Else Ury
Dornröschen
Else Ury

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Alte Freunde

Karl Heinz, der Herr Student, erwartete seine Damen voll Ungeduld. Er fühlte sich in Berlin schon völlig zu Hause und brannte darauf, die Mädchen herumzuführen. Am liebsten hätte er sie gleich zum königlichen Schloß und in die Museen geschleppt. Na, und die Universität! Und vor allem die landwirtschaftliche Hochschule, die jetzt die Ehre hatte, ihn zu ihren Jüngern zu zählen, mußten sie doch auch kennen lernen. Aber zuvor hieß es, die Verabredung mit den Verwandten pünktlich innehalten. Auf dem Potsdamer Platz verging den drei Mecklenburger Landkindern Hören und Sehen. Selbst Karl Heinz hatte sich noch nicht genügend eingewöhnt, um diesem Wirrwarr von Automobilen, Straßenbahnen, Droschken, Lastwagen, Radlern und Rollschuhläufern ruhigen Blutes standzuhalten.

Dornröschen hatte sich vor Mieting mit dem Londoner Getriebe, das sie als Backfisch kennen gelernt hatte, ein wenig gebrüstet; darum wollte sie ihre Angst nicht merken lassen. Tollkühn stürzte sie sich in das Getümmel und fand sich plötzlich auf einer der kleinen Rettungsinseln wieder, an der die Wogen des großstädtischen Verkehrs vergebens anbrandeten. Ein Schutzmann hatte sie beim Arm ergriffen und vor dem Überfahrenwerden gerettet. Nun stand sie in glühender Verlegenheit da.

Sie schämte sich. Die Leute mußten ja geradezu denken, daß sie gestohlen hatte, wenn der Schutzmann sie hier so in Gewahrsam hielt! Aber die Berliner hatten mehr zu tun, als sich um das Dornröschen von Nedderdorf Gedanken zu machen; die eilten und hasteten, unbekümmert um das, was um sie herum vorging, ein jeder seinem eigenen Ziele nach.

Inzwischen hatte Karl Heinz sich vergeblich bemüht, die schüchterne Mieting zu überreden, den sicheren Bürgersteig zu verlassen. Dreimal hatte Mieting es gewagt, sich an seiner Hand auf den Fahrdamm zu begeben. Aber sowie sie von irgendwoher eine Automobiltute vernahm, sprang sie entsetzt wieder zurück. Nun war sie nicht mehr zu einem neuen Versuch zu bewegen. Sie hatte die Pflicht, ihr Leben für ihren Fritzing zu erhalten. Karl Heinz wurde schließlich kribbelig.

»Na, adjüs, Dirn! Laß dir man die Zeit nicht lang werden; heut abend holen wir dich denn wieder hier ab.«

Mit seiner Ritterlichkeit gegen junge Damen war es niemals weit her gewesen; er machte wirklich Miene, Mieting ihrem Schicksal zu überlassen. Aber deren kleine Hände klammerten sich wie Krebsscheren um seinen Arm.

»Ich komm' ja schon mit, Jung,« stieß sie angstvoll hervor und schloß die Augen, denn wer sieht dem sicheren Tode wohl gern ins Angesicht?

Da ließ sie ein gellender Doppelpfiff die Lider wieder aufreißen. Nanu? Die noch eben endlos an ihr vorüberrasende Autokette war plötzlich durchschnitten, der Übergang frei. Mit erstaunten Blicken sahen die beiden, daß der Wagenverkehr auf den Pfiff zweier Schutzleute in der Längsrichtung abgeschnitten und für die Querrichtung freigegeben war. In aller Gemütsruhe konnten sie jetzt das jenseitige Ufer erreichen. Diese kluge Einrichtung machte auf Mieting Dürenfurt mehr Eindruck als alle Schlösser und Denkmäler in Berlin. Ihr armes Fritzing mußte sich danach durch sechs engbeschriebene Seiten über den Potsdamer Platz und seine Lebensgefahren hindurchlesen.

Inzwischen hatte auch Leni an der Seite ihres blauuniformierten Ritters die Untergrundbahnhaltestelle »Leipziger Platz« erreicht. Die beiden Freundinnen drückten sich, dem Leben wieder zurückgegeben, innig die Hände. Noch einen bewundernden Blick auf den Riesenbau des lichtbeglänzten Warenhauses an der Ecke, dann stiegen sie zur Untergrundbahn in die Tiefen der Erde hinab, Mieting, der Angsthase, natürlich wieder mit bange klopfendem Herzen.

Sie atmete auf, als die Untergrundbahn wie ein Regenwurm aus der Erde hervorkroch und zur Hochbahn wurde. Aber als jetzt Karl Heinz, der durch einen Studiengenossen gut in Berlin eingeführt war, sie darauf aufmerksam machte, daß man gleich die Stelle befahren werde, an der vor nicht allzu langer Zeit ein Bahnunglück sich ereignet hatte, wurde es selbst Dornröschen bänglich zumute. Ungefährdet erreichte man jedoch das Ziel.

Es dauerte geraume Weile, bis Karl Heinz seine Damen durch die glänzenden Verkaufslager des Kaufhauses des Westens hindurch in den Teeraum befördert hatte. Unglücklicherweise ging es durch die Konfektions- und Putzabteilung, und am liebsten hätte Leni sich noch vor dem Wiedersehen eingekleidet. Aber Karl Heinz, der olle Jung, der das »hellschen wenig pläsierlich« fand, zog sie mit fort.

Locken und Federhüte, Blumen und Musik, das war der erste Eindruck, den Leni von dem Teeraum erhielt. Sie kam sich unter all den feinen Damen geradezu als nicht hineingehörig vor. Das erste Zusammentreffen mit Base Mary damals in Hamburg stand deutlich vor ihren Augen; würde Lizzie sie auch so von oben herab ansehen?

Da schlangen sich plötzlich zwei Arme hinterrücks um ihren Hals. Ein blonder Mädchenkopf preßte sich gegen das Katzenfellbarett, und eine Stimme, der man die innere Erregung anhörte, flüsterte: »Leni – meine alte, liebe Leni – endlich!«

Dornröschen fuhr herum. Ein schlankes, fast erwachsenes junges Mädchen, das goldblonde Haar unter einem großen blauen Felbelhut leicht gelockt, stand vor ihr. Aber als Leni jetzt in die graubraunen Augen der Base blickte, in diese guten, lieben Augen, die ihr einst in der Fremde die Heimat ersetzt hatten, da war jede Entfremdung überbrückt. Da dachte sie nicht mehr daran, daß man über ihren Anzug spotten könnte, noch daß sie sich in einem belebten Teeraum befand. Mit einem Jubellaut umfing sie die Base.

»Min olle lütte Dirn, hab' ich dich wieder!«

»Min olle lütte Dirn, hab' ich dich wieder?«

Das auffallende Benehmen der beiden jungen Mädchen wurde von den verschiedenen Tischen aus lächelnd beobachtet. Karl Heinz schämte sich ein wenig, Mieting und der langsam nähertretende Bobby empfanden es peinlich.

»Lizzie, das ist nicht ladylike! How do you do, Ellen? Well, wir freuen uns dort in der Ecke an unserem Tisch miteinander!«

Vetter Bobby zog als vollendeter Kavalier Lenis Hand an die Lippen. Herrje, nun mußte der gar auch noch die alten Baumwollhandschuhe küssen!

Endlich waren sie alle glücklich untergebracht. Bobby bestellte Tee und Kuchen. Karl Heinz sah voll Erstaunen das weltmännische Auftreten des Vetters. Er kam sich ihm gegenüber trotz seiner Studentenwürde wie ein Wickelkind vor. Recht ärgerlich zupfte er an seinen ersten spärlichen Schnurrbarthärchen.

»Well – so sieht also Charles Henry aus, der mir von Ellen so oft als Vorbild aufgestellt wurde,« sagte Bobby, das frische Jungengesicht gegenüber durch das Monokel musternd.

»Ich bin Karl Heinz, und das ist Leni; englischen Firlefanz kennen wir hier glücklicherweise nicht,« fuhr Karl Heinz grob heraus.

Lizzie reichte ihm besänftigend die Hand.

»Du bist doch noch ganz derselbe geblieben, boy; gerade so bist du früher losgefahren, wenn dir was nicht paßte.«

»Aber du hast dich dölling verändert, Lüttes,« erwiderte der Vetter, schnell besänftigt.

»Ja, findet ihr? Mama sagt, ich hätte mich vereselt,« lachte Lizzie.

»Na, davon merk' ich nichts,« rief Karl Heinz, »im Gegenteil!«

»Süh hin, der olle Jung wird galant,« neckte Mieting belustigt.

»Dornröschen, so rede doch auch mal einen Ton! Was siehst du mich denn bloß immer so stumm an? Sind wir nicht mehr die alten friends?« wandte sich Lizzie jetzt an die ältere Freundin.

»Dirn, wie kannst du da erst noch fragen! Ich muß mich nur erst daran gewöhnen, dich als angehende junge Dame vor mir zu sehen.«

Leni starrte wie verzaubert in Lizzies blumenhaft zartes Gesicht. Es erschien ihr unbeschreiblich reizend.

»My dear cousin Ellen ist inzwischen auch eine junge Lady geworden.« Bobby ließ mit fürchterlichem Gesichterschneiden das Monokel aus dem Auge fallen.

»Und mein lieber Vetter Bobby ein mächtiger Fatzke!«

Dornröschen dachte gar nicht daran, daß sie den jungen Herrn mehrere Jahre nicht gesehen hatte. Es war ihr, als hätten sie erst am Tag zuvor die Tanzstunde zusammen besucht. Nee, was war der olle Jung affig geworden!

Bobby wußte nicht recht, wie er sich zu den schmeichelhaften Worten der Base zu verhalten habe. Aber als die anderen herzlich lachten, machte er gute Miene und tat mit.

Die Grüße von den Eltern und Mary, von Gerty, May und Evelyne, den englischen Freundinnen, waren ausgekramt, Tee und Kuchen vertilgt.

»Ich lade die jungen Damen heute abend ins Opernhaus ein; ihr seid doch für den Abend frei?« sagte Bobby großartig, um den wenig guten Eindruck zu verwischen, den er auf Leni gemacht hatte.

»Nee, wir wollen um neun Uhr zurück sein! Fräulein Doktor schickt uns den Wagen an die Bahn.«

Man hörte Dornröschens Stimme das heimliche Bedauern an. Opernhaus? Leni konnte sich keine rechte Vorstellung davon machen; sie dachte es sich ungefähr so, wie Lütt Susing einen Märchenpalast.

»Weißt, ich fahre allein zurück und bitte, daß du später von der Bahn geholt wirst,« fiel die selbstlose Mieting ein; sie mochte sowieso nicht die Einladung des ihr Fremden annehmen.

»Nee, Mieting – ih, wo werd' ich ohne dich!« Ein edler Wettstreit entspann sich zwischen den Freundinnen.

»Ohne dir – kein Pläsier!« Karl Heinz brachte lachend seine neuerrungene Berliner Redensart an.

»Ich muß auch um acht Uhr in meiner Pension sein,« fiel Lizzie ein.

Bobby aber setzte sein weltmännisches Gesicht auf und lächelte überlegen.

»Ja, wir befinden uns doch im zwanzigsten Jahrhundert; wir telephonieren einfach. Telephon ist hier im Hause. Wann befiehlst du den Wagen, Ellen?« Seine langen Beine, die in den fünf Jahren noch entsprechend an Länge zugenommen hatten, wollten sich bereits in Bewegung setzen.

»Ich habe gar nichts zu befehlen; allenfalls kann ich Fräulein Doktor bitten,« legte Dornröschen wieder los. »Aber auch das möchte ich nicht.«

Es fiel ihr plötzlich ein, daß sie ja auf Klugenhof eine Freistelle innehatte; da wäre es anmaßend gewesen, Wünsche zu äußern, welche die Hausordnung änderten.

»And why not?« Bobby sah enttäuscht aus.

Er tat Leni leid. Schließlich konnte er wohl nichts für seine Art und Weise; das mochte am Ende unter den jungen Herren in London so üblich sein.

»Ich bin au pair auf Klugenhof, auf gut deutsch ›für umsonst‹,« sagte sie in ihrer ehrlichen Art. »Und dann – ist es dir wirklich solche Freude, im Opernhaus mit mir in diesem Kleide Staat zu machen. Bobby?«

»Oh,« sagte der englische Vetter, legte den Kopf auf die Seite und schnitt ein unbehagliches Gesicht. Die ganze Zeit über hatte er sich schon wegen Lenis geschmacklosem Äußeren heimlich geschämt. Jammerschade, solch ein bildhübsches Mädel!

»Hab' ich's erraten?« Dornröschen vermochte frei und herzlich aufzulachen. »Nee, ich will dich nicht durch meinen vogelscheuchenartigen Aufzug in Verlegenheit bringen; hab keine Angst, oller Jung!«

»Aber Ellen,« wehrte Bobby erschrocken ab; doch als er jetzt Leni in das schelmisch lächelnde Gesicht sah, streckte er ihr plötzlich in einer freundschaftlichen Aufwallung die Hand hin. »Du bist immer noch solch guter fellow, wie du damals warst, Ellen – der beste Kamerad, ganz gleich, in welchem Kleid du steckst!«

»Jung, das war doch mal ein verständiges Wort« – Leni schüttelte seine Hand erfreut – »seht ihr woll, er ist gar nicht so dämlich, wie er sich stellt; das ist alles man bloß auswendig,« wandte sie sich triumphierend an die anderen.

Bobby schluckte an seiner mit Zucker übergossenen bitteren Pille; doch es gab gleich eine Ablenkung.

»Dornröschen, wenn du noch Einkäufe machen willst: unser Fünfuhrtee hat sich schon bis in die siebente Stunde ausgedehnt,« mahnte jetzt die verständige Mieting.

»Fein, gehen wir shopping!« Lizzie schob strahlend ihren Arm unter den Lenis.

»Unsere Herren setzen wir inzwischen aus; die stören uns dabei bloß. In einer Stunde treffen wir uns hier wieder. Kabbelt euch man beide nicht,« setzte Leni mit einem Blick auf die ungleichen Vettern noch hinzu.

Nie hätte das Dornröschen von Nedderdorf es für möglich gehalten, daß es solche Freude machen könnte, derartigen Firlefanz einzukaufen. Oder kam das nur daher, daß ihre beiden liebsten Freundinnen, Mieting und Lizzie, dabei waren? Lizzie, die trotz Miß Browns Erziehung so natürlich und ursprünglich geblieben war, daß sie ihrer Leni, als sie in einem Kostüm besonders hübsch aussah, zur Verwunderung der Verkäuferin jählings einen Kuß versetzte!

Mieting und Lizzie waren die richtige Mischung als Dornröschens geschäftlicher Beirat. Während die junge Engländerin die Schönheitsgrundsätze vertrat und die Base nicht geschmackvoll genug herausputzen konnte, verkörperte Mieting Sparsamkeit und praktischen Sinn.

Endlich hatten sich alle drei auf ein wunderhübsches dunkelblaues Tuchkleid mit langer anschließender Jacke geeinigt. Die hob Lenis schlanke, ebenmäßige Gestalt aufs vorteilhafteste. Dazu wurde gleichfarbiger Seidenstoff zur Bluse erstanden, den Mieting schon am nächsten Tag in Angriff nehmen wollte. Ein großer schwarzer Hut mit einer Rose stand vorzüglich; trotzdem wehrte sich Leni mit Händen und Füßen dagegen.

»Nee, als wandelndes Dach mag ich nicht einherlaufen, und wenn ich den Bibi auf Klugenhof aufsetze, fressen mir die Kühe das Grünzeug 'runter! Überhaupt Blumen im Winter!«

Aber mit einem lachenden: »Das verstehst du nicht, Dornröschen, da mußt du dich schon auf ältere und erfahrenere Leute verlassen,« wußte das goldhaarige Backfischlein alle Bedenken Lenis zu zerstreuen.

Schuhe wurden gekauft, denn die ihrigen stammten noch aus ihrer Inspektorenzeit her, und – »Kinder, ich hab' immer gedacht, ich hätte richtige Elefantenfüße; aber da war nur Schuster Hannemann dran schuld,« rief Leni verwundert, indem sie ihren schmal gewordenen Fuß musterte.

Auch Glacéhandschuhe erstand man. Aber zu zweierlei war Dornröschen nicht zu bringen. Das eine war ein Gitterschleier, den Lizzie zu dem neuen Hut »riesig fein« fand, das zweite ein neuer Regenschirm.

»Nee, Kinnings, so 'n Aff bin ich denn doch noch nicht, daß ich mich wie im Zoologischen Garten hinter ein Gitter setzen muß! Und mein Regenschirm ist noch nicht 'n bißchen entzwei; der hält noch seine zehn Jahre aus.« Liebevoll betrachtete sie ihren baumwollenen, zu einer umfangreichen Wurst zusammengerollten Schirm, der noch mit einer altmodischen Glocke versehen war.

»Wie ein Bauer,« neckte Lizzie; aber Leni blieb dabei: »Ein neuer wär' mir überhaupt für Regenwetter viel zu schade!«

Nun war man endlich so weit, die ausgesetzten Herren wieder in Gnaden aufzunehmen. Den beiden Vettern war die Zeit schneller verstrichen, als Leni dachte. Bobby hatte es, auf Lenis ungeschminkte Äußerung hin, vorgezogen, etwas weniger großmäulig aufzutreten, und Karl Heinz war ein lustiger Gesellschafter. Gemütlich rauchten sie zusammen ihre Friedenspfeife oder vielmehr ‑Zigarette.

Bobby zog sofort seine silberne Zigarettenkapsel hervor und bot den Damen von dem Inhalt an. Die stets weiblich empfindende Mieting sah geradezu entsetzt drein, während Dornröschen fragte: »Findet das eure Miß Brown in London etwa ladylike?«

»O yes – Mary raucht immer; willst du, Lizzie?« Bobby wandte sich zur Schwester.

»Nein, ich bin jetzt in einem deutschen Töchterheim; da ist so was nicht gestattet,« antwortete Lizzie zu Dornröschens Beruhigung.

»Die ollen Glimmstengel schmecken auch eigentlich greulich,« ließ sich Karl Heinz nachdenklich vernehmen.

»Na, warum rauchst du denn da?« Wie aus einem Munde fragten es die drei Mädchen.

»Bloß weil ich Student bin,« gab er ehrlich zu.

Unter allgemeinem Gelächter brach man in bester Stimmung auf.

»Schade, daß ich morgen schon nach Hamburg muß! Ich wollte nur Lizzie in Berlin abliefern. Es war heute very nice, indeed,« bemerkte Bobby.

Auch die deutschen Verwandten bedauerten, daß das Zusammentreffen so kurz sein sollte.

»Aber wir wollen uns alle Sonnabend sehen – was, mein Dirn?« bat Leni, als man Lizzie zu ihrem unweit gelegenen Heim zurückgeleitete.

Lizzie versprach, gleich am nächsten Samstag, wenn sie Erlaubnis erhielt, nach Klugenhof hinaus zu kommen.

Als ob es wieder eine Trennung von fünf Jahren gelte, nahmen die Basen voneinander Abschied. Dann wurden Leni und Mieting begleitet.

Aber bis zum Abgang des Vorortzuges war noch Zeit; so machte man einen kleinen Umweg durch den Tiergarten. Hier war es geschützter als draußen in Klugenhof; der Wind hatte Baum und Busch noch nicht alle Blätter entrissen. In stumpfbraunen Farbentönen klammerten sie sich mit letzter Lebenskraft an das Geäst. Ein scharfer, herber Duft, der Verwesen und Modern in sich schloß, stieg aus dem Erdreich auf. Totes Laub raschelte zu den Füßen. Aber lachend zogen die vier ihres Weges dahin; die glückliche Jugend empfand nichts von Welken und Vergehen.

In der Siegesallee, wo die Brandenburger Markgrafen in gespensterhaftem Weiß aus dem Buschwerk aufleuchteten, neckte Karl Heinz die beiden Mädel tüchtig. Sie hatten keine blasse Ahnung von der Regierungsfolge, während er von der Prüfung her darin noch gut beschlagen war.

»Quatsch, wozu sollen wir uns damit wohl den Kopf vollpfropfen! Wir sind ja Mecklenburger,« schnitt Dornröschen die langatmige Auseinandersetzung des Bruders kurz ab.

Aber an dem Denkmal ihrer Landsmännin, der edlen königlichen Frau, die Preußens tiefste Erniedrigung mit heldenhafter Zuversicht getragen hatte, standen sie lange. Blühende Chrysanthemen umschmiegten den Marmorsockel, und die Bogenlampen, die wie kleine Monde durch das dunkle Geäst schimmerten, warfen mildes Licht über das liebliche Gesicht.

Auf dem Potsdamer Platz, Mietings Schrecken, kaufte Bobby, der Gentleman, noch Veilchensträuße für die jungen Damen, um sich in gutem Andenken zu halten. Dann schüttelte er ihnen zum Lebewohl fast den Arm aus dem Gelenk, und ein jedes von ihnen ging wieder an seine Pflicht.


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