Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

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Hochgepriesen sei mir sein System. Noch hat kein anderes meine Seelenkräfte so auf einmal, wie durch einen elektrischen Schlag zu erschüttern vermocht, als seine heutige Überraschung. Gleich dem sokratischen Genius leitete mich seine unsichtbare Hand bis zu dieser seligen Stunde der Erkenntnis. O daß sie, rief ich kleinmütig aus, für die höchste meiner Lebensfreuden mit demselben Gelingen fortwirke! – stellte mich an das Fenster, blickte, Tränen der Zärtlichkeit in den Augen, gen Himmel und dachte eine ganze Weile noch an ihn und Agathen, ehe ich meinen großen Fund unter den Arm nahm und nach Jeroms Studierzimmer eilte. »Hier bringe ich dir«, trat ich vor seinen runden philosophischen Drehstuhl und Arbeitstisch, »meine weitläuftige Krankheits-Geschichte nebst allen dazu gehörigen Belegen an Heilungs- und Präservations-Mitteln. Untersuche doch, ob sie des Aufhebens wert sind. Dein Ausspruch soll entscheiden.« »Gut, lieber Wil'm,« wendete er sein ernsthaftiges Gesicht von seiner Schreiberei ab gegen mich, »das hat aber Zeit bis auf den Abend. Jetzt habe ich mein Nachdenken für preßhaftere Personen nötig, als du bist. Allen Respekt,« staunte er mein Paket an, »für den gelehrten Sabathier, aber was will er mit diesem Schwall von medizinischen Verordnungen? Der Arzt, glaube mir, kann so gut, als der Moralist, seine Lebensregeln auf eine Quartseite bringen. – Doch lege nur einstweilen deine Gegenbeweise,« streckte er ungeduldig seine Feder einem Lesepult zu, »dorthin neben Zimmermanns Erfahrungen, und wenn du nichts Besseres vorhast, so besuche indes so lange unsere Hörsäle, Professoren, Kirchen, Armenanstalten, oder was du sonst willst, bis ich dir wieder zu Diensten sein kann.« »Du bist heute kurz angebunden, lieber Jerom,« erwiderte ich. Statt zu antworten, reichte er mir, mit einem Blick, der mir ans Herz ging, die Namenliste aller der Leidenden hin, die auf Strohsäcken und seidenen Betten nach baldigem Trost aus seinem Munde ächzten, tunkte seine Feder frisch ein und schrieb weiter. Ich erschrak über dies übernächtige schwarze Register so sehr, daß ich, wie von Gespenstern verfolgt, aus seinem Museo nach dem unerträglich leeren meinigen flog. Hier, nach einem kurzen Besinnen, versuchte ich das möglichste, um mich aufzuheitern, aber es ging nicht. Umsonst durchbildete ich ebenso zaghaft meine leicht zerbrechliche historische Scheiben-Sammlung, als mit poetischer Dreustigkeit jene noch im Archiv der Liebe verschlossene, von Agathens Reizen; aber auch diese so oft erprobte Linderung wollte nicht anschlagen. Fort denn, rief ich, in die freie Luft! und machte mich mit meinem verstimmten Instrumente auf den Weg, spannte die Saiten aufs höchste, brachte aber doch nichts, als Mißtöne hervor. Nach einem irrenden Spaziergang längs dem Kanal schlenderte ich verdrossen auf den Marktplatz, und, nachdem ich hier und dort lange genug andern im Wege gestanden und von dem Vorgesehn der Lastträger, die den geraden ihrigen gingen, erschreckt worden war, flüchtete ich, einfältig genug, dem deutschen Kaffeehause vorbei in das holländische. Da hatte ich es vollends getroffen! An der Vaterlandsche Currant, die man mir hinschob, war mir so wenig gelegen, als an einem Glas Genever, das man mir vorsetzte, und bei der schwatzenden Gesellschaft, die sich in langsamer Bewegung durchkreuzte, verunglückte mir jede höfliche Annäherung. Meine Wetter-Beobachtungen und andere dergleichen unschuldige Einleitungen zum Gespräch, mit denen ich in Berlin recht gut durchkomme, machten hier nicht den geringsten Eindruck. Ein kurzes ja woel myn heer war der ganze Weihrauch, den mir hier und da einer aus seiner Pfeife unter die Nase blies. In Avignon, Marseille und andern artigen französischen Städten sah ich mich oft noch stundenlang von einer hübschen Aufwärterin oder einem gesprächigen Markör aufgehalten, wenn ich schon meinen Hut von der Wand gelangt hatte. Hier bekümmerte sich keine Seele darum. Man ließ mich ruhig über die Schwelle, sobald ich mein Doppelchen für die Ansicht des mir zugemuteten Aquavits auf den Teller gelegt hatte.

Schmollend, ohne recht zu wissen, ob über die hiesige oder meine gewohnte Lebensweise, schlug ich einen längeren Umweg durch schnurgerade Gassen, nach – wie soll ich es nennen? nach einem leidlichern Gefühl ein, und geriet, als wenn heute ein böser Geist sein Spiel hätte, unvermutet an das Eckhaus, wo ich ehemals gewiß bequemer wohnte, als Peter der Große während seiner Studien des Schiffsbaues zu Saardam. Ein struppiger Tituskopf streckte sich jetzt aus demselben Schubfenster vor, aus welchem ich sonst mit gekräuseltem Haar über die vier Fakultäten hinweg in die offene Welt lachte. Noch immer, wie zu meiner Zeit, verzierten japanische Blumentöpfe das Ruheplätzchen des Erkers, wo ich so oft Jeromen die Schweißtropfen von der Stirne trocknete, wenn er ermüdet aus dem botanischen Garten zurückkam. Die drei Universitätsjahre, die ich als Mietmann neben seiner Studierstube, ach, ich mag es einkleiden wie ich will, gedankenlos, aber das muß auch wahr sein, sehr jovialisch vertändelte, gaukelten mir in der lebhaftesten Erinnerung vorüber. Dennoch ward es mir auf einmal so unheimlich in der Nachbarschaft dieser meiner Jugend-Herberge, daß ich mir den Sporn gab und mit dem immer beibehaltenen Eifer für die Naturgeschichte, den Meerwundern auf dem Fischmarkt einen fliegenden Besuch machen wollte; aber kaum war ich um den Laternenpfahl herum, so stieß ich, da ich es in dieser Prüfungsstunde gerade am wenigsten wünschte, auf meinen lieben Schulfreund, den in allen Gassen beschäftigten Jerom. »Wo kommst du her?« warf er mir im Fortgehen die Frage vor. »Von der Betrachtung«, rieb ich mir die Stirn, »unserer ehemaligen Wohnung, und du?« – »Aus der Marterkammer«, erwiderte er, »einer zum erstenmal gebärenden, aber nun mit dem frohsten Erstaunen belohnten Mutter, der ich eben die Ausbeute eines schönen Jungens zutage gefördert und an die bebende Brust gelegt habe. Jetzt gehe ich, wenn du mitwillst, in das Arbeitshaus, um ein wenig auszuruhn, und dann in der Nähe dort, zu dem ungeduldigsten Domine von der Welt, um ein ihm sehr dienliches Quartanfieber zu bewillkommnen, das«, er sah nach der Uhr, »in Zeit einer halben Stunde eintreffen wird.« »Wohl bekomme dir, lieber Jerom«, hing ich mich gähnend an seinen Arm, »deine Visite beim Domine und deine Ruhestunde im Arbeitshause. Dazu wäre mir aber eine Bildergalerie lieber, wenn eine da wäre.« »Das ist dir zu glauben,« lächelte er, »leider nur sind dergleichen Asyle des Müßiggangs, das mußt du ja von Alters her wissen, bei uns nicht hergebracht. Wir benutzen unsere Säle zu notwendigern Dingen, nicht aus Geringschätzung der Kunst und des Geschmacks,« antwortete er meiner spöttelnden Miene, »denn wie viele unserer wohlhabenden Einwohner besitzen nicht Sammlungen von den schönsten Gemälden, aus denen man eine größere, als die Düsseldorfer ist, zusammensetzen könnte.« »Ja, ja,« nickte ich mit dem Kopfe, »wohl schade um die Meisterstücke der niederländischen Schule, um eure Rembrands, van Dyks, Gerhard Dows, Wouvermanns und de Wit's, deren so viele noch in den Achter- und Binnenkammern und Comptorchen gemeiner Bürger unverantwortlich zerstreut und dem ehrsamen Publikum versteckt sind.« »Herkömmlicherweise, sagst du?« »Nun ja! aber ich möchte auch wohl wissen, was es in Holland nicht wäre? von seinen Gesetzen und Sitten an bis auf die Physiognomie seiner Gärten, Dörfer und Städte. Der Genius der Zeit vermag nichts über das ewige Einerlei eures mit Recht bewunderten Landes, wenn man es nämlich zum erstenmal sieht; käme aber auch ein Reisender wieder nach hundert Jahren zu euch, ich wette, er findet weder eine modische noch ästhetische neue Anlage, oder eine merkwürdige Erscheinung unter euerm Horizont, die vorher noch nicht da war.« »Das will ich dir«, endigte Jerom unser Gassengespräch, »nächsten Tages durch den Augenschein widerlegen,« und so trennten wir uns am Tore des Werkhauses, bis uns der Mittag wieder zusammenbrachte. In einer holländischen Stadt tritt er pünktlich, fast so spät als in Regensburg, aber, als Nothülfe der aufs genaueste berechneten physisch errungenen Erschöpfung, so reich ausgestattet, als dort, ein, schreitet abgemessenen Gangs von einer nahrhaften Schüssel zur andern fort, bis unter den zusammenfließenden Nebeln des Tees, Tabaks und der Kanäle, die Stunde der Verdauung und gesellschaftlichen Unterhaltung über die Erntetabellen der Börse, protestierten und akzeptierten Wechsel, geglückten oder mißlungenen Spekulationen, anbricht. Da ist es denn kein Wunder, wenn während dem Unsereins sich nach den ganz andern Zeitverkürzungen in Berlin zurücksehnt.

*

Den 27. März

»Und wenn du nun«, sagte Jerom, als ich beim Frühstück des Heimwehs, das mich gestern befiel, und der Bewegungsgründe erwähnte, die es auch heute noch, laut genug, unterstützten, »jene Zeitkürzungen erreicht hast, – die ich dir wohl so fein zergliedern wollte, als den unnatürlichen Auswuchs eines schwammigen Körpers – wirst du dich darum in deiner spekulativen Schlafkammer, wie ich sie einstweilen nennen will, glücklicher und großherziger zu Bette legen, als ein betriebsamer Spediteur allgemeiner Bedürfnisse – ein Bankier von Kredit – ein tätiger Negociant in der seinigen? wirst du von deinem Ausflattern in den leeren Raum der vornehmen Welt weniger ermüdet und zufriedener zurückkommen, als jene von den Schiffswerften, den Packhäusern und der Börse? Kannst du aus deiner erhabenen Sphäre – können alle, die dir gleichen, wohl das Herz haben, mit Stolz auf unsere Demut, mit Neid auf unsern Erwerb, mit Spott auf unsere einfachen Erholungen herunter zu sehen? Gesetzt sogar, lieber Wil'm, laß uns immer einmal ernstlich darüber sprechen, du könntest deine viel bedürfende Weichlichkeit in allem befriedigen und stiegest nur an Blumengeländern, erst nach einem Säkulo, wie Fontenelle, ins Grab, würde dein langgedauertes Dasein, bei allen genossenen Freuden, verdienstlicher, als das unsere, und die Erde dir darum leichter werden, als uns und allen und jeden dienstbaren Bienen an dem großen Honigstocke der Welt? – –«

Dergleichen Hohlspiegel lasse ich mir nun nicht gerne lange vors Gesicht halten, drum drückte ich dem Redner, als wenn es aus dankbarem Gefühl geschähe, stillschweigend die Hand und ließ ihn, um nicht als Raubbiene seinen Stachel zu reizen, so viel Wachs, Saft oder Wasser, als er fortschleppen konnte, den Zellen seiner summenden Mitgehülfen zutragen. »Ich gönne«, murmelte ich hinwärts nach meinem Schreibtisch, »dem fleißigen Gewürm seine Freude von ganzem Herzen. Mehr kann ich, mehr kann ein Kammerherr nicht tun. Unsere zwar schön vergoldeten Schlüssel – übrigens aber, das wissen wir alle, vom dem schlechtesten Metall, können freilich weder Vorrats- noch Werkhäuser öffnen, denn sie öffnen gar nichts und schließen nirgends, müssen jedoch, wie alles in der Welt, zu etwas nütze sein, weil sie da sind.« Bei dieser tiefsinnigen Ausrede ließ ich es einstweilen bewenden.

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Den 30. März

Es war mir die paar Tage her ganz unlustig zumute, und dabei recht angst, daß Jerom mit Untersuchung meiner handschriftlichen Beichte nicht so geschwind fertig werden möchte, als ich abzureisen wünschte, denn er erwähnte derselben bis heute morgen mit keiner Silbe. Er habe, führt er zur Ursache an, in meinem Prozeß mit der Moral – ein sonderbarer Ausdruck – manche Seiten mehrmal überlesen müssen, um meine Sophistereien ins klare zu setzen, und sein Endurteil doch auch nicht eher abgeben mögen, bis er nicht erst selber darüber mit sich einig geworden wäre; müsse aber zu seiner Schande gestehen, daß es ihm damit nicht besser geglückt sei, als den meisten Fakultisten mit Kriminalakten. »Meines Dafürhaltens«, fuhr er fort, »tust du am klügsten, du stellst deine Sache der öffentlichen Meinung und der Mehrheit der Stimmen anheim. Hätte dem Vagabonden, werden nun wohl die meisten Leser mit mir übereindenken, immer ein Arzt, wie Sabathier, ein Mentor, wie Saint-Sauveur, zur Seite gestanden, seine Reisebeschreibung wäre zweifelsohne nicht minder erbaulich und nützlich für unsere Kinderstuben ausgefallen, als weiland Fenelons seine vom Telemach; denn sich selbst überlassen, belehrt uns sein Tagebuch nur zu deutlich, kommt er in allem Guten eher zurück als vorwärts.« Ich schickte mich an, meine Einwendung dagegen vorzutragen, aber – »Auf den Abend,« unterbrach er mich, »wenn mein Tagewerk vollbracht sein wird, das Weitere davon!« entfernte sich und läßt mich sonach noch immer über seine endliche Entscheidung in Ungewißheit.

Seit der Teestunde ist meine Angst vorbei. Mein Tagebuch, kann ich dir nicht eilig genug zu wissen tun, hat die letzte Probe, die ich noch erwartete, hat nun mit der seinigen die Kritiken zweier gleich großen Welt- und Menschenkenner, als es nicht leicht nach ihnen einer wieder vor die Brille nehmen wird, überstanden. Wie viele deutsche Bücher mögen wohl dieselbe Aufmunterung für sich, und einen so schönen Beruf haben, ihre Wurzeln auf dem vaterländischen Boden weiter zu schlagen. Nur nicht so verwundert getan, mein lieber Eduard! Du wirst doch wohl nicht immer meinen Autor-Kitzel für Scherz gehalten haben, wenn ich mit lachendem Munde davon sprach; denn kann man denn wohl von diesem Jucken sprechen, ohne selbst darüber zu lachen? Ich unterliege ihm jetzt vollends, so schwach als ein Kind. Weder dein Ernst, noch dein Spott darüber sollen mich anfechten; denn wenn uns, sage ich mir, ein längst totgeglaubter Freund nach unendlichen überstandenen Gefahren zu Wasser und zu Lande, auf einmal, frisch erhalten und lustig in die Stube gepoltert kommt, laß ihn selbst schmutziger erscheinen, als den verlornen Sohn in der Bilderbibel, wie verschränkt müßte das Herz sein, das nicht in der unaussprechlichen Freude des Wiedersehens, wenigstens seine Hausnachbarn, Blutsfreunde und andere liebe Bekannte zusammentrommelte? Und ist das nicht ganz der Fall mit mir, meinem Tagebuche und seinen Lesern? Freilich, kann ich nicht leugnen, hätten seine beiden ersten Besichtiger gern verschiedene der Malereien, die es mitbringt, retouchirt, einige verschliffen, andere wohl gar, in der andächtigen Stimmung des verstorbenen Herzogs von – – – – vernichtet, um den Hofdamen kein Ärgernis zu geben. Was sagen aber auch die Freunde der Kunst zu seiner Bilderstürmerei? Er verschonte so wenig die Unschuld der Bathseba, als den trunkenen Lot mit seinen Töchtern, von van der Werst, weder Rubens' fleischige Grazien, noch die schlankesten badenden Nymphen von Albano, ließ von seinem Kabinettsmaler alle akademischen Nuditäten in der väterlichen Verlassenschaft, je reizender sie waren, desto eher, aufs neue grundieren und erbaulichere Figuren darauf setzen. Nun sah es freilich kein Mensch dem König David mit der Harfe, den Prinzessinnen des Hauses, oder andern Familien-Porträts an, was hinter ihnen steckte, und der Teufel konnte sein Spiel so wenig damit treiben, als der Herzog selbst, denn er starb ohne Kinder.

Meinen armen Zeichnungen wäre es, wie gesagt, nicht besser ergangen, hätte es nur ohne Nachteil des Zusammenhangs so leicht geschehen können, als in jener fürstlichen Bilderkammer.

Aber St. Sauveur, der sie aus dem Feuer riß, ließ seine zum Versuch des Ausbesserns erhobene Hand so gut sinken, als Jerom, der mir mein Portefeuille nach dreitägiger Durchsicht mit einer Erklärung soeben wieder zurück gebracht hat, die ich lieber verschwiege, wenn ich etwas zu verschweigen gewohnt wäre. »Hier, Wil'm,« trat er mit einem Lächeln, das mir nicht gefiel, in mein Zimmer, »hast du deine – wie du sie zu nennen beliebst – Rezepte wieder. Als Arzt weiß ich gar nichts damit anzufangen.« – »Gar nichts?« fiel ich ihm in die Rede. »Das ist arg!« »Und als Philosoph«, fuhr er echt holländisch fort, »ebensowenig.«

»Gib dein Werk aus, für was du willst, nur nicht für ein moralisches Vehikulum – dazu ist und bleibt es verdorben. Das wenige Gute, was hier und da darin, gleich Weizenkörnern unter Spreu, verstreut liegt, würde keine Hand voll dienlicher Aussaat betragen, wenn man sich auch die undankbare Mühe geben wollte, sie von ihrem Unrat zu sichten. Und wem könnte am Ende auch wohl auf einem Erdstrich, der von Kultur so strotzt, wie dein Vaterland, mit solch einer Kleinigkeit gedient sein?« Ich runzelte die Stirn und schlug die Augen zu Boden. »Deine Offenherzigkeit,« fuhr er nach einer zwar kleinen, aber doch immer sehr demütigenden Pause fort, »und die Wahrheit deiner Ohrenbeichte, ob sie schon der neugierigste Sündenerforscher weniger treu wünschen würde, verdient indes –« ich schöpfte wieder Atem – »einige Schonung. Es steht vielleicht zu hoffen, daß sie manchen Verstockten, der sich vor Priestern und Leviten weiß brennt, zum erstenmal schamrot mache – Gott gebe, daß es nur nicht auch in weiblichen Engeln das Blut hebt! – und dies ist beinahe das einzige, was mich abhält, auf gänzliche Unterdrückung deiner buntscheckigen Selbstbekenntnisse zu stimmen. Möglich auch, daß sie andere, der Sittlichkeit noch schädlichere Schriften, sophistische Romane, kasuistische Betrügereien, aus den Lesezirkeln verdrängen, und so kann man freilich nicht wissen, ob du nicht zufällig der Welt wohl gar noch einen Ritterdienst leistest.«

»Die scharfe Lauge, welche Kunstrichter«, setzte er ironisch hinzu, »über den Verfasser ausgießen werden, soll es übrigens wohl verhindern, daß dieser nützlichen Tagebücher nicht zu viele entstehen, denn ihre Vervielfältigung könnte leicht ein anderes Unglück anrichten, das den, ohnehin zweideutigen Wert des deinigen weit überwöge, nämlich« – ich horchte hoch auf – »daß leichtsinnige, kurzsichtige Jünglinge die Fehltritte, deren du auf deiner paarmonatlichen Reise so viele begingst, und unbefangener, als nötig war, eingestehst, für den, allen vernünftigen Menschen gewöhnlichen Fortgang zur Erkenntnis hielten, und aus Furcht, eine Ausnahme zu machen, immer weiter von der rechten Straße abkämen.« Ich war heilfroh, daß der liebe Strafprediger abgerufen ward, aber er kam nur zu bald, und zugleich auf seinen verlassenen Text wieder zurück. »Da haben wir«, warf er ingrimmig seinen Hut in die Ecke, »die Folgen eines unbewachten Lebens in terminis. Eben komme ich von dem Bette des Elends eines jungen Mannes, der mit der langwierigsten aller Todesarten – mit der Schwindsucht kämpft, und Vergehungen an der wohltätigen Natur mit der Rückendarre büßen muß. Wehmütig hängen seine hohlen an den großen blauen, tränenden Augen einer ihm seit kurzem unverdient zuteil gewordenen liebenswürdigen Gemahlin, deren Umarmung ich ihm als einen Meuchelmord untersagt habe, durch den er die Schuld seiner Selbstentleibung – es ist schrecklich zu denken – noch in der Verwesung bis zum Greuel seines Andenkens vergrößern, und über seinen Grabhügel eine Saat von Nesseln verbreiten würde.«

»Die einst so frischen Bilder seiner, der Wollust geopferten Tage umgaukeln jetzt als verzerrte Masken sein Lager, und jene grausamen Spielwerke seiner tändelnden Hand, jene der Unschuld abgelockten Schleier, fallen jetzt, als so viele drückende Leichentücher, über sein brennendes Haupt. Bange, schlaflose Stunden treten an die Stelle verlaufener flüchtiger Freuden, und verkümmern ihm, gleich unbarmherzigen Gläubigern, die Schlußrechnung seines vergeudeten Lebens. Ärzte, Philosophen und Priester stehen niedergeschlagenen Gesichts vor dem nach Beruhigung Ächzenden; denn welche Kunst und Wissenschaft vermöchte solch ein Verschmachten, diese Seelenangst, dies Grausen vor der Zukunft zu heben?« »Halt ein, lieber Jerom,« unterbrach ich ihn, »solche schauderhafte Gemälde kann nur ein Arzt, wie du, kann nur ein Zergliederer entwerfen, der eines schneidenden Messers gewohnt ist.« »Nein,« erwiderte er, »ich stelle dir nur eine von den täglichen Erfahrungen für jeden Beobachter entgegen, der seine Augen gebrauchen will. Dir selbst sind ähnliche Trauergestalten auf deinen Schleichwegen begegnet, du hast sie oft treu genug abgezeichnet, aber ihren Eindruck immer wieder durch schnellen Übergang zu andern leichtfertigen Bildern geschwächt. Das ist der größte Vorwurf, den ich deiner Art zu malen mache, ob ich dich gleich zu gut kenne, um dir eine gottlose Absicht dabei Schuld zu geben.«

»Kannst du, zum Beispiel, bei der öffentlichen Ausstellung, die du vorhast, und zu der sich, wie gewöhnlich, gewiß mehr neugierige, unerfahrne Müßiggänger drängen werden, als unbestechbare Kenner, jenen Avignonischen Zeichnungen ihre verführerische Wirkung benehmen?« »Ja, das kann ich,« hielt ich ihn beim Ärmel, da ihn eben ein Billett von einer kritzelnden weiblichen Hand, bei dessen Durchlesen er die seine einigemal an die Stirne, und die Augen mit sichtbarem Entsetzen in die Höhe schlug, schnell auszugehen nötigte, »wenn du mir erlaubst, nur diesen einzigen Fall deiner Praxis in mein Tagebuch einzutragen, ich will dich auch gern nicht über den Brief noch abhören, der dich eben so gewaltig erschreckt hat. Für meine Kunden wird schon dieser Erguß deines empörten menschlichen Herzens hinlänglich und der beste Temperirtrank sein, den ich ihnen neben jenen französischen Philtres vorsetzen kann, die ich an der Grenze gegen deutsche Quacksalbereien eintauschte. Es müßte doch wunderlich zugehen, wenn sie nicht ihre eigene Vernunft über den Gebrauch des einen und den Mißbrauch der andern verständigte.« »Meinst du?« brach er die Unterredung kurz ab, nahm seinen Hut und überließ mich meinem Protokolle.

Und so möge denn meine Hoffnung zu euch, ihr meine jungen, leicht zu befangenden, oft allzugefälligen Leser nicht fehlschlagen!

Vorstehendes Gespräch mit einem der ehrlichsten Laboranten guter Tisanen für Körper und Geist, das ich euch so frisch hinreiche, als jene Frühlings- und Herbstblumen, die ich, ein bloßer Dilettant in der Botanik, mit Kletten und Disteln, bunt durch einander, wie sie mir auf meinen Wanderungen in die Augen fielen, zu einem Strauß band, ist mir, ich gestehe es, schwer über die Feder gegangen.

Dafür aber auch, dachte ich, muß diese heroische Verleugnung der Eigenliebe am Schluß eines Tagebuchs in allen guten Seelen eine ganz andere Rührung bewirken, als der Eingang der Selbstbekenntnisse meines großen Vorgängers. Gutmütiger, fühle ich mit innerer Zufriedenheit, hat sich wohl nie ein deutscher Autor gegen seine Leser, und weniger schlau gegen die Rezensenten benommen. Ja, selbst, wenn jene – ich erstaune über die männliche Entschlossenheit meines Herzens – auch noch St. Sauveurs Brief einzusehen, und diese, die sich auch damit nicht abfertigen lassen, eine Geißelung von meinen eigenen Händen verlangen, die bis aufs Blut geht. Auch das! Man lasse mich nur erst Berlin und meine Studierstube wieder erreicht haben.

*

Den 1. April

Heute also, nachmittags, will Jerom mich mit der Seltenheit seines Landes, auf die er mich vorgestern vertröstete, bekannt machen, die wir selbst, setzte er jetzt noch hinzu, während unsern akademischen Lehrjahren, wo uns doch kaum etwas unglaublich vorkam, nicht für möglich würden gehalten haben, und was bis jetzt noch in keinem bekannten Erdstrich, außer Italien, zur Reife gediehen wäre. »Im Freien?« fragte ich. Er bejahete es. »Nun, so wird es Zuckerrohr, Ananas, oder wohl gar die beste Frucht der Welt, die Mangostine sein, die ich auf St. Sauveurs Hochzeit, eingemacht nur, schon über allen Ausdruck vortrefflich fand.« Er ging von mir, ohne zu antworten, bestellte die Mahlzeit eine Stunde früher und zugleich den RoefRoef – ein von den übrigen Passagiers abgesonderter Raum auf einer holländischen Treckschüte. für uns beide allein auf der Amsterdamer Treckschüte.

Mag es doch sein, was es will! Nil admirari war Rousseaus Devise und soll auch von heute an die meinige sein.

Wenn du etwan dachtest, ich sei zur Feier des heutigen Tages in April geschickt worden, so hast du zu früh gelacht, guter Freund. Nein, ich habe heute, an dem letzten Abend meines Hierseins und sonach recht zur gelegenen Zeit einen in der Tat höchst merkwürdigen Schlußstein für das Gewölbe meines Tagebuchs nach Hause gebracht, und lasse nunmehr der patriotischen Behauptung Jeroms volle Gerechtigkeit widerfahren. Für die unserer Maschine so nötige Erholung nach einer guten Mahlzeit kenne ich doch nichts Zweckmäßigeres, als eine holländische Treckschüte. Unsere Fahrt wie auf Öl, von Leiden bis zu einem der nächsten Dörfchen, dauerte etwa drei Viertelstunden.

Nachdem wir zwischen den freundlichen Gestaden des Kanals, wie an den Säumen eines aufgerollten Atlasbandes, vielen kaufmännischen Ruhepunkten zum Naturgenuß eines Tages in der Woche, mehrern hölzernen Landungsplätzen am Rande, unzähligen Warnungstafeln vor Fußangeln, den Schlangenstäben manches Merkurs, der als Hausgötze von seinem Hochalter über die Hecken blickte, und allen den tönernen Famas, die zu blasen drohten, glücklich vorbei, kraft eines Enterhakens an einen Fußsteig ausgesetzt wurden, der hundert Schritte davon einem kleinen Flecken zuführte, stand Jerom auf einmal bei einer freiliegenden Bude, gleich einer Laterne, still, aus der uns, unter einem Aufbau lieblicher Blumen und Früchte, ein noch anlockenderes Mädchengesicht entgegenfunkelte.

Die Schöne, als hätte sie unsern Besuch erwartet, öffnete – und ich blickte verwundert auf meinen Anführer – ihre Glastüre.

Er trat mit mir ein, schob den Nachtriegel vor, ließ die flornen Vorhänge an den Fenstern herunter und versetzte uns in eine künstliche Dämmerung, vor der ich beinahe erschrak. »Wie gefällt dir«, raunte er mir nun halb laut ins Ohr, »dies liebe Kind?« und reichte ihr vertraulich die Hand. Ach, mehr als zu wohl, dachte ich, aber zu einem Naturwunder gehört doch noch mehr, als ein paar blaue, schmachtende Augen, ein lächelnder, rosiger Mund und Grübchen – zum Versinken des Kusses – in den verschämten Wangen. Er schien der Entwicklung meiner Gedanken, Schritt vor Schritt, wie ein in der Gegend einheimischer abgefeimter Spion zu folgen, und brach sein listiges Stillschweigen endlich mit der verfänglichsten Gewissensfrage: »Du hast, lieber Wil'm, ich weiß es, vieles Schöne und Ausgezeichnete in der weiblichen Welt, aber hast du wohl je mehr anspruchslose Grazie, eine unverstecktere reine Seele in einer fröhlichern jungfräulichern Bildung gesehen, als die, mit der ich heute einen so lüsternen Reisenden, als du bist – in April schicke?« Ob ich je etwas Reizenderes gesehen habe? fing ich heimlich seine Frage auf. – O ja! Margots Jugend blühte einem noch reichlichern Erntefeste entgegen, Klärchen konnte die Augen noch sittsamer niederschlagen, ohne daß sie mich in April schickte, und, o mein Gott! vollends Agathe; aber wie kann der ehrliche Mann ein unschuldiges Mädchen, gleich einem Sklavenhändler zu Tunis, so ins Gesicht loben! Die Kleine konnte vor Verlegenheit kaum atmen, ob sie schon an solche Ausstellungen einigermaßen gewohnt schien. Ich fühlte immer mehr Mitleiden mit ihrer beleidigten Bescheidenheit, je länger ich das bängliche Steigen und Sinken ihres mousselinenen Halstuchs verfolgte. »Nun, lieber Wil'm,« weckte mich endlich Jerom aus meiner tiefen Betrachtung, »du willst ja ein Physiognomist sein; errätst du noch immer nicht?« »Was soll ich denn erraten?« staunte ich schweigend bald ihn, bald die rätselhafte Blumenhändlerin an. »So wisse denn,« zog er mich nach einer peinlichen Weile, durch die er meine Zweifelsucht von vorgestern nur zu sehr bestrafte, aus meiner lächerlichen Ungewißheit, »daß unter dieser jugendlich kostbaren Hülle, erröten Sie nur nicht zu sehr, gutes Kind, ein noch größerer Vorzug verborgen liegt, der nicht für so national, als jene, sondern für eine, unter unserm Horizont ganz unerhörte Seltenheit gelten muß, eine, warum wirst du so unruhig, Wil'm? eine ländliche Muse, eine holländische Improvisatorin.« – »Du willst scherzen,« zischelte ich ihm mit ganz sonderbar beklemmter Brust ins Ohr. »Nichts weniger,« antwortete er laut. »Du hast doch Pergament und Bleistift bei dir? Nicht wahr, liebe Emilie, Sie erlauben diesem ungläubigen Herrn, die Probe mit Ihnen zu machen?« Diesen Ausgang hatte das schöne Landmädchen vermutlich besser vorausgesehen, als ich. Daher ihre vorige schamhafte Verlegenheit und ihr jetziges freundliches Nachgeben. »Ich würde es nicht wagen,« stotterte sie in angenehmer Verwirrung, »meinen Waldgesang einem Ohre vorzutönen, das durch große Virtuosen so verwöhnt ist, als ein deutsches, aber mein Arzt, mein Beschützer, verlangt es, und ich bitte Sie, mein Herr, mir ein beliebiges Thema anzugeben, aber ja nur eins, das mir nicht fremd ist und keinen Tiefsinn verlangt.« »Nun, bei Gott!« erwiderte ich und schlich in der Tasche meiner Schreibtafel nach, »wenn es Ernst ist, so wüßte ich kein schicklicheres vorzuschlagen, als Ihr eigenes schönes Gewerbe, das für die phantasierende Dichtkunst wie gemacht ist, mit einem freundlichen Hinblick,« setzte ich scherzend hinzu, »auf Ihren ausländischen Zuhörer, denn er handelt auch mit Blumen und Früchten wie Sie.« »Ja,« fiel mir der ironische Jerom ins Wort, »nur mit dem Unterschied, daß die seinigen Sprößlinge einer verdorbenen Einbildungskraft und in den österreichischen und andern ehrbaren Staaten Kontreband und verboten sind.« Das unschuldige Landmädchen stutzte, und ich war höchst ungehalten auf den Schwätzer, der jedoch auf das artigste wieder einlenkte. »So sprechen wenigstens,« lächelte er, »geschworne Fiskale, verunglückte Spediteurs verlegener und im Preis gefallener Spezereien, Krämer, Höker und Aufkäufer, die gern den Alleinhandel auf dem Markte mit geschmacklosem Konfekt und dürrem Obste forttrieben und scheelsüchtig ihren alten Kunden nachblicken, wenn sie, ihren prahlenden Magazinen vorbei, der natürlichen Gottesgabe zuströmen, die der junge Herr sich nicht einmal die Mühe gibt, etwa durch bezahlte Zettelträger auszurufen und anzupreisen, um ihnen Abgang zu verschaffen.«

Ich wußte nicht recht, wie ich mit dem Redner daran war. Er traf zwar meine Gedanken so ziemlich, aber ich stehe doch nicht davor, ob seiner feingedrehten Erläuterung nicht eine neue Spötterei unterlag. Die kleine, allerliebste Aktrice nahm jetzt eine ganz andere, recht malerische Stellung an. Nach der Bewegung ihrer niedlichen Hände gegen die Strohkörbchen voll Erdbeeren, Schoten und frühzeitigen Pfirsichen – nach der Wendung ihrer bescheidenen Augen gegen die chinesischen Vasen mit Rosen und Hyazinthen – und nach andern kleinen erlaubten Kunstgriffen zu urteilen, schien sie sich einen Schwarm Marktleute vorzustellen, von denen die meisten aus Leckerei, einige aus Neugier, die wenigsten aus eigentlichem Bedürfnis die Bude umringten. Aus ihrem Mienenspiel ließ sich ohne Schwierigkeit erraten, daß sie die einen beizulocken, die andern zu entfernen, und wenn neidische Aufpasser darunter wären, ihnen im Vorbeigehen einen Kirschkern auf die Nase zu schnellen im Sinn hatte.

Holländische Volkslieder sind nicht leicht ins Deutsche zu übertragen, doch bin ich nach Möglichkeit der jungen Blumenverkäuferin auf ihrem poetischen Ausflug so treu nachgeschwebt, als ich es auf ihrem prosaischen Lebensgang tun würde, wenn es nur meine Zeit und Agathe erlaubten. Ich teile dir, lieber Eduard, von dem Erguß ihres freispielenden Geistes so viel mit, als meine schwere deutsche Bleifeder nur auffassen konnte. Hätte sie aber auch keinen Tropfen unterweges verschüttet, so würden dem schönen Ganzen doch immer noch die Apostrophen ihrer Augen, ihre sonorische Stimme und die rednerischen Übergänge ihres belebten Busens fehlen, um auf andere Ohren denselben Eindruck zu machen, als auf die meinigen. Oh, daß doch in meinem Vaterlande eine gewisse gleich liebenswürdige Emilie, die, obgleich des erhabenen Ossians Freundin, doch auch in etwas die meine ist, es in einer warmen Sommerstunde versuchen möchte, meine Orangen und Amathusäpfel auszurufen. Ich wette auf Leib und Leben, sie fänden in allen Häusern Eingang und Käufer unten dieser Bedingung.

Unbefangen, wie ein gutes Kind, lächelte die kleine Holländerin, hüstelte ein wenig und stimmte an:

Behagten euch nur solche Waren,
Wie sie, gestempelt und verzollt,
Minervens Polterkarrn von Jahren
Zu Jahren auf die Märkte rollt;

So, Freunde, schlüpfet ihr vergebens
In meine Bude. Ein Gericht
Zur Stärkung auf den Gang des Lebens
Ist höchstens, was sie euch verspricht.

Ich hab' auf meinen Rasentischen
Nur Näschereien ausgelegt,
Die mir, den Wandrer zu erfrischen,
Mein Gärtchen leicht zusammen trägt.

Ist gleich mein Blumenkranz kein Zeichen
Für eine Modehändlerin,
So lockt er doch, denn bei ihm streichen
Der Fahrweg und der Fußsteig hin.

Auch graut der Morgen kaum, so halten,
Wie Wetter, Wind und Zufall will,
Oft unerwartete Gestalten
An meiner Tonnen-Nische still.

Wie viele nähern meinem Zaune
Sich nicht um eine Handvoll Schlehn,
Wenn Bücherüberdruß und Laune
Mit ihrem Geist ins Grüne gehn.

Den Richter, der mit krauser Stirne
Zu einer Ehescheidung trabt,
Hat manchmal eine Jungferbirne
Aus meinem Weidenkorb gelabt.

Aus meinem tönernen Pokale
Berauschte jüngst ein Priester sich,
Als er nach seinem Filiale,
Mit Schweiß betropft, vorüber schlich.

Dem Mädchen, das, vom Stadtgewürze
Erhitzt, aufs Land nach Kühlung läuft,
Hab' ich, zu Pfunden, oft die Schürze
Mit Mirabellen angehäuft.

Bald find' ich eine Federspule,
Bald eine Musterschrift im Gras,
Die ein Entlaufener der Schule
Im Morgenschmaus bei mir vergaß.

So oft sich meine Körbchen leeren,
Rück' ich mit neu gefüllten vor,
Mein Kontobuch? – – kann ich beschwören
So gut als Rousseau seins beschwor.

Um vieles zwar säß' ich bequemer,
Wohl gar am Rathaus unter Dach,
Ahmt' ich dem Proteus unsrer Krämer
In seinen Handelskünsten nach;

Der bald mit Perlen ferner Flüsse,
Mit Gold aus Ophir Wucher treibt,
Sein Salz und seine tauben Nüsse
Nur aus Elysium verschreibt;

Bald Engelsreinigkeit den Narben
Gefallner Unschuld unterschiebt,
Glanz dem Betrug und Rosenfarben
Verblühten Wangen wiedergibt;

Bald auf dem Wollenraub der Herde,
Die ihn umblöket, eingewiegt,
Im Traum die mütterliche Erde
Bis an den Himmel überfliegt,

Und wohl noch wähnt, vom nächsten Sterne
Herabgeschneuzt und fortgeschnellt,
Er sei die größte Blendlaterne,
Die je das Weltall aufgehellt.

Doch, was ein Irrwisch aufgekläret,
Bleicht bald am Lichte der Natur;
Was sie erzeugt, ist nur bewähret,
Was sie bewährt, erhält sich nur.

Ich will dir nicht zumuten, Eduard, diese Verse für so geist- und gedankenreich zu halten, als die Schillerschen und Vossischen sind, muß aber auch billig eingestehen, daß es weniger die Schuld des Originals, als der Übersetzung ist. Trotz seines verwischten Kolorits, denke ich doch, soll es als Impromptu eines jungen holländischen Landmädchens immer noch die Ehre des Drucks so gut verdienen, als so manches in unsern poetischen Wäldern.

Ich bin mit Jerom völlig einverstanden, daß, wenn auch unter der Torfasche dieses Moorlandes hier und da ein Funken dichterischen Feuers glimmen sollte, zu selten doch einer davon in Flammen schlägt, als daß nicht die ihrige für ein Meteor gelten müsse; und ich kann es keinem ihrer Mitbürger verdenken, der im Vorbeigehen sich einige Minuten von seinen Geschäften abmüßigt, bei ihr einspricht, um nur wundershalber zu sehen, wie sich ein roher gemeiner Gedanke polieren läßt. Wer wollte der kleinen Poetin nicht gern ihre Gartengewächse zehnfach teurer bezahlen, als einer prosaischen Hökin, zumal da jeder ohne große Spekulation berechnen kann, daß sie durch diesen Handel, dem, so gering er scheint, doch auch kein drückenderes Kapital unterliegt, als das ihr Flora und Pomona vorstrecken und Klio verzinst, schnurgerade der wahren holländischen Ehre entgegensteigt, reich, eine, wie man es nennt, gute Partie, und zuletzt wohl gar eine bedeutende Person in der Republik zu werden. Läßt sich's denn nicht erwarten, daß ein junger spekulativer Kopf auf dem romantischen, immer offenen Gang nach ihrem Kontor, gelegentlich auf den klugen Gedanken geraten könne, die schöne Sängerin samt ihrem jungfräulichen Erwerb in das seine zu verlocken? Er widme, wäre in diesem Falle mein unmaßgeblicher Rat, nur sechs, sieben Abendstunden der Woche zur Erholung nach getaner Arbeit ihrem Besuche, lege zur Einleitung seines Kaufgeschäfts ihrer Muse erst eine unbedeutende laue, dann eine wärmere, darauf eine heißere und zuletzt täglich eine immer brennendere Empfindung nach der anderen, ohne die entferntere Hindeutung auf sie, bloß zum Spielwerk ihrer dichterischen Ausbildung vor, und finde keine hinwelkende Blume, die seine Vorgänger am Tage übrig ließen, am Abend zu teuer, um sie nicht zu ihrem Andenken nach Hause zu tragen. Das gute Kind, das nichts Gefährlicheres dahinter versteckt glaubt, als woran es, seitdem sie zwei Worte zusammenreimen kann, gewöhnt ist, wird es, wie eine gereizte Nachtigall, immer schöner zu machen suchen und macht es immer schöner, bis sich ihre Federn sträuben und ihr das Herzchen darüber selbst zu pochen anfängt.

Ach, ich müßte mich sehr irren, wenn die sanfte, unmerkliche Verschmelzung stündlich wachsender männlicher Baßnoten mit melodischem weiblichem Diskant, nicht zuletzt auf der Tonleiter des Lebens einen Einklang hervorbrächte, der nur einer mondhellen Nacht bedarf, um in das beredte Flüstern des Verlobungskusses überzugehen. Alsdann? Nun, mein Gott, wäre es alsdann wohl so etwas Unerhörtes, wenn in der Folge der merkantilische Umtrieb der einzelnen Groschen und Taler, die sie ohne große Mühe und Kosten ersang, ihre Strohkörbchen, irdenen Äsche und Vasen in Tonnen Goldes verwandelte, die freilich einen ganz anderen Respekt einflößen, als alles, was sie uns dermalen noch auf dem Gebiete der Natur Schönes und Gutes auftischt. Welche frohe Zukunft kann sich diese holländische Karschin nicht versprechen! wenn sie einst nicht mehr nötig hat, an der Landstraße auf neugierige Käufer zu lauern, ihnen Rede zu stehen und jeden schalen Gedanken, den sie auskramen, in Verse umzusetzen, die, ihre heutigen ausgenommen, noch nie eine Druckerpresse erreicht haben. Dann erst wird sie sich fühlen und gebieten lernen, ihren eigenen guten Einfällen folgen, und, indem sie mit heiterer Laune den glücklichen Erdstrich segnet, der den Keim ihres Talents als eine Wunderpflanze in Nahrung setzte, mit mitleidigem Lächeln auf unsere deutschen Witzkrämer und ihre Ladenhüter herabsehen. Sogar auf der Börse, wo Apoll und seine Anhänger sonst wenig Kredit haben, werden die vielen Nieten, die zum großen Lose ihres Heiratsgutes beitrugen, den jungen Anfänger beneiden, dem es zufiel. Und doch, Eduard, würde mir das liebe Kind in der vornehmen Lage, in der ich zurzeit noch keine der Musen sah, trotz der vollen Beutel, die Merkur ihr in den Schoß schüttet, schwerlich besser gefallen, als jetzt mit fliegendem Haar, ländlichem Mieder unter ihren Blumen und Früchten. Ich wählte mir aus jenen ein freundliches Rosenknöspchen, der Ähnlichkeit ihrer Lippen, und ein Noli me tangere, der Unschuld wegen, die darauf ruhte, aus diesen aber ein paar tetons de Venus, die Linnée unter allen Pfirsichen für die schmackhaftesten hält. Höher sind mir aber in meinem lüsternen Leben keine zu stehen gekommen. Die liebe unbefangene Verkäuferin errötete selbst über meine unmäßige Freigebigkeit, und Jerom schüttelte den Kopf dazu. Oh, hätten nur beide gewußt, woher sie entsprang. Sie hatte solche, im Vertrauen gesagt, weder dem Vorüberflug ihrer funkelnden Augen, noch den gleich vergänglichen Tönen ihres Mundes, sondern den Lorberblättern zu verdanken, die ich in meiner Schreibtafel aus ihrem Glashause mitnahm, um das Monument meiner Jugendreise damit zu krönen. Ja, Eduard, der anspruchslose Waldgesang der liebenswürdigen Emilie beschließe mein Tagebuch. Hört man nicht alle möglichen Epiloge am liebsten aus dem Munde eines schönen unschuldigen Kindes, und kann man ein Konzert wohl artiger endigen, als mit einer unverdorbenen weiblichen Singstimme?

Wohl wahr! und doch ist es dem menschlichen Herzen eigen, daß keins, je behaglicher es auf dem Musikstrom fortschwimmt, ohne Unruhe an den letzten Bogenstrich, der ihn dämmt, ohne Verdruß an die sterbende Note denken kann, unter der sich ein sanftes Andante auflöset. Der wahre Virtuose fürchtet, wie seine lauschenden Zuhörer, im voraus die Totenstille des Saals, die nachfolgt, und so sah auch ich im Vorgefühl meines baldigen Verstummens dem lieben epilogierenden Kinde mit traurigem Nachdenken in das liebliche Gesicht; Jerom mußte mich mehr als einmal an das Fortgehen erinnern, und doch zögerte ich, bis das Glöckchen-Geläute der letzten abgehenden Treckschüte mir durch alle Glieder fuhr, und als ich nun in überströmender Zärtlichkeit dem guten Mädchen noch einmal meine Hand bot, ward mir so weinerlich zumute, als ob ich von ihrem ganzen lieblichen Geschlecht, samt den neun Musen, ewigen Abschied nähme. So lange ich auf der Rückfahrt das schmucke Tempelchen noch in der Abendsonne blinken sah, war es mir nicht möglich, meine Augen nach einer andern Seite, meine Phantasie auf einen geringern Gegenstand, als auf die Nymphe zu richten, die es bewohnte. Ich schrieb ihrer Jugend, Schönheit, Unschuld und ihrem poetischen Talente so viele Festtage zugute, daß ich bis ans Leidener Tor nichts zu tun hatte, als sie, wie ein Mönch das Bild seiner Heiligen, aus- und anzukleiden, und mich vor ihrer Nische auf die Knie zu werfen. Ich erbat ihr allen Segen des Himmels zu ihrem jungfräulichen Gewerbe, das doch gewiß, man sage auch, was man will, ohne Vergleich edler, lauterer und schmeichelhafter für ihre Kunden ist, als jenes, das ehemals die Haarlemer Wirtin zum schwarzen Bock, und was sie etwa sonst noch, um Gäste beizulocken, im Schilde führte, auf eine Art trieb, die der lieben kleinen und, auf allen Seiten betrachtet, gewiß zehnmal reizendern Emilie nicht im Schlaf einfallen würde. Das soll aber auch das letzte Wort für dich und meine zukünftigen Leser sein. Morgen mit dem frühesten verlasse ich meinen Jugend- und Schulfreund, den würdigen Jerom. Er begleitete mich gern eine Strecke Weges, aber seine Kranken halten ihn bei dem Ärmel. In einigen Tagen hoffe ich, ach, welcher freudenvolle Gedanke, Eduard! dich an mein Herz zu drücken. Denn da mich die himmlischen Gestirne während meiner Seereise um den Tag, auf dem ich zur Hochzeit des märkischen Barons geladen war, eben so richtig gebracht haben, als sich durch ihren Einfluß der Weltumsegler Anson bei seiner Landung an der vaterländischen Küste, zu seiner großen Verwunderung, um einen in der laufenden Woche verkürzt sah; so kann mich nichts mehr, weder das Kalenderfest jenes schätzbaren Mannes, noch sonst ein Abweg auf meinem geraden Fluge in deine Arme aufhalten.

Mein Glückwunsch zu der schlau verzögerten Besitznahme seiner Karoline soll das erste Geschäft am meinem Schreibtisch zu Berlin sein; übrigens mögen immer noch Jahr und Tage hingehen, ehe ich meinen versprochenen Besuch bei ihm nachhole, da sich indes auch wohl sein System vom ehelichen Glück mehr aufgeklärt haben wird, um es ruhiger und richtiger beurteilen zu können, als in den ersten Probetagen. Es soll mir lieb sein, wenn sein schönes Weib, ein saugendes Kind an der Brust, das durch den Aufschub seines Daseins während des Herumstreifens des Vaters nicht verloren hat, wenn sein mit den kostbarsten Bruchstücken des Altertums und der neuern Erfindungen der Bequemlichkeit zusammengesetzter ländlicher Palast, glänzende Säle, die den Geist aller Nationen vereinigen, Wände mit den Meisterwerken der Tiziane und Raphaele verziert, wenn täglich erneuerte Wunder der Kochkunst, fröhliche Gärten und im ganzen genommen die Benutzung der freigebigen Natur zur Veredlung menschlicher Bedürfnisse, wenn, sage ich, diese Bedingungen schwesterlich vereint ineinander greifen, um die sonderbare Propheten-Epistel des wirtschaftlichen Landjunkers auf das kräftigste zu widerlegen. Warf dieser Eiferer gegen die Wohltaten des guten Geschmacks, seinem reisenden Feldnachbar wohl aus einer wichtigern Ursache jene Spitzfindigkeiten in den Weg, als weil solcher nach einer andern Rechnung ein Dritteil seines Gebens verwendete, um dessen Überrest mit den möglichsten Annehmlichkeiten zu verschönern, die unser Planet darbietet? Darf aber auch die fleißigste Ameise den Adler, der über ihr in die Wolken steigt, tadeln, daß nicht auch er auf dem Erdhaufen, der ihrer Zufriedenheit genügt, die seinige sucht? Du findest irdendwo in meinem Tagebuche den Eingang seines Pamphlets, und die Fortsetzung bringe ich dir auch mit. Oh, ich werde mich gern, ohne mich an sein Geschwätz zu kehren, dem Versuche hingeben, ob man nicht auf dem geschmackvollen Landsitze eines unter so vollständigen Rücksichten gereisten Freundes, den Lauf der Stunden besser als im Auslande erheitern, das Glück des Schlafs geschwinder als mit Postpferden erreichen, und sein kaltes Blut, so viel als zuträglich ist, in dem Strahle der dunstfreien Sonne oder vor einem Kamine erwärmen kann, dem nichts Belebteres gegenüber lauscht, als das Ideal einer Hebe oder Klärchens Bildnis mit seinen – ach! so mannigfaltigen Erinnerungen.

Jetzt lacht mir nun von weitem die königliche Hauptstadt und dein Assembleesaal unter den anlockendsten Versprechungen in die Augen. Sie werden ein Weile Wort halten, aber auf die Länge traue ich ihnen doch nicht. Was soll ich nun, in dem gesetzten Fall, mit mir anfangen, wenn Überdruß an dem ewigen Zirkelgang eurer Gesellschaften und Schmäuse, Langeweile an den Spieltischen und Mißmut über den unnützen Verbrauch meiner bessern Kräfte, sich aufs neue meiner Seele bemeistern? Zur Wiederholung der Torheit, die mir zehn Bände böser Erfahrungen eintrug, ist mir auf immer die Lust vergangen, und auf meine Studierstube darf ich vollends nicht rechnen, denn das unbelohnte Bebrüten fremder Kuckukseier ist mir zum Ekel geworden, viele andere Irrtümer ungerechnet, die mich gar sehr gewitzigt haben.

Der Freuden der Welt, sagt man zwar, gäbe es viele, aber wo ist denn eine, die nicht durch den täglichen Gebrauch uns unter den Händen verwelkte? und wo findet man immer einen Freund, wie Saint-Sauveur, der uns damit auf eine so systematische Art zu überraschen versteht, daß sie uns neuen Genuß gewähren? Was bleibt nun, da zu selten zwei gleichgestimmte Menschen auf ihrem Gange zusammentreffen, die hierin einander die Hände zu bieten Willen und Kraft haben, noch übrig, als daß jeder selbst die Mühe übernehme, auf Abwechslung seiner Kinderspiele zu denken, so gewiß auch dabei die Hälfte jenes bemächtigenden Reizes verloren geht. Wohlan! So zeichne denn sie mir den Plan meiner künftigen Lebensordnung vor, zu dem ich mir nur noch Agathens Unterschrift wünsche.

Weder an einen Ort, an ein Amt, noch an Pflichten gebunden, die ich mir nicht selbst als Weltbürger auflege, soll mir der Spielraum des Vaterlandes, wo nicht zum Schauplatz meiner merkwürdigen Taten – doch zu einem Spaziergang dienen, auf dem ich bald hier bald da eine Handvoll Samenkörner edler wohltätiger Gefühlspflanzen ausstreue, sollten sie auch dann erst keimen und gedeihen, wenn ich schon längst in seiner heiligen Erde, unter dunkeln Ahnungen und unaufhörlichem Rufen nach Licht, die letzte Leitersprosse zum Austritt in jene Warte genommen – an ihrer hellen Pforte meinen Staubmantel abgeworfen und nicht, wie hier zu befürchten habe, ein Brandopfer der Langenweile zu werden. Denn dort –

        Wenn aufgeschwungen aus dem Schlamme
Des Irdischen, mein freier Geist,
Ein Lichtteil in der Schöpfungsflamme,
Das Unermeßliche bereist,
Mit Schwanenlust im Ätherstrome
Reingeistigen Bewußtseins schwimmt,
Von einem zu dem andern Dome
Der Sterngebäude weiter glimmt,
Im Drang, die Feder zu entdecken,
Die dies geheime Uhrwerk dreht,
Mit immer freudigerm Erschrecken
Zu neuen Wundern übergeht –
Dort sei mein Tagebuch der Lehre
Abwechselnder Zufriedenheit,
Mein Wandelgang zu jeder Sphäre
Der Überraschung nur geweiht;
Denn ohne sie wie schmacklos wäre,
Bei stetem Kreislauf, mir die Ehre
    Einförmiger Unsterblichkeit!

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