Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

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Den 12. Januar.

Oh, warum kannst du nicht mit mir frühstücken, lieber Eduard! Der Morgen ist unter meinen Tageszeiten immer noch die klügste, und wo ich am ersten einen artigen Gesellschafter annehmen kann. Es sieht wieder so aufgeräumt in meiner Seele aus, wie in einem Putzzimmer, das die Nacht über von dem gestrigen Staub gereinigt wurde. Alle die schädlichen Dünste, mit denen wir es angefüllt verließen, sind nun verflogen, Spiegel und Fenster sind hell, und die verschobene Symmetrie ist – auf Gott weiß wie lange – wieder hergestellt. – Ich habe mich schon nach einem vernünftigen Geschäft umgesehen; es ist die Frage, ob ich's getroffen habe. Ich zog einen andern klugen Reisenden zu Rate, der hier immer auf meinem Tische liegt, und ward endlich einig mit mir, einen Besuch bei Notre Dame de la Garde zu machen. – Meine Erwartungen von diesem Spaziergange waren meiner Stimmung angemessen und schränkten sich auf die herrliche Aussicht auf das Meer, auf den Hunger, den ich mir ergehen würde; und auf das Vergnügen ein, die launige Beschreibung des Chapelle nun auch einmal an dem Ort selbst zu lesen, den er durch ein paar hingeworfene Zeilen berühmter gemacht hat, als es nimmermehr Philippsburg oder Spandau sein kann. Dabei ist es auch ungefähr geblieben. . . .

Die Zeit hat noch überdies manche von den Merkwürdigkeiten zerstört, die jener Reisende uns aufbehalten hat. Der Schweizer mit der Hellebarde, der damals noch am Tore der Festung Wache hielt, ist so ganz von Regen und Wind verwischt, daß man keine Spur mehr von ihm findet. Auch nicht eine Handvoll Erde bedeckt diesen Felsen mehr, auf dem zu jener Zeit die Leute noch ackern konnten, von denen er die Nachrichten erhielt, die den Kommandanten des Schlosses betrafen, das jetzt, glaube ich, nah und fern keinen mehr hat. Wüßte man nicht, daß mein würdiger Vorgänger sich so wenig in seiner Beschreibung ein unwahres Wort erlaubt hat, als ich in der meinigen, so sollte man es kaum für möglich halten, daß hundert Jahre einen fruchtbaren Berg bis zur Nacktheit abschälen könnten, in der er jetzt den zermalmenden Strahlen der Sonne bloß steht. Hätte mich nicht der eine Halbzirkel durch die Aussicht über das Meer, den Hafen und die Stadt, für die andere Hälfte entschädigt, so würden meine Augen sich sehr übel befunden haben; denn die sogenannten Lusthäuser, die sich auf den angrenzenden, ebenso kahlen Anhöhen gedrängt aneinander herumziehen, und in dem stärksten Brennpunkte der Sonne liegen, gehören, nach meinem Gefühle, unter die albernsten Einfälle, die je ausgeführt wurden. Eine so versengte Gegend als diese, die einem Baume so wenig Wurzel zu schlagen, als einem Gräschen zu keimen erlaubt, ist doch wahrlich nicht geschickt, menschlichen Geschöpfen einen Zufluchtsort gegen die Langeweile zu bieten. Oh, daß ich nicht diese artigen Tempelchen und Pavillons in die schattigen Gegenden Deutschlands versetzen, und ihnen nicht jene smaragdfarbigen Teppiche unterlegen kann, die schon den Strohhüten, die darauf kleben, das fröhlichste, lieblichste Licht mitteilen! Ach, es geht der Baukunst, wie allen andern Künsten: sie zeigt selbst in ihren prächtigsten Werken Armut und Mangel, wenn sie nicht mit der Natur, die sie umgibt, in Verhältnis stehen, da hingegen diese alles hebt und nichts verunstaltet.

Abgewendet von den prahlenden Darrböden des kaufmännischen Luxus sehnten sich nun meine Gedanken und Blicke nach den vaterländischen Gefilden; aber desto weniger behagte mir auch ein längerer Spaziergang auf dem brennenden Steinwalle dieser zitternden Landwehre. Ich strengte mich an, so gut es gehen wollte; doch eh ich den Fußsteig wieder fand, der mich herbrachte, traf ich in meiner Runde, ganz unerwartet, auf einen Ruhepunkt, der, wie du sehen wirst, meiner Erschlaffung herrlich zu statten kam. Es war Notre Dame de la Garde selbst, die mir ihn anbot. Durch eine offene vergitterte Blendung, die durch die Festungs- und Kirchenmauer zugleich geschlagen und zu einer Halle gewölbt ist, gibt sie sich hier, mit nachgelassener Etikette, zu allen Stunden der Anbetung preis, ohne daß es nötig wird, den diensthabenden Mönch aufzusuchen, um die Haupttüre zu öffnen. Diese Anlage mag zwar wohl wider alle Regeln des Vauban verstoßen; sie gereicht aber zur großen Bequemlichkeit derjenigen Pilger, die mehr noch von dem Aeolus abhangen, als von der Madonna. Da der steinerne Sitz vor der Nische durch den Vorsprung des Dachs in Schatten lag, so benutzte ich die gute Gelegenheit, bei diesem wundertätigen Bilde Abkühlung zu suchen, und, aus Mangel eines bessern Zeitvertreibs, alle die ihr geweihten Kleinodien zu betrachten, die mein Auge erreichen konnte; gewiß die sonderbarste Sammlung, die weit und breit anzutreffen sein mag . . .

So wie mich nur meine kühle Stirn und trockene Haut überzeugten, daß Unsere liebe Frau das Wunder, das ich von ihr erwartete, an mir getan hatte . . . so stieg ich, so geschwind als es anging, den schroffen Felsen hinab, dem belebten Hafen zu, der gerade zu den Füßen der Jungfrau liegt. Indem ich aber, um an den Mittelpunkt zu kommen, der die freieste Aussicht in das offene Meer gewährt, an den Häusern hinschlich, die ihn von der Stadtseite her einschließen, zog auf einmal über einer der Haustüren eine schwarze Tafel mit goldenen Buchstaben meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich blieb stehen und las:

Zu Ehren unsrer lieben Frau verschenkt
Herr Passerino, der Ex-voto-Maler,
An jeden Pilger, der, nach ihrem Thron gelenkt,
Ein Dankbild ihr zu weihen denkt,
Das Stück in Öl für einen kleinen Taler.
Auch findet man bei ihm ein seltenes Sortiment
Der meisten menschlichen Gebrechen
In Wachs – Wer deren sucht, und Künstlern von Talent
Und Billigkeit – den Vorzug gönnt,
Beliebe bei ihm einzusprechen.

Da es mir eigentlich um nichts weiter zu tun war, als die Stunde, die mir zum Mittage noch freiblieb, hinzubringen, und, ohne mich geradezu auf ein Faulbette zu strecken, von der Ermüdung meiner Wallfahrt auszuruhn, so gab ich dieser Marktschreierei – und um desto leichter Gehör, je näher sie mit jener [in] Verbindung stand, von der ich eben herkam. Du willst doch, dachte ich, die Freigebigkeit des Herrn Passerino ein wenig näher untersuchen, trat in das Haus, fragte nach dem Künstler, und kratzte mich gewaltig hinter den Ohren, als man mich vier Treppen hinauf in jene artistische Höhe wies, wohin diese Herren gemeiniglich ihre Werkstätte verlegen, wenige ausgenommen, die, wie Mengs, Dietrich, Grassy und Graff, alle und jede Licht- und Luftstrahlen der Natur überall an der Hand, und nicht nötig haben, sie erst unter dem Dache zu suchen . . .

Herr Passerino kam mir an der Treppe entgegen – denn mein Keichhusten hatte mich schon von weitem bei ihm gemeldet – und empfing mich mit so herzlicher Teilnahme, als wär ich einer seiner gebrechlichsten Kunden. Ich fand sein Dachstübchen offen zu meinem Empfange – und an ihm, wie ich recht nachsah, eine Figur, wie ich sie, doch nicht ganz so hager, schwarzgelb, schmutzig und pittoresk, erwartet hatte. Seine erste Frage war – und ich nehme sie ihm weiter nicht übel: ob ich wollte in Wachs poussiert sein? – Ich schüttelte ärgerlich den Kopf. – »Doch vielleicht ein Teil Ihrer werten Person?« fuhr er fort. – »Ich bin«, unterbrach er ihn schnaufend, »von den gesundesten Gliedmaßen – aber Ihre steile Treppe – lieber Mann – die – – –« – »Also nur ein Liebhaber der Kunst?« erwiderte er lebhaft, setzte mir einen Stuhl, und überströmte mich nun in einem Französisch, wie man es an Italiänern gewohnt ist, mit einem Schwall von Worten, die ich mir jedoch erst ins Deutsche übersetzen mußte, eh ich sie zur Not verstand. Dafür aber hat mir auch nie eine Übersetzung mehr Freude gemacht; denn sie brachte mir, treuer als keine andere, das längst vergessene Original wieder vor die Ohren. Ich horchte – stutzte – dachte nach und besann mich. – Aber kaum war ich meiner Sache gewiß, so fuhr ich mit einem Schrei auf, der eines seiner hochfliegenden Kunstwörter – ich glaube es war Clair-obscur – so geschickt im Fluge zerschnitt, daß ich die kleinere Hälfte davon, die mir zufiel, nicht für die größere vertauscht hätte, die ihm blieb. – »Um Gottes willen!« rief ich, »was für ein Wind hat Sie nach Marseille verschlagen, mein lieber Theodor Sperling? und wie kommen Sie zu dem italiänischen Namen, hinter dem ich Sie in meinem Leben nicht gesucht hätte?« – Jetzt standen wir einige Augenblicke noch stumm und erstaunt einander über. Es war eine Szene zum Malen . . . Meine Vertraulichkeit und mein Deutsch überraschte den alten Mann außerordentlich. Er gaffte mir erst mit aufgezerrten Augen in das Gesicht, und da dieses nicht ging – mit der Brille. Alles umsonst! – »Sollte es möglich sein« – stellte ich mich jetzt um einen Schritt näher vor ihn, warf mich besser in die Brust, rieb mir die Backen, und nahm die schelmische Miene an, die, wie ich glaubte, mir in meiner Jugend so gut stand – »Sollte es möglich sein, daß mich funfzehn Jahre und ein paar Zahnlücken so unkenntlich gemacht hätten?« – Er starrte mich noch immer stillschweigend an. Es blieb mir nichts übrig, um ihn und mich aus unserer peinlichen Lage zu ziehen, als den blinden vergeßlichen Mann noch weiter zurück – in meine Schulstube zu führen. »Mein alter Freund und Lehrer!« stimmte ich unter einer herzlichen Umarmung an, »erinnern Sie sich denn gar nicht mehr des jungen Flüchtlings, dem Sie in der Zeichenkunst, in der Perspektive und der Architektur so mannigfaltigen Unterricht gaben? – gar nicht mehr des Meisterstücks Ihres Pinsels – der wolligen Angola, an der Sie – nach drei fleißigen Jahren doch noch – den Schwanz zu malen hatten – als sie starb?« – Dieser Lichtstrahl tat Wirkung. Jetzt schlug das gute Geschöpf seine dürren Hände um mich und seine gelben Augen gen Himmel; aber noch mußte er erst der Erinnerung einige bittere Tränen, einige tief geholte Seufzer zollen, eh er zu sprechen vermochte. – »Ach, mein teuerster Herr und Freund!« stammelte er nun, »sein Sie tausendmal meinem Herzen willkommen! Was für ein glücklicher Stern hat Sie in meine einsame Wohnung geleitet, in der ich sonst nur arme Schiffbrüchige und andre durch Kalamitäten ausgezeichnete Menschen zu sehen bekomme, und selten einen Mann, der Wärme für die ewige Kunst fühlt? Ich bin schon vierzehn volle Jahre von meinem Vetter in Anspach und aus meinem Vaterlande entfernt, das, nur zu gewiß, stille Verdienste nicht zu schätzen weiß, und führe seitdem hier – aber auch hier, ein kümmerliches Leben. Wie tief habe ich mich herabstimmen müssen, um nur Brot zu haben! – Einiges, mein teuerster Gönner, ist auf meiner Tafel zu lesen – aber wahrlich, das sind noch lange nicht die schlechtesten Arbeiten, die ich – – –« – »Lassen Sie uns ein andermal darüber sprechen,« unterbrach ich ihn, »und wenn Sie heute mein Gast sein wollen, lieber Sperling, so ziehen Sie sich nur geschwind an und begleiten mich zum Heiligen Geiste – vorausgesetzt, daß ich Sie von nichts Besserm abhalte.« – »Ach, wovon wollten Sie?« sagte der gute Alte. – »So einen vergnügten Mittag hätte ich mir heute nicht träumen lassen. – Ich werde den Augenblick wieder bei der Hand sein.« – Nach einigen Minuten trat er geputzt aus seiner Kammer, und gewiß, ich irre mich nicht, Eduard, in demselben Sonntagskleide, das dir so gut noch erinnerlich sein wird als mir, nur daß der jugendliche Troquet eine ernsthaftere Miene angenommen, und sein verschossenes Papageigrün mit einem tüchtigen Kastanienbraun vertauscht hatte.

Ich hätte gewiß keinen Gast auftreiben können, der weniger nach der Mode gekleidet und mir doch lieber gewesen wäre, als er. Du weißt zwar, wie ich zeichne, und wie es mit meiner Baukunst aussieht; aber daran dachte ich nicht. Es klebte ihm ein Verdienst an, das ihn meinem Herzen auf das rührendste empfahl, und keinen Vorwurf gegen ihn aufkommen ließ – die lebhafte Erinnerung meiner Jugend. – Ja, Freund, ich hätte ihn, wie ein Fürst seinen Hofmeister, belohnen – sein aufgefärbtes Staatskleid mit einem Orden verzieren, und ihm, trotz seines mißlungenen Unterrichts, ein gutes Jahrgeld anweisen mögen, so durchdrungen war ich von jener unbeschreiblich süßen Empfindung. Ist es nicht einerlei, ob uns ein Virtuos oder ein Stümper dies magische Glas vorhält? Wir sehen in solchen Augenblicken nicht ihn – sondern uns. Ich lebte nicht mehr in Marseille. Mein Geburtsort, mit seinen Salweiden, seinem Vogelherde und seinen Obstgärten verschlang alles Land und Meer, das mich umgab. – Ich blieb gern mit ihm so lange an der Wirtstafel sitzen, als ihm noch ein Trunk oder ein Bissen schmeckte – ja ich trieb meine Freigebigkeit so weit, daß ich ihm sogar mich selbst auf den ganzen Nachmittag preisgab, und nicht allein seine Geschichte, die mir – immer noch anziehend genug – den gewöhnlichen Streit der Armut mit der Ungeschicklichkeit darstellte, sondern auch den Ausbruch seines Künstlerstolzes, seines Brotneides und seine schiefen Urteile über gleichzeitige Maler in kindlicher Geduld anhörte. Ich ließ ihm zuletzt noch ein Abendessen auf mein Zimmer bringen, und habe ihn erst, seit der Stunde, die ich dir vorbehielt, ziemlich spät mit dem Versprechen entlassen, das er mir abnötigte, morgen bei mir unter der Ansicht des Meeres zu frühstücken. Das wird auch wohl von den Stärkungen, die mir der arme Narr anbieten kann, die beste sein . . . .

*

Den 13. Januar.

Hätte ich mich nicht bei meinem alten Zeichenmeister auf diesen Morgen versagt, der es gewiß übel aufnehmen würde, wenn ich sein Frühstück an den Nagel hinge, wie vormals seine Lehrstunden, so würde ich mir eins aus Quassia und Rhabarber vorsetzen; denn mir ist gar nicht wohl. Unter den neuen Bekanntschaften, die ich vorgestern an der Tafel des Herrn Frege machte, muß eine gewesen sein, die einem deutschen Magen nicht zuschlägt. – Deren trifft man in Frankreich gar viele an. Ich habe vor andern einen Seefisch in Verdacht, dem ich mir viel unnütze Mühe gab, Geschmack abzugewinnen. – Bewegung wäre mir wohl am dienlichsten – aber, wenn mich auch Herr Passerino nicht darum brächte, so würde es doch das unfreundliche Wetter tun. Es ist ein Glück, daß der hiesige Winter nur wenige solcher Tage aushängt. Jawohl! Aber warum muß denn eben einem so armen Schwächling, wie mir, diese Seltenheit über den Hals kommen? Übelkeiten und Fieberfrost von innen – ein heulender Wind von außen her – keinen Lumpen von Winterstaat in meinem Vermögen, und nun ein solches Frühstück in der Aussicht! – Wo soll in dieser verzweifelten Lage Erwärmung des Bluts herkommen? von der Wasserseite seines Pinsels oder seines Coffees? Ich zittere – und, wenn ich es genau untersuche, weniger vor den Wohltaten, die er mir aufdringen, als vor den Opfern, die er mir abnötigen wird. Ich sehe mich schon im Geiste gähnend vor seinem Tische sitzen, indem er ein paar Pappdeckel voll seiner elenden Skizzen geschleppt bringt, sie bedächtlich auseinanderschlägt, kein Blatt überhüpft, und bei jedem einen Aufruhr meines Erstaunens erwartet, und wenn nun darüber eine ganze Stunde zerbröckelt ist – wie er mich, unter schlauem Lächeln, beim Ärmel faßt – mich der Wand gegenüber in das rechte Licht stellt, und mit Einem Ruck den grünen Vorhang zurückzieht, um mich durch das Wunder seines neuesten Gemäldes zu überraschen – und wie er endlich – um das Maß seiner Sünden voll zu machen – mich bei der Heiligkeit unserer Freundschaft beschwört, ihm offenherzig meine Meinung über die Kleinigkeiten zu sagen, die er mir gezeigt hat. Tät ich ihm sein Recht an – so gnade mir Gott! Und doch ist es eine verwünschte Zumutung, selbst unter vier Augen, mit Verleugnung alles Menschenverstandes das Machwerk eines solchen Meisters zu loben. In meiner heutigen Stimmung übersteigt das meine Kräfte. – Es wäre Gewalttätigkeit gegen mich selbst, und ich müßte wahrlich befürchten, mir meine kalten Krämpfe auf die edeln Teile zu jagen.

*

Wenn man seinem Brauskopfe nur Zeit vergönnt! Nach einem halbstündigen heftigen Zanke mit ihm fing er an, sich eines bessern zu besinnen und die Sache mit der größten Billigkeit abzutun. »Gehen wir ruhiger zu Werke!« sprach ich mir zu. »Worauf kömmt es denn an? Auf Worte ohne Sinn und Bedeutung, und ein wenig Mimik. – Die, dächte ich, könnte ich doch wohl am Hofe gelernt haben! Warum sollte mir denn das Hauptingredienz unserer Staatsvisiten und Courtage, die Sucht nach Schmeicheleien und Lob, in der Werkstatt des armen Passerino stärker auf die Nerven fallen als dort? Und wie konnte es mir einen Augenblick in den Sinn kommen, diesen liberalen Tauschhandel unserer kultivierten Natur zu stören, auf Gefahr, mir und meinem alten Lehrer das Morgenbrot zu verbittern? Verlust und Gewinn liegt jetzt auf das genaueste berechnet vor mir – darnach will ich mich richten. Ich werde seinen herzhaften kräftigen Pinsel – Er wird meinen feinen richtigen Geschmack bis an die Wolken erheben. Ich werde ihn über Rubens – Er wird mich über Lessing und Winckelmann setzen – Jedem übrigens ganz unbenommen, den andern in Gedanken so niedrig, sich selbst aber so hoch zu stellen, als es sein Schwindel erlaubt.« . . .

Nach solchen Vorbereitungen konnte der Erfolg nicht anders als erwünscht ausfallen, und wären meine Magenkrämpfe nicht gewesen, ich wollte über nichts klagen. Ich muß meinem freundlichen Wirt nachrühmen – er hatte es weder an Farben, Paletten noch Pinseln, die in der ausgesuchtesten Unordnung dalagen, noch sonst an einem artistischen Blendwerke fehlen lassen, um seinen Gast in die Illusion zu zaubern, daß er in der Werkstatt eines Malers frühstücke. Ich hätte mich ihr auch gern überlassen; doch unter dem Widerschein der Bilder, die heute zu meiner Verwunderung die vier Wände seines Stübchens verzierten, das mir gestern ohne diese Tapete viel reinlicher vorkam, war es unmöglich. Es war die vollständigste Kopien-Sammlung der Wunderbilder der Madonna. Eine einzige nur, klagte er mir, ginge seinem Sortimente ab, und noch dazu eine aus der hiesigen Gegend, Notre Dame de la Grace zu Cotignac, zum größten Nachteile seines Handels; denn es würde immer dreimal öfter nach dieser gefragt, als nach sonst einer andern, besonders von Weibern in gewissen Jahren. – »Doch Ihr Leibschneiden, teuerster Gönner,« fuhr er fort, »von welchem ich Sie so gern befreit sähe, soll mir hoffentlich behülflich sein – – –« – »Zu was, lieber Passerino?« fragte ich erstaunt, »zu was?« – »Die Lücke« fiel er ein, »in meiner Galerie auszufüllen. –« »Das«, erwiderte ich mit noch größern Augen, »muß ganz sonderbar zusammenhängen, lieber Sperling.« – Hier rückte er mir einen Stuhl, trat vor mich, und: »Ist etwas in der Malerei,« fing er mit abgemessenen Worten sein Rätsel zu lösen an, »das eine feste, geübte Hand, Kenntnis des Clair-Obscurs und ein verständiges Auge erfordert, so ist es die Kopie eines wundertätigen Originals, wo oft die Wirkung nur in einer kleinen Nuance liegt. Das weiß ich aus einer langen Praxis. – Aber mein Gott, was hilft es mir! Ich bin, bei allen diesen Voraussetzungen, doch zu alt, um den Weg zu Fuße – und leider zu arm, ihn in einem Wagen zu machen. Wenn Sie nun morgen nach Cotignac fahren, und hätten die Güte, mich mitzunehmen, so – – –« – »Aber wer zum Henker«, unterbrach ich sein Gewäsch, »hat denn gesagt, daß ich nach Cotignac fahre? Es ist in diesem Augenblick das erstemal, daß ich das Nest nennen höre.« – »Tut nichts,« antwortete er; »die hiesigen Ärzte schicken alle ihre Kranken dahin, die an schwerer Verdauung leiden. – Hilft die Marie nicht, so tut es der Weg, der weder zu kurz, noch zu lang, überaus steinig und zum Erbrechen gut ist. Überdies kann ich Ihnen – denn ich kenne das hiesige Wetter – morgen einen heitern sonnigen Tag versprechen, und welches Glück wär es nicht für mich, während meiner Abzeichnung einen Mann von Ihrem Blicke, feinen Geschmack und Ihrem – wie soll ich sagen – so zarten Kunstgefühl an meiner Seite zu wissen!« – Hätte der gute Mann fortgefahren, lieber Eduard, wie er anfing, von seiner festen Hand – seiner Kenntnis im Clair-Obscur und seinem verständigen Auge zu schwatzen, so war nichts gewisser, als daß ich seinen tollen Vorschlag abwies; jetzt aber, da er mein Lob, so wenig es in seinem Munde auch Wert hatte, mit dem seinigen verschmelzte, war es mir nicht mehr möglich, nein zu sagen . . . .

Die Reise nach Cotignac ist also auf morgen festgesetzt. Seine Freude darüber war so groß, daß eine glückliche Stunde verging, ehe sein Kopf ruhig genug war, an seine Kunstwerke zu denken. Wie er ihnen aber einmal wieder auf die Spur kam, blieb er auch desto hartnäckiger darauf. Zu jedem Unsinne, den er über Haltung, Wärme, Kolorit und Ausdruck vorbrachte, langte er aus seinem Portefeuille auch einen Beleg. Ich mußte ihn über alle die Stufen begleiten, die er seit funfzehn Jahren bis auf den heutigen Tag in seiner artistischen Laufbahn erstiegen hatte; und so gelangten wir denn auch endlich zu der Schreckensperiode, die ich diesen Morgen vorhersah – zu dem Wunder seines neuesten Gemäldes. Seine Vaterliebe, eh er auspackte, glich einem Wirbelwinde, der einem Ungewitter vorhergeht, und war so heftig, daß sie beinahe in Ungerechtigkeit gegen seine altern Kinder ausartete: denn er erklärte nicht allein die Meisterstücke aus der Zeit seiner Angola für Sudelei, sondern blickte selbst verächtlich auf seine Madonnen – nannte sie Matrosenware, die er nur nebenher, des lieben Brots wegen, auf den Kauf mache, und die er sich schämen würde, unter seinem Namen – außer in der italienischen Übersetzung – auszuhängen. »Wieviele Fächer«, rief er, »hat mein Genius nicht durchlaufen, eh er sein rechtes getroffen hat! Von der Blumenmalerei, mit der ich meinen Weg antrat, ging ich zu Tierstücken – Porträts – Bataillen und Landschaften über. Ich brachte es zwar in jeder Art zu einer gewissen Fertigkeit; aber in keiner von allen errang ich den Kranz der Vollendung, den mir die Natur an dem Gestade des Meers aufbehielt. – An den Marinen, mein Herr, entwickelte sich erst meine ganze Schnellkraft. – Ach, wie lange schlummerte sie in träumendem Irrwahn! Anspach war der Ort nicht, um sie zu wecken. – Das Schicksal mußte mich hierher schleudern, daß ich erführe, wer ich sei.«

Mit diesen Worten, die ihm in dem seligsten Enthusiasmus entflossen, trieb er mich von meinem ruhigen Stuhl in die Ecke des Fensters – riß beide Flügel auf, und streckte den Arm so weit vor, als wolle er seinen krummen Zeigefinger in das Meer tunken. – »Hier, mein Herr,« überschrie er einen Windstoß, »sprudelt die heilige Quelle, aus der ich schöpfe. Wer beschreibt die Erschütterung meines Innern, als meine erstaunten Blicke zum erstenmale über sie hinflogen! Das ist, rief ich aus, was dein Geist lange im Dunkeln geahndet, vergebens gesucht hat. In einer Art von Künstlerwut griff ich nach Farben und Pinsel – überließ mich meiner Begeisterung, und erstaunte selbst über die Keckheit meines ersten Versuchs. Doch bald – trinken Sie aber nur erst Ihren Coffee – werde ich Ihnen meinen letzteren vorzeigen – einen Sturm – aber was für einen! Mich überläuft selbst jedesmal ein Schauer, wenn ich ihn ansehe.« – »Mich auch,« unterbrach ich ihn; »aber bei mir kömmt er alleweile vom Original. – Erlauben Sie, daß ich die Fenster wieder zumache – die Zugluft und meine Nerven vertragen sich heute nicht.« – »Sehr wohl,« sagte er, »aber, um wieder auf meinen Sturm zu kommen, – denn bei einem solchen Stücke schadet es der Täuschung nicht, wenn die Beschreibung vorausläuft – so werden Sie sehen, daß ich nicht umsonst über den Hafen blicke, und neben dem Stapel wohne. Ich glaube nicht, daß der große Vernet selbst das Tau- und Takelwerk besser versteht als ich, und daß ein Schiff regelmäßiger gebaut werden kann, als die meinigen gemalt sind. Mit einem Vergrößerungsglase – ich werde gleich die Ehre haben, Ihnen das meine zu borgen – können Sie an jedem sogar den Namen und die Jahrzahl lesen. Einer Kleinigkeit muß ich noch gedenken, wertester Herr, meines Wahrzeichens auf dem Gemälde, einer glücklichen Erfindung, die aber freilich nur auf mich allein paßt. Das Stück kann in der Welt hinkommen, wo es will, mein Name wird dadurch allen Nationen verständlich, jede wird ihn in ihrer Sprache zu nennen wissen, denn überall gibt es – Sperlinge.« – »Oh, das ist nur gar zu gewiß,« entwischte mir in der Zerstreuung; aber er überhörte den Sinn. – »Befehlen Sie noch eine Tasse? Nicht? – Nun, so will ich das Bild holen,« fragte und antwortete er zugleich. Ich hätte das Schubfach des Kastens angeben wollen, wo es lag; denn seine verstohlenen Blicke, welche er ohne Aufhören dahin warf, verrieten mir längst, daß dort sein größtes Kleinod verwahrt sein müsse, und ich irrte mich nicht. Er zog das Kunstwerk behutsam heraus, rollte es seitwärts auseinander, spannte es in einen Blendrahm und stellte es mir nun in seiner ganzen Majestät vor die Augen, und sich in der seinigen darneben. . . .

Ich mußte zu allen Künsten des Mienenspiels Zuflucht nehmen, um meinen Spottgeist und mein gutes Herz im Gleichgewichte zu erhalten. Die vorzüglichste Hülfe indes verdankte ich ihm selbst, indem er alles, was meine Verlegenheit auswarf – wär' es auch der bitterste Hohn gewesen – für den lautersten Beifall aufnahm, und das unverschämteste Lob viel zu natürlich fand, um meine Aufrichtigkeit in Verdacht zu ziehen. Wenn du ihn nur gesehen hättest, Eduard! Sein seliges Wohlbehagen würde dich am ersten von der Güte der Falschheit belehrt, und überzeugt haben, daß sie, die eure unhöfliche Moral, viel zu geradezu, für Laster erklärt, sich in der Praxis als das wirksamste Hausmittel der Menschenliebe bewähre. Meine närrischen Schmeicheleien trieben sein Entzücken immer höher, endlich so hoch, daß er, in einer Art von Taumel, sich so freigebig gegen mich erklärte, als gegen das Publikum auf der schwarzen Tafel über seiner Haustüre, und mir, stelle dir vor, mit väterlicher Entsagung seinen Liebling zum Geschenk anbot, gegen Erstattung der fünf Louisdor für die Farben, die er darauf gesetzt habe. –»Wo denken Sie hin?« knallte ich ihn an. »Wie können Sie in der Welt zu etwas kommen, wenn Sie sich selbst so wenig zu schätzen wissen? Ich gebe Ihnen gern das Doppelte von dem, was Sie fordern, und mache noch immer einen sehr guten Handel.« – »So wollen Sie denn meiner uneigennützigen Freundschaft durchaus nichts verdanken?« sagte er rührend, und reichte mir seine dürre, hohle Hand hin, in die ich – sehr froh, daß es nur kein Kenner bemerkte – die verschleuderten Goldstücke einzählte.

Indem aber überraschte mich doch bei diesem einfältigen Handel einer von den Herren, die immer geradezu gehen – ein reisender Engländer. Er trat gestiefelt herein, warf ein paar flüchtige Blicke auf die Madonnen, und hatte genug, drehte sich darauf zu uns hin, und, nachdem er mit ernsten Augen bald den Sturm, bald mit spöttischen den Käufer, und mit höchst verächtlichen den Meister, der eben daran war, das Stück zusammen zu rollen, angeblinzt hatte, klopfte er ihn auf die Achsel, und – – – »Was Herr?« fuhr er ihn an, »das nennen Sie nach der Natur gemalt? Wollte Gott, es wäre wahr, nur halb wahr! – Ich gäbe gleich aus meinem Beutel tausend Guineen – allein für den Untergang Ihres einzigen Hauptschiffs – God damn me! das gäb' ich darum,« und so ging er steif und pfeifend wieder zur Tür hinaus. – »Das war ein tüchtiges Gebot,« sagte Passerino ganz unerschrocken: »aber warum blieb der Herr Engländer nicht und machte seine Bestellungen wie er sie nur haben will? Was wollte er mit meinem Hauptschiffe? Das wird wahrlich nicht lange mehr See halten. – Jeder Kenner, dächte ich, müßte ihm seinen nahen Untergang ansehen.« – »Jawohl,« antwortete ich. »Doch, es ist gleich Mittag, Freund, lassen Sie uns gehen . . .«

So endigte sich mein pittoreskes Frühstück. Ich habe es dir auf das genauere beschrieben – das wirst du nicht anders sagen können. Dafür muß ich aber, vielleicht zum ersten Male in meinem Tagebuche, drei volle Stunden überhüpfen, so wichtig sie auch indes allen andern Erdenbewohnern sein mögen; Stunden, die in Marseille so hoch gefeiert werden als zu Berlin, und die – daß ich dir ihren ganzen Wert fühlbar mache – jene kostbaren Minuten enthalten, die selbst unserm großen Könige die sichtbarste Belohnung für sein mühevolles Leben darbieten – mit einem Worte: die glücklichen Stunden des Mittags. Ich kann dir sogar von der Eßlust meines Gastfreundes keine Rechenschaft geben: denn, während er an der Wirtstafel aller seiner Sorgen vergißt, halte ich mich mit den meinigen von vorgestern her in einem Nebenkabinette verschlossen, suche zu verdauen und schreibe. Oh, des häßlichen Fisches! Wer nicht Seehunde und Meerwölfe zu Gästen hat, sollte so ein Gericht nicht auf den Tisch bringen. Wie viel habe ich ihm nicht schon bittere Pulver und Stinkkugeln nachgeschickt! Aber sie prallen ab, wie Schrotkörner von einer Mauer. Nichts sprengt – nichts durchbohrt ihn. Jetzt hat sogar mein Wirt aus menschenfreundlicher Teilnahme die verborgensten Schleusen seines Kellers gezogen, und mir eben Weine aus dreier Herren Ländern heraufgebracht, um ihn wegzuschwemmen. Wenn auch dieses holländische Mittel nichts hilft – nun, so mag meinethalben der holprige Mönchsweg morgen die Masse zerreiben, die mich drückt, und der Ekel, den ich bei meiner neuen Bekanntschaft voraussehe, den heben, den mir die vorgestrige zuzog, da es für einen protestantischen Magen schwerlich ein kräftigeres Emetik gibt, als so ein Madonnengesicht. Sollte aber die Ziehung der Schleusen den Feind aus dem Lande treiben – desto besser. Ich habe eben eine geöffnet, und fühle ihre Wirkung schon bis in den Fingerspitzen. Wie viel läßt sich da nicht Gutes erwarten, ehe alle drei geleert sind! –

*

Für einen Menschen, der früh einen Seesturm erlebte, unter Magendrücken sich eines vergangenen guten Mittags erinnert, und den gegenwärtigen ungenossen verschrieben hat, befinde ich mich noch leidlich genug – danke Gott für meinen weich gepolsterten Sorgestuhl – für den geistreichen Wein, der schon mein ganzes Vertrauen gewonnen hat – für den Trost meiner Feder, und für die gute Laune, mit der ich der Ernsthaftigkeit freundlich die Hand biete. Ob es mir einmal nicht schlimmer zumute sein wird, wenn ich mich in meine phisosophische Klause zu Berlin hinsetzen, und nach Beendigung meiner Reise die Summen, um die mich meine Freigebigkeit, meine Kaufsucht und meine physischen und moralischen Torheiten gebracht haben, aus den täglichen Ausgaben heben, und unter der ihnen gebührenden Rubrik zusammenrechnen werde, ist freilich eher zu wünschen, als zu hoffen. Denn, laß mich auch – um ernstlich zu sprechen – meine Erfahrung seit dem ersten November, wo ich Berlin verließ, bis heute, den dreizehnten Januar, wo ich mich mit einem Meergräuel herumbalge, noch so hoch in Einnahme bringen, so wollte ich doch wohl die fünfzig prahlenden Hefte meines Tagebuchs gegen meinen Schreibkalender setzen, daß der Gewinn den Verlust nicht aufwiegt. Ich weiß zwar meine Rechnung recht gut in Ordnung zu halten; nur schlage ich sie nicht gern nach. Doch, da ich heute weit weniger um die Zeit selbst, als um ihre Anwendung zwischen zwei Armen eines Lehnstuhls, verlegen bin, so will ich doch den Gedanken, der anklopft, hereinnötigen, will zum Spaß die Rotte meiner unnützen Ausgaben der letzten acht oder zehn Tage zusammenstellen, und meinen jüngsten Torheiten die Ehre der Sitzung an meinem Revisionstische vergönnen . . .

Ei, ei! lieber Eduard! da habe ich mir einen schönen Spaß ausgedacht! Gott bewahre mich, daß ich ihn fortsetze! Nicht ein Blatt mehr von Deinem verräterischen Schreibkalender möchte ich umschlagen – ich würde fürchten, vor Schwindel unter den Tisch zu fallen. Was ist mit so einer Rechnung anzufangen? Ich kann sie drehen und wenden wie ich will, so wirft sie doch nichts aus, was ich als Gewinn in Einnahme bringen könnte: denn, was hätte mir wohl meine zehntägige Verschwendung eingetragen, außer allenfalls den Fund einer verlornen Schreibtafel – ein paar Puppenspieler, und zwo Ellen gemalte Packleinwand? Das sind herrliche Zugänge der Wirtschaft! Noch dazu darf ich die erste und beste Nummer nicht einmal rechnen; denn sie fällt übermorgen an ihren kranken Eigentümer zu Montpellier zurück. – Die zwote? beschwert mir den Wagen, lebt auf meine Kosten in den Tag hinein, und schickt sich in der Welt Gottes zu nichts, als zu Harlekinaden. Und die dritte endlich? wenn ich die vollends in Anschlag bringen will, so gibt mir das gutes Spiel. – Sie faßt meine jüngste Torheit in sich, die gewöhnlich immer die ärgerlichste ist, und zugleich ein Inventariumsstück wie ich Gott Lob noch keins besitze, das so alt bei mir werden kann als es will, weder gute noch böse Gedanken und nichts erregt, als Gähnen. Es sind – mit einem Worte – und bleiben unverantwortliche Ausgaben. Sie würden es für einen Prinzen sein, der auf Kosten seiner Landstände reiset, geschweige für mich! Womit soll ich den törichten Geldverpraß – nur dieser letzten zehn Tage – geschweige aller der Wochen, decken, die noch unberechnet dahinter liegen? Wie soll ich meiner zerrütteten Privatkasse aufhelfen, und der Entkräftung beikommen, die sie gemeinschaftlich mit meinem moralischen Vermögen erlitten hat? Bei Gott, ich weiß es nicht! – – Doch halt! da kommt mir eben ein Einfall. Wie wäre es, Eduard, wenn ich, in Ermanglung landschaftlicher Beihülfe, einen andern Notreif ergriffe, der, ebensogut als jener, schon manchen leck gewordenen Reisenden in seinen Fugen gehalten, und vor gänzlichem Zerfallen geschützt hat, und, da ich kein Steuer-Ärar in meine Torheiten verflechten kann, das ebenso geduldige, lesende und neugierige Publikum zur Mitleidenheit zöge? – Und warum – laß uns ein wenig darüber nachdenken – warum sollte ich nicht? Der Einfall ist gar nicht so übel. Zeigen sich in der Verfolgung desselben nicht noch unversehene Schwierigkeiten, die mir ihn verkümmern, so werde ich am Ende wohl gar noch dem Sturme, der mir ihn zuführte, eine Ehrenerklärung tun müssen . . .

Doch erst muß ich den Sturmmaler, der glänzend und munter von seinem Mittagsmahl hereintritt, aus der Stille meines Schreibtisches entfernen, und ihm etwas zu tun geben, damit er mich in der Ausführung meines Beweises ungestört lasse. – »Können Sie wohl noch Ihre Muttersprache schreiben, lieber Sperling?« – »Das will ich hoffen,« antwortete er mir, nahm eine von meinen Federn und bewies es mir auf der Stelle durch seinen alten Denkspruch, den er mir auf ein Schnittchen Papier schrieb. wie ehemals in mein Stammbuch:

Wenn, lieber Künstler, dir zum Lohne
Kein Zepter ward und keine Krone,
So tröste dich dein Ruhm! Talente, Geist, Geschmack
Veredeln selbst den Bettelsack.

»Schön!« rief ich aus. »Ihr Denkspruch beruhigt mich ganz über die Zumutung, die ich im Begriffe bin, Ihnen zu tun. Es betrifft die Abschrift eines Briefs, die ich zwar angefangen, aber nicht geendigt habe! denn er ist so lang wie eine Abhandlung. Die Arbeit ist dringend: denn übermorgen muß ich das Original in Montpellier seinem Eigentümer zustellen; nun ist aber der heutige Abend meinem Reisejournal, der morgende Tag unserer bewußten Wallfahrt bestimmt – was ist da zutun? Ich würde sie höchst ungern aufgeben; und doch sehe ich kein ander Mittel – Sie müßten denn die Stunden, die ich dadurch zu kurz komme, übernehmen.« – »Herzlich gern,« fiel mir Freund Passerino ein. – »Getrauen Sie sich mit der Abschrift heute noch fertig zu werden, gut: so können Sie die Postpferde nach Cotignac so früh bestellen als Sie wollen. Der Inhalt der Handschrift wird Ihnen die Mühe des Abschreibens gar sehr versüßen; denn es sind Rhapsodien über Talent und Geschmack.« – »Oh, geben Sie her,« unterbrach er mich hastig: »über so einem Thema könnte ich ganze Nächte aussitzen.« – »Eine Bedingung jedoch«, fuhr ich fort, »müssen wir noch festsetzen, daß keiner nämlich den andern störe. Ich brüte hier über einer häklichen Sache, die keine Zerstreuung zuläßt; und doch ahndet mir, daß Ihnen beim Abschreiben nichts schwerer fallen wird, als das Maul zu halten. Es ist natürlich: einem Kopfe. wie der Ihrige, müssen bei so einer Materie Zweifel die Menge aufstoßen. Ich gebe sie Ihnen alle im voraus zu, nur anhören mag ich sie nicht; und müssen sie Ihnen ja über die Leber, so setzen Sie sie neben Ihre Abschrift als Randglossen – das soll Ihnen erlaubt sein. – Unter diesen Maßregeln, die ich zu meiner Sicherheit für notwendig hielt, stellte ich ihm einen Tisch, dem meinigen gegenüber, in das Fenster, legte ihm den Brief des Landjunkers vor – wies ihm die Zeile, bei der ich stehen geblieben, und bin durch diesen Ausweg zwoer großen Beschwerlichkeiten auf einmal los geworden – der undankbaren Mühe des Abschreibens und seiner Unterhaltung . . .

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Abends neun Uhr.

Wie ich glaube – denn gewiß weiß ich es doch nicht – bin ich auf der vorigen Seite mit den Patrioten, den Philosophen und dir völlig zu Rande gekommen – habe von euch allen die Erlaubnis ausgewirkt, mein Tagebuch drucken zu lassen, und meine Aktien sind nun im Steigen. Doch fürchte nicht, Eduard, daß mich diese abgeschüttelten Sorgen verleiten werden, meinen alten Haushalt so fortzusetzen, als meine niedergeschriebenen Hefte besagen. Gott bewahre! Ich wünsche Gegenteils, – und ich kann wohl sagen, mit aufrichtigem Herzen – daß von nun an nur die reinsten Tugendbilder aus meinem Leben zurückstrahlen und meine Feder beschäftigen mögen. Nur mute mir niemand zu, ihr eine schöne Lüge unterzulegen, in dem Falle, daß ich dir eine häßliche Wahrheit zu gestehen hätte. Daraus wird nichts. Wer Guckkasten von so erbaulicher Zusammensetzung verlangt, lasse mein Tagebuch ungelesen, und suche sich einen unter den zweien – dreien – aus, die er selbst in der kleinsten Stadt findet . . .

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Um Mitternacht.

Ich muß doch meine Feder noch einmal ansetzen, die, wie meine müd getriebenen Gedanken, länger als zwo Stunden geruht hat, um dir die Lage zu schildern, in der ich mich schaukele; denn sie ist gar zu schnakisch. Entschuldige nur meine großen Buchstaben. Wenn ich sie hinsetze, kommen sie mir winzig klein vor; aber sie wachsen, wie sie mir entschlüpft sind, hüpfen mir über die Zeilen, wie die Lämmer, und vermehren sich auch, glaube ich; denn mitunter sehe ich sie doppelt. – Der Wein des Wirts ist so wohlschmeckend, als er stark ist. Wenn der nicht gegen den Seekobold Recht behält, so tut es keiner. Ich trinke ein Glas ums andere mit neuem stillem Vergnügen. Mein Lehnstuhl umarmt mich mit einer Herzlichkeit, daß ich nicht daran denken mag, ihn zu verlassen, und Passerino macht mir unendlichen Spaß, ohne daß er es selbst weiß. Ich sitze ihm im Rücken und höre ihn abschreiben. Im ganzen Ernste, Eduard, ich höre ihn; denn er murmelt zu jeder Zeile seine Randglosse – stritte gern dem armen Landjunker jedes Wort ab, und geberdet sich – nein, der Teufel könnte es nicht ärger, wenn er ein Evangelium abschreiben müßte. –

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Der Mensch kann – – –

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Mein ehrwürdiger Freund und Gönner haben mir – dem Maler Sperling – gütigst übertragen, die Zeile, die unter Ihren Händen verunglückte, vollends auszubilden. – Der Mensch, gedachten Sie zu sagen, kann alles, was er will. In Beziehung auf die drei Bouteillen mag es auch seine Richtigkeit haben; denn Sie haben solche ausgeleert, wie es Ihr Wille war. Nachher aber reichte die Sentenz nicht weiter – denn Sie wollten fortschreiben, aber Sie konnten nicht. Der Wein scheint eine andere Richtung genommen zu haben, als der liebe Herr erwartete; denn anstatt den Magen auszuspülen, ist er ihm zu Kopfe gestiegen, und hat außerdem nicht gewirkt, als ein starkes Zittern an Händen und Füßen und ein wenig Schwindel. Da sich alles das hinter meinem Rücken gemacht hat, so erschreckte mich eine so unerwartete Erscheinung nicht wenig, als ich mit der Abschrift fertig war, und mich herumdrehte, um sie ihrem Herrn zu überliefern. Ich habe sie, wie auch das Original, einstweilen dem Herrn Kammerdiener zugestellt, mit dessen Beihülfe ich eben den Kranken zu Bette gebracht habe. Ew. – ich lasse als Titulatur weg, da ich nicht weiß, an wen ich die Ehre habe zu schreiben – dürfen also unsers gemeinschaftlichen Freunds halber ganz außer Sorgen sein. Der nächtliche Schlaf wird den Unfug wohl heben, den der Wein aus dreier Herren Ländern angerichtet hat; und da wir morgen mit dem Frühesten – auf sehr holprichtem Wege – über Land fahren, so ist kein Zweifel, daß diese starke Bewegung dem hartnäckigen Streit mit dem Seefische – der leider noch immer besteht – einen glücklichen Ausgang verschaffen werde. – Wie die Zeit vergeht! Schon zwo Stunden über Mitternacht! Der Herr schlafen – aber etwas unruhig. Mein Licht ist abgebrannt – ich darf nicht länger hier säumen, wenn es mir bis an die Haustüre noch vorleuchten soll.


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