Else Ury
Dornröschen
Else Ury

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Der neue Verwalter

Auf der Veranda, nach dem Obstgarten hinaus, trank man für gewöhnlich den Nachmittagskaffee. Gusting brachte die bauchige Kaffeekanne; sie trug eine dunkelfleckige Blauleinenschürze wie sonst beim Scheuern. Das Frölen achtete schon längst nicht mehr auf derartige Äußerlichkeiten – es war froh, wenn die Arbeit getan war – und die Frau, die blickte ja überhaupt nur inwendig hinein, wie die Leute sagten. Also für wen sollte Gusting sich den Luxus einer weißen Schürze leisten?

»Gusting, rufe den Herrn Verwalter,« befahl Leni widerwillig, denn sie hatte sich lange überlegt, ob man wohl den Nachmittagskaffee unbedingt auch zum Familienanschluß rechnen müsse.

Gusting schlug mit der Faust gegen die Tür des Jagdzimmers.

»Zu'n Kaffee!« schrie sie dabei mit ihrer derben Stimme, wie bei dem früheren Inspektor, der es vorgezogen hatte, die Mahlzeiten statt in seinem Zimmer in der Leutestube einzunehmen.

Der junge Herr von Staberow, der gerade als leidenschaftlicher Jäger seine Freude an den prächtigen Geweihen über seinem Sofa hatte, sah verdutzt auf. Galt diese merkwürdige Einladung ihm? Da sein Magen sich nach dem mehrstündigen Marsch meldete, entschloß er sich, ihr zu folgen.

Aber wohin? Nedderdorf schien sich dadurch auszuzeichnen, daß nie ein Mensch da war, wenn man ihn brauchte. Man mußte sich hier allein seinen Weg suchen. Fünf weiße Türen mündeten auf den Vorraum. Der junge Mann wagte natürlich keine zu öffnen. Eine Treppe führte nach oben, eine nach unten. Ratlos stand der neue Verwalter da.

Aber als er gerade gedankenvoll den Kompaß an seiner Uhrkette hin und her drehte, als ob ihm dieser den richtigen Weg weisen könne, hörte man oben eine Tür zuschlagen. Ein Hopsen im Zweivierteltakt! gleich darauf rutschte etwas das blankpolierte Treppengeländer wie der Wind herab. Vor den Füßen des jungen Herrn machte es mit einem hellen Jubellaut halt.

Johannes von Staberow blickte lächelnd auf die erschrocken knicksende Kleine, aus deren rundem Kindergesicht ihn dieselben großen Blauaugen anstarrten wie bei der älteren Schwester. Freundlich fuhr er ihr über den blonden Kopf.

»Also wie heißen wir?« eröffnete er die Bekanntschaft.

»Suschen,« kam es schüchtern heraus.

»Du bist das Suschen? Hab' ich mir's doch gleich gedacht! Und wer bin ich denn?«

Susing maß den netten Herrn mit zweifelhaften Blicken. Der neue Verwalter? Nee! Die sahen doch anders aus! Das war sicher Besuch.

»Ein neuer Onkel,« kam es schließlich halb fragend von den Kinderlippen, während Suschen verlegen an ihrer Schürze kaute.

»Geraten,« sagte der fremde Herr und lachte. »Ich bin der Onkel Hans. Ich kann feine Püppchen aus Kartoffeln schneiden und sie Theater spielen lassen. Auch Borkenschiffchen mache ich dir. Aber jetzt wollen wir miteinander Kaffee trinken gehen. Komm, du sollst mich führen.« Er nahm sie an der Hand.

Zutraulich schmiegte sich das ungewaschene Kinderpatschchen in die große Männerhand. Suschens Augen leuchteten vor Freude über die in Aussicht gestellten Erzeugnisse. Die Freundschaft mit »Onkel Hans« war geschlossen.

Hand in Hand betraten sie die von Goldregen umbuschte Veranda. Dornröschen betrachtete die beiden mit hochgezogenen Augenbrauen. Der Familienanschluß schien ja recht weit zu gehen.

»Der neue Herr Verwalter,« sagte sie zu den Zwillingen, die sich vor Vergnügen über den künftigen Hausgenossen unter dem Tisch knufften und schubsten.

Suschen aber rief eifrig: »Is ja gar nich wahr! Das is ja der neue Onkel Hans, der mir Kartoffelpuppen schneiden und Borkenschiffe machen will!«

»So ist's recht,« sagte der neue Verwalter lächelnd, ohne Dornröschens Gesichtsausdruck zu beachten, der deutlich zu sagen schien: »Na, nun weiß ich ja, wozu wir einen Verwalter haben!« Darauf nahm er auf dem ihm angewiesenen Stuhl am anderen Ende des Tisches Platz. Dort saß er förmlich ausgestoßen von der Gemeinschaft.

Aber Onkel Hans schien den mangelhaften Familienanschluß nicht zu empfinden.

»Ich danke Ihnen, daß Sie mich für würdig erachten, das Präsidium hier zu übernehmen,« sagte er, der einst mit Leib und Seele Student gewesen war.

Dornröschen rührte in ihrem Kaffee herum. Mining hatte sich heute selbst übertroffen; der Kaffee war noch ungenießbarer als sonst. Denn da sie den neuen Verwalter auf mindestens vier Tassen einschätzte und Dörthe nicht mehr Kaffee geben wollte, war er noch um einige Töne heller ausgefallen als gewöhnlich.

Präsidium? – Dornröschen grübelte über die Bedeutung dieses Wortes nach; was wußte sie denn jetzt zwischen ihren Hühnern und Schweinen von derlei! Gewiß war das ein lateinischer Ausdruck für die Wirtschaft.

»Ich werde Sie nachher in das Präsidium einführen« – sie wollte nicht ungebildeter erscheinen als er – »die Leute hier auf unserem Präsidium sind gut lenkbar; es wird Ihnen nicht schwer werden, sich bei ihnen in Respekt zu setzen.«

Johannes von Staberow sah sie zuerst groß an. Dann aber biß er sich auf seinen fast weißblonden Schnurrbart, um ihr nicht ins Gesicht zu lachen.

Der Eintritt Muttings rettete ihn vor einer Antwort. Frau Lisabeth kam dem jungen Hausgenossen trotz der Trauer, die über ihre ganze Erscheinung gebreitet war, so warm entgegen, daß sich dieser ehrerbietig über die dargereichte Hand neigte.

»Ich hoffe, mir Ihre Zufriedenheit zu erringen, gnädige Frau,« sagte er treuherzig.

Das Fräulein Tochter fand sich jetzt plötzlich in ihren Rechten geschmälert. Hätte es sich nicht gehört, daß der neue Verwalter ihr, in deren Händen die Leitung des Gutes lag, versprochen hätte, sie zufrieden zu stellen?

»Jungs, stippt eure Semmel nicht so unmanierlich ein!« Lenis Ärger kam gegen die lustig in ihren Tassen herumtunkenden Zwillinge zum Ausbruch.

Da – Pferdegetrappel – der Stavenecker Schimmel wurde sichtbar. Also kam Herr Dürenfurt doch! Leni fühlte sich ungeheuer erleichtert.

»Na, habt ihr noch eine Tasse Kaffee für mich übrig? Bin heute bei der Bombenhitze schon den ganzen Tag im Sattel; aber auf 'nen Sprung mußte ich doch 'rüberkommen, ob ich Ihnen irgendwie hier von Nutzen sein kann, lieber Staberow.« Herr Dürenfurt wandte sich damit zum neuen Verwalter, nachdem er Frau Lisabeth begrüßt, den Zwillingen und Suschen über das kurzgeschorene Haar gestrichen hatte.

»Sehr liebenswürdig, Herr Dürenfurt; ich wollte gerade bitten, mich zu beurlauben, um mich mit den Leuten bekannt zu machen,« sagte Johannes, seinen Stuhl rückend.

Da trat Leni mit einer Tasse für den Vormund auf die Veranda. Sie hatte die letzten Worte noch gehört.

»Ich werde Sie den Leuten vorstellen,« fiel sie ein, ungehalten, daß man sie einfach überging.

»Nee, mein Dirn, laß das man Herrn von Staberow allein besorgen; es gibt leicht ein schiefes Verhältnis, wenn sich zwischen Vorgesetzte und Untergebene ein Dritter schiebt,« sagte der Vormund, während der zustimmende Verwalter davonschritt.

Leni sah Herrn Dürenfurt groß an. Sollte sie jetzt etwa hier ganz und gar beiseite geschoben werden? Nein, das ließ sie sich nicht gefallen!

»Ich bin heilfroh, daß ich das Mädel entlastet weiß, Herr Dürenfurt,« sagte Mutter aufatmend.

Leni war anderer Meinung, aber sie schwieg. Während der Vormund mit den Kindern scherzte, trat sie an die Verandabrüstung. Durch die windstille Luft schallte die Stimme des neuen Verwalters vom Hofe herüber.

»Also ihr seid für die Feldarbeit – ihr zwei werdet die Pferdeställe übernehmen, ihr die Kuh-, Schweine- und Schafställe. Und Sie – wie war doch gleich der Name? – richtig, Jürgens – Sie werden den Hofdienst besorgen. Ich verlange, daß ihr eure Pflicht tut und mir schnellen Gehorsam leistet!«

Das war eine andere Antrittsrede, als wie das Frölen sie damals gehalten hatte.

»Je, Herr Inspektor, dat is man, dat de Pirdställ' mein Revier sünd,« ließ sich da der alte Jürgens gekränkt vernehmen.

»Von heute an ist das anders; die Ställe verlangen junge Kräfte. Außerdem werdet ihr mich Herr von Staberow anreden. So, jetzt geht an die Arbeit!«

Die Leute sahen einander an. Der ging ja hellschen forsch ins Geschirr! Aber ihnen konnte das nur recht sein, wenn einer jetzt hier kommandierte, der was von dem Ding verstand.

Nur dem alten Jürgens war das schneidige Wesen des neuen Verwalters entgegen. Was, der wollte ihn aus seinen Pferdeställen verjagen, in denen er sozusagen fast geboren war? Dieser Milchbart, dieser adlige Herr, der eben erst hier hereingerochen hatte? Ihn, der schon sechzig Jahre treu auf Nedderdorf diente?! Na, da hatte das Frölen Lening ja doch wohl auch noch ein Wörtchen mitzusprechen. Unwillig griff Jürgens nach seinem Sätuch und stapfte hinaus auf den umgepflügten Acker.

Der junge Herr von Staberow ahnte nichts von den Wolken, die sich bereits am ersten Tage an seinem neuen Himmel zusammenzuballen begannen. Ein Lied vor sich hinpfeifend, schritt er den Hof ab, um gleich in die Stallungen einen Blick zu werfen. Als er gerade mit hochgezogenen Augenbrauen die fliegenschlagenden Schwanzquasten der schwarzweißen Schecke, der Bleß und der graubraunen Kuh musterte, bog das entthronte Fräulein Inspektor mit dem Vormund um das Wirtschaftsgebäude.

Ihr Herz erfüllte gerechter Stolz; jetzt sah Herr Dürenfurt wenigstens, was sie alles geleistet hatte.

»Warum haben Sie Trockenfütterung beibehalten, gnädiges Fräulein?« wandte sich Hans von Staberow zu der jungen Gutsherrin.

Dornröschen witterte darin bereits eine Mißbilligung.

»Weil ich es für besser halte,« sagte sie von oben herab.

»Nein, Kind, da irrst du dich! Grasfütterung ist vorteilhafter,« mischte sich Herr Dürenfurt in das Gespräch.

Dornröschen mochte ihren Ärger nicht offen zeigen; wortlos wandte sie sich dem Geflügelhof zu.

»Gnädiges Fräulein waren vorhin so liebenswürdig, mich mit den Gutsleuten bekannt machen zu wollen,« erklang die Stimme des Verwalters hinter ihr her. »Wenn Sie mich statt dessen vielleicht ein wenig in die Wirtschaft einführen und mir zeigen möchten, wie weit unser Reich geht, wäre es mir lieb.«

Das war ein billiges Verlangen. Jeder Inspektor wurde von dem Vorgesetzten in seinen neuen Pflichtenkreis eingeführt. Dornröschen griff nach dem gelben Strohhut, der seinen Platz an einem Haken in der Gerätekammer hatte, und hing sich an den Arm des Vormundes.

»Der Kuhstall – die Pferdeställe – Schweine-, Jungvieh-, Schaf-, Hühnerställe, Kaninchenverschlag,« leierte sie herab.

»Du solltest Fremdenführer auf irgendeinem berühmten Schlosse werden, du scheinst mir viel musikalische Begabung dafür zu haben,« neckte Herr Dürenfurt.

Auch Dornröschen mußte lachen. Aber sie unterbrach jäh den hellen, jugendfrohen Ton, der ihr Gesicht so verschönte. Sie durfte sich in ihrer Würde als Gutsherrin doch nichts vergeben.

Susing kam durch den Garten hinter ihnen her gestürmt.

»Dornröschen, ich will mit dir, Onkel Dürenfurt und Onkel Hans gehen, ja? Onkel Hans, nimm mich mit,« bettelte sie.

Leni verdroß diese Anrede dem »Angestellten« gegenüber und das vertrauliche »Du« aus dem Kindermunde mehr, als sie sagen konnte.

Gerade als Onkel Hans sich herabneigte, dem kleinen Fräulein höflich den Arm zu bieten, verwies Leni das Schwesterchen streng: »Der Herr Verwalter ist nicht nach Nedderdorf gekommen, um Kindermuhme zu spielen, Suschen! Du bleibst hier im Hause!«

»Aber Mädel, wer wird denn so kratzbürstig sein!« Unzufrieden blickte der Vormund auf seine Begleiterin, während Suschen weinend zurückblieb.

Auch Hans von Staberow musterte die junge Dame von der Seite. Wie war es nur möglich, mit so viel Liebreiz solch unausstehliches Wesen zu verbinden! Ebenso unerklärlich blieb es ihm, daß die Braut seines Bruders Fritz, die weiblich-sanfte Mieting, sich diese Kratzbürste als »Beste« ausgesucht hatte.

Leni sah mit brennenden Augen in die goldgelben Getreidehalme. Sie hätte auch weinen mögen. Warum war sie bloß eben wieder so eklig gewesen, auch gegen ihr Lüttes? Und diese scharfe Zurückweisung hatte der neue Verwalter doch auch nicht verdient. Wenn Herr Dürenfurt das Mieting erzählte! Lenis Gerechtigkeitsempfinden war stark ausgeprägt; sie hatte wieder einmal ein schnelles, unüberlegtes Wort gesagt, das sie jetzt gern zurückgenommen hätte.

»Schöner Roggenboden,« begann da der Verwalter zu Herrn Dürenfurt. »In vier Wochen können wir anfangen zu schneiden.«

Dieser nickte zustimmend; Leni aber empfand es doch jetzt als Wohltat, daß ein anderer für sie überlegte.

»Womit haben Sie diesen Acker gedüngt?« wandte sich der Verwalter an das junge Mädchen.

Auch Herr Dürenfurt zog die Augenbrauen hoch. Das war ein Zeichen, daß er mit irgendwas nicht einverstanden war.

Leni sah ratlos den Hafer an, der sich schon vorher ihre Unzufriedenheit zugezogen hatte, und dann abwechselnd den Vormund und den Verwalter. Jürgens hatte eben Dung fahren lassen.

»Wir meinen irgendwelche künstliche Düngungsmittel,« half ihr Herr Dürenfurt.

»Das war von jeher Sache des alten Jürgens; da habe ich meine Nase natürlich nicht hineingesteckt,« sagte Leni, ärgerlich, daß sie nicht Bescheid wußte.

»Entschieden auch angenehmer!« Der Vormund lachte dröhnend.

Dornröschen wurde rot; sie merkte erst jetzt, was sie für einen Bock geschossen hatte.

»Sind Düngmaschinen eingeführt?« begann der Verwalter wieder.

»Nein!« Dornröschen kam sich wie ein geprüfter Schulbube vor.

»Es geht hier noch alles im alten Gleis, Staberow. Ich selbst konnte mich nur hin und wieder mal um die Wirtschaft kümmern; auch mußten fürs erste größere Ausgaben unterbleiben,« erklärte Herr Dürenfurt.

»Da wollen wir doch für das nächste Frühjahr dran denken,« erwiderte der Herr Verwalter.

Leni mochte nicht schon wieder dagegen sprechen. Bis zum nächsten Frühjahr war ja noch lange hin.

Sie gingen weiter durch den goldenen Ährensegen bis zu den Wiesen.

»Alles Morastboden!« Der Verwalter stieß seinen derben Krückstock mit der scharfen Spitze tief in die schlammig-breiigen Erdmassen. »Wird denn das hier gar nicht nutzbar gemacht?«

»Nein; Jürgens sagt, das war bei Vating auch immer so.«

»Jürgens spielt wohl hier die erste Geige auf Nedderdorf? Der scheint mir ja die Seele des Gutes zu sein. Aber das versteht er doch wohl nicht so recht.«

»Nein, ich bin die Seele des Gutes,« unterbrach ihn Dornröschen, »und ich verstehe das sehr wohl.«

Sie wurde etwas verlegen, denn der Vormund sah sie merkwürdig lächelnd an. Aber nur nicht merken lassen, wie wenig Ahnung sie eigentlich davon hatte!

»So–oo,« sagte der Verwalter und sonst nichts weiter.

»Und mein Vater hat das noch viel besser verstanden; was der anordnete, war gut,« rief Leni, durch das So–oo gereizt, mit dem ganzen Ungestüm ihres Wesens.

»Aber gewiß, gnädiges Fräulein; Ihr Herr Vater war ja als tüchtiger Landwirt bekannt,« gab Herr von Staberow zu.

»Na also!« knurrte Leni.

»Mädel, was ist dir denn bloß schon wieder in die Krone gefahren? Gerade solch Heißsporn, wie dein Vating selig einst war! Na, ich muß jetzt hier abbiegen. Viel Glück, Staberow! Dirn, denk gefälligst dran, daß das halbe Dutzend nicht voll wird!«

Der Vormund sah Leni ernsthaft an. Die wurde röter als der Klatschmohn, der zu ihren Füßen blühte; sie wußte sehr wohl, was Herr Dürenfurt meinte. Es war eine Warnung, weil sie sich dem neuen Verwalter gegenüber so wenig nett zeigte. Fünf Inspektoren waren schon ihretwegen gegangen. Als ihr endlich einfiel, Mieting grüßen zu lassen, war der Vormund längst querfeldein davongestapft.

»Wir können ja einmal einen Versuch machen, die Wiesen durch Drainierung mehr auszunutzen. Wir werden sie in Brache legen, dann erzielen wir eine Verstärkung der Bodentätigkeit,« sagte der Verwalter nach einem kleinen Weilchen.

»Drüben haben wir auch ein Brachfeld.« Leni wies, froh, daß sie etwas wußte, über den Weizenschlag, denn von Drainierung hatte sie doch nicht viel begriffen.

»Reine Brache? Hm – wieviel Brachjahre hat das Land schon?«

Leni schaute durchaus hilflos drein.

»Na, das können Sie ja auch nicht wissen; das ist ein bißchen viel verlangt von einem jungen Mädchen,« fuhr der Verwalter fort, voll »Herablassung«, wie es Leni schien.

»Ich bin kein junges Mädchen,« trumpfte Dornröschen auf. »Ich habe eben nur nachgerechnet, wieviel Brachjahre das Land wohl hat.«

»Also wieviel?« Das kratzbürstige Mädel machte dem neuen Verwalter heimlich Spaß.

»Ungefähr elf,« sagte Leni auf gut Glück mit einer Unverfrorenheit, die geradezu verblüffend wirkte.

»Na, dann scheint es ebenso im Dornröschenschlaf zu liegen wie hier das ganze Gut!«

»Wie meinen Sie das?« fragte Dornröschen kampfbereit.

»Erstens einmal die Gutsherrin in höchsteigener Person, dann aber auch die Wirtschaft selbst,« gab der Verwalter trocken zurück. »Alles veraltetes System! Sehe ich recht, so geht da drüben ja der olle Jürgens sogar noch mit dem Sätuch die Ackerfurchen ab! Nicht einmal Sämaschinen kennt man hier. Wahrhaftig, Nedderdorf hat im hundertjährigen Dornröschenschlaf gelegen.«

»Dann rate ich Ihnen, es ruhig weiterschlafen zu lassen, sonst könnten Sie sich leicht an der Dornhecke die Hände zerreißen,« stieß Dornröschen schroff hervor, die heimlich doch auf ein wenig Anerkennung, auch seitens des Vormundes, gerechnet hatte.

Sie dachte nicht mehr an Herrn Dürenfurts mahnende Worte von vorhin. Die Kriegserklärung war gemacht.


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