Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

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Je seltener es ist, daß Züge aus dem Privatleben der Großen zur Erläuterung ihrer Gesetze dienen, desto mehr mußte es mich freuen, hier beides einmal in so gutem Verhältnisse zu finden, daß diese Hof-Lustbarkeit des Oberhauptes der Kirche und der Ablaßbrief, den er wahrscheinlich während derselben unterschrieb, eines das andere auf das ungezwungenste kommentiert. Ein Glück für mich, daß die Gräfin Vanotia nicht so gut dabei war, als seine berühmte Schwester, die dem Namen so viele Ehre machte, den sie in der heiligen Taufe erhielt; denn da hätte er vermutlich seiner Freundin den Gürtel der unbefleckten Jungfrau – anstatt ihn ihr jetzt als ein Konfekt von seiner Tafel zu schicken, während des Festes selbst umgebunden, ohne Zeit zu haben, ihn mit jenem allgemeinen Ablaß auszusteuern, der von dem Tage seiner Ausfertigung an, bis auf uns Glückliche, die wir übermorgen daran teilnehmen werden, vermutlich im stillen fortgewuchert hat. Vergib mir, Eduard, diese schwerfällige Periode ihres Reichtums wegen, ob ich gleich immer auf neue Befrachtungen komme, so oft ich nur einen Blick auf dieses kostbare Dokument werfe. Wie manchen Anstoß der Sittlichkeit mag es schon gehoben, wie manche lebhafte Szene befördert und entsündiget haben, über deren Menge und Eigentümliches wir erstaunen würden, hätten sie immer ihren Burchard gefunden! Es war, ich wiederhole es, ein Glück für mich, daß eben solche Umstände an dem Feste des gottseligen Papstes zusammentrafen, um eine so wichtige Urkunde in ihrer Entstehung und mir zu der gelehrten Freude zu verhelfen, die mir, dreihundert Jahre nachher noch, die Harmonie seines Lebens und seiner Gesetze verschafft.

Für meinen gesunden Schlaf zwar wäre es wohl besser gewesen, die ganze Parallele ungezogen und das Augenzeugnis des Zeremonienmeisters ungelesen zu lassen; denn es setzte mein Blut in die heftigste Wallung. Lange konnte ich das Naturgemälde nicht aus dem Kopfe bringen und gruppierte mich und Klärchen immer in Gedanken dazu. Mein Herz pochte, meine Augen glühten, ich fühlte unter einem heiligen Schauer den übermächtigen Andrang des Jesuitismus. Die Stunde der Mitternacht schien mir von Minute zu Minute feierlicher zu werden und der Geist Alexanders mich aufzufordern, in ihr meinen Profeß zu tun. Sein Freipaß überdeckte meinen Tisch, sein Tagebuch lag aufgeschlagen neben dem meinen, und zwei Wachskerzen brannten zu beiden Seiten. Alle diese Umstände zusammen wirkten gerade auf meine Überzeugung und trieben mich, unter fieberhaftem Erzittern, zur Ablegung meines Gelübdes. Da mir noch obendrein mein hülfreiches Gedächtnis, statt der vorgeschriebenen Formel, die mir unbekannt war, eine andere an die Hand gab, die bis zu meiner förmlichen Weihe einstweilen den Abgang jener gar füglich ersetzen konnte; so trat ich ohne weiteres Besinnen vor meinen Altar, auf dem meine Schwärmerei das verklärte Bildnis meiner Heiligen und Geliebten in die Höhe stellte, so frei von allem irdischen Putze, als es jene fünfzig Auserkornen immer nur können gewesen sein, die den befeuerten Blicken meines großen Vorgängers so wohl taten – und so ganz in der Glorie, wie mein trunkener Geist hofft, sie übermorgen von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Ich legte zugleich die linke Hand auf die anziehende Stelle in dem Tagebuche des heiligen Vaters, hielt den Zeige- und Mittelfinger der Rechten in die Höhe, und den Blick, von Rousseau ab, nach dem schlafenden Engel gewendet, entledigte ich mich meines Gelübdes, das zwar nicht den Worten, doch dem Geiste nach mit dem Eide eines Jesuiten auf das vollkommenste übereintraf. Si ille hoc fecit, sprach ich langsam und ernst, qui templa concutit sonitu – Ego homuncio hoc non facerem? ego vero illud feci ac lubensEunuch, Act. 3. Sc. 5..

Wie die Zeremonie vorbei war, taumelte ich endlich mit der eigenen Zufriedenheit eines Neubekehrten zu Bette, und wenn schon der gute Vorsatz verdienstlich ist, so darf ich hoffen, mehr als ein Barett verdient zu haben, ehe ich einschlafe . . .

*

den siebenten Januar

Und das erwartete Fest ist nach überstandener alltäglicher Ruhe erschienen. Noch hat wohl nie ein Höfling den Namenstag seiner abgelebten Fürstin, an der seine Pension, sein ganzer Unterhalt hängt, mit solchem Wohlbehagen des Herzens begangen, als mit dem ich mich von meinem Lager erhob und der Feier entgegensah, die mir der heilige Name meiner alten Aufseherin sichert. Ein froher Gedanke ward schon unter meiner Nachtmütze, ehe ich sie abwarf, durch einen noch frohern verdrängt. Die Erwartung des größten jugendlichen Glücks durchströmte mein Herz. Mit welchem Wohlgefallen habe ich nicht schon die Menschengestalt im Spiegel begafft, der so viele Freuden zuteil werden sollen, und wie zufrieden habe ich nicht zu dem ausgewählten Anzuge gelächelt, in welchem ich mich dem Altare meiner Göttin nähern werde! O, daß nur schon die Alte zu den Füßen ihrer Fürsprecherin liegen und mir Raum geben möchte, zu den Füßen der meinigen zu fallen!

Indes ist es doch sonderbar, Eduard, daß jede Erwartung einer übermäßigen Freude immer eine gewisse Ängstlichkeit mit sich führt. Wenigstens bin ich geneigter, die Unruhe, die ich mitunter spüre, lieber durch diesen als wahr angenommenen Satz, als durch eine Ursache zu erklären, die mich noch weniger trösten würde. Gab uns die sorgsame Natur dieses Gefühl als ein bitteres Gewürz, damit es in der Süßigkeit des Genusses der Unverdaulichkeit der Seele entgegen wirke; so sei ihr doppelt Dank dafür, und so wird sie auch schon ihren Beisatz zu mischen wissen, daß er nicht zu herbe weder vor- noch nachschmecke: Sollte aber die Bänglichkeit, die mir um das Herz schwebt, Ahndung eines Unrechts in meinem Vorhaben – sollte sie eine Aufforderung sein, die Sache ernstlicher und gründlicher zu untersuchen, so wäre ich übel daran, Eduard! Denn man hat schon zum dritten Male in die Kirche geläutet, ich habe keine Zeit mehr übrig zum Nachdenken, und wenn ich das heutige Fest ungenutzt vorbei lasse, so mag meine Untersuchung ausfallen wie sie will, der Verlust des an der laufenden Stunde klebenden Gewinstes ist nicht wieder zu ersetzen. Dans les choses douteuses – – sagt ja einer von den Kirchenlehrern, on n'est pas obligé de suivre le plus sûr. An diesen Satz will ich mich vor der Hand halten. – Ja, ja; wenn nur damit Ruhe wäre! Der Übertritt zu einem andern Glauben als wir gewohnt sind, ist wie ein Spaziergang in neuen Schuhen; sie mögen noch so gut gemacht, noch so viel wert sein, sie lassen uns doch die abgelegten bedauern, und werden uns so lange brennen und drücken, bis wir sie so ausgetreten haben als die alten. Sei versichert, Eduard! daß, wenn ich nicht Acht auf mich gäbe, nicht meinen Hut schwenkte und trällerte, wenn sich so etwas, das einem Gewissensskrupel ähnelt, aufdringen will, ich sehr leicht in einen Widerspruch mit mir selbst geraten könnte, der stark genug wäre, mich mit einem Male um die gereiften Früchte meines Jesuitismus zu bringen. Kannst du wohl glauben, was mich eben jetzt für eine Kleinigkeit beinahe ganz aus meiner Fassung gebracht hätte? Mit Scham gestehe ich dir's unter vier Augen – der Kopf – der Gipskopf von Rousseau. Es war mir, indem ich meine funkelnden Augen in die Höhe warf, als ob er mir mit strafendem Ernste gerade in das Gesicht blickte. Ich stutzte, wie ein furchtsames Kind – mir ward ganz heiß um das Herz, und wahrlich, ich mußte geschwind die malerische Stelle von gestern überlesen, um nicht in der Hitze meinen Ablaßbrief zu zerreißen, und den ganzen Handel mit Klärchen zum Henker zu schicken. Aber die lieblichen Bilder des Zeremonienmeisters taten auch diesmal ihre Wirkung. Meine Phantasie kam rosenfarbener zurück als zuvor, und meine lieben Schlafkameraden, die Kasuisten, bestreuten den Weg wieder mit frischen Blumen, von dem mich jener Widersacher der Freude verscheuchen wollte. Ich trat jetzt sogar dem Gespenste mit Trotz und Hohn unter die Nase . . .

*

Wenn man seine Sache, sie mag so schlimm sein wie sie will, nur systematisch behandelt, so findet man noch am ersten Gnade in den Augen eines Philosophen. Die Büste dieses moralischen Grillenfängers schien mir jetzt lange nicht mehr so abschreckend als vorher; ja ich schmeichle mir sogar, er würde, wenn er noch lebte, vielleicht mit derselben Beredsamkeit, mit der er einst den Vorzug der Ignoranz gegen die Wissenschaften verteidigte, sich auch meines Tauschhandels mit Klärchen annehmen, und ihn, auf den geringsten Widerspruch, nicht allein für unschuldig, sondern selbst für verdienstlich erklären. Wer wollte aber einer so einfachen Wahrheit wegen einen großen Dialektiker in Unkosten setzen? Sie spricht ja laut genug für sich selbst. Sind denn im Ernst, Eduard, die Umarmungen, die ich der Heiligen zudenke – die Spiele der Sinne, mit denen ich sie bekannt machen – die Verfluchungen, die ich dabei anstellen werde, und alle die Phänomene des ersten Unterrichts, die ich zu beobachten noch nie Gelegenheit fand – ist denn die ganze Sache etwas weniger oder mehr bei mir, als was sie bei einem Büffon oder d'Alembert sein würde – ein psychologisches Experiment, das mir auf mein ganzes künftiges Leben von Nutzen sein wird? Wenn man mit solchen Versuchen warten will, bis man erst Dekanus der philosophischen Fakultät ist, o! da weiß man schon, wie erbärmlich sie gemeiniglich ablaufen. Selten, daß die gelehrten Herren, die uns über den Gang der Leidenschaften vorpredigen, aus Erfahrung sprechen; denn ach! was sie so gut sind dafür zu nehmen, ist es oft so wenig, daß man nicht weiß, ob man mehr über ihren Selbstbetrug oder über das kalte Geschwätz lachen soll, das sie darüber hergießen. Das mag hingehen, wirst Du mir sagen; wie, und durch was kömmt aber die unschuldige Klara dazu, daß sie dir sitzen und die Heimlichkeiten ihrer Seele und ihres Körpers deinen Spekulationen bloßstellen soll? Durch was? guter Freund! Durch ihre eigene Religion und ihre Verteidiger – durch die Rechte des Handels – und durch den übermäßig hohen Wert meiner Zahlung. Eine Heilige hierzulande wird durch eine Reliquie tausendmal reichlicher für die momentane Aufopferung ihrer ruhigen Unschuld abgefunden, als eine bei uns durch ein Rittergut oder eine Grafschaft. Ja, ich traue Klärchen zu, wenn sie auch das – was ein unschuldiges Mädchen sonst nur einmal in ihrem Leben verlieren kann, einige dutzend- und mehrmal daran setzen könnte, um den heiligen Kniegürtel zu erlangen, würde sie sich kein Bedenken machen es zu tun – viel weniger jetzt, wo sie gar nichts wagt, und das päpstliche et in integrum restituimus ihr für allen Schaden gut steht. Mit zwei Worten, Freund, ich glaube gewiß, daß, seitdem es Kontrakte gibt, keiner noch unter so annehmlichen Bedingungen von beiden Teilen geschlossen wurde, als dieser . . .

Doch – welch ein Geräusch hinter der Scheidewand! Jetzt – ich schreibe es mit zitternder Feder – jetzt endlich erhebt sich die Alte – nun hustet sie wirklich zur Kammer – nun zum Vorsaal hinaus – nun die Treppe hinunter. Gehab dich wohl, fromme Bertilia! Mit Entzücken sehe ich dich, von meinem Pulte aus, über die Gasse hinken – so feierlich langsam, daß, ehe du die Nische deiner Heiligen erreichst, ich hoffen darf, schon vor der meinigen zu knien, und selbst in den Armen deiner zaghaften Nichte schon manche Blume der Jugend gebrochen zu haben, ehe du deine Matinen gesungen hast. Gehab auch du dich wohl, du Freund des glücklichsten Sterblichen! Lassen sich die tatenreichen Augenblicke der erlebten Stunde durch menschliche Worte darstellen, so sollst du sie treu geschildert erhalten, sobald ich sie, wie kostbare Perlen, in das Diadem meines Lebens verflochten habe.

*

Der Abstand des Traums zur Wirklichkeit ist nun gemessen! Hier sitze ich mit hinstaunendem Blicke wieder vor meinem Tagebuche, und das Versprechen, das ich der Freundschaft ausstellte, tritt, so oft ich auf meinen Bogen schiele, mir mahnend unter die Augen.

So setze dich denn her, Eduard! und nimm mir alles ab, was mir auf dem Herzen liegt. – Erst aber deine Hand, daß es unter uns bleibt! Hätte ich dir eine Liebesgeschichte zu erzählen von gemeinem Schlage, wie man sie etwan als ein schreckendes Beispiel auf dem Katheder braucht, so bedürfte es der vielen Umstände freilich nicht, ich wollte bald damit zu Rande sein, aber hier ist mehr, als dies – hier ist das visum repertum einer Heiligen – ein Feenmärchen, nur mit dem mächtigen Unterscheide, daß es wahr ist. Frage nicht nach der Zeit meiner physischen Abwesenheit! Ich würde dich in Irrtum bringen, wenn ich sie bestimmte. War es nicht ein Kalif, dem ein Engel des Himmels befahl, seinen Kopf in einen Eimer voll Wasser zu tauchen? – Er tat es so lange, als man braucht, um nicht zu ersticken; und als er ihn wieder herauszog – glaubte der Mann, ein Jahrhundert wenigstens voll Seligkeit durchlebt zu haben. Das muß ein Engel der Liebe gewesen sein, Eduard, der dieses Wunder tat! Meiner Uhr nach ist es mir ergangen wie dem Kalifen.

Welch ein Abenteuer! So einfach in seinem Beginnen und doch so verwickelt in seinem Fortgange, und doch so herzerschütternd in seinem Ende! Mystische und magische Kräfte im Streite mit den Kräften der Natur! Mönchische Empörung gegen Papstes Gewalt! Tumult des Gefühls! Ohnmacht des Willens! Und dieser Reichtum von Erfahrung in dem beschränkten Raume weniger Augenblicke!

»Widder, mein guter Freund!« sagte der Riese Molineau zu Hamiltons schwatzhaftem Widder, und du sagst es vermutlich zu mir, »fange doch deine Erzählung, ich bitte dich, beim Anfange an.« – So sage mir nur erst, mein kluger Herr, wo der Anfang meiner Geschichte zu finden ist? und gern will ich deinen Rat befolgen. Aber wo höhere Mächte im Spiele schon lange vorher unsichtbare Fäden an die Werkzeuge deines Willens knüpften, ehe es dir nur ahndete, ihre Puppe zu sein – wer kann da sagen: Jetzt hebt meine Geschichte an?

Jede Reliquie, behaupten die Sachverständigen, steht unter der unmittelbaren Aufsicht eines Seraphs, und alle die Wunder, die zusammentrafen, um mir die meinige aus den Händen zu spielen, beweisen wahrlich für diesen Satz. War es denn wohl ein so natürliches Ereignis, daß eben ich – der einzige Ketzer einer so großen Versammlung, den heiligen Kniegürtel erstand, um ihn durch den sonderbarsten Zusammenhang der Dinge derselben frommen Seele auszuliefern, die nur einen halben Dukaten weniger darauf bot? Ist es zu glauben, daß nur ein Ungefähr mich zu ihrem Nachbar – zu ihrem Bewunderer – zu ihrem Freunde machte? – zu glauben, daß sich die gelehrtesten Kasuisten nur von ungefähr mit mir in einer Schlafkammer befanden – daß der Buchhändler Fez – der Wächter der Laura, mir so geschwind ihr Zutrauen schenkten, – und daß endlich die zwei einzigen Feste im Jahre, welche Klärchen ohne Aufsicht ließen, eben in dem engen Zeitraume meiner Mietzeit einfallen mußten? – Wer hier die übernatürliche Leitung menschlicher Begegnisse verkennt, muß wahrlich noch fester an den Zufall glauben – muß noch mehr Herz haben als ich. Doch die Folge wird dich noch besser davon überzeugen; denn diese Vorbetrachtungen, so anziehend sie auch mir sein mögen, da ich das Ende weiß, sollten dir nicht länger die Geschichte selbst vorenthalten, zu deren genauen Darstellung mich mein Versprechen verbindet.

Ich trat, du weißt in welcher Bewegung der Seele, aus meiner Klause – war mit zwei Schritten an dem Vorsaale, mit zwei andern vor Klärchens Kammer – löschte hier das eine – dort das andere Kreuz aus, das der zauberische Propst mit seiner geweihten Kreide über die Türen gemalt hatte, und in der behaglichen Zuversicht, nun auch über die kleinsten Hindernisse hinweg zu sein – trat ich mutig dem Engel unter die Augen. Ich las auf ihren Rosenwangen mein nahes Glück, und hörte zugleich die erste Losung dazu aus ihrem lieblichen Munde. »Ich hoffe,« sagte sie, doch sagte sie es mit einer hoffnungslosen Stimme, »Sie, mein Herr, heute mit großmütigern Entschließungen bei mir zu sehen, als da Sie mir das heilige Band anvertrauten. Es hat Wunder an mir getan, die es mir schwer – die es mir unmöglich machen, mich wieder von ihm zu trennen. Möchte doch dieses offenherzige Geständnis Sie bewegen, mein lieber Herr, von dem hohen Preise nachzulassen, den Sie darauf gesetzt haben!« – »Nicht ich, Klärchen,« fiel ich ihr in die Rede, »der heilige Vater hat den Preis gemacht, von dem ich Unwürdiger nicht um einen Buchstaben abgehen werde. Hier lege ich die Urkunde seiner Macht und Gnade dem Sofa gegenüber: und wenn selige Geister auf Handlungen schwacher Menschen, wie sie einst auch waren, achten, so wird der verklärte Papst mit Wohlgefallen meinen Eifer erblicken, das lieblichste Mädchen seines vormaligen Gebiets aller der Indulgenzen würdig zu machen, die er, an einem seiner fröhlichsten Abende, diesem heiligen Gürtel hier vermacht hat. Die Türen, liebes Klärchen, sind verriegelt – Ihre Tante – zittern Sie nicht! bittet für Sie. Die Interdikte des Propstes sind durch höhere Macht aufgehoben, und alle seine Kreuze verlöscht – – – Doch wie? was sagt mir diese bedeutende Errötung? Wie, Klärchen?« fuhr ich heimlicher fort, indem ich ihre bebende Hand an mein Herz drückte, »so wären sie nicht alle verlöscht? Ihr vielsagendes Stillschweigen, Klärchen, liebes Klärchen! zu welchem verwegenen Gedanken muß es mich nicht berechtigen? Doch es sei darum! Mag der Schwarzkünstler sein letztes Kreuz noch so versteckt haben – ich hoffe, es zu finden und zu tilgen.« – Und indem ich sprach, sehnten sich meine lüsternen Augen nach dem Anblicke der heiligen unverhüllten Natur – mein Kunstgefühl stieg aufs höchste, und arbeitete, wie es alle menschlichen Kräfte tun – nach Beruhigung. – »Um der eilftausend – Jungfrauen willen, mein Herr,« rief nun das höchst erschrockene Kind, »nimmermehr! und wenn Sie Bischof – und wenn Sie Papst wären – Sind Sie von Sinnen, mein Herr? Was verlangen Sie?« – »Dich, dich Klärchen,« rief ich entschlossen, »nur dich in deiner ganzen Wahrheit und Unschuld! Glaubst du denn, daß mich der heilige Vater gesandt hat, dich einzukleiden? Weißt du nicht mehr, was alles das Urteil besagt, das du dir selbst bei unsern Schiedsrichtern geholt hast?« – Diese Erinnerung kam zu rechter Zeit. – »Ach, wie konntest du, Pater Lessau,« schluchzte sie nur noch, »wie konntest du, Pater Bauny, so etwas gut heißen« – Und sie sträubte sich nun wie ein gehorsames Kind. In einer bänglichen Minute kam sie errötend dem schlafenden Engel – in einer andern dem Ablaßbriefe vorbei – und immer näher dem Sofa – und nun – Doch Freund, was erschöpf ich meinen Atem in alltäglicher Prosa? Ist die Größe und Seltenheit meiner Erfahrung in dieser feierlichen Stunde – ist sie nicht mehr wert? und kann es Bilder geben, die des Firnisses der Dichtkunst würdiger wären, als die Hingebung einer Heiligen in das allgemeine Schicksal der Schönheit? So denke dir denn, lieber Eduard, die beängstigte Heilige, denke dir Klaren, kurz vor dem Hintritte in den Freistaat der Natur, dicht neben mir auf dem traulichen Sofa –

Mit schnellern Schwingen schien mein Traum,
Als selbst der Gott der Zeit, zu fliegen.
Das Chor begann, die Glocken schwiegen
Und unsre Tante mochte kaum
Am Schemel ihres Götzen liegen,
Als meine Küsse schon den Raum
Des Äthers teilten und den Saum
Von Klärchens Halstuch überstiegen.

Sie flatterten dem Silberschein
Der Brüssler Kanten – wie die Mücken
Dem Lichte, zu, voll Sorgen, in die fein
Gesponnenen Verräterein
Die Flügelchen nicht zu verstricken,
Und schwirrten auf und ab und flogen aus und ein,
Bis es dem Schwarm gelang, das letzte kalte Nein
Auf Klärchens Lippen zu ersticken.

»Du, des Enthüllens wert, du, wie die Wahrheit rein,
Um angetan wie sie zu sein,
Bespiegle dich in ihren Blicken!
Ihr eigner Nimbus hüllt sie ein;
Sie deckt die Quellen nicht, die ihr die Kraft verleihn,
Das Universum zu erquicken,
Läßt gern ihr Heiligtum mit Frühlingssprossen schmücken
Und Primeln sich am liebsten weihn,
Und kann dir – nein – sie kann dir nicht verzeihn,
Mit Nadeln ihren Freund zu picken.
Hör auf, beschwör ich dich, bei diesen Streiferein
In ihr Gebiet, bei diesen kleinen Lücken,
Die ich dir abgewann, bei diesen Tändelein,
Die mich so königlich beglücken –
Hör auf, den Prediger der Wahrheit lahm zu zwicken!
Mariens Band ist lange noch nicht dein,
Und nach dem päpstlichen Verein
Wird mancher Flor sich noch verrücken.«

So sprach ich ihr ans Herz – allein
Die Fromme schrie, als wollte sie die Krücken
Des heilten Synklets erschrein:
»Dir fleh ich, Trägerin der großen Eins in Drein,
Dich schwesterlich zu mir herab zu bücken! –
Hilf, Heilige von Falkenstein,
Hilf mir–und hilf vor allen Stücken
Mein sprödes Kleinod mir befrein!
Hab' ich nur erst, was himmlisch ist, im Rücken,
So mag die Weltlust kurz und klein,
Was irdisch an mir ist, zerpflücken.«
»Dein Kleinod?« – »Ja, mein Herr! Sind Sie denn vor Entzücken
Ganz blind? und wollen Sie denn mein
Hochheiliges Nicaisen-Bein,
Das mir hier hängt, durchaus zerknicken?
Nach Ihrer Art, sich kräftig auszudrücken,
Was könnte da wohl haltbar sein?« –
»Oh,« rief ich, » den will ich schon weiter schicken;
Kein Heiliger soll uns entzwein!«

Ein holder Augenblick befreite
Sie dieser frommen Angst. Vergnügter als dies zweite,
Knüpft ich ihr kaum das erste Bändchen ab,
Das mir in unserm offnen Streite
Das Kaperrecht auf alle gab.
Frei irrte nun mein Blick, sobald als der Geweihte
Zutage kam, die Läng' und Breite
Des aufgehellten Pfads herab.
Welch Labyrinth! als schwebt es erst seit heute
Im Raume der Natur – als hätt' ein Zauberstab
Die kleinen Hügelchen zur Seite
Aus Äther aufgewölbt – Und wäre dies ein Grab
Für kalte Katakomben-Beute?
Und hier, wo du, geliebte Dulderin
Kaum meinen Kuß verträgst, hat dein betörter Sinn
Ein morsches Totenbein gelitten?
Und ich? ich sollte nicht an diesen Küsten hin,
Weil ich nicht Sankt Nicaise bin,
Um eine kleine Landung bitten? –
Oh! ihr, die mit dem Geist des Malers von Urbin
Den höchsten Preis der Kunst erstritten,
Malt, es wird Zeit, malt mir der Unschuld Cherubin,
Der, aus dem Staub der Welt nach dem Olymp zu fliehn
Schon im Begriff – die Fittiche beschnitten
Sich fühlt; malt seinen Glanz – malt seine Angst – malt ihn
Vermögt ihr's, wie er mir erschien,
Ganz im Kostüm der Adamiten!

Wie unterm vollen Mond die Nebel sich verziehn,
Trat jetzt aus dem Gewölk von Flor und Mousselin
Der junge Busen vor. Zum ersten Male glitten,
Der Indulgenzen froh, die ihm der Papst verliehn,
Der Sonne Strahlen über ihn.
Kein Reinerer vereint, seit dem Verfall der Sitten
Von Ilium bis Rom, von Paphos bis Stettin,
Mehr Augenlust für Sybariten
In seinen Pünktchen von Karmin,
Und keiner blähte sich mit wildern Phantasien
Der Angst, so vor der Zeit den Rubikon beschritten,
Die Blumen abgemäht, die unter ihm gediehn,
Sein ganzes Tempe mit Ruin
Bedeckt zu sehn, sobald es, mitten
Im Bausche des Gewands, der List gelang, den dritten
Und letzten Knoten aufzuziehn . . .

*             

Wie bebend stand sie da, die Perle der Pücellen!
Wie ein verklärter Geist, den an des Himmels Schwellen
Ein Schauer der Verherrlichung
Zum erstenmal ergreift! Sie, jedem Dichterschwung
Zu hoch, sie traulicher dem Auge darzustellen,
Ist keine Sammlung von Pastellen,
Ist keine Sprache reich genung.
Wie ward mir! Ach, aus meinen Augen blickte
Ein Herz, das wie ein Gott genoß;
Die Stimme fehlte mir – in meinen Adern floß
Ein Feuerstrom, der sie nur stärkender erquickte,
Je wütender er sich ergoß,
Die Lieb' in Ungestüm verweilte nirgends – pickte
Ein Röschen hier, das seinen Kelch verschloß,
Eins dort, das sich schon besser schickte,
Schon prahlender in Blätter schoß,
Und jedes, das die lange Zeit verdroß,
Die es umsonst im Schutz der Interdikte
Der Lüsternheit entgegensproß.

So schweifte mein Gefühl mit wechselndem Gewinste
Durch Berg und Tal, den Bienen gleich, und sog
Sich voll – flog schwerer–und verflog
Zuletzt sich an das Kreuz, das unter Florgespinste
Des Propstes Zaubergriffel zog.
Wie ängstlich flatterten die aufgeschreckten Reize
Der Scham, den Tauben gleich bei einer Reiherbeize,
Von allen Scherzen ausgezischt
Aus dem Tumult. Genug! – mit Tränen untermischt,
Wird nun der Opfertrank dem lang getäuschten Geize
Des hungrigsten der Götter aufgetischt.

Doch kaum begann das Fest, die Augen angefrischt,
Sah ich kaum, unter mir, von dem versteckten Kreuze
Des Propstes den Kontur verwischt,
So fühlt' ich schon mit jedem Blick von Klagen
Die Strahlen seines Banns mir in das Auge fahren,
Das wild bis an die Schranken lief,
Die, ihm zwar weit genug durch meinen Ablaßbrief
Geöffnet, doch zugleich mit einer wunderbaren
Geheimen Kraft gesegnet waren,
Die alles, was im Reich der Phantasien schlief,
Die Grenzen zu bedecken rief.
Gespenster stiegen auf, die Gegend wurde trüber,
Sturm zog sich um den Kreuzgang her;
Mir war, als schleudre mich ein ungestümes Meer
In das Gebiet der Schatten über
Gelähmt zu jeder Wiederkehr; –
Mir war, als schlüge das Gebelle
Des Höllenhundes an mein Ohr:
Mir war, als ob der Danaiden Chor
Sich mir mit ihren Eimern vor,
Und neben mir sich der Verdammte stelle,
Der, ewig durstend an der Quelle,
Die Tropfen zählt, die er verlor.
Neugierig streckte sich so mancher Diebsgeselle
Verbotner Freuden aus der Welle
Des Phlegethons nach mir empor – – –

Doch was erhebt dort aus dem Feuer
Des Orkus sich für ein Koloß?
Entsetzlicher, als selbst die Ungeheuer
Aus jenem fabelhaften Troß!
Die Dietriche des Himmels glühen
In seinen Händen – Funken sprühen
Von seinem purpurnen Talar!
Sein Nimbus schwebt im Qualm der Seuchen,
Die ihm die neue Welt gebar!Während seiner Hierarchie ward Amerika entdeckt. Als Statthalter Gottes bestätigte er dem Eroberer den eigentümlichen Besitz durch einen Schenkungsbrief und überschwemmte sogleich den neuen Weltteil mit Mönchen, die für das Evangelium, das sie dahin trugen, im Tausch jene unglückliche Krankheit zurückbrachten, die selbst die ersten Quellen der Natur vergiftet.

Sie nagen sein Geripp und scheuchen
Der Neugier Blick von seinem Schlangenhaar!
Sein Haupt, das frech drei Kronen aufeinander
Getürmt, sein Fürstenstuhl, den eine nackte Schar
Umzingelt, stellen mir im Glanz der Salamander
Das Oberhaupt der Kirche dar;
Ihn, der verwüstend wie ein Brander,
Auf Titus Thron – Papst Alexander
Jetzt mir auf Klärchens Brust ein Unterhändler zwar,
Doch selbst auch hier, wie vor dem Hochaltar,
Ein gottvergessner Abgesandter
Des Todes und der Sünde war.
Statt einem Lorbeerkranz zog spottend der Barbar
Ein Leichentuch um meine Schwanenbetten;
Mein Auge schwindelte im Bann
Des Propstes, und erstarb – die letzte Ölung rann
Kalt über mich, und Totenmetten
Vereitelten den Amoretten
Die Überfahrt nach Kanaan.
Mir schien, als schleppe mich ein brausendes Gespann,
Mit Krepp behängt, mit traurigen Aigretten
Bekrönt, dem Hügel zu, wo man
Das Glück der Schlafenden schon aus dem Kranz von Kletten
Der ihn umweht, erraten kann.
Erschreckt durch solch ein Bild, sah ich mich um und sann,
Nur noch den Rest der Seligkeit zu retten,
Die mir mein Dokument gewann.
Umsonst! Die Hölle schien auf meinen Fall zu wetten;
Dem schwindenden Phantom begann
Mein eifersüchtiger Tyrann
Ein neues Blendwerk anzuketten.
Schon dreimal hatt' ich mich in den Bezirk gewandt
Wo sich mein erster Blick mit Hoffnungen verband,
Die lange noch nicht eingetroffen;
Und dreimal prallt' ich ab, gleich Einem, der am Strand
Kalabriens sein schönes Mutterland
Vergebens wieder sucht. Sein Gärtchen ist ersoffen;
Sein alter Spielplatz ist mit Sand
Bedeckt – sein Veilchental steht jetzt bis an den Rand
Voll Nesseln, und er sieht dort die Charybdis offen,
Wo sonst ein Meilenzeiger stand!

Doch hier entfällt die Feder meiner Hand,
Ich geb' es auf, den Stoff noch besser auszustoffen.
G'nug! Eh' ich mich in diesem Schutt und Brand
Ein wenig nur zurechte fand,
Zerfloß mein Jugendtraum – ach! wider mein Verhoffen,
Selbst wie ein Schatten, und verschwand.

In mancher Fährlichkeit, wenn ich bald Menschenhasse,
Bald frommer Heuchelei die freie Stirne wies,
Wenn ich in dunkler Nacht, trotz meinem Weisheitspasse,
Mich manchmal an die Nase stieß,
Malt' ich mich dir so gern; doch diesmal, Freund, erlasse
Den Umriß mir der kläglichen Grimasse,
Die mir mein Unfall hinterließ.
Der Sohn des Dädalus fiel, glaub' ich, nicht viel strenger
Bestraft, vom Himmel in die See;
Die traurigste Gestalt schlug nicht ihr Auge bänger
Nach Rosinanten in die Höh';
Kein Witwer fühlte sich wohl je
Verwitweter als ich; selbst nicht der Minnesänger
Der höllischen Euridice.

»Ach, Klärchen, ach! wo kamen die Bilder die schrecklichen Bilder her?« rief ich trostlos aus, indem ich dem lieben Kinde von unserm traulichen Sofa herunter half. – »Was denn für Bilder?« fragte sie, trat zugleich vor den Spiegel, ohne auf meine nachstrebenden Blicke zu achten, und schon rollte der Vorhang über jene heiligen Kleinodien, die vielleicht von mehr Gespenstern bewacht wurden, als je einen Schatzgräber erschreckt haben. Sie hatte so eine Eile damit, als wenn sie befürchtete, ein einziger Sonnenstrahl schon könnte dem herrlichen Gemälde, das ihr so rein und treu, wie aus einem Kristall, widerschien, alle seine Schatten und Lichter ausziehen. Mein Herz war beklemmt – es fühlte mit Wehmut seinen Übergang aus der schönen Natur in die gemeine Welt. – »Nun, mein Herr,« wiederholte sie, während sie ihren ersten Unterrock über sich warf, »was für Bilder waren es denn?« – »Blendwerke der Hölle,« antwortete ich. »Sie hätten wohl einen Riesen aus seiner Fassung bringen – einen Furchtsameren als mich wohl töten können.« – »So bin ich denn recht froh,« fiel sie mir in das Wort, »daß wir noch so gesund beisammen sind.« Und dabei knüpfte sie die Hauptschleife, von der ich dir, glaube ich, schon oben etwas gesagt habe, wohl noch einmal so fest zusammen, als sie war, da ich sie aufzog. – »Wo ich hinsah,« fuhr ich fort, »lagen die Phantome vor mir, stiegen mir nach, wo ich hindachte, und haben mir den schönsten Handel verdorben, der wohl je über eine Reliquie geschlossen wurde.« – »Das tut mir herzlich leid, mein Herr,« erwiderte sie, und langte nach ihrem Nadelküssen. »Ohne die Mühe des Aus- und Anziehens eben hoch in Anschlag zu bringen, würde ich sie mir doch ganz erspart haben, hätte ich vermuten können, daß Ihnen dieselbe Ansicht, auf der Ihr Eigensinn so hartnäckig bestand, so übel bekommen würde. Weder Pater Bauny,« sagte sie, und fuhr in den einen Ärmel ihres Mieders, »noch der Pater Lessau,« und sie fuhr in den andern, »weder Sie noch der Papst,« und sie fing an sich einzuschnüren, »würden mich haben bereden können, ihnen damit beschwerlich zu fallen, wenn ich, wie gesagt, es gewußt hätte.« – »Sie sind die Güte selbst, Klärchen, und so aufrichtig als schön; um desto mehr ist es zu bejammern, daß so viele Vollkommenheiten unter dem Drucke eines Zauberers liegen.« – »Wie, mein Herr?« drehte sie sich verwundernd nach mir um: »Halten Sie den Schutz der Mutter Gottes – das Kreuz der heiligen Cäcilia, für Zauberei? und rechnen Sie die frommen Interdikte meines Seelsorgers unter die verbotnen Künste?« – Ich ließ mich durch ihre Frage nicht irren. – »Unbegreiflich!« fuhr ich nur noch ingrimmiger fort, je fester sie ihr Schnürleibchen zusammenzog. »wie ein Propst gegen einen Papst – ein gemeiner Schwarzkünstler gegen den größten, so ganz ohne Widerrede recht behielt!« – »O! mein Herr,« fiel sie mir hier sehr ernsthaft ein, »seine väterliche Fürsorge für mein Bestes . . .« – »Was meinen Sie damit? Klärchen!« fragte ich in der albernsten Zerstreuung – »verdient, auch selbst in Ihrem Munde, diese Schmähung nicht. Wie können Sie nur den guten Mann mit Ihren Phantomen in Verdacht haben? Wie hätte er denn Ihren Handel verderben können, der, glauben Sie mir, viel zu sonderbar war, als daß ihn selbst ein Prophet hätte erraten sollen? Tun Sie immer der Wahrheit die Ehre, und gestehen Sie, daß Sie nichts mehr als Ihre eigene Schuld trugen, und da Sie über allen unsern Ein- und Ausgängen die Kreuze des Propstes mit lachendem Mut verwischten, Sie notwendig die rächenden Geister wider sich empören mußten, die diese heiligen Zeichen umschweben. Es ist mir lieb, daß Sie aus eigener Erfahrung lernen, wie wenig Ihr Glaube gegen den unsern vermag, und daß man ungestraft auch das geringste Geschöpf nicht unrecht ansehen darf, das unter dem Schutze der Heiligen steht. Aber, mein lieber Herr,« fuhr sie jetzt mit mehr Teilnahme fort, »da Sie nun das erfahren haben, wie mögen Sie sich immer noch nicht besser mit Ihren Augen in acht nehmen? Sie verfolgen ja jede Nadel, die ich mir anstecke, als wenn Ihnen noch so viel an Ihrem Schwindel gelegen wäre. Warum setzen Sie sich nicht einstweilen in eine Ecke, bis ich mit meinem Anzuge zustande bin?«

Beinahe glaube ich, Eduard, daß Klärchen mit ihrem kindischen Geschwätz nicht ganz unrecht hatte. Ich begreife es noch nicht, warum ich, ohne zu wanken, neben ihrem Spiegel gelehnt blieb, den sie doch, mit so gänzlicher Ausschließung meiner, über ihren Anputz zu Rate zog, als wenn ich nicht in der Stube wäre. Mit der traurigsten langen Weile stand ich da und mußte zusehen, wie sie alles so artig wieder aufbaute, was ich zu Ehren der Natur einriß – wie mir jede Minute eine Augenfreude mehr entzog, bis alle und jede ihrer heiligen Reize – und wie ich fürchtete – auf ewig, meinem Anblick verschwanden.

Sie war nun so weit mit sich fertig, daß sie nur noch das letzte Streifchen Musselin um ihren Busen zu schlagen hatte, als sie, durch einen flüchtigen Hinblick nach ihrem Halsgeschmeide, meine Füße in Bewegung brachte. Ich holte den guten Nicaise aus seinem Winkel, und ich hoffe, daß der bescheidene Ernst, unter welchem ich ihn jetzt wieder zu seiner warmen Ruhestätte begleitete, den Leichtsinn hinlänglich verbüßt hat, mit dem ich mich unterfing, ein so heiliges Gebein der Erkältung auszusetzen. Und nun stand das fromme Klärchen wieder so erbaulich vor mir, daß ich nichts weniger als ein neues Schrecken von ihr erwartete, mit dem sie mich doch bald genug überraschte. – »Jetzt, mein Herr,« sagte sie freundlich, »jetzt geht mir zur völligen Beendigung unseres Handels nichts mehr ab, als – Sie wissen wohl – die restitutio in integrum, die Sie mir, als eine Hauptbedingung, zugesagt haben.« – »Ihre restitutio in integrum?« fing ich das Wort auf, und ward rot bis über die Ohren. »Kann das fromme Klärchen auch spötteln? Oh, haben Sie nur Geduld! Jene Schreckbilder werden mich nicht ewig verfolgen, und mein Näherrecht wird dem heiligen Vater schon noch Gelegenheit verschaffen, seine ganze Macht und Gnade an Ihnen zu versuchen.« – »Da verstehen wir uns einmal wieder nicht,« antwortete sie und legte ihre Hand traulich auf meinen Arm. »Ich rede sehr ernstlich, mein Herr! Mein Spiegel hat mir keine Kleinigkeit und hat mir also auch nicht verschwiegen, in welche Gefahr jene unruhige Lage auf dem Sofa meine Singstimme versetzt hat. Ich beschwöre Sie also bei der Unschuld der Harmonie, bei der Glorie der heiligen Cäcilia, das Malzeichen wieder in seinen vorigen Stand herzustellen, das unter Ihren Händen verlosch. Hier ist die geweihte Farbe, die auf dem Altare dieser großen Erfinderin der Orgel – dieser Patronin aller Sängerinnen und Sänger, gemischt und der einzige Reichtum meiner Toilette ist.« – Mit diesen Worten reichte sie mir aus dem einen Schubfach einen Pinsel, aus dem andern eine kristallene Schale, die diese kostbare Schwärze enthielt. Es lagen in dieser ihrer Zumutung wieder so viel neue Begriffe für mich, daß ich nicht gleich wußte, wo ich damit hin sollte. – »Also nur Ihrer sonorischen Stimme wegen, Klärchen?«fragte ich lakonisch, und schüttelte den Kopf. – »Und weswegen könnte es denn sonst sein?« fragte sie dagegen; und wir blickten einander wieder mit der Verwunderung an, in die uns schon so oft unsre Mißverständnisse gebracht hatten. Das Mädchen, Eduard, wird mir ein Rätsel bleiben bis zu dem letzten Augenblicke.

So wenig ich auch von Zeichnung und Malerei verstehe, so hatte ich doch nicht das Herz, ihre Forderung von der Hand zu weisen. Ich folgte ihr also, und diesmal ganz demütig, bis an den Sofa nach – knieete mit der nichtssagenden Miene eines elenden Malers, den ein Narr mietete, eine Venus von Correggio auszubessern, vor die beschädigte Sängerin – sah zum letztenmal im Vorbeigehn den teuern Kniegürtel, der mich in so viele Verlegenheit schon gebracht hatte, und der Vorwurf, den ich mir machte, seine weitläufigen Indulgenzen so ärmlich benutzt zu haben, lief mir eiskalt über den Leib. Ich nahm mich jedoch auf das beste zusammen, zog meine Striche die Länge und die Quere auf dieselbe Stelle, wo ich die Spur der ersten halb verlöschten antraf, und ehe ich mich umsah, stand mein Gemälde im möglichsten Glanze da. Wenn du aber denkst, daß es ein Kreuz war, Eduard, so irrest du dich. Die Grundsätze meiner Moral und Religion werden mir nie erlauben, für den Aberglauben einen Pinselstrich zu tun, es müßte denn sein, um ihn zu verspotten; und dazu hatte ich hier freilich alle mögliche Aufmunterung. Was soll das Symbol des heiligen Kreuzes, ich bitte dich, an dem Scheidewege einer Sängerin? Ich wollte nur, dachte ich, daß der Propst da wäre, um ihm das Lächerliche und Unschickliche davon begreiflich zu machen. Doch bin ich denn nicht sicher genug, daß er herkommt? Gut! so will ich ihm denn einen Beweis ziehen, der ihm so stark in die Augen leuchten soll, daß sie ihm übergehen. Die Gelegenheit war wirklich zu schön! Denn so gewöhnlich es auch ist, seinen Gegner an einen dritten Ort zu bestellen, so konnte doch zu der stillen Rache, die ich an dem meinigen zu nehmen gedachte, wohl schwerlich einer besser gelegen sein, als die einsame Gegend seines täglichen Besuchs, die seine vertrauteste Freundin durch einen Zusammenfluß glücklicher und unglücklicher Zufälle mir selbst zu verraten genötiget wurde. – Und so malte ich denn dem guten Mädchen, ohne daß sie auch diesmal so wenig erfuhr, was auf ihrer Grundfläche vorging, als sie die feine Verbindung meiner guten Absichten mit meiner schlechten Arbeit argwöhnen konnte – etwas – das sich ungleich besser für ihre Umstände schickte, malte ihr statt des heiligen Kreuzes, das sie erwartete, mit allem Ausdrucke der Wahrheit, ein Bild, das auf einen flüchtigen Blick jener Figur nicht ganz unähnlich war – kurz, ich malte ihr nichts mehr und nichts weniger als – was denkst du wohl Eduard? als einen – Stimmhammer.

Wir waren beide, obgleich aus verschiedenen Gründen, mit dem guten Fortgange der Wiederherstellung so zufrieden, daß wir noch, während das Gemälde abtrocknete, die freundlichsten Blicke miteinander wechselten. Stelle dir aber mein Erstaunen – stelle dir – – – nein, du kannst es nicht – mein Erschrecken und ihre Verzweiflung vor, als ihr Aufstehen vom Sofa ihr nur zu fühlbar entdeckte, daß ich während meiner Arbeit – wo muß ich die Augen gehabt haben? – den ganzen Rest der geweihten Farbe, der wenigstens noch zu hundert Kreuzen hinlänglich gewesen wäre, verschüttet – das feinste Linnen, das man sich denken kann, verdorben und selbst den Kniegürtel der unbefleckten Jungfrau ein wenig befleckt hatte. Alle die entsetzlichen Folgen meiner Ungeschicklichkeit, ob ich sie gleich nicht so geschwind übersehen und so genau berechnen konnte, als Klärchen, traten mir doch lebhaft genug unter die Augen, um mich aus meiner Fassung zu bringen. Ich hatte kaum das Herz, nach dem armen Kinde in die Höhe zu blicken, das, durch diesen Unfall ganz niedergedrückt, seinen vorigen Heroismus unwiederbringlich verlor. Sie schlug die Hände über den Kopf zusammen, lehnte sich hinfällig an die Wand, vergoß in der Geschwindigkeit mehr Tränen, als letzthin von der heiligen Magdalena versteigert wurden, und stürzte sich endlich, wie ohnmächtig, auf den Sofa zurück. – »Liebes, bestes Klärchen,« rief ich in der äußersten Bestürzung, »um aller Götter willen, beruhigen Sie sich! Sagen Sie mir, in welchem Kloster diese Schwärze der heiligen Cäcilia zu kaufen ist; ich will hinlaufen – sie holen und Ihnen den Verlust Ihrer Toilette, wenn er auch noch so beträchtlich wäre, mit tausend Freuden ersetzen. Vor allen Dingen aber bitte ich Sie – und ich will Ihnen gern dabei hülfreiche Hand leisten – kleiden Sie sich um.« – Jetzt erwachte sie und drehte ihre mächtigen Augen, mit dem verächtlichsten Blicke, den sie fassen konnten, nach mir Unglücklichem zu. – »Gehen Sie, mein Herr,« rief sie mit sublimer Stimme: »Machen Sie, daß Sie bald aus unserm Hause kommen! Es ist kein Glück und Segen in Ihrer Nachbarschaft.« – Mehr erlaubte ihr der Schmerz nicht vorzubringen. Sie stützte ihren Kopf auf die rechte Hand, über die ich neue Tränen in Perlen herabrollen sah. Ich stand wie versteinert vor dem so hoch betrübten Kinde. Eine Weile darauf erhob sie noch einmal ihr trauerndes schönes Gesicht und ihre bebende Stimme. »Muß ich Sie noch immer sehen, mein Herr?« fragte sie mit einer Empfindlichkeit, die mir das Innerste meiner Seele bewegte. – »Undankbare!« versetzte ich jetzt mit tragischem Ernste: » Sie soll ich, Ihr Haus soll ich – mein Näherrecht soll ich verlassen? Und Sie wollten das Knieband der Madonna – den Ablaßbrief Papst Alexanders – wollten sich alle seine Indulgenzen zueignen, ohne mir nur eine kleine Frist zu gönnen, sie mit Ihnen zu teilen?« – »Das«, fiel mir das fromme Mädchen mit unbegreiflichem Stolz ins Wort, »ist noch der einzige Trost in meinem Unglücke, daß ich diese Heiligtümer unwürdigen Händen entreiße! Auf meiner Seite habe ich die Bedingungen erfüllt, mehr als zu sehr erfüllt, und bin darüber in Ruhe. Dies, mein Herr, ist, bei der gebenedeiten Mutter! das letzte Wort, das Sie von mir hören. – Jetzt können Sie gehen, oder meine Tante erwarten, wie es Ihnen beliebt.« Sie hatte kaum ihrer Tante erwähnt, so ward mir schwül um das Herz. Ich wagte keinen Augenblick länger zu verweilen, und, nach ein paar hingeworfenen Worten zum Abschiede die mir das Geschöpf nicht einmal beantwortete, eilte ich zur Türe hinaus, die ich auch sogleich hinter mir zuriegeln hörte.

Ich kannte mich kaum vor Ärger, wie ich in mein Zimmer trat. Ich klingelte nach Bastian, um ihn zu fragen, was er wolle? und klingelte ihm wieder, um ihm zu befehlen, ungesäumt einzupacken und die Post zu bestellen. – Ich will fort, Eduard! Was brauche ich die Zurückkunft der alten Hexe erst abzuwarten? Sie ist für ihre Miete einen Monat voraus bezahlt, und ihr heiliges Klärchen kostet mir einundvierzig Dukaten, die ich nicht übler hätte anwenden können. Was soll ich länger an diesem abscheulichen Orte? Es würde mich nur um mein bißchen Verstand bringen, wenn ich noch einen Abend hier verleben, die Ankunft des Propstes erlauern und wohl gar bei seiner morgenden Inspektion gewärtigen müßte, mit meinem Stimmhammer konfrontiert zu werden. Wohl mir, daß ich der unterirdischen Wirtschaft dieses Gesindels noch so glücklich entwischt und der Mühe überhoben bin, um den Preis des vermaledeiten Ablaßbriefes noch einmal mit den Geistern der Hölle zu ringen! Ich tue hiermit feierlich Verzicht auf meinen Anteil an jenem unheiligen Fetzen, der einst Zeuge der Mord schaffenden Umarmungen eines ehrlosen Papstes war, und jetzt, als Zeuge der verräterischen Heuchelei eines nichtswürdigen Mönchs, das Knie seiner Buhlerin gürtet. Das Wort, um das ich so lange ungewiß herumging, ist endlich, gottlob! über die Zunge – Ich nehme es nicht wieder zurück, Freund! und hoffentlich wirfst du mir auch nicht vor, daß ich es zu voreilig gesprochen habe. Aber was kümmert es mich? Mögen doch diese Heiligen ihr Unwesen treiben, bis sie selbst zu Reliquien werden! Mein armer Kopf! wie er feuert und tobt! Ich muß – ich muß meine Bosheit tätiger auslassen, als mit der Feder!

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