Else Ury
Dornröschen
Else Ury

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Abgesetzt

Keine acht Tage dauerte es, so war Johannes von Staberow allenthalben auf Nedderdorf zu Hause. Er hatte sich so rasch in seine Verwalterpflichten eingelebt und sich so unmerklich dem Rädergange des Haushalts eingefügt, daß niemand das Gefühl hatte, er sei ein Fremder.

Die Arbeit der Tagelöhner vollzog sich pünktlich und ruhig; die Knechte lümmelten nicht mehr auf dem Hofe umher. Selbst Jürgens wagte in Gegenwart des neuen Verwalters nicht zu mucksen. Freilich, wenn ihn der Alte außer Hörweite wußte, brummte er um so mehr. Der eingerostete Jürgens brachte dem jungen Herrn und seinem »neumodischen Kram« grenzenloses Mißtrauen entgegen.

»Frölen Lening, sößtig (sechzig) Johr bün ick nu hier mang (zwischen) de Ställ' un bün mit de Pirds (Pferden) ein Herz un ein Seel, un denn kummt so 'n junger Herr Musjeh un seggt, ick verstünd' dat nich mihr! Da sull wull einer nich falsch dorbi warden!« So klagte der entthronte Alte seinem Frölen. Und das ebenfalls entthronte Fräulein Inspektor, das die neuen Anordnungen des Verwalters mit nicht viel weniger Mißtrauen betrachtete als der ungebildete Knecht, stieß ein empörtes: »Ih, da slag doch gleich ein –«

Aber dann verstummte Leni plötzlich. Es widerstrebte ihrer vornehmen Denkungsart denn doch, mit dem Knecht gemeinsam über den Verwalter herzuziehen.

»Windelweich slagen brokt ehn (braucht ihn) dat Frölen ja nich gleich« – jede Aufregung legte sich jetzt bei Jürgens auf die Ohren – »awerst 'ne lütte Vermahnung, dat er sine Näs (Nase) nich in allens rinstecken sull, wat doch blot uns' Frölen Lening wat angeihen daut, dat künnt ehm man dienlich sünd.«

Leni dachte über die Worte des Alten den ganzen Vormittag nach. Sie hatte plötzlich so viel Zeit zum Grübeln, und das war für die Arbeitgewohnte nicht gut.

Hatte der beschränkte Jürgens das auch schon gemerkt, was all die Tage über heimlich an ihr fraß? Daß sie plötzlich hier beiseite geschoben wurde, wo sie noch vor kurzem die treibende Kraft gewesen war? Oh, dann wußten es sicher auch die anderen! Gewiß spottete und lachte man in der Gesindestube über das abgesetzte Frölen! Leni ballte die Hände.

Überflüssig war sie geworden! Überall, wohin sie auch blickte, war ihr jede Anordnung schon von dem Verwalter vorweggenommen und meistens gerade entgegengesetzt, als wie sie es für gut befand. Der junge Herr von Staberow schaltete und waltete ja hier auf dem Hof, als ob es sein eigener wäre. Er fragte sie nicht; er tat einfach das, was er für richtig hielt. Wie das die stolze Leni erbitterte! Sie wartete nur auf eine Gelegenheit, um ihn daran zu erinnern, daß er als Angestellter nach Nedderdorf gekommen sei.

Nun hatte ihr Jürgens mit seinem Pferdestallkummer eine Handhabe gegeben. Heute mittag wollte sie den eigenmächtigen Herrn einmal stellen, denn sonst am Tage bekam sie ihn wenig zu sehen; meist war er draußen auf den Feldern.

Es war Wirsingkohltag. Die Zwillinge stocherten unlustig und ungezogen auf ihrem Teller herum; Suschen hatte bereits den Löffel kurz entschlossen niedergelegt, und Frau Lisabeth aß ja von allem wenig. Nur Dornröschen arbeitete mit Todesverachtung in die aufgehäufte Schüssel hinein, und »Onkel Hans« half ihr dabei. Mit gesundem Hunger und lachendem Humor aß er sich durch die qualvolle Kohlwoche hindurch.

Dornröschen sah nicht, wie ungezogen die Zwillinge mit ihrem Kohl »Heu verladen« spielten, noch daß Lütt-Susing streikte. Sie würgte an ihrem Anteil und würgte an ihrer Rede.

»Herr Verwalter,« begann sie plötzlich.

Das war ein Zeichen, daß sie feindselig gestimmt war; bei neutraler Gemütsverfassung pflegte sie ihn mit dem Namen anzureden. Der junge Staberow sah sie denn auch erwartungsvoll an, indem er aufatmend die Gabel senkte und eine kleine Arbeitspause eintreten ließ.

»Mir ist heute etwas zu Ohren gekommen, Herr Verwalter, womit ich mich ganz und gar nicht einverstanden erklären kann; ich muß Sie bitten, bei derartigen Anordnungen künftig vorher meine Zustimmung einzuholen, wie ich das von den früheren Inspektoren gewohnt bin.«

»Mir ist heute etwas zu Ohren gekommen, Herr Verwalter, womit ich mich ganz und gar nicht einverstanden erklären kann.«

So – nun hatte er sein Fett! Mutter blickte erschrocken auf ihr Mädel. Ging es jetzt auch mit dem neuen Verwalter so wie mit den Inspektoren? Immer und ewig Streit und Unfrieden? Kam man denn gar nicht zur Ruhe?

Die Zwillinge stießen sich mit den Ellbogen an und machten schadenfrohe Gesichter. Trotzdem sie den »Onkel Hans«, wie sie ihn auch bereits nannten, recht nett fanden und ihn gut leiden konnten, waren sie doch selig, daß einmal ein anderer als sie einen Rüffel bekam. Suschen aber sah mit erschrockenen Augen von ihrem Dornröschen zum Onkel Hans.

Der saß mit spöttisch abwärts gezogenen Mundwinkeln vor seinem Kohl.

»Sie scheinen sich über den Unterschied zwischen einem Gutsverwalter und einem Inspektor nicht ganz klar zu sein, gnädiges Fräulein,« begann er darauf mit einer Ruhe, die seltsam gegen Lenis erregten Ton abstach. »Ein Verwalter verwaltet eben das Gut, das heißt, seine Tätigkeit ist selbständig und unbeschränkt. Nichtsdestoweniger will ich mich nach Möglichkeit gern nach Ihren Wünschen richten, gnädiges Fräulein!«

Er betonte das Wort Wünschen so auffallend, daß Dornröschen sofort fühlte, einem Befehl würde er keineswegs Folge leisten. Sie, die den Untergebenen noch eben so großartig zur Rechenschaft ziehen wollte, saß ihm jetzt plötzlich wie ein abgekanzelter Backfisch stumm gegenüber.

»Biste unartig gewesen, Dornröschen?« platzte da Susing dazwischen, der die schwüle Lage unbehaglich wurde.

Die Jungen grinsten, selbst Mutting lächelte.

»Schweig und iß!« fuhr Dornröschen die Lütte an, daß diese eingeschüchtert wieder nach dem Löffel griff.

»Nein, der Onkel Hans ist unartig gewesen, Suschen,« kam der junge Staberow ihr da in seiner liebenswürdig unbefangenen Art zu Hilfe. »Aber nun sagen Sie mir, bitte, auch endlich, wodurch ich mir Ihre Ungnade zugezogen habe.«

Dornröschens Gesichtsausdruck wurde freundlicher; es zeugte doch entschieden von anständiger Gesinnung, daß er sie nicht in der Patsche stecken ließ.

»Es handelt sich um Jürgens, der schon seit sechzig Jahren hier auf Nedderdorf die Pferdeställe unter sich hat. Der alte Mann ist gekränkt, daß man ihm dieses Amt entzog. Ich wollte Sie bitten« – wahrhaftig, sie sagte »bitten«; noch vor fünf Minuten hätte sie selbst es nicht für möglich gehalten – »die Sache wieder rückgängig zu machen.«

Onkel Hans lächelte freundlich.

»Aber gewiß, gnädiges Fräulein; ich hatte ja keine Ahnung, daß ich mit meiner Anordnung irgendwelche Ehrenrechte verletzte. Der Stalldienst verlangt allerdings junge Arme, aber Jürgens soll die Oberaufsicht führen. Sie sehen, gnädiges Fräulein, es gibt eine Sprache, in der wir uns sehr leicht verständigen.«

Dornröschens noch eben dankbare Miene verfinsterte sich sofort. War sie ein Kind, daß er sie erziehen wollte? Hätte sie bloß nicht gebeten!

Die Kohlwoche, der Schrecken der Kinder, ging dahin.

Die zweite Juliwoche verstrich, heiß und glühend, als guter Vorbote für die Ernte. Sie besiegelte die Freundschaft zwischen dem Onkel Hans und den Nedderdorfer Kindern. Sogar die »Rangen« sahen voll Begeisterung zu dem jungen Manne auf. Nach jenem Abend, da sie ihm heimlich eine feuchtkalte Kröte ins Bett gelegt hatten und der Onkel Hans, kaltblütig wie jenes Tier, beiden ohne viel Worte die erste Ohrfeige angedeihen ließ, wagten sie nie wieder, ihn zur Zielscheibe ihrer Streiche zu machen. Trotzdem ihn sein frisches, lustiges Wesen kameradschaftlich mit den Jungen verkehren ließ, hatte er es verstanden, sich bei ihnen in Respekt zu setzen.

Suschen aber, die bis dahin wie eine Klette stets an Dornröschens Schürzenzipfel hing, teilte jetzt ihre Liebe zwischen der großen Schwester und dem neuen Onkel. Das kleine Ding, das nicht größer war als die hohen Schaftstiefel, die der junge Landwirt zu tragen pflegte, folgte ihm fast so getreulich wie Bubi. Lütt-Susing und Lütt-Bubi waren innige Freunde. Ihr spielerisches, bewegliches Wesen und ihre innige Zuneigung zum Onkel Hans bildeten ein festes Band zwischen den beiden. Die braunen krummen Teckelbeine und die geraden, drallen, aber ebenso braunen Kinderbeinchen erblickte man stets beieinander in unaufhörlicher Bewegung.

Von ihrem Turmfenster sah Dornröschen mit feuchten Augen, wie ihr Herzblatt sich von ihr zu lösen begann und sich einem Fremden voll Zärtlichkeit anschloß. Auch hier war sie, wie es schien, abgesetzt – überflüssig geworden!

Im Hof aber vor seiner Hundehütte lag fliegenschnappend Cäsar und sah ebenfalls mit feuchten Hundeaugen den beiden jungen dahintollenden Spielgefährten nach. Einst war er es, der mit den Nedderdorfer Kindern in wilder Jagd dem Ball nachsprang, der mit ihnen um die Wette lief und sich im Gras mit ihnen herumwälzte. Aber jetzt – abgesetzt war er, überflüssig geworden!

Dieselbe Erbitterung, die Dornröschen gegen Johannes von Staberow empfand, hegte der arme Cäsar gegen den braunen Bubi. Das fixe, ins Leben stürmende Kerlchen war dem beschaulich in der Sonne dahindämmernden, bejahrten Hunde ein Dorn im Auge. An der kleinen gegenüberliegenden Hütte, die Jürgens widerwillig für Bubi gezimmert hatte, strich Cäsar gerade so hochmütig vorbei, wie Dornröschen jetzt an dem Jagdzimmer. Cäsar und Bubi waren erklärte Feinde. Sie schnappten sich mittags gegenseitig die besten Brocken weg; sie bissen sich um jeden Knochen herum und verjagten einer dem anderen die Sperlinge, die bei den Futterkörnern Nachlese hielten. Auf Schritt und Tritt blafften und kläfften sich die beiden Köter an – gerade so wie ihre Herren.

Seit jenem Mittag, da Leni ihrem Wunsch Ausdruck gegeben hatte, bei Anordnungen von größerer Tragweite gefragt zu werden, besprach der Verwalter nach dem Essen öfters mit ihr und der Mutter seine Pläne. Er tat es nicht wie ein Untergebener, der die Zustimmung seines Arbeitgebers einholen will, sondern wie das vielleicht auch Karl Heinz im Familienkreis getan hätte, gesprächsweise und selbstverständlich, keinen Rat erheischend und keinen gebrauchend, ja manchmal sogar noch auf ein Wort der Anerkennung harrend.

Da aber konnte er lange warten, Frau Lisabeth nickte wohl zustimmend, ließ sich auch hin und wieder einmal eine Sache erklären, mit einem Interesse, das sie viele Jahre nicht gezeigt hatte. Leni aber wußte stets ein Wider.

Sprach der Verwalter davon, daß er Wiesengelände entwässern und zu Ackerland umbrechen lassen wollte, so wehrte sie sich mit Händen und Füßen gegen die Neuerung.

»Ich verstehe gar nicht, Mutting, daß du dem Verwalter selbst hierbei die Stange hältst,« sagte sie nach einer lebhaften Unterredung, als sich Onkel Hans zurückgezogen hatte, erregt zur Mutter. »Das Andenken gegen unser Vating gebietet es doch schon, nicht alles, was er angeordnet und eingerichtet hat, plötzlich als veraltet über den Haufen zu werfen!«

Damit zog sie Frau Lisabeth auf ihre Seite.

An einem der nächsten Abende, als man den Tisch unter die jetzt in voller Blüte stehenden Linden gerückt hatte, erzählte Johannes, daß er noch ein größeres Stück Brachfeld zum Weideland zu schlagen wünschte, um durchweg Frischfütterung bei den Kühen einzuführen.

»Muß das denn sein, Herr von Staberow?« ließ sich da plötzlich Frau Lisabeth, bei der Lenis Worte nachgewirkt hatten, zu seinem Staunen vernehmen.

»Ja, gnädige Frau, es ist entschieden besser so,« stellte Hans von Staberow bescheiden vor.

»Mein seliger Mann handhabte das anders; es tut weh, plötzlich alles, was er einführte, als wertlos befunden zu sehen.«

Hans schaute die weißhaarige Frau, in deren blauen Augen eine Träne blinkte, erschrocken an.

»Nicht doch, liebe gnädige Frau! So müssen Sie nicht sprechen, und so dürfen Sie es nicht betrachten! Alles auf der Welt überlebt sich schließlich einmal; überall treten neue Kräfte für alte ein. Wenn das nicht der Fall wäre, würde ja alle Kultur stillstehen, und Stillstand ist mit Rückschritt gleichbedeutend. Sie müssen vorwärts sehen, nicht zurück. Sie müssen daran denken, daß Sie Ihrem Sohn dereinst das Gut nicht in mangelhafter Verfassung übergeben wollen, sondern so, daß er, der ebenfalls der neuen Schule entstammt, gern seine Kräfte der väterlichen Scholle weiht.«

Hans von Staberow hatte voll Wärme gesprochen. Beide Hände streckte Frau Lisabeth ihm entgegen.

»Haben Sie Dank, lieber Staberow, für Ihre guten Worte,« rief sie lebhaft. »Sie haben recht, tausendmal recht. Machen Sie nur ruhig alles so, wie Sie das für richtig befinden, und kümmern Sie sich nicht um mich unmoderne alte Frau und um diesen jungen Spatz hier, der kaum flügge ist!«

Leni, der »junge Spatz«, saß mit gesträubten Federn da. Hans Staberows Worte hatten auch sie gepackt; sie klangen ihr wie der Glockenhall aus einer Kirche, die weit weg von ihrer engen Heimat stand, irgendwo draußen, vielleicht auch mitten in menschenbevölkerten Straßen, wie sie sich durch London zogen. Irgendwo, wo die Menschen über ihr eigenes Ich hinaus dachten, wo sich ein großer, weiter Gesichtskreis vor ihnen auftat! Das alles war Leni bei Hans Staberows Rede keineswegs klar geworden; nur wie ferner leiser Glockenton rührte es ihr an die Seele.

Jetzt aber war dieser Klang verzittert. Bloß Muttings Worte tönten ihr im Ohre nach und machten sie, die noch eben jeden Satz des Verwalters hätte unterschreiben mögen, wieder aufsässig.

»Der junge Spatz hat das heimatliche Nest schon schirmen müssen, als er wirklich kaum flügge war,« sagte sie mit unterdrückter Heftigkeit. »Dabei sind seine Flügel erstarkt; daher weiß er sein Nest zu schützen – auch gegen fremde Kuckuckseier!«

Hans von Staberow lehnte sich in seinen Korbstuhl zurück und lachte so laut und von Herzen, daß auch Frau Lisabeth leise mit einstimmen mußte. Sein Lachen wirkte ansteckend. Leni aber biß die Lippen zusammen und lauschte fast erschrocken auf den unerwarteten Heiterkeitsausbruch.

Mutting lachte! Sie lachte wieder und nur, um sie, ihre Leni, in Gemeinschaft mit dem Verwalter auszulachen! Muttings Lachen, das sie seit Jahren wieder herbeigesehnt hatte! Jetzt schmerzte es mehr als ihre Tränen!

»Verzeihung, Fräulein Spatz – das heißt, Fräulein Dornröschen – auch nicht recht? – also, meine allergnädigste Herrin« – Hans von Staberow war bei bester Laune »das Kuckucksei ist ja schon vollständig geknickt. Bitte, schlagen Sie bloß nicht mit den Flügeln! Sie waren eben schon schlagfertig genug,« scherzte er, sich eine Zigarette anzündend.

Dornröschen wandte sich an die Mutter.

»Siehst du, Mutting, du bist doch eine Frau und verstehst was davon! Ich hab' für die Molkerei zu sorgen, die Milchkammern unterstehen mir wenigstens jetzt noch! Das Buttergeld, das ich jede Woche erziele, bildet eine Hauptquelle unserer Wirtschaftskasse – Herr Verwalter, ich muß schon derartige Dinge vor Ihnen zur Sprache bringen, denn sonst denken Sie am Ende, ich widerspreche bloß –«

»Aus Eigensinn?« fuhr Hans Staberow gemütlich fort, da Leni gerade eine Pause machte.

Die junge Dame würdigte ihn keines Blickes mehr.

Stumm saßen die drei, mit unruhigen, kriegerischen Gedanken, in dem wonnigen Abendfrieden. Mutting war wieder ernst und verstimmt; der Verwalter stieß dicke Dampfwolken in die laue Luft, und die junge Gutsherrin zerzupfte aufgeregt ein Büschel von Lindenblüten.

»Gnädiges Fräulein,« begann da der Verwalter nach minutenlanger Stille, »nun seien Sie, bitte, einmal verständig – fahren Sie nicht auf – denn Sie sind es wirklich nicht immer! Also: Sie haben das Gut bisher so umsichtig geleitet – wenn Sie auch nicht alles richtig machten –, wie es wohl kaum eine andere junge Dame in Ihrer Lage fertig gebracht hätte. Ich habe Ihnen bisher nichts darüber gesagt, weil ich fürchten mußte, daß Sie das noch mehr in Ihrem Eigenwillen bestärkt, als es ohnedies der Fall ist.«

Lenis Gesicht, über das bei den anerkennenden Worten des jungen Staberow vereinzelte Strahlen der Eitelkeitsonne gehuscht waren, verfinsterte sich wieder mit drohenden Wetterwolken.

Hans von Staberow aber fuhr unbeirrt fort: »Ich kam zu Ihnen lediglich aus Gefälligkeit gegen Herrn Dürenfurt. Ich wollte Ihnen mit meinen landwirtschaftlichen Kenntnissen, die Ihnen ja vollständig mangeln, zu Hilfe kommen. Ich wollte die Karre, die Sie mit dem ollen Jürgens zusammen verfahren hatten, aus dem – na, sagen wir gelinde – Morast trecken helfen. Aber statt nun einen Strang mit mir zu ziehen, da doch die Karre, die ich wieder ins Rollen bringen will, die Ihrige ist, hängen Sie sich mit dem alten, eingerosteten Knecht gemeinsam auf die entgegengesetzte Seite und zerren in umgekehrter Richtung, um mir die Arbeit so viel wie möglich zu erschweren. Dem einfältigen Alten kann ich die Sache nicht verübeln. Sie aber sind klug genug, einzusehen, wohin das führt. Entweder die Karre geht unter dem Hin und Her in Stücke, oder aber ich verliere die Lust und schirre eines Tages aus. Beides werden Sie nicht wollen – oder doch vielleicht? Sie brauchen es bloß zu sagen, gnädiges Fräulein! Ich arbeite nicht um Dank, wohl aber suche ich den Erfolg, und der wird mir durch Beschränktheit und Unverständigkeit fraglich gemacht.«

Hans von Staberow sagte das zuerst gemütlich im Plauderton, wurde aber allmählich sehr ernst. Doch ehe Dornröschen noch antworten konnte, nahm Mutting sich ihrer Leni an.

»Lassen Sie mir meine olle leiwe Dirn in Frieden, Staberow! Sie ist einmal ein Starrkopp – ja, Kind, das bist du wirklich noch heute – aber wenn man sie ausbullern läßt, kommt sie nachher schon allein auf das Rechte. Sie wird schon einsehen lernen, daß Sie nur das beste mit Nedderdorf im Auge haben, was, mein Dirn?« Frau Lisabeth griff liebevoll nach Lenis arbeitsharter Hand.

Na, vorläufig sah das ganz und gar nicht danach aus; Dornröschen, der es peinlich war, vor dem Fremden in ihrem geheimsten Wesen beleuchtet zu werden, versuchte ihre Finger aus Muttings Hand zu lösen. Aber Frau Lisabeth hielt fest.

»Wenn unsere Gutsbutter durch die veränderte Fütterung an Geschmack verliert, kauft kein Mensch sie mehr,« lenkte das junge Mädchen schnell von dem unbehaglichen Thema ab.

»Verlassen Sie sich doch ein bißchen auf mich, gnädiges Fräulein! Die Butter wird im Gegenteil schmackhafter. Auch Herr Dürenfurt hat Sie neulich dessen versichert, daß Frischfütterung besser ist. Außerdem gedenke ich die Ausgiebigkeit zu erhöhen, durch Einführung einer Zentrifugalmaschine.«

»Und wer soll all diesen Maschinenkram bezahlen?« fuhr es Dornröschen in ihrer etwas unüberlegten Art heraus.

Mutting sah sie mißbilligend an, der junge Staberow schien sichtlich unangenehm berührt. Sie selbst hätte sich wegen ihrer taktlosen Bemerkung jetzt gern die Zunge abgebissen. Aber nun war es einmal heraus. Den kahlen Satz konnte sie nicht stehen lassen; er bedurfte der Erläuterung. Da tat Dornröschen das, was sie stets in solchen Fällen zu tun pflegte: anstatt einzulenken, verrannte sie sich immer heftiger in den einmal ausgesprochenen Gedanken.

»Na ja, bald Dungmaschine, bald Sämaschine, bald Mähmaschine! Heute ist von Zentrifugalmaschine die Rede, morgen wahrscheinlich von 'ner Dreschmaschine! Am Ende werden noch Maschinen zum Essen und Schlafen eingeführt. Bis jetzt sind wir ohne diese schwarzen Eisenbiester ausgekommen, haben wir mit Menschenarmen die Arbeit geschafft. Nun plötzlich rücken Sie, der doch schließlich auch noch nicht allzuviel Erfahrung hinter sich hat« – das sprach der olle Jürgens aus Leni –, »hier mit einem Hümpel neumodischer Geräte und Erfindungen ein. Nedderdorf ist kein reicher Besitz. Wir hatten schwere Jahre; da dürfen wir unsere Ausgaben nicht derartig erhöhen.«

Das letzte ließ sich hören. Johannes von Staberow, dessen Stirn sich dunkelrot gefärbt hatte, als Leni so wegwerfend von seiner mangelnden Erfahrung sprach, schwieg noch eine Weile. Er fürchtete, die Höflichkeit zu verletzen.

Leni blickte ihn in dem silbern durch die Blätter tropfenden Mondlicht unsicher an. Es war ihr unbehaglich, daß alles still blieb.

»Ich habe noch keinen genauen Überblick über die pekuniäre Lage des Gutes« – begann endlich der Verwalter, und seine Stimme klang nicht ganz so ruhig wie sonst. »Wenn ich es trotz meiner geringen Erfahrung« – Leni zuckte förmlich zusammen unter dem spöttischen Ton – »für richtig befinde, derartige Einrichtungen zu treffen, so können die Damen davon überzeugt sein, daß sie bereits gründlich ausprobiert sind und sich als zeit- und arbeitsparend bewährt haben. Ich übernehme in dieser Beziehung natürlich jede Verantwortung. Es wird Ihnen übrigens, denke ich, genügen, daß ich durchaus im Einverständnis mit Herrn Dürenfurt handle. Ich muß Sie also dringend bitten, gnädiges Fräulein, mir nicht dagegenzureden, denn mein eigenes Interesse – ich habe, wie Sie sich erinnern werden, mit Herrn Dürenfurt eine Beteiligung am Reinertrag festgesetzt – mein eigenes Interesse verlangt es, daß ich diesen Ertrag so ausgiebig wie möglich gestalte.«

Damit war Leni der bereits zum Widerspruch geöffnete Mund geschlossen.

Johannes von Staberow erhob sich.

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß wir Ihnen diesen erquickenden Abend mit unserer Auseinandersetzung so unerquicklich gemacht haben. Gute Nacht!«

Sein dunkler Schatten fiel lang und schmal auf den mondhellen Ahornsteig. Er ging vom Hause weg und kehrte erst nach stundenlangem Umherwandern in Feld und Wiesen zurück. Er konnte mit seinem unterdrückten Ärger gegen dieses unverständige junge Ding, das alles besser wissen wollte, nicht eher fertig werden.

Mit großen Schritten eilte nun der Juli dem Erntemonat entgegen. Die schweren goldgelben Halme waren schnittreif. Nächste Woche sollte beim Roggen begonnen werden. Leni hielt es zwar für richtiger, erst die Gerste schneiden zu lassen, aber sie wurde gar nicht gefragt. Als sie, höchst bescheiden, wie sie selbst meinte, in Wahrheit aber ziemlich patzig, die Bemerkung hinwarf: »Aber erst schneidet man doch Gerste!«, da betrachtete der Herr Verwalter seine junge Herrin wortlos mit solch spöttischem Blick, daß Dornröschen sich gelobte, sich jetzt um die Ernte ganz und gar nicht mehr zu kümmern, und wenn alles drüber und drunter ging!

Aber drüber und drunter ging es jetzt, trotz der heißen Arbeitszeit, ganz und gar nicht auf Nedderdorf. Der Verwalter wußte, was er wollte, und was wichtiger war, seine Leute wollten dasselbe wie er.

»Der verstaht sin Sak (Sache), der hett sich hellschen in Respekt zu setten gewußt! Man blot dat Frölen danzt ehm af un an uff sin Näs rümmer!« So erzählten die Tagelöhner abends im Dorfkrug.

Schon vor Beginn der Ernte machte sich eine emsige Geschäftigkeit auf Nedderdorf bemerkbar. Schwere Lastwagen mit eisernen Maschinenteilen ratterten die weißstaubige Rostocker Landstraße entlang und zum Jubel der Kinder in den Hof hinein. Dort wurden sie von einem Techniker kunstvoll zusammengesetzt.

Die Kinder umstanden voll Neugier den Fremden. Die Knechte und Mägde machten sich allenthalben in der Nähe zu schaffen: sie waren nicht weniger neugierig. Nur Jürgens drehte dem schwarzen Eisending in stummer Verachtung den Rücken. Auch Cäsar tat, als ob ihn die ganze Sache nichts anginge; nur ab und zu blinzelte er feindselig zu Bubi hin, der mit frohlockendem Gebell die Gruppe umkreiste. Dornröschen aber, die dritte im Bunde der Gegenpartei, arbeitete im Gemüsegarten mit einem Eifer, als ob sie von all dem »Unfug« nichts sehen und hören wollte. Bis über die Nase hatte sie sich ihren breitkrempigen Strohhut gebunden.

So wurde die Maschine aufgestellt und stand nun wie ein großes Ungeheuer beutegierig da. Hänschen, Fränzchen, Suschen und Bubi führten einen wilden Freudentanz um sie auf; Jürgens und Cäsar sahen sich in heimlichem Einverständnis mißbilligend an.

»Gören, macht nicht solchen Krach!« Der Verwalter war in den Hof getreten. »Alles in Ordnung, Heßmann?« wandte er sich an den Mechaniker.

»Jawoll, Herr von Staberow, alles in Ordnung! Sie können vorspannen lassen; wir wollen, wenn es Ihnen recht ist, gleich einen Versuch machen.«

»Die Pferde, Jürgens! Die beiden Braunen einspannen!«

Jürgens rührte sich nicht. Er hämmerte ruhig weiter an seinem Tonnenreifen herum. Der Verwalter war aber nicht gewöhnt, daß ein Knecht seine Befehle mißachtete.

»Verstanden?« donnerte er den Alten an.

Der zuckte zusammen.

»Nein,« sagte er dann eigensinnig und hämmerte weiter.

»Lassen Sie das Hämmern sein, wenn ich mit Ihnen rede! Die Pferde – aber 'n büschen fixing!«

»Erde?« Jürgens wollte nicht verstehen; für das »olle neumodische Eisenbiest« rührte er keinen Finger.

»Die Pferde!« schrie ihm Herr von Staberow zum Vergnügen des Gesindes noch einmal in die Ohren.

»Wat vor 'ne Herde? De Schap, de Hammel oder dat Rindvieh?« Jürgens sah dabei Cäsar an, der in schwanzwedelnder Bewunderung zu ihm aufblickte, als wollte er sagen: »Nee, wat büst du vor'n hellschen Minsch!«

Der Verwalter schien eine andere Ansicht von Jürgens zu haben, denn er murmelte offenbar eine Äußerung größten Unwillens vor sich hin.

Da trat das Gutsfräulein in den Hof; mit feindseligem Blick streifte es die Mähmaschine.

Hänschen und Fränzchen hatten inzwischen jeder einen Gaul an der Mähne aus dem Stall geführt und machten Miene einzuschirren; nicht umsonst war der Pferdejunge ihr bester Freund.

»Untersteht euch! Was habt ihr überhaupt hier auf dem Hofe zu suchen!«

Dornröschens Ungewitter entlud sich über die ausnahmsweise schuldlosen Brüder.

»Ach, laß uns doch, bettelte Fränzchen.

»Geht dich ja nix an,« setzte Hänschen hinzu, der bei weitem Unverschämtere.

»Das geht mich nichts an? So, jetzt werdet ihr vielleicht merken, daß mich das was angeht! Marsch, rauf mit euch!«

Zwei Ohrfeigen durchknallten die Mittagstille. Fränzchen hielt sich weinend die Backe; Hänschen aber, der Tunichtgut, sprang mit geballten Fäusten wie eine Wildkatze an der großen Schwester empor.

Das hatte der Schlingel noch nie gewagt. Die grenzenlose Enttäuschung, daß er gerade jetzt hinauf sollte, während die neue Maschine in Gang gebracht wurde, trieb ihn zu dieser Verzweiflungstat.

Ehe sich Dornröschen gegen den Schlingel noch zur Wehr setzen konnte, hatte ihn der Verwalter beim Schlafittchen gepackt.

Dornröschen schwankte unter der unvorhergesehenen Wucht des Ansturms. Ehe sie sich aber noch mit ihren jungen, kräftigen Gliedern zur Wehr setzen konnte, hatte der Verwalter den Schlingel beim Schlafittchen gepackt und schüttelte ihn in der Luft herum wie einen Teckel.

»Was unterstehst du dich gegen deine Schwester?! Keinen Muck mehr, verstanden, sonst gibt's von mir noch Dresche!« Damit setzte er ihn unsanft zu Boden.

Hänschen wagte keine Gegenrede. Heulend schlich er seinem Zwillingsbruder nach. Dornröschen, die sich jetzt selbst als Erzieherin der Brüder abgesetzt fühlte, versank so schnell als möglich in die Unterwelt der Wirtschaftsräume. Das schwarze Eisenungetüm aber, das all den Unfrieden verursacht hatte, rasselte nun endlich über die holprigen Steine zum Hoftor hinaus, und sein Rattern klang ihr wie triumphierendes Hohnlachen in die Ohren.


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