, dat mer sich freut, wann hän hämkömmt? O Dau schnippschnappig Dingen!«
Er sagte es fast wohlgelaunt, die wachsende Verlegenheit des Kindes, das nun, erschrocken über das, was es gesagt, an seinen Fingern zog und zerrte, machte ihm schier Spaß. Er narrte sie:
»Ei, kuck an, wat dat Fränz esu klug es – mer freut sech net, dat haot Dir de Joseph gesaot – hoho, wat es dann dat für 'ne Joseph, hä?«
»Ei, dän Laufelds Joseph zu Manderscheid,« sagte sie unschuldig.
»Wat – dän?« Er schrie auf. Das war nicht mehr der Schrei eines Menschen, es war der Schrei eines wilden Tieres.
Erschrocken fing Fränz wieder an zu weinen – ei, was hatte sie denn Dummes gesagt, daß der Vater auf einmal wieder so böse war?! War der Joseph zu Manderscheid nicht schon ein so großer Junge, dem sie glauben mußte?
Der Vater hielt sie gepackt und rüttelte sie hin und her, daß alles an ihr flog, ihre Zähne schlugen und schmerzhaft auf die Zunge bissen.
»Dän Joseph, dän Laufelds Joseph,« heulte er. »Also daohär bläst dän Wind? Joseph – Laufelds Joseph – o, die Karnallje –!« Er rüttelte die Tochter stärker. »Wuhär kennste dän Biwak?!«
»Se sein immer Erdbeeren suche gegangen im Manderscheider Busch, de Kinder,« mischte sich angstvoll die Mutter ein. »On letzten Herbst: Brombeeren on Haselnüß – Jesses Maria, ich weiß et net!«
»Ech saon Der,« schrie der Vater, und seine Hand fiel schwer auf der Fränz flaumige Wange, »wann dän Joseph noch ehs ein Wort for Dech saot, ein einzig Wort – unnerstieh Dech! Spuck ihm int Gesicht, dem Biwak! Dän Alden, dän Schleicher, dän Hallunk, dän Bedrüger, dän – dän –,« die Worte fehlten ihm – »dän es an allem schuld! Verflucht sei dän Dag, wuh hän hei in de Mühl kam, verflucht, verflucht!« In ohnmächtiger Wut lallte er nur noch: »Verflucht, verflucht!«
»Jesses, Mann, Mann – erbarm Dich – o Jesses, Mann!«
Er hörte nicht das Jammern der Frau. Die Tochter hatte er nun losgelassen; mit geschlossenen Augen stand er, beide Fäuste vor die Stirn gedrückt. »Dän – dän –,« und immer das eine Wort: »verflucht – verflucht – verflucht!«
»Jesses, Mann!« Frau Tina rang die Hände – wußte er denn nicht: von wo der Fluch ausgeht, geht er auch wieder hin?! Sie wagte es, nach seinen Fäusten zu greifen, sie hielt sie fest, sie hing sich an ihn: »Fluch net, fluch net, Hannes, Du fluchst Dir selber!«
Er stieß sie zurück. Der Stoß war heftig; sie taumelte in eine Ecke, halb ohnmächtig lag sie da auf den Knien. Fränz war aufkreischend aus der Stube entflohen. –
So finster sank die Nacht, als sei nie ein Licht in der Mühle gewesen. Der Müller warf sich in seinem Bett und stöhnte vor Hitze: »Luderzeug! Deiwelszeug!« So hatte er noch nie geflucht, wie diese Nacht. Aber es erleichterte ihn nicht. Das große Mühlenrad, das draußen so schlaff und still hing, das ging hier um, rauschend, rasend geschwind – hier in seinem Kopf! Er stöhnte und hielt sich den glühenden Schädel.
– – – Wie sich das Rad drehte und drehte und mit ihm die Jahre! Ein Jahr um das andere – von den Radschaufeln floß das Wasser – Segen war's nicht, was von den Jahren abtroff. Viel Verdruß, viel Kummer – ja! Der Müller setzte sich plötzlich im Bett auf: horch, klang nicht ein Winseln? – ja, nicht nur der Laufeld, ja, die ganze Welt hatte sich gegen ihn verschworen, – sie sei verflucht!
Die Kuckucksuhr rief. Jesus, schon Mitternacht?!
Horch, wieder das Winseln! War's der Hund?
»Nero!«
Ein dumpfes Knurren antwortete. Langsam kam das mächtige Tier unterm Bett vor, dehnte sich, schüttelte sich und legte die Tatzen auf den Bettrand.
Nein, der Nero hatte geschlafen, der war's nicht gewesen! »Nero, paß uf, kß, kß, Kätzchen!«
Die glühenden Augen des Hundes funkelten durch die nächtliche Finsternis; aber er schlug nicht an. Was, was war denn?! Der Mann tappte nach dem Feuerzeug, das Phosphorhölzchen zischte auf, nun brannte die Talgkerze. Das Tier war langsam in die Mitte des Zimmers gegangen, nun lag es platt auf der Diele, die Schnauze furchtsam auf die Vorderpfoten gedrückt, und blinzelte scheu mit trüben Augen.
»Pfui, Nero, bang?! Faß, kß, kß!«
Da hob der Hund den Kopf, reckte ihn empor zur niedrigen Balkendecke und stieß ein leises wehklagendes Heulen aus. Den Mann überlief ein Schauer. Wie gelähmt lag er in Schweiß. Wie er's hundertmal am Tage zu tun gewohnt, in fast gedankenlosem Kommandoton, so rief er auch jetzt: »Tina! Tina!«
Wenn er doch nur nicht so allein wäre! Nun lag er schon seit lange hier in der Stube im Erdgeschoß wie ein Lediger, oben in der Giebelstube hauste die Frau mit der Fränz – das mußte anders werden! War das eine Manier, ihn so mutterseelenallein zu lassen?!
»Tina! Tina!«
Es war das erstemal, daß sie nicht willig war. Sie kam nicht.
Aber horch, jetzt ein Sichregen über ihm in der Giebelstube! Ein Hin und Her über die Dielen von nackten Füßen. Eine Tür knarrte. Und nun ein unterdrückter Jammerlaut, aber doch durchdringend schrecklich durchs ganze Haus.
»Kotzdonner noch ehs!« Hannes warf die schweren Füße aus dem Bett, torkelte zur Tür, über den Flur, tappend suchte er die Stiege – da fiel ein Lichtschein von oben herunter. Im kurzen Röckchen, mit nackten Beinchen stand die Kleine am Treppenkopf und schirmte ihr flackerndes Kerzenstümpfchen.
»Vadder, Vadder,« sagte sie zitternd und guckte mit den wissenden Augen des Dorfkindes dem Mann in das blöderschrockene Gesicht. »De Modder es onüwel gäwen – wit, wit, laoß de Weis-Frau rufen!«