Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierter Teil

Avignon

Den 5. Januar

Das Fest des heiligen Einsiedlers Simeon Stylita ist erlebt, und schon spielen seine Glocken in der schönsten Harmonie. Mit herzlichem Mitleid verfolge ich aus meinem Fenster jeden schwerfälligen Trupp der Unglücklichen, die, von Gicht, Schwindsucht und Entkräftung gebeugt, dennoch in ihren verzerrten Gesichtern Hoffnung der Besserung und Glauben an ihren Wundertäter tragen, dessen Altare sich ihr Schneckenzug nähert. Nie habe ich soviele Krücken beisammengesehen. Einige darunter, von fremdem, glänzendem Holze, mit Elfenbein und Perlenmutter ausgelegt, zeugen von dem hohen Stande ihrer Besitzer und von dem Luxus unsers Jahrhunderts. Dennoch wünschte ich, daß der prächtige Zug schon vorbei und die alte überlästige Tante aus dem Hause wäre, die sich, Gott verzeihe ihr diese Sünde! wahrscheinlich noch nicht in dem Grade niedergedrückt fühlt, um sich in diesem ausgedienten Vortrabe mit auf der Gasse zu zeigen. Mein Herz ist voll von gegeneinanderlaufenden Empfindungen. Meine Jugend, die ungeduldig nach Genusse hinter der Scheidewand schmachtet, erblickt, indem ich an das Fenster trete, das furchtbare Beispiel verschwendeter Kräfte öffentlich zur Schau ausgestellt. Oh, möge nie Sancta Concordia zulassen, daß ihr treuster Verehrer der Hülfe eines so einfältigen Heiligen benötigt werde, als mir in diesem Augenblicke Simeon Stylita mit seinen Nachtretern vorkömmt. Doch ich höre – freue Dich mit mir, Eduard! – die alte Tante aufbrechen. – Jetzt – steigt sie die Treppe hinab; jetzt verschließt sie das Haus; und nun sehe ich sie auch schon über die Gasse hinken. Aber warum pocht mir das Herz? Von so guten Sachwaltern unterstützt – mit so herrlichen Dokumenten versehen – was kann ich fürchten? Muß mein Prozeß mit Klärchen nicht den besten Ausgang gewinnen? Und doch – unbegreiflich! – bin ich mutlos, wie einer, der seinen Rechten nicht traut, wie einer, der sich noch nicht ganz in den Sinn seiner Konsulenten einstudiert hat. Doch wie mag ich meine Zeit so verplaudern, da Klärchen wartet?

*

Indem ich vor drei Stunden, mein schwarzes Sammetkästchen in der Hand, das kleine, artige Zimmer des lieben Kindes zum ersten Male betrat, kam sie mir mit einer Miene entgegen, die aus Ernst, Freude und Bescheidenheit zusammengesetzt schien. Wie leicht läßt es sich mit so einem Mädchen sprechen! Ihr Herz, das so hell auf ihrer Physiognomie widerscheint – wie schön erklärt es nicht das konventionelle Dunkel ihrer Rede! Einem erfahrnen Manne, der solche Dolmetscher gegenüber hat, kann keine Verhandlung, sie sei noch so verwickelt, zu schwer fallen.

Ich nahm, wie billig, das erste Wort, das in Verhältnissen, wie die unsrigen, immer so drückend ist. »Meine liebe Nachbarin,« hub ich an, »ich stelle mich Ihnen zwar als ein ehrlicher Mann; aber urteilen Sie selbst, bestes Klärchen, von meiner Verlegenheit, da ich mit der Erklärung voraustreten muß, daß unser Handel in dem Maße, wie ich ihn gestern abschloß, unmöglich bestehen kann.« – Sie machte gewaltig große Augen bei diesen Worten, die sie unter allen wohl am wenigsten erwartete. Der Ernst ihres Gesichtchens nahm zu, die Freude nahm ab, und die Bescheidenheit wußte nicht, woran sie war. – »Hören Sie nur einige geduldige Augenblicke zu,« antwortete ich ihrer Miene: »Das Strumpfband der Maria, wie wir es einstweilen so benennen wollen, müßte zwar nach den freiwilligen Bedingungen, denen ich mich gestern unterwarf, Ihnen, bestes Kind, nach allen Rechten gehören, wenn es nur möglich wäre, diese kostbare Reliquie von dem Ablasse zu trennen, den weiland Papst Alexander der Sechste an den Besitz dieses Kleinods gebunden hat. Ich war in Unwissenheit, als ich den Tausch Ihnen antrug, hatte das wichtige Dokument nicht gesehen – nicht gelesen, konnte mir nicht vorstellen, daß es Dinge enthielte, die mich, wenn ich den Vertrag erfüllte, weit unter die Hälfte verletzen würden; ein Umstand, der alle Verträge in der Welt aufhebt.« – Ich bemerkte, während des Eingangs meiner pathetischen Erklärung, mit geheimem Vergnügen, wie sich alles nach und nach aus den Mienen des guten Kindes entfernte, was mich in der Fortsetzung hätte scheu machen können. Statt aller Einwendungen, oder statt der, mir am meisten furchtbaren Gegenerklärung, daß sonach jeder Teil sein Eigentum behalten solle, wußte sie nur die kurze neugierige Frage herauszustottern: Wie denn in einem so veralteten Briefe Punkte von solcher Wichtigkeit für mich enthalten sein könnten, die –? Hier hielt sie inne; aber ihr unruhiges Auge sagte mir zur Genüge das übrige, und ich fuhr schon viel gefaßter fort: »Jawohl, meine Teuerste, sind sie von solcher Wichtigkeit, daß ich mich des größten Leichtsinns schuldig machen würde, wenn ich mich darüber wegsetzen wollte – sie sind wahrlich von so einem Gehalte, daß der Engel selbst, dem ich doch schwach genug bin alle Anwartschaften der Zukunft gegen einen gegenwärtigen billigen Ersatz anzubieten, kaum imstande ist, die Erwartungen zu vergüten, zu denen mich dieses Dokument berechtigt. Doch, Klärchen, Sie sollen erst das heilige Band sehen, dem so große Vorrechte ankleben.« – Und hiermit zog ich es aus seiner Hülle und legte es in die weißen Hände der kleinen Heiligen. Sie besah es lange mit ehrfurchtsvollem Stillschweigen, während ich das Pergament des Ablaßbriefes behutsam auseinanderschlug. Und als sie sich endlich seufzend von der Reliquie trennte, deren Besitz ihr noch nicht verstattet war, und nun willig und bereit schien, meine weitere Rechtfertigung und die neuen Vergleichsvorschläge anzuhören, rückte ich ihr einen Stuhl an den Tisch, den meine ausgebreitete Urkunde beinahe zur Hälfte bedeckte, setzte mich ihr zur Seite, und erleichterte ihr, kraft meiner Vorkenntnisse, die geschwinde Übersicht und die Untersuchung meiner Beweise. – »Hier sehen Sie zuerst, liebenswürdige Klara, die eigenhändige Unterschrift des großen Papstes, die vollkommen mit dem an die Gräfin VanotiaDie öffentliche Buhlerin Alexanders des Sechsten und Mutter des Cäsar Borgia, seines Sohnes. gerichteten Breve übereintrifft, mittelst dessen er dieser seiner Busenfreundin das geweihete Band überschickt. Sehen Sie, wie gut das große Siegel unter dem Ablaßbriefe, sowie der Abdruck des Fischerrings auf dem Umschlage des Breve, erhalten ist? Ein klarer Beweis, welchen Wert alle vorhergehende Besitzer dieser wichtigen Schriften, bis auf den Tag, wo das sonderbarste Glück sie in meine Hände gebracht hat, darauf gesetzt haben. Und nun lassen Sie uns den Inhalt der päpstlichen Bulle selbst durchgehen. Die flüchtigste Übersicht wird schon hinlänglich sein, Sie von der Billigkeit meiner erhöhten Forderung zu überzeugen. Den ersten Punkt überschlagen wir, da er bloß die eigenen Verhältnisse der seligen Gräfin betrifft, die mit ihrem Tode aufhörten. Der zweite Satz enthält die Entsündigung eines Falls, der uns beide nichts angeht, da Sie, meine Beste, wie ich glaube, so wenig Brüder und Söhne haben, als ich Schwestern und Töchter. Von der Erlaubnis des dritten und vierten Punkts, hoffe ich, wollen wir auch nie in die Verlegenheit kommen Gebrauch zu machen; denn es ist doch wahrlich kein Zufall wahrscheinlich, der uns auf eine wüste Insel verschlagen könnte. Ich überhüpfe auch diesen und diesen Abschnitt, die mir beide, so wiederholt ich sie überlesen, doch immer noch über meine Erfahrung und meinen Verstand gehen, und eile zu dem desto deutlicheren Inhalte des siebenten Paragraphs, an welchem ich für meine Person diesmal genug habe. Er beweist klar für mich, entschuldigt mich hinlänglich, und gibt Ihnen, in dem Falle, den der heilige Vater auf das genaueste bestimmt, zugleich mit dem zärtlichsten Wunsche meines Herzens, die einzige Bedingung zu erkennen, unter der ich meinen gestrigen Tauschhandel noch zu erfüllen bereit bin.«

§7

Mulierem aut virginem, quae tempore, quo hanc ligaturam cruralem sanctissimam portat, cum bruto, monacho aut haeretico, peccatum quodcunque carnale committit, eo ipso et auctoritate nostra Papali, inculpabilem declaramus, absolvimus et in integrum restituimus.

Ich hielt nicht für nötig, diese kützliche Stelle meiner schönen Freundin zu übersetzen, da nach der guten Erziehung, die hier auch das andere Geschlecht erhält, die meisten jungen Frauenzimmer, oft vor dem zehnten Jahre, imstande sein sollen, das elegante Latein päpstlicher Bullen zu verstehen. Ich glaubte es auch zur Genüge an Klärchens verfärbten Wangen wahrzunehmen, daß sie den Gedanken des heiligen Vaters vollkommen faßte, ob sie mir gleich durch ein paar Worte, die noch dazu unterweges verunglückten, das allzu große Zutrauen benehmen wollte, das ich in ihre Kenntnisse zu setzen schien. – »Sie werden nun gern zugeben, schöne Klara,« fuhr ich in dieser vielleicht zu freigebigen Voraussetzung fort, indem ich meinen Zeigefinger auf dem haeretico meines Paragraphs stehen ließ, »daß ich es gegen mich und meine Nachkommen nie verantworten könnte, wenn ich diese bestimmte Erklärung des heiligen Vaters, mit blindem Undanke gegen die Wohltaten, die sie mich hoffen läßt, so schnöde verachten wollte, um nicht entweder in Rom selbst unter dem Glanze seines ehemaligen Throns, oder doch in andern seiner geistlichen Gewalt untergebenen Städten und Ländern, eine der schönsten Ihres Geschlechts aufzusuchen, die zugleich fromm genug wäre, für diese ligatura cruralis der Gebenedeiten großmütig eine Indulgenz mit mir zu teilen; und noch dazu eine, die von allen, die er diesem heiligen Bande verlieh, die kleinste ist. – Es müßte denn sein,« fuhr ich nach einer kurzen Pause fort, »daß Sie selbst zur Gewinnung dieses Ablasses sich geneigt fühlten. Sie haben das Vorrecht; nutzen Sie es, meine schöne Nachbarin, und diese vorzüglich dotierte Reliquie kann in einer Stunde Ihr Eigentum sein. Ach, liebe Kleine!« indem ich einmal über das andere ihre zitternde Hand küßte, »könnten Sie begreifen, wie mich dieser siebente Paragraph begeistert, Sie würden – ach! gewiß Sie würden mir keine Zeit lassen, mein Anerbieten mit kaltem Blute zu überlegen.« – »Mein Herr,« fiel mir das gute Kind mit weinerlicher Stimme ins Wort, »lassen Sie doch, ich bitte Sie, meine Empfindungen auch für etwas gelten. Der Fall ist zu verwickelt. – Ihre Forderungen sind mir noch gar nicht deutlich; aber gewiß sie sind zu ungestüm, um gleichgültig zu sein, – ach! und ich fürchte mich zu sehr vor Übereilung. Vergönnen Sie mir Bedenkzeit – nur bis auf übermorgen, an dem Namenstage meiner Tante, wo ich wieder, wie heute, mir selbst überlassen sein werde. Sie wissen nicht, was mein Gewissensrat für schwere Interdikte auf mich gelegt hat! Sie wissen nicht, mein Herr,« (oh ja, ich wußte es noch von ihrer Tante her, als sie mir die Tür wies,) »unter welchem mächtigen Zeichen ich stehe! Nein, wahrlich, die Veranlassung mag noch so löblich sein – ich darf mich ohne Vorwissen Ihro Hochwürden zu gar nichts verstehen.«

Hier trat nun der Fall ein, lieber Eduard, meinen Sachwaltern Ehre zu machen. Ich tat es mit der feurigsten Beredsamkeit, die mir bei einer halben Stunde die Aufmerksamkeit meiner Freundin zuzog. Ich sah jede Minute deutlicher, wie mächtig die Salbung eines Kasuisten auf das Herz einer Heiligen wirkt; und nachdem ich sie von den Vorrechten der päpstlichen Schlüssel, von der überwiegenden Gewalt des Papstes gegen alle heiligen und heimlichen Künste subalterner Geistlichen, und besonders durch meine herzhaften und liebevollen Augen überzeugt hatte, daß ich in allem, was zu der großen Wirtschaft der Natur gehört, an keinen mystischen Widerstand glaube, so ward es mir immer wahrscheinlicher, daß eine noch nähere Ursache, als ein Gewissenszweifel, da sein müsse, die das gute Kind nötigen konnte, hartnäckig auf ihrer Bedenkzeit stehen zu bleiben. Sie zog während meiner Rede das Sammetkästchen einigemal vor sich und betrachtete das heilige Band, als ob sie sich nicht satt daran sehen könne, und schob es immer mit einem neuen Seufzer von sich. Ich hätte mit kindischen und weiblichen Gelüsten sehr unbekannt sein müssen, wenn ich nicht daraus geschlossen hätte, was zu schließen war; und noch weniger müßte ich meine eigenen verstanden haben, wenn ich nicht den ihrigen in soweit zu Hülfe gekommen wäre, als es die Umstände erlaubten. Wie sie also zum dritten Male nach dem Schatzkästchen griff, legte ich mich großmütig ins Mittel: »Wissen Sie was, Klärchen,« sagte ich mit dem Tone der Gefälligkeit: »da ich sehe, wie schwer es Ihnen ankommen würde, sich von der heiligen ligatura zu trennen, so will ich Ihnen den Gebrauch derselben, jedoch mit Vorbehalt meines Eigentums, bis auf den Entscheidungstag überlassen. Es wird alsdann von Ihnen immer noch abhängen, den einstweiligen Tausch zu bestätigen oder aufzuheben. Wissen Sie doch die Bedingungen.«

Sie schien zwar sehr gerührt über mein Zutrauen, doch selbst bei der sichtbaren Freude, die ihr mein Anerbieten verursachte, zeigte das kluge Mädchen eine Behutsamkeit, die mich sonderbar überraschte und mich zu einem Exegeten machte, wie es nur einen gibt. – »Warum,« fragte sie ernsthaft, »warum, mein Herr, vermeiden Sie doch dieser heiligen Reliquie ihren rechten Namen zu geben? Ist es nicht das Strumpfband der Madonna? la jaretière de Marie. – Warum bleiben Sie nicht bei dem französischen Ausdrucke?« – Zu einer andern Zeit, Du traust es mir wohl zu, Eduard, würde ich es nicht der Mühe wert geachtet haben, nur ein Wort über die richtige Benennung dieses Kabinettstücks zu verlieren. Jetzt aber – da mich der Einwurf der schönen Klara aufmerksam auf die Folgen machte, welche die eine oder die andere Bedeutung herbeiführen werde – jetzt, da mir die Rechte einer ligatura cruralis weit wichtiger vorkamen, und mich wenigstens um einige Zoll weiter zu bringen versprachen, als die eines französischen Strumpfbands, jetzt kam alles darauf an, meinen gebrauchten Ausdruck gegen die kleine Wortkrämerin zu verteidigen. – »Liebe Freundin,« antwortete ich ihr mit einer vielsagenden Miene: »dem äußern Ansehen nach, sollte man freilich diese heilige Reliquie nur für ein Strumpfband halten. Sie haben noch überdies die Angabe des Ausrufers für sich. Nun ist zwar der Mann, dem Sie in einer so wichtigen Sache Glauben beimessen, wohl nichts mehr als ein unwissender Mietling, der die Grundsprachen nicht versteht, und dem eine richtige Erklärung der fremden Ware, die er ausbietet, ganz einerlei ist, wenn er sie nur an den Mann bringt, und seine Prozente davon zieht; doch hier ist er billig eher zu entschuldigen, als Ihre schwankende, flüchtige Sprache. Es war nicht seine Schuld, daß er in derselben kein anderes als das Wort jaretière finden konnte, wovon auch die besten Ausleger eingestehen müssen, daß es den zwiefachen Sinn – sowohl eines Bandes hat, das um den Strumpf – als eines, das, wie das vorliegende, um das Knie gebunden wird.« – »Um das Knie?« fiel mir Klärchen hier hastig in die Rede. »Aus was für Gründen können Sie das behaupten?« – »Wenn es Not hätte, sollte es mir sehr leicht sein,« antwortete ich ernsthaft, »der Stellen eine Menge aus dem Talmud beizubringen, die Ihnen diese Gewohnheit bewiesen; ja, hätten wir Zeit, so könnten Sie selbst – es sind ja Jüdinnen genug in der Stadt – darüber bei ihnen nachfragen lassen: aber zum Glück können wir aller dieser Weitläuftigkeiten entbehren, da die klaren Worte des Textes vor uns liegen. Der heilige Vater nennt das Band nicht umsonst ligaturam cruralem, das nur mit jaretière crurale übersetzt werden darf, um den Sinn ganz zu umfassen. Die siebenzig Dolmetscher konnten es nicht wörtlicher ausdrücken; und in heiligen Dingen,« setzte ich mit einem Seufzer hinzu, »ist es immer das sicherste, sich an den Buchstaben zu halten. Übrigens sein Sie ganz unbesorgt, liebes Klärchen! es kommt dermalen nicht auf das Maß Ihrer Strümpfe – die Sie künftig verlängern können, wenn wir handelseins sind, sondern es kommt auf die Gegend an, die ich die Ehre haben werde Ihnen zu zeigen, wohin eigentlich das Band, nach seiner ersten Bestimmung, und nach den Gebräuchen des Morgenlandes, gehört, denen allein die Mutter Gottes, während ihrer Wallfahrt auf Erden, gefolgt ist. Es war meine Schuldigkeit, liebes Klärchen,« endigte ich, »Sie erst mit dem Kleinode, das ich Ihnen anbiete, auf das genaueste bekannt zu machen, damit kein Mißverständnis bei der Auswechslung vorfalle; denn so gern ich Ihnen auch in gleichgültigen Dingen zu Gefallen lebe, und so zufällig ich auch zum Dienste dieses Heiligtums berufen sein mag, so kann ich doch nun auf keine Weise zugeben, daß Sie es für das halten, was es Ihren leiblichen Augen scheint – für ein Strumpfband, der daß Sie glauben, es bedeute nur einen Kniegürtel, da ich in meinem Gewissen überzeugt bin, und mich darauf totschlagen lasse, daß es einer ist.«

Meine Rede machte, entweder durch ihren langweiligen Gang, oder durch ihre Wahrheit den Eindruck, den ich wünschte. Meine schöne Schülerin schien beruhigt, und indem sie sich auf den Sofa zurechtsetzte, versprach sie, um auch mich zu beruhigen, mit feierlichem Ernste, mir das Kleinod, das ich ihr auf einige Zeit anvertrauen wollte, ohne allen Schaden wieder zu überliefern, wofern wir nicht des Handels eins würden. Gutes Klärchen! dachte ich bei mir selbst, das ist das letzte, was ich fürchte. – Was denkst Du davon, Eduard? Wird ihr nicht die süße Schwärmerei ihrer Seele jeden noch so bedenklichen Schritt erleichtern? Wird sie nicht, wie jeder Enthusiast, sobald sie das Band an sich fühlt, zugleich auch wirklich den wohltätigen Einfluß empfinden, auf den ihr Glaube hofft? – stolzer einhertreten, ruhiger in die Welt und verächtlicher auf ihre Mitgeschöpfe blicken und in immer süßen Träumen wachen und schlafen? Ja, du kannst, sprach ich mir mutig und hoffnungsvoll zu, deine Forderungen noch so hoch spannen, sie wird für diesen mystischen Gürtel alles andere ohne Reue verschwenden, wovon sie Herr ist.

Während dieser meiner psychologischen Betrachtung hatte Klärchen den rechten Fuß, der nicht mit in den Vertrag geschlossen war, gerade vor sich auf den Sofa gelegt, als ob er, wie die Hand des Gerechten, nicht wissen sollte, was der linke täte. – Und –

      Und voller Güte streckte sie
Den auserwählten Fuß bis an das weiße Knie,
Und sah, errötend, mich bei meiner Arbeit lauschen.
Mit zitternder, verwöhnter Hand
Löst' ich das eingetauschte Band
Voll Scham, so wenig einzutauschen. –
Ach, daß ich's eher nicht bedacht!
Was hätt' ich nicht mit einer Träne
Der heiligen, erfahrnen Magdalene
Für einen guten Kauf gemacht!

*

Der richtigen Erklärung des Grundtextes allein hatte ich es zu verdanken, daß meine Augen sich nicht bloß mit der herrlichen Form des Fußes begnügen mußten, der, mit einem weißseidenen Strumpfe bedeckt, mir in der Hand lag. Nein, Eduard, ich gewann, kraft meiner Exegese, auch noch den Anblick einer guten Spanne der blendendsten Haut, wie sie wohl selten ein Schriftgelehrter zu sehen bekommt. Welche Entdeckungen der Sinnlichkeit versprach mir nicht diese kleine Probe der unverhüllten Natur, sobald ich nur die heiligen drei Könige hinter mir haben würde, die mir verzweifelt langsam zu reisen schienen. Die Lust des Anschauens fesselte mich so sehr, daß ich – wer kann mir's verdenken? – alle Kunstgriffe der Analyse und Polemik aufsuchte, um nur mein Wohlbehagen zu verlängern. – »Hier, schöne Klara,« stotterte ich, indem ich bald dieser, bald jener Hand vergönnte, wechselsweise den elastischen Fuß zu umspannen, damit keine bei der Spende eines süßen Gefühls zu kurz käme, »hier ist die Gegend, wie die besten Ausleger des Talmuds versichern, wo die Jungfrauen in Kanaan und Judäa den Gürtel zu tragen pflegten, obgleich« – meine Finger wagten sich noch über einen Zoll hinaus – »der gelehrte Ritter Michaelis behaupten will, daß es sehr die Frage sei, ob nicht nach dem samaritanischen Texte« – – – »Mein Herr,« fiel mir hier Klärchen hastig ins Wort, indem sie sich ein wenig höher setzte, »ich dächte, die jüdischen Gebräuche wären sehr albern, und Sie würden mir wirklich einen Gefallen tun, wenn Sie sich nicht weiter dabei aufhielten.« – Dieser kurze, kalte Zuruf machte mich irre. Ich kam mit meinen Beweisen ins Stocken, verknüpfte den heiligen Gürtel so ungeschickt als möglich, und sah sogar vor Betäubung nicht eher, als bis die Auswechslung vorbei war, was für ein neues himmelblaues, seidenes Band, mit einer großen Schleife, ich statt des verblichenen, linnenen Fetzen der Reliquie eingetauscht hatte. Die kleine bräutliche Koketterie, die ich in der gesuchten Auswahl des schimmernden Bandes zu entdecken glaubte, schien mir von der besten Vorbedeutung. Ich wies mein prophetisches Herz, bis zu der nahen Erfüllung seiner ungestümen Wünsche, zur Ruhe, und dachte, wie ich mir vorstelle, was die zu einer Spielpartie um das Königreich Polen vereinigten Mächte gedacht haben, als sie die Scheidungslinie ihres leichten Gewinnes, vermutlich in der kühnen Voraussetzung entwarfen, sie gelegentlich wohl noch zu erweitern, und nach und nach, erst diese, dann jene angrenzende Starostei, oder diesen und jenen Paß in das offene Land an sich zu ziehen.

Klärchen erlaubte mir, nachdem der Vorhang des ersten Akts gefallen war, noch über drei Stunden bei ihr zu bleiben. Das ist eine entsetzlich lange Erlaubnis, wirst Du denken. Aber laß Dir nicht bange sein! Das Mädchen gibt soviel zu beobachten und zu enträtseln, daß, wenn ich Dir die mannigfaltigen Blüten ihrer Unterhaltung nur so frisch zubringen könnte, als sie mir in die Hände fielen, Du wohl begreifen solltest, wie einem die Zeit in ihrem Zirkel vergehen kann. Aber da liegt eben der Knoten! Es fällt der Feder lange nicht so leicht zu schwatzen, als der Zunge, die von hundert Kleinigkeiten unterstützt wird, welche auf dem Papiere verschwinden. Das Spiel der Mienen, das den Fügungen der Worte besser zustatten kommt, als alle Regeln des Syntaxes, geht in der Beschreibung so gut wie verloren. Die Modulation eines wohl angebrachten Seufzerchens, das oft einem dunkeln oder müßigen Ausdrucke erst den Verstand gibt – das Dehnen – das Verschlucken – das Steigen und Fallen der Stimme, ach! alle jene vielfältigen bedeutenden Schattierungen der Rede – wer ist vermögend, sie mit der Wirkung wieder zu geben, die sie nicht allein auf das Ohr, sondern öfter noch auf das Herz haben? Diese gewöhnlichen Schwierigkeiten, die allen Erzählern gemein sind, wie sehr würden sie mich erst zwängen und drängen, wenn ich es unternähme, den Dialog eines Mädchens zur Schau zu legen, das solche mitsprechende Augen, solch ein beredtes Stillschweigen, solch ein bedeutendes Lächeln und eine Art von Errötung in ihrer Gewalt hat, die mir nirgends noch vorkam! Setze noch dazu, daß dieses Mädchen ein Kind auf der einen Seite – eine ausgebildete Heilige auf der andern – mit dem Gegenwärtigen nur halb zufrieden – über das Bevorstehende nicht einig mit sich selbst, und seit Minuten erst in dem erborgten Besitze eines Kleinods ist, das sie übermorgen bezahlen soll, ohne zu wissen woher? – und Du müßtest blind sein, um nicht einzusehen, daß sie nichts weiter zu entwickeln braucht, um es dem besten Erzähler unmöglich zu machen, so seinen Übergängen des Geschwätzes und des Gefühls, als bei einer solchen Zusammensetzung von Charakter und Verhältnissen notwendig vorkommen müssen, mit seiner Feder nachzutraben. Und doch muß ich, so schwer ich daran gehe, Dir wenigstens ein Fragment unserer Unterhaltung mitteilen, weil es gar zu sonderbare Neuigkeiten über den weitern Fortgang meines Läsionsprozesses mit dem Mädchen enthält, die Du ebensowenig wirst geahndet haben als ich.

Die Kleine saß, nachdem sich das erste Aufwallen ihrer Lebhaftigkeit gelegt hatte, jetzt desto ernster in sich gekehrt, bei einer Viertelstunde schon vor mir, und gönnte mir durchaus keinen andern Zeitvertreib, als im stillen den Nuancen ihrer Empfindungen nachzuspüren, wie sie sich äußerlich zeigten. Aber auch das war, ich versichere Dich, keine leichte Arbeit. Mitten in ihrem stolzen, seligen Gefühl, worin sie über den vergönnten Gebrauch des heiligen Bandes verloren schien, färbte ein ungefährer Blick auf den, der es ihr umband, ihre Wangen mit dem brennendsten Rot, und drückte ihre Augen zur Erde. Sah ich nun gleich bald hinterher den tröstenden Gedanken nachsteigen, zu wessen Glorie sie ihre Bescheidenheit verleugnete, und ihr Knie den ungeweihten Blicken eines Ketzers preis gab – und trat gleich nunmehr ein Anstand, wie man ihn selten sieht, in dem Verhältnisse bei ihr hervor, in welchem ihr aufbrausendes Blut allmählich sich setzte; so dauerte doch diese Ruhe nicht lange. Ihr süßes Lächeln, das schon auf dem Wege war, verflog wieder; der harmonische Laut, auf den sich meine beiden Ohren schon spitzten, erstarb vor meinen Augen auf ihren bebenden Lippen. Sie warf wilde Blicke, bald auf den lateinischen Brief, der zwischen uns lag, bald auf mich; und diese Ebbe und Flut ihrer Empfindungen war so schnell, daß ich Mühe hatte, ihnen nachzukommen, und die geheime Ursache davon aufzufinden, die, als ich ihr am Ende mit meiner Untersuchung beikam, – solltest Du es glauben, Eduard? – in nichts anderm als in dem Grausen vor den unbekannten Zeremonien bestand, unter welchen sie berufen sein dürfte, den Namenstag ihrer geliebten Tante zu feiern. Da sie während dieses ihres innern Tumultes, aus dem ich sie so gern gezogen hätte, zweimal schon ihren linken Fuß beinahe krampfartig bewegt hatte, so nahm ich beim dritten Male Gelegenheit, unser so lange unterbrochenes Gespräch wieder in Gang zu bringen. –

»Sie zucken mit dem Fuße, liebes Klärchen,« hub ich an, »ich habe Ihnen doch wohl nicht den heiligen Kniegürtel zu fest gebunden und Ihnen wehgetan?« – »Nein,« antwortete sie, nach ihrer unbefangenen Art: »Sie haben es so recht gut gemacht – Allenfalls wäre auch Rat dafür.« – »Und wofür, Klärchen, wäre denn nicht Rat in der Welt?« – »Meinen Sie?« »Außer für den Tod,« fuhr ich lächelnd fort. – »Und außer für übermorgen,« murmelte sie, doch laut genug, daß ich es hören konnte, ward dabei rot, und hielt einen Augenblick ihre rechte Hand vor die Augen. – »Liebes Klärchen, das ist eine seltsame Verbindung von Ideen!« – »Oh!« dehnte sie, »nicht so seltsam als es Ihnen vorkommt. Die Zumutungen Ihres Geschlechts, habe ich immer gehört, gehen einem tugendhaften Mädchen bitterer ein als der Tod.« – Diese letzten fünf Worte, Eduard, waren wie auf Noten gesetzt. – »Gewiß, liebe Kleine,« antwortete ich traulich, »gewiß habe ich Ihnen den Gürtel zu fest gebunden.« – »Woraus, ich bitte Sie, wollen Sie das schließen?« – »Aus Ihrer kindischen Furcht vor übermorgen,« sagte ich lächelnd. – »Nun, das gestehe ich, mein Herr, diese Ihre Ideenverbindung ist wohl seltsamer als die meinige; sie ist mir ganz rätselhaft.« – »Kann wohl sein, liebenswürdiges Kind; warum vermeiden wir, deutlich miteinander zu reden?« – »Noch deutlicher, mein Herr? Ich dächte, hierüber hätten Sie sich wenig vorzuwerfen.« – »Und auch Sie nicht, Klärchen?« – »Auch ich nicht, mein Herr. Ich habe Ihnen alle meine Zweifel entwickelt – aber wie wenig haben Sie darauf geachtet« – »Ich hätte nicht darauf geachtet? Kleine Schwätzerin! habe ich sie denn nicht sogar völlig gehoben?« – »O bei weitem nicht, mein Herr!« – »Klärchen! ich erstaune – Also wären alle meine billigen Erklärungen in den Wind gesprochen gewesen? Sie fänden die himmlische Reliquie für den gemeinen Preis, den ich darauf setze, noch immer zu teuer? und bei der Menge von Indulgenzen, mit denen ich Sie, ohne daß ich groß tun will, bereichere, könnte es Ihnen noch einen Augenblick sauer ankommen, die kleinste davon mit mir zu teilen?« – »Hören Sie mich an, mein Herr,« unterbrach sie mich jetzt mit edlem Anstanden »Das Strumpfband der Gebenedeiten – ich gestehe es Ihnen unverhohlen – ist mir mehr als lieb; es ist mir unschätzbar, und ich weiß nicht, ob ich es überleben würde, wenn ich mich von ihm trennen sollte. Sie haben es, unter sehr bänglichen Minuten für ein sittsames Mädchen, zu einem Kniegürtel erklärt; auch das habe ich mir gefallen lassen; aber welche neue Demütigung in aller Welt soll ich denn noch für das Band, oder den Gürtel der reinen Jungfrau bezahlen, die – ach, mein Herr! von keinem Manne gewußt hat? Sehen Sie, ich bin nur ein einfältiges, unschuldiges Kind – mit allem meinem Nachdenken bringe ich es doch in Ewigkeit nicht heraus, was Sie übermorgen etwan von mir erwarten – und das ängstigt mich eben.« – »Wie, Klärchen?« antwortete ich ganz betroffen, »sieht es mit unserm Handel noch so weitläuftig aus? Ist es denn, ich bitte Sie, der Kniegürtel der Madonna allein, den ich Ihnen anbiete? Gehören denn nicht auch die Freiheiten dazu, mit denen ihn Papst Alexander so großmütig beschenkt hat? und haben Sie denn wirklich den siebenten Paragraph seines Ablaßbriefs so gar wenig verstanden?« – »Auch nicht eine Silbe davon, mein Herr,« antwortete sie. »Ja, ich, und fremde Sprachen!« – »Wenn es nur daran liegt, Klärchen, so soll es mir keine Mühe kosten, Ihnen den Inhalt in gutes Französisch zu übersetzen – Sie müßten denn lieber warten wollen, bis übermorgen, wo ich ihn in einem Dialekte vorzutragen hoffe, der aller Welt – den sinnlosen Bewohnern des Feuerlandes so gut als der klügsten und artigsten Europäerin – gleich verständlich und angenehm ist.« – Sie stockte. – »Werden Sie nur nicht ungehalten, mein Herr!« nahm sie endlich mit einem scheuen und bittenden Blicke das Wort wieder: »aber darf ich wohl in Ihrer eigenen Sache mich auf Ihre Übersetzung verlassen? Denken Sie sich nur an meinen Platz! Ich zittere so leicht vor allem, woran ich nicht von Jugend auf gewöhnt bin. Zum Glücke habe ich mich immer in verwickelten Fällen an den Rat meiner Tante und meines Gewissensrates halten können, die Vater- und Mutter-Stelle bei mir vertreten; und jetzt – in der bedenklichsten Lage meines Lebens vielleicht – soll ich mit treuloser Verwegenheit« – das Wort gab mir einen Stich ins Herz, Eduard, – »mich selbst um ihre Hülfe betrügen? soll hinter dem Rücken so erprobter Freunde – auf das Wort eines Fremden – mit mir schalten und walten, als ob ich ihrer Erfahrung nicht weiter bedürfe? Sagen Sie mir auf Ihr Gewissen, mein Herr, ob dies redlich, ob dies erlaubt sei? Habe ich nicht schon,« fragte sie auf das beweglichste, »unrecht, sehr unrecht getan, daß ich den befeuerten Blicken eines jungen Herrn den ruhigen Ort preisgab, wo in Canaan und Judäa –wie Sie mir glaube ich, haben weiß machen wollen – – – Ach, mein Herr,« unterbrach sie sich hier selbst mit einem über die Maßen verlängerten Seufzer, »Ihre Nachbarschaft, fürchte ich, ist mir eine nahe Gelegenheit zu sündigen geworden. Heilige Madonna! Ein junger Fremder – heute und übermorgen – allein mit mir in einem Zimmer? Zweimal in einer Woche? Je unglaublicher mir alles das würde geschienen haben, wenn es mir jemand hätte wahrsagen sollen, desto mehr muß es jetzt mein Herzklopfen verstärken. Ich möchte so gern, ich wiederhole es Ihnen, mein Herr, die heilige Reliquie gewinnen: aber bei den eilftausend Jungfrauen schwöre ich Ihnen zu, daß ich so wenig weiß, was Sie noch von mir fordern können, als ich weiß, was mir in solchen Umständen meine Religion zu geben erlaubt. Ach, wer soll mir in dieser unaussprechlichen Verlegenheit raten?«

Weißt du wohl, Eduard, was mir, während dieses frommen Anfalles der Kleinen, durch den Kopf fuhr? Das will ich dir aufrichtig sagen! Anfangs nichts weiter, als eine Zeile von Voltaire, die ich dir zu erraten gebe – nachher die zwo darauf folgenden, die ich dir hersetze:

C'est un grand bien! mais de toucher un cœur
Est à mon sens un plus cher avantage.

Zuletzt aber gingen meine ausschweifenden Gedanken stufenweise vom Erstaunen zum Mitleid, in den großmütigen Entschluß über, meine Ohren nicht länger dem Girren dieser Unschuldigen zu verstopfen, und einer so bewährten Heiligkeit – mochte sie mich auch noch so sehr überraschen – in Zukunft die Ehre zu erzeigen, die sie verdient. Reizender zwar hatte ich das Mädchen noch nicht gesehen, als in diesem rührenden Auftritte. Aber die einfache Beredsamkeit ihres reinen Herzens – welcher Sophist vermag ihr zu widerstehen! – machte einen ungleich stärkeren Eindruck auf das meinige, als alle Lockungen ihrer Jugend, und bewirkte eine so gänzliche Umstimmung in mir, daß ich in diesem Augenblicke nicht vermögend gewesen wäre, ihre beseelten Lippen nur um einen Kuß zu betrügen. Wie rührte mich das offene Geständnis ihrer Unwissenheit, das mit dem stillern Beweise so artig übereinstimmte, den ihre bebende Hand, ohne zu ahnden, daß ihr ein menschliches Auge nachschleichen würde, schon bei dem schlafenden Engel abgelegt hatte! Jenes Restchen von Staub, wie viel wog es nicht nach meinen Gedanken, um bei einer künftigen Berechnung weiblicher Unschuld und Tugend der ihrigen den Ausschlag zu geben! Wie dankte ich es dem Zufalle, der mich endlich einmal eine Heilige, in der echten Bedeutung des Worts, kennen lehrte, da ich mir zuvor von der sonderbaren Zusammensetzung eines solchen Geschöpfs keinen Begriff machen konnte! – Wo hätte ich ihn hernehmen sollen? Ich staunte gerade vor mich hin, und war drauf und dran, dem frommen unbefangenen Kinde das Spielwerk ihrer Seele, nebst der rückständig gen Bezahlung edelmütig zu schenken, und – meine Wege zu gehen.

»Klärchen, gutes frommes Klärchen,« sagte ich, und ergriff und drückte, beinahe mit väterlicher Zärtlichkeit, ihre Hand, »noch ist nichts unter uns vorgegangen, was nicht in allen Religionen der Welt zu vergessen und zu vergeben wäre; darauf können Sie sich verlassen! Ihre übrigen Zweifel aber, liebe Kleine, sind von mehrerem Belange. Wenn ich sie Ihnen nach meinem Gewissen, das Sie aufgefordert haben, nach der strengen Moral, in der ich unterwiesen bin, nach meinem Glauben, nach meiner Überzeugung beantworten soll, so muß ich Ihnen unverhohlen sagen, daß Sie« – – – »Oh!« unterbrach mich hier das in Furcht gejagte Kind »wie darf ich der Moral und der Überzeugung eines Ketzers Gehör geben? Wie darf ich einer andern Glaubenslehre folgen als der meinigen? Nimmermehr, mein Herr, nimmermehr!« – »So hören Sie doch nur, Klärchen,« fiel ich mit ernster Stimme ein: »Die Regeln der Sittenlehre sind« – hätte ich beinahe gelogen – »in allen Religionen und bei allen Völkern der Erde, dieselben;« aber sie ließ mir nicht Zeit dazu. – »Nein,« rief sie mit ängstlichen Geberden, »nein, mein Herr, ich darf Sie nicht anhören.« – Ich ward hitzig. »Auch nicht,« fragte ich mit starker männlicher Stimme, »wenn ich Ihre wankende Tugend befestigen, wenn ich wider meinen Vorteil sprechen – wenn ich Sie vor dem Ablaßbriefe des heiligen Vaters warnen will – auch dann nicht?« – Sie hielt sich, statt mir zu antworten, die Ohren zu. »Nun, bei Gott!« murmelte ich vor mich hin, »das ist unerträglich!« stampfte mit dem Fuße, und sah ungewiß in die Höhe. Seit acht Tagen, war ich mir bewußt, hatte ich keinen Gedanken gefaßt, der meinem Herzen mehr Ehre machte; und jetzt trat mir nun das Kind, das selbst ihn entwickelte, in den Weg, da ich eben daran war, ihn auszuführen. Ich dächte doch bei meiner Ehre, die einundvierzig Dukaten, die ich, mit alle dem was daran hängt, so großmütig im Stiche lasse, verdienten es schon, daß sie mir zuhörte! – Aber gewiß hat sie mich noch nicht so recht verstanden. Ich will mich deutlicher machen, und es müßte nicht gut sein, wenn sie mir nicht noch zu Füßen fallen und mich als ihren Schutzengel verehren sollte, sobald sie mich nur erst kennen lernt. In diesen Gedanken setzte ich mich ungefähr in dieselbe Stellung, als letzthin, wo ich, nicht weit von der Eselspost, der guten Margot warnenden Unterricht über den Amor gab.

Ich ergriff die Hände des sträubenden Mädchens, um sie abzuhalten, sie nicht wieder vor die Ohren zu nehmen, faßte das wilde Kind mit meinen beiden Knien, daß es mir standhalten mußte, und wie sie nun so vor mir stand, blickte ich ihr mit der zärtlichsten Aufrichtigkeit in die Augen. – »Liebes Klärchen,« redete ich sie an, »Sie sind jung, schön und frömmer und unschuldiger, als ich noch kein Mädchen gekannt habe; aber Sie haben mir nun zu sehr schon Ihre Schwachheit gegen Reliquien verraten, und da werden Ihnen alle Ihre Tugenden nichts helfen, wenn ich nicht ehrlich mit Ihnen verfahren will. Sie werden der Gewalt, die mir das Zauberband der Maria und der Papst Alexander der Sechste über Sie gibt, so tief unterliegen müssen, als es unser Kontrakt verlangt. Aber, bestes Kind,« indem ich mit meinen beiden Knien sanft die ihrigen drückte, »hören Sie mich nur einen Augenblick mit Aufmerksamkeit an, und Sie werden sehen, daß ich es nicht so böse mit Ihnen meine. Sehen Sie, so schwer es mir auch ankömmt, allen den Freuden von übermorgen – allen den Indulgenzen zu entsagen, die ich Ihnen mit dem heiligen Kniegürtel ungeteilt überlasse, so fühle ich doch mit innigster Selbstzufriedenheit, daß ich es vermag. Ich verlange nichts dafür als Ihre Freundschaft; und diese erlaubt Ihnen Ihre Religion – warum sehen Sie sich so schüchtern um? – auch einem Ketzer zu schenken, wenn er sonst ein ehrlicher Mann ist. Wundern Sie sich nicht zu sehr über meine Großmut! Sie ist nicht so uneigennützig, als Sie denken. Es liegt ein gewisses stolzes Vergnügen darin, das mir selbst mehr wert ist, als die höchste Befriedigung der Sinnlichkeit. Sie sind wahrlich nicht das erste Mädchen, das ich in seiner wankenden Tugend befestigt – selbst in der kritischsten Lage befestiget habe, wohin ich sie erst selbst gebracht hatte; – und ich habe immer gefunden, daß ihnen diese Lektion dienlicher gewesen ist, als jede andere. Ein unschuldiges weibliches Herz, ich gestehe es Ihnen, ist mir Zeit meines Lebens immer das liebste Spielwerk gewesen; und ich bin gewiß der Freude nicht unwert, um die ich Sie bitte, mich die geheimsten Falten auch des Ihrigen, jede seiner Empfindungen, und alle die kleinen lieblichen Wendungen seiner liebenswürdigen Unerfahrenheit ohne Zurückhaltung sehen zu lassen – die mir wirklich ungleich mehr Freude machen, liebes Klärchen, als die wundervollsten Reize des Körpers. Gönnen Sie mir, mit einem freundschaftlichen, unumschränkten Zutrauen, diesen süßen Anblick, und ich stehe sogleich von allen Ansprüchen meines Handels ab.« – Du siehst, Eduard, wie weit ich ging, um nur zur Ehre meiner Religion und Moral recht zu behalten; aber es war nicht möglich. – »Nein, nein, nein,« schrie das einfältige Ding einmal über das andere: »ich darf die Freundschaft eines Ketzers, ich darf seine Geschenke nicht annehmen; und mein Gewissen verbeut mir, auf die Fallstricke seiner Lehren zu achten. Warum, wenn Sie es so ehrlich mit mir meinen, lassen Sie mich nicht Rücksprache bei meinem Gewissensrate und Glaubensgenossen halten?«


 << zurück weiter >>