Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

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Eben da ich für die schöne Unbekannte, am Schlusse unsers gemeinschaftlichen Mahls die Flügel eines Rebhuhns abgelöst hatte und nur die beiden Beine für mich behielt, schien sich alles Fremdartige unter uns zu verlieren. Sie trat mir auf einmal – vermutlich um mich nicht länger in Ungewißheit zu lassen, ob sie, mit der ich so ungleich teilte, der Leckerbissen auch wert sei, die mir schon genügten, wenn sie ihr schmeckten – ja, ehe ich's nur von ferne ahnden konnte, trat sie mir – erstaune, Eduard, – in dem Nimbus einer so blendenden Würde unter die Augen, daß ich nicht sogleich wußte, was ich mit der Ehrerbietung und Hoffnung anfangen sollte, die sie mir einflößte; denn dieses reizende Mädchen – denke nur – war nichts geringeres als eine bevollmächtigte Gesandtin der ersten Klasse, wie ehemals die Prinzessin Ursini. – Ich traf so auffallende Berührungspunkte unter beiden an, daß ich meiner schönen Tischgenossin auf keine Weise zu viel Ehre antue, wenn ich sie der verschmitztesten Unterhändlerin des vorigen Jahrhunderts an die Seite stelle – mit Ausnahme der allzugroßen Verschwiegenheit, welche die Neugierigen im Wiener Kabinett jener hochmütigen Frau vorwarfen. Ich würde an meiner Gesellschafterin das offenbarste Unrecht begehen, wenn ich sie dieses Fehlers der Unterhaltung beschuldigen wollte: dafür bewahre mich die Erinnerung ihrer allerliebsten Offenherzigkeit. – Genannte Prinzessin, – wirst du dich wohl noch aus ihrer Geschichte erinnern – war heimlich beauftragt, Staatsgeheimnisse eines fremden Hofs auszuforschen und sie dem ihrigen zu verraten. Amandchen mit ihrer Instruktion war in demselben Falle. –

Ich hätte, wäre es darauf angekommen, – meine Parallele zwischen diesen beiden wichtigen Personen, sehr weit, ja bis zum spanischen Sukzessionskrieg ausdehnen können, der nicht, zu seiner ewigen Schande, das Brandmal seiner Veranlassung, das Blutzeichen seines Ursprungs so offen an der Stirn tragen würde, hätte man auch die kluge Vorsicht des mehrmals schon gedachten und gepriesenen Ahnherrn angewandt, die teterrima belli causa, vorher, ehe es zu spät war, von verständigen Matronen beleuchten zu lassen. Die Vergleichung ließe sich noch weiter bis zum Badner und Utrechter Frieden fortsetzen – denn in allen diesen wichtigen Welthändeln hatte die schlaue Französin ihre Hände im Spiel, so gut wie jetzt Amandchen die schönen ihrigen in dem Krieg und Frieden des künftigen Sonntags. – Ich wünschte dir dies alles nicht nur deutlicher, sondern auch so anschaulich zu machen, als es mir in dem süßen Augenblicke wohl werden mußte, wo meine Ohren dem Tenor ihrer Stimme, meine Augen der Geschicklichkeit ihres Atemzugs nachspürten, der manchmal, wie der Zephir aus einem Schmerlenbach, an dem Oberteile ihres Musselins mit ein paar Wellenlinien spielte, die meiner Aufmerksamkeit beinahe eine andere Richtung gegeben hätten. Mir kam es zugleich vor – doch kann ich mich irren, – als ob die kleine Gesandtin sich nicht ohne Grund, mehr auf die Wunder ihrer achtzehn Jahre, als auf die Würde ihrer Mission zugute täte, und ich versprach ihr heimlich, mich darnach zu richten – denn wenn sie mich die reichhaltige Tiefe jener nur erraten ließ, so enthüllte sie mir hingegen diese, wie sie sich selbst ausdrückte, bis auf die Gräten.

»Damit Sie doch,« fing sie mit einer ebenso artigen als rührenden Wendung an, »auch erfahren, wer eigentlich die junge Person ist, der Sie als ein schützender Engel in dem schrecklichsten Moment ihres Lebens zuflogen – ach, es durfte nur noch einer vergehen, und es lag ein gutes Mädchen vom gesundesten Gliederbau und erträglichem Äußern zerschmettert zu Ihren Füßen – so darf ich kein Bedenken tragen, meinem so großen Wohltäter im Vertrauen zu eröffnen, daß ich bei der lieben Prinzessin, die morgen nachmittag zu ihrer Vermählung hier erwartet wird, mehr die Stelle ihrer Freundin, in der weitläuftigsten Bedeutung des Worts als, dem Titel nach, die ihrer Kammerjungfer vertreten habe. –

Diese unerwartete Nachricht brachte mich so ganz aus meiner Fassung, daß ich in diesem Augenblicke höchst verlegen war, welcher von ihren beiden schönen Eigenschaften ich vorzüglich huldigen müsse. Schon diese Verhältnisse, fuhr sie fort, können es erklären, warum die Frau Fürstin Mutter, dem Wunsche ihrer geliebten Tochter gemäß – damit sie doch eine alte Bekannte in der Stadt fände, mit der sie ein Wort allein schwatzen könnte – mich heute schon und um so viel lieber hieher schickte, weil ihr selbst zu viel daran liegt, bald zu erfahren, wie ihrem furchtsamen Kinde die erste Nacht außer dem elterlichen Hause vergangen sei. Das werde ich nun freilich umständlich genug in der Audienz hören, die sie mir den Morgen nach ihrem Beilager erteilen will; denn das gute Kind kann nun einmal nicht das geringste vor mir auf dem Herzen behalten. –

Ach, Gott gebe nur, seufzte ich heimlich, daß kein ungünstiger Ausspruch der Turmwächterin der Braut den Eingang in das Allerheiligste versperre und deine ganze schöne Gesandtschaft, mein gutes Amandchen, zu Wasser mache. –

Ob ich nun zwar, fuhr sie mit vielem Anstande fort, gar wohl einsehe, daß die pünktliche Ausführung eines so kitzligen Geschäfts, bei welchem sich wohl selbst die gelehrtesten Männer ungeschickt benehmen würden, nur einer Person möglich ist, die das gute Kind von seinen Windeln an gepflegt und sein Zutrauen in so hohem Grade erworben hat, als meine Wenigkeit; so gestehe ich Ihnen doch, daß ich der Ehre dieses geheimen Auftrags gern überhoben gewesen wäre. Schicklicher würde es ohnehin sein, die Tochter entwickelte der Mutter die beklommenen Gefühle ihrer Seele in einem Handbriefchen, aber beide wissen wir es nur zu gut, wie viel sie mit der Feder vermag – und nun vollends, mein Gott! nach einer so ungewohnten Veränderung! Leider muß ich sonach der armen Kleinen zum Sprachrohr dienen – das ihre Ohrenbeichte aufnehmen und weiter bringen soll; es mag mir auch noch so himmelangst davor sein.«

Diese kleinmütigen Äußerungen einer Herzensfreundin und langjährigen Kammerjungfer der jungen Verlobten versprachen mir schon nicht viel Tröstliches über die heiligen Urkunden zu hören, auf die es hier ankam; aber meine Besorgnis stieg noch um vieles höher, je seltener sich das naive Amandchen des allegorischen Schleiers bediente, den der alte Hofmann darüber geworfen hatte.

Doch um sie nicht stutzig zu machen, hütete ich mich weislich, sie vor der Hand von meinem Selbstgespräch mehr merken zu lassen, als mir in Rücksicht des Plans dienlich schien, der sich nun unter meinem Scheitel zu bilden anfing. – Ich rief dafür den Aufwärter, uns ein paar Gläser Punsch zu bringen; diese taten auch redlich das ihrige. –

Mit einer nachdenkenden Miene, die ihrem Gesichtchen recht artig ließ – und, während sie von dem warmen Getränk nippte, hob sie ihre blauen Augen in die Höhe und schüttelte das Köpfchen. Nein – schien es ihr nicht länger möglich zu sein, ihren innern Ärger zu unterdrücken – nein, es ist unverantwortlich, wie die beiden Höfe die vierzehnjährige Dame behandeln. Nicht eher als gestern, mein Herr, beim Frühstück, von dem ich nicht glaubte, daß es das letzte von mir aufgetragene sein würde, wurden ihr die Ansprüche des Prinzen auf ihr Persönchen bekannt gemacht und der Ehekontrakt vorgelegt, um ihren Namen darunter zu kritzeln. Ich dachte, der Schlag würde mich rühren, als ich ihr die Feder eintunken mußte. Schon vier Wochen lag er hinter ihrem und meinem Rücken ausgefertigt in dem Kabinette des Fürsten, als ob unsereins nicht besser beurteilen könnte als Eltern und Minister, was – hier fiel es ihr ein, noch einmal an den Knöcheln des Feldhuhns zu knaupeln, das sie schon weggelegt hatte, und vergaß darüber den Nachsatz, auf den ich doch so begierig war.

Die kindischen Tränen – knüpfte sie nach einem Weilchen den Faden ihrer Erzählung wieder an – welche die arme Unbefangene vergoß, fruchteten ebensowenig, als unsere triftigsten Vorstellungen. Ihr gewiß erfahrner Oberhofmeister sagte es der Fürstin ins Gesicht, daß der Übersprung ihrer Tochter aus der Schulstube in die Lehrstunden des Brautbetts ein wahrer salto mortale sei. Possen, antwortete Ihro Durchlaucht – jener Hof, der um unser Jettchen geworben hat, ist nach einem alten Hausgesetz verbunden, keine zu wählen, die älter ist. Uns bleibt nichts übrig, als der Grille nachzugeben. Der Fehler ihrer Jugend wird nach Jahr und Tag nicht mehr sichtbar sein– und was müßten verständige Leute von der Einsicht eines Fürsten denken, der solcher Lappalien wegen eine so vorteilhafte Verbindung ausschlüge. – Die Länder beider Herren stoßen aneinander, und ich wette, in zweimal vierundzwanzig Stunden gibt es keine Grenzstreitigkeiten – keine Pyrenäen mehr. –

An dem Leitband einer solchen Politik wird nun morgen das unschuldige Kind einem Manne in die Hände gespielt, – das ist noch die Frage, dachte ich – den es weder gesehen, noch von dessen Vorhaben mit ihr sie auch nicht den geringsten Begriff hat. Ich bitte Sie um Gottes willen, mein Herr, was soll aus so einer Heirat Kluges herauskommen! Mit dem Prinzen ist es freilich etwas anders – der hat ihre großen Augen, ihren sittsamen Anstand und ihren herrlichen Wuchs schon lieb genommen, als er, wie es nun verlautet, incognito in einem grauen Überrocke, ihrer öffentlichen Konfirmation beiwohnte. Sie war auch damals zum Verlieben – Ich hatte sie auf das schönste herausgeputzt, ein wenig geschminkt, und sie fiel der ganzen Gemeine in die Augen – ich aber wußte am besten, was dahinter steckte – dafür kann aber auch niemand neugieriger auf übermorgen sein als ich – Außer mir – fiel ich der kleinen Verräterin unbedachtsam in die Rede und ließ, um ihr zu zeigen, daß ich wohl auch Geheimnisse zu verschwatzen hätte, ein paar unverfängliche Worte von jener rätselhaften Kapelle fallen; hätte aber bald darüber meinen ganzen Kram verdorben: denn wie ich sie auf die Mysterien dieses Heiligtums fast so neugierig gemacht hatte, als ich es selbst war, – nur unglücklicherweise hinzusetzte, ob die junge Prinzessin nicht billigen Anstand nehmen würde, ihre dort verrichtete Andacht den Ohren auch ihrer innigsten Jugendfreundin preiszugeben, so brachte mein geäußerter Zweifel ihren kleinen Gesandtenstolz in sichtbare Bewegung. – Nun, das wird sich zeigen, antwortete sie mir ziemlich schnippisch. Ich kann nur ausrichten, was mir die Tochter an die Mutter aufgegeben wird, und wäre die Sache ja des Verschweigens wert, so sollte ich denken, werden die einzigen drei Personen, die davon Kunde haben, es auch wohl zu beobachten wissen – Das aber war eben der Stein des Anstoßes, den ich beseitigen mußte; denn, wollte ich nicht auf halbem Wege stehen bleiben, so mußte auch meine vierte Person mit ihren beiden Ohren ihren Anteil davon bekommen. Einer Schwätzerin gegenüber hat ein Aufpasser immer gut Spiel; denn unerachtet mir ihre schmollende Miene sehr deutlich zu sagen schien – du glaubst mich zu überlisten, guter Freund, da mußt du aber leiser auftreten, wenn du das Vögelchen nicht verscheuchen willst, das du in deinem Sprenkel zu fangen denkst – so ließ ich mich dadurch doch nicht irre machen. Ich stimmte nur meine Lockpfeife anders, bald so, bald so, bis ich den Ton traf, den es am liebsten hörte. Ein Wort für tausend! Mein zu jener Zeit eigenes Glück mit dem verschmitzten Geschlechte brachte es endlich dahin, daß mir die liebenswürdigste aller möglichen Gesandtinnen, mit zitternden Lippen, bebender Brust, das Versprechen zustammelte: – von nun an nichts in der Welt mehr vor mir geheim zu halten, es möchte auch daraus entstehen, was Gott wollte.

Diesen glücklichen Ausgang, wähnte mein stolzes Herz, wird die schöne Fremde bei aller ihrer Klugheit schwerlich geahndet haben – O ich eingebildeter Tor, der ich immer gewesen bin! – Sie hatte ihn, glaube ich, schon bei unserer Kaltschale vorausgesehen, schon, wie eine geübte Nähterin, beim Einfädeln des Zwirns auf das letzte Knötchen gedacht. So traulich, als man nur in einer Kammer ohne Ausgang sein kann, schlang sie im Auf- und Abgehen ihren weißen Arm um den meinigen. – Jetzt, mein zudringlicher Herr, faßte sie sich kurz, noch ein ernsthaftes Wort. Ihrer unmäßigen Neugier zu gefallen darf ich weder mein Berufsgeschäft aus den Augen, noch mit Verplaudern die Zeit verlieren, denn mit fürstlicher Ungeduld ist nicht zu spaßen. Nun habe ich aber so für mich im stillen vorausgesetzt, daß Sie mich, wenn ich hier abgehe, wenigstens die Hälfte Weges gern – nicht wahr, Sie tun es gern? – begleiten, das hebt denn alle Schwierigkeit. Während ich mich in meinen Reiserock werfe, bestellen Sie das Anspannen – setzen sich neben mir in meinen Wagen und lassen den Ihrigen so lange leer nachfahren, bis Sie sich an den Lamenten meines Beichtkindes satt gehört haben. – Was sagen Sie zu meinem Plan? – »Was ich dazu sage – liebes vorsichtiges Mädchen – ich bewundere ihn, und mache ihn in allen seinen Punkten und Klauseln zu dem meinigen. Kein Alberoni, kein Choiseul, kein Kaunitz hätte ihn den vorliegenden Umständen angemessener entwerfen können. Wahrlich, Sie sind zu einem Gesandtschaftsposten geboren.« Sie erwiderte meine Schmeichelei mit einem herzlichen Händedruck, und wir bestärkten noch – ehe sie die Tür hinter mir verriegelte, unsere gegenseitige Zusage so gut als durch einen körperlichen Eid. Ich warf mich so beruhigt, so mit mir zufrieden, auf meine Matratze, wie ein Spion, der sich mit heiler Haut durch die feindlichen Vorposten geschlichen hat. Den Morgen nach dieser nächtlichen Verschwörung tranken ich und Amandchen noch unsern Kaffee zusammen – dann dachte jedes an nichts weiter, als durch seinen Anputz der Einladung – ich an die fürstliche Tafel – sie an den Kammertisch – Ehre zu machen. Die Scheidelinie, die uns den Tag über trennte, reichte doch nicht – das war unser Trost – bis zu unserer Nachbarschaft im Gasthofe.

Mein Wunsch, die ersten Akteurs des heutigen Duodramas kennen zu lernen, gelang vollkommen. Ich kam dem Erbprinzen an seiner Tafel gegenüber zu sitzen, freute mich der schönen ritterlichen Gestalt, und wünschte der Braut in Gedanken Glück zu einem solchen Wegweiser nach der dunkeln Kapelle.

Die Ähnlichkeit mit seinem Herrn Vater – der sich aber nach einer kurzen Erscheinung, des Herkommens oder des Podagras wegen, dem Feste seines Sohnes entzog – beruhigte mich über den verlornen Schlüssel seiner Frau Mutter höchstseligen Andenkens. – Wir tafelten in großer Eile. – Der Nachtisch war noch nicht in Ordnung gesetzt, als ein Signalschuß, der die Annäherung der fürstlichen Braut verkündigte, uns alle von dem Konfekt hinweg an die Fenster jagte. Nach Verlauf einer ungeduldigen Viertelstunde kam sie – und ich faltete wehmütig die Hände – dem roten Turme und seinem Zwinger vorbei, in den Schloßhof gerollt, und alle unsere Herzen flogen ihr entgegen, als der glückliche Eroberer des ihrigen, unter dem Lauffeuer der Kanonen und dem Geläute der Glocken, dies betäubte Kind der Natur aus dem Wagen hob. So schön blaß, als ich mir einen sterbenden Engel vorstellen würde, wenn ein solcher sich denken ließe, reichte sie in ihrem Hochzeitstaate ihrem nicht weniger geschmückten Bräutigam zitternd die Hand, und von dieser Minute an nahm meine Seele einen so innigen Anteil an ihrer reizenden Unschuld, daß, wäre es nach mir gegangen, ich die heillose Kapelle gern dem gewöhnlichen Schicksal milder Stiftungen preisgegeben hätte.

So lange das Uhrwerk der Etikette fortrasselte, verloren sich alle meine Blicke in den offenen Himmel der ihrigen. – Ich trippelte an dem Schweif des Hofstaats hinter ihr her, als, nach einer kurzen Pause der Erholung, ihr Verlobter diese blaßblühende Rose aus dem Halbzirkel der hochfarbigen Mohn- und Klatschblumen, die ihr ohne Aufhören um die Ohren säuselten, rettete, und mit dieser herrlichen Blume an der Hand, sich in dem anstoßenden Zimmer dem heiligen Mann näherte, der sie an seine pochende Brust befestigen sollte – mit einem Worte, als der Prinz seine schöne Braut zum Traualtare führte. Unaufmerksam auf die – vermutlich stattliche Rede des Kapellans, erbaute ich mich nur an der Wirkung, die sie hervorbrachte, an den kleinen köstlichen Perlen, die den andächtig gesenkten Augen der hingegebenen Jungfrau entfielen. Ich bemerkte mit innerm Schauder, wie bei dem göttlichen Befehl: Seid fruchtbar und mehret euch – die Juwelen ihres Brautkranzes zitterten, und als der Priester nach Auswechselung der Ringe die Verbundenen für das weitere eingesegnet hatte und ein allgemeines Amen die heilige Handlung beschloß, welche Ausdehnung mußte dieses fromme Losungswort nicht bei mir – bei dem einzigen von der mittönenden Gemeinde erhalten, der die Verlegenheiten so genau kannte, die es ihnen nach Verlauf weniger Stunden zuziehen würde.

Unter dem Nachsummen der Orgel leitete uns der Stab des Obermarschalls in das Pantheon der fürstlichen Hausgötter – in den prächtigen antiken Speisesaal. Aus der Mitte der Hauptwand strotzte das Bildnis des bärtigen Stammvaters hervor. Über seinem Harnisch blinkte an einer goldnen Halskette der Binde- und Löseschlüssel zu dem Himmelreich seiner Kapelle, den in den langen Nebenreihen seiner beseligten Nachkommen eine nachbarliche Hand der andern zugereicht hatte. Ihre immer freundlicher werdenden Trachten spiegelten das allmähliche Fortsteigen zum bessern Geschmack aufs deutlichste ab, und alle überstrahlte sie diesen Abend ihr letzter Abkömmling mit glattem Kinn und gepudertem Haare in einem goldstoffenen, mit königlichen Adlern und andern Raubtieren verzierten Gewand – eine Huldin an seiner Rechten, die durch Glanz der Jugend, die Anmut des Putzes, die ganze weibliche Linie der heimgegangenen Fürstinnen verdunkelte, die sich zwischen den festen Körpern ihrer Eheherrn, gleich der freundlichen Milchstraße am nächtlichen Horizont – zwischen den Stieren, Löwen, Steinböcken und Skorpionen durchschlängelte.

Wie Schatten aus dem Elysium schienen jene alten Ritter ernsthaft auf das heutige Prunkmahl herabzuschielen, das statt der gewaltigen Schüsseln der Heldenzeit – statt der Humpen und goldenen Becher nur mit Reizmitteln des Gaumens – nur mit aromatischen Leckereien – ausländischen, in kristallnen Gefäßen blinkenden Weinen und Spielwerken des ästhetischen Konditors besetzt war – für Gäste und Zuschauer ein sprechendes Symbol unsers verfeinerten Zeitalters, das mit den Faustkämpfen und Turnieren unserer gediegenen Vorfahren zugleich ihre männliche Eß- und Trinklust an ihren Gelagen verdrängt hat. Wie geschwind würde sie auch, wenn sie sich der Schmetterlinge, die die hochzeitliche Tafel umkränzten, durch ein Wunder bemächtigte, ihnen die bunten Flügelchen – die zarten Fühlhörner zerknicken und das feine Nervensystem zerreißen, das ihre lustigen Körperchen zusammenhält. Aber meine betrachtenden Blicke hefteten sich vorzüglich auf sie – die in der Würde der Unschuld – unter einem Thronhimmel – zur Seite eines liebefunkelnden Fürsten dennoch mein Mitleiden erregte. Ich schlich forschend den Bewegungen der reinen Seele nach, die sich aufs herrlichste in ihrem verschönten Gesichtchen abdrückte. Bei jedem Ermunterungsworte, das sein Tenor ihrem Diskant zuflüsterte, brachte das Bewußtsein – heute nacht ein Bette mit diesem Manne zu teilen, aus der Tiefe des Herzens bis über die bescheidenen Grübchen ihrer Wangen alle Blutkügelchen in sichtbaren Aufruhr. Unter ihren niedergesenkten Wimpern zitterte hinterher noch die Angst, daß die vielen Zeugen ihrer Errötung auch den gehässigen Gedanken unartig errieten, den sie sich so gern selbst verschwiegen hätte. Armes Kind, dachte ich, welche Unruhe würde dich vollends ergreifen, könntest du nur von weitem die Vertraulichkeiten ahnden, in die ich gestern mit deiner Busenfreundin geraten bin. Nach drei lästigen Stunden, die sie – die Königin des Festes, trotz der Künste des Kochs, ohne Genuß, und in der mit jeder Minute höher steigenden bangen Erwartung, welche Marterkrone ihr das Ende ihres Ehrentags aufsetzen würde, verseufzt hatte, lockte die Göttin der Tanzkunst mit ihren harmonischen Gehülfen die bunte Tischgesellschaft in die Erleuchtung eines blendenden Marmorsaals. Ein Chor reizender geputzter Nymphen, an den Händedruck mutiger Jünglinge gefesselt, erwartete – sie alle, denen noch der Strom der Jugend durch die Adern brauste – erwarteten nur noch den Eintritt des gefeierten Paars, um ihre Annehmlichkeiten zu entwickeln und auf den Flügeln des hinschwindenden Lebens Freude, Beifall und Verherrlichung des Festes ihres zukünftigen Gebieters zu erjagen. Nur sie, die schönste und edelste in dem strahlenden Kreis, dem Bilde einer nächtlichen Hore gleich, die der verschwisterten Aurora zueilt – eröffnete den Ball mit ihrem Lebensgefährten ohne Einklang mit seinem Frohsinn, und schwebte, walzte und taumelte unter dem Nebel ihres Schicksals ohne Teilnahme an unserer lärmenden Bewunderung.

Welch einen sklavischen Zwang mußten nicht während dieses sinnlichen Sturms die Schlangen- und Wellenlinien ihres zarten Körpers unter dem Panzer eines reichen Schleppkleides erdulden – bis nach Vergang einer Stunde das traurige Adagio zwischen einer langen Reihe brennender Fackeln, wie bei einem Leichenbegängnis, die Ermattete zur Ruhestätte ihres Toilettezimmers begleitete.

Wiewohl sie nun an dieser letzten Station ihrer jungfräulichen Reize meinen stillen Betrachtungen entschwand, so leistete mir doch der Schimmer der Wachskerzen, deren eine auch ich ihr vortrug, den beruhigenden Dienst, daß ich meine kluge Stellvertreterin dem lieben Kinde nachschlüpfen sah. Wie die verscheuchte Feldmaus der Fabel schlich ich mich nun aus dem Geräusch der großen Welt zurück in den stillen Schatten des grünen Lorbeerbaums und harrte auf die Ankunft meiner Vertrauten.

Jetzt, dachte ich, hat endlich der gebietende Stammvater die schöne Urenkelin, wo er sie haben will. Die laufende Stunde ist die erste, wo er sein Puppenspiel mit ihr beginnt, denn ich erinnerte mich aus seiner Vorrede ganz dunkel einer Stelle, die dahin Bezug hatte. Ich holte mein Portefeuille und suchte sie auf – sah aber zugleich, wenn sie mir ganz verständlich werden sollte, wie notwendig es war, einen Augenzeugen über die Umstände abzuhören, die er in seinem tollen Gehirne voraussetzt.

Ich kenne – sagte er – aus eigener Erfahrung – die muß doch sehr sonderbar gewesen sein, Eduard – das unerträgliche Frösteln, denn so, glaubte ich, müsse das veraltete Wort übersetzt werden, das da stand, ich aber in meinem Glossarium durchaus nicht finden konnte – das die Reize so unbefangener Geschöpfe mit einer Gänsehaut überzieht, wenn sie zum erstenmal, wie ein Krebs im Frühling, die Schale abwerfen, und ihr zartes Gewebe – ihre natürliche Aussteuer, die mehr wert ist, als die reichste Morgengabe an Gold und Edelsteinen, der Luft aussetzen sollen.

Ihr guten Fräuleins – fuhr er zu faseln fort – laßt diesen albernen Schauer, der euch so übel als einem mutlosen Knaben zu Gesichte steht, der seinem Ritter auf der Stechbahn den Schild vortragen soll – laßt dieses alberne Zittern in der kalten Herberge eurer Toilette zurück, ehe ihr die heiße Zone meiner Kapelle betretet, damit das hochgestiegene Barometer der Liebe, das euch gute Tage verspricht, nicht zum Gefrierpunkte herabsinke. – Wie soll sich ein so leidenschaftlicher Junge, als ich hoffe, daß meine Prinzen, Enkel und Urenkel sein werden, benehmen, wenn ihr Liebchen zitternd und bebend vor ihnen steht, und sich jedem Lichtstrahl zu entziehen sucht, der ihr aus der Brust fällt. – Über solchen Grimassen können Momente verloren gehen, die für meine Nachkommenschaft von den wichtigsten Folgen sind.

Ob ich gleich die Stelle seines Hirtenbriefes zweimal überlas, konnte ich mich doch nicht über ihren wahren Sinn recht verständigen. Desto mehr freute ich mich auf den Kommentar, den mir eine unverwerfliche Augenzeugin darüber geben würde.

Dergleichen spitzfindige Grillen, als diese ist, gingen den turniersüchtigen edeln Herren gewöhnlich durch den Kopf, ohne etwas Übels dabei zu denken, sobald sie sich einfallen ließen, in das Gebiet der Weiblichkeit einzubrechen, wo sie weder Weg noch Steg kannten. Nur ein Spießgeselle der grauen Ritterzeit, der seine Freiwerberei als eine Weglagerung – das Ehebett für einen Tummelplatz, und seine Auserwählte nur in dem Lichte einer gekaperten Christin betrachtete, die ein Sklavenhändler zu Tunis und Tripolis auf offenem Markte feil bietet – nur so ein grob zugehauener Klotz, auf den unsere Stammbäume errichtet sind, konnte jenes verschämte Frösteln einer zarten Haut anstößig finden, das uns feiner gestimmten Jünglingen, wenn wir es nur öfter zu sehen bekämen, als das Wetterleuchten einer sittsamen Natur erscheinen und der moralischen Sinnlichkeit die lieblichste Augenweide gewähren würde. Ich saß vertieft in diesen Gedanken, als ich Amandchens Sänfte vor der Haustüre niedersetzen hörte, ihr sogleich entgegeneilte und sie in ihr heimliches Stübchen führte. Hier warf sie sich theatralisch auf einen Lehnstuhl. Sie sehen, mein Herr, erhob sie ihr sonorisches Stimmchen, und zeigte zugleich auf ihr klopfendes Herz und ihr flatterndes Halstuch, in welchem Zustande ich mich befinde; aber die vergangene Stunde hat mich auch mehr angegriffen, als irgendeine, die ich noch erlebt habe. Ich kenne doch auch ein wenig die Höfe, aber der abgeschmackteste steht gegen den hiesigen in Schatten. Hier regiert kein Fürst, sondern altes Herkommen, denn dies ist immer das erste und letzte Wort, womit sie ihre einfältigen Gebräuche entschuldigen.

Es war zum Erbarmen, wie das bis zum Umfallen erschöpfte Kind aus dem Fackeldampf heraus in das Putzzimmer trat, wohin ich ihr nachschlüpfte. Dort empfing sie ein halbes Dutzend Dirnen von den niedrigsten Gesichtern, an ihrer Spitze eine ganz zu ihnen passende Matrone, die das große Wort führte.

Ich erboste mich von weitem über die zwölf Hände, die auf das ungeschickteste die junge Dame ihres schweren Brautstaates entledigten. Denn mir – schnippte Amandchen die Finger – ließen die Närrinnen nur die Ehre des Zusehens.

So weit entkleidet, daß sie Atem schöpfen konnte, führte man sie – und das war noch das klügste, wenn es lange gedauert hätte, in ein hinter einem Vorhange bereitetes aromatisches Bad, worin man ihr jedoch – damit ja dem Prinzen die Zeit nicht zu lang werden sollte, höchstens acht Minuten vergönnte, mit sich selbst zu vertändeln. Denn als diese verstrichen waren, hob die alte Sibylle die Gardine und trat – denken Sie – mit dem Spiongesicht eines Visitators vor das liebe schüchterne Kind, das dem Bade entstiegen, wie die Venus in meinem Bilderbuche dastand, und mit vorgestreckten Händchen sich in sich selbst zu verstecken suchte.

Nur ein Wort – unterbrach ich die Schwätzerin – hatte die Frau nicht eine Brille auf der Nase? Jawohl, antwortete sie, und noch dazu eine der unverschämtesten, die je unter Luchsaugen gesessen hat.

Holla! dachte ich, da haben wir ja die Wahrsagerin aus den Spinneweben in ihrer ganzen Glorie. Amandchen, rief ich, nun bin ich so gut wie zu Hause. Das ist mir lieb, versetzte sie, so will ich Ihnen wundershalber nur erzählen, was der Zigeunerin für sinnloses Zeug aus dem häßlichen Munde ging, als sie die schöne Gestalt vom herrlichsten Wuchs und dem tadellosesten Gliederbau abtrocknete.

Das ist doch einmal, rief sie in ihrer tollen Bewunderung aus, eine Ausstattung, wie sie nicht leicht einem fürstlichen Hause zugebracht wird; fahren Sie fort, teuerste Prinzessin, wie Sie angefangen haben, das Glück des Landes steht von nun an in Ihren Händen.

Unter diesem dunkeln Orakelspruch überreichte sie ihr das mit Spitzen besetzte Brauthemd und ordnete das übrige an.

Aber wie man eine junge Fürstin ankleiden muß, war ihnen allen böhmische Dörfer. Sagen Sie mir, mein Herr, sind denn die Stecknadeln erst in neuern Zeiten erfunden? denn in diesem abgelegenen Winkel der alten Burg konnte mein ungeduldiges Jettchen zu keiner gelangen, um ihren Busenstreifen festzustecken. Ich zog zwei Karlsbader aus meinem Halstuch, um ihr aus der Verlegenheit zu helfen, aber dem grämlichen Weibe mußten sie, wie Ihnen gestern, zu spitzig vorkommen, denn sie schlug mir sie aus der Hand, unbekümmert, daß mir darüber, wie Sie sehen, die Zipfel auf die Achsel hängen.

Das alles möchte noch hingehen, wie man ihr aber das Miederchen anlegte, in welchem sie die Nacht über glänzen sollte, da kam das gute Kind aus seiner Fassung.

Wie, ich bitte euch, liebe Leutchen, lispelte sie gegen die sechs ungeschickten Mädchen, – wie können denn die Schleifen, die ihr so locker bindet, nur eine Stunde halten? Doch, das war so gut als in den Wind gesprochen. Statt aller Antwort griff das alte zauberische Weib nach einer Schnur, die an der Wand herabhing, zog sie an und verursachte dadurch in der Nähe und Ferne der alten Burg ein so durchdringendes Geklingel, daß gewiß dem Taubsten die Ohren davon gegellt haben – und zugleich taten sich in derselben Minute die zwei Flügel zum Eingang in das Brautgemach von selbst auf.

Mir lief es, ich versichere Sie, eiskalt über den Leib.

Die Alte winkte uns – küßte zum Abschied die Hand ihrer neuen Gebieterin mit einer so verfluchten anmaßenden Miene, als wolle sie ihr sagen: ich bin es, die dich dazu erhob, und meinen nachsichtigen Augen nur, vergiß es nie – hast du es zu danken, daß dich schon heute der Hof und die Stadt für wehrhaft halten.

Darauf verbeugten sich auch die andern; ich war die letzte, die sich ihr näherte, und meine Blicke und meinen Händedruck hat ihr fühlend Herz, ich weiß es gewiß, verstanden. Die Alte verließ nun mit steifem Schritte das Zimmer, und das arme Kind blieb ohne alle menschliche Hülfe, so zu sagen, zwischen Tür und Angel stehen, indem auch wir Übrigen, eine nach der andern, uns trollten.

Ich empfahl meinen Liebling in einem stillen Gebet der Obhut des Himmels, eilte die Stiegen herunter und blickte noch einmal seufzend nach dem verwünschten Turm, vor dem Sie mir banger gemacht haben, als Sie wohl denken.

Das, lieber Herr Nachbar, ist alles, was ich Ihnen für heute zu vertrauen weiß. Meine Offenherzigkeit – ich gestehe es – hat mir Überwindung gekostet. Doch ich war ja – lächelte das gewissenhafte Amandchen, durch einen körperlichen Eid dazu verbunden, das beruhiget mich. Morgen – ach Gott, was werde ich morgen alles zu hören bekommen! – frühstücke und bleibe ich in dem Vorzimmer meiner zur Erbprinzessin erhobenen Pflegetochter, bis sie mir Audienz gibt. Sobald ich abgefertiget bin, sehen wir uns wieder, und das übrige haben wir ja schon der Länge und Breite nach besprochen. Unter dieser tröstlichen Aussicht auf den folgenden Tag suchte nun jedes seine Erholung von der Unruhe des heutigen in den Armen des Schlafs.

Blicke, lieber Eduard, nur nicht so verächtlich auf das Garderobengeschwätz, das ich dir, meinem vertrauten Leser, nicht umsonst so weitläuftig ausgesponnen habe. Die Plaudereien eines Kammermädchens und eines in Pension gesetzten Hofschranzen sind wahre Gold- und Fundgruben für jeden, der sich mit der histoire scandaleuse der vornehmen Welt befassen oder gar einer solchen Wunderblume Glaubwürdigkeit verschaffen will, als ich der Mühe wert hielt, dir hier mit der Treue eines Linnée bis auf ihre kleinsten flimmernden Staubfäden abzuzeichnen. Mit den klug ausgedachten Ursachen, warum der alte Patron eine so überaus zarte Pflanze erst an die Luft gewöhnen will, ehe er sie in seinen Kunstgarten versetzt, hat die angeführte Stelle aus seiner Vorrede dich schon bekannt gemacht. Auch sie gehört zu den vielen Auswüchsen der männlichen Phantasie seines Zeitalters – jener unbegreiflichen Zeit, in der ein Sanchez – Svarez – P. Mato und ihresgleichen Folianten über die Jungfrauschaft der Mutter Gottes, mit Erlaubnis der Obern in Druck gaben – in öffentlichen Hörsälen ihre anziehenden Schönheiten zergliederten und mit mystischem Stumpfsinn nachgrübelten, an virgo Maria semen ministrarit in incarnatione Christi. – Damals, wo es Landessitte war, daß in gemischten Gesellschaften edle Ritter mit ihren Pluder- und Pumphosen auftreten konnten, wie deren noch in alten Rüstkammern hie und da zum Skandal aufgehängt sind, und auf die kein noch so freches Weib im Vorbeigehen einen Blick werfen kann, ohne die Nase zu rümpfen oder bis über die Ohren zu erröten – damals, wo nach der gangbaren Mode (die ich bei meinem beständigen Lesen theologischer Schriften, unerwartet in dem Kommentar des berühmten Salmasius über die erste Epistel an die Korinther umständlich beschrieben fandVid Cl. Salmasii Epistola ad Andr. Colvium super Cap. XI. primae ad Corinth. Epistol. de Caesarie virorum et mulierum coma. Lugd. Batavor. ex officina Elzevirorum MDCXLIV. p. 643. Helveticus etiam virilis scite sexum. discernit expressa parte in braccis quae virum facit. Apud nos olim talis fuit. In quibusdam etiam Galliae locis nuptae in capitis cultu supra frontem praeferunt pro insigni quo distinguantur ab innuptis, virilis membri figura. Viduae inversam eam habent, maritae rectam. Non ad haec pudenda descendendum est ut veste utamur aut ornatu sexus discrimen nimis exacte et graphice repraesentante. Nuditas ut est simplicior, non est etiam multo turpior etc.) – der Kopfputz des schönen Geschlechts so sinnreich geformt war, daß jeder, der sich einer Dame näherte, ihr gleich an der Haube ansehen – und sich darnach richten konnte – ob sie verehelicht – Witwe oder Jungfrau sei. Ihr freundlichen, sittsamen Augen, wo habt ihr euch doch damals hinflüchten können, ohne vor Schrecken zurückzuprallen! Wie mochte ein ehrbares Fräulein, ohne Empörung ihres Innern, vor dem Spiegel ihre Locken so legen, wenden und kräuseln, als es die Mode verlangte!

Was für Empfindungen müssen nicht das Herz einer Witwe in den ersten Trauertagen gefoltert haben, wo sie das Wahrzeichen ihres vorigen glücklichen Standes umkehren und es dem falsch freundschaftlichen Bedauern anderer preisgeben mußte, die es noch prahlend umhertrugen. In Betracht solcher Geistesverirrungen und Anstöße gegen das zarte weibliche Gefühl, ist die Maßregel. die der Graubart nahm, um dem Brautschauer seiner Urenkelinnen vorzubeugen, eine wahre Kleinigkeit, und dennoch, stände mir nicht Amandchens Zeugnis für die Wahrheit, würde ich nimmermehr geglaubt haben, daß es auf deutschem Boden eine Fürstenburg gäbe, wo ein so veraltetes Possenspiel noch gesetzliche Kraft habe. Welcher himmelweite Abstand jener trüben Tage von den aufgeklärten unsern!

Die jetztlebenden liebenswürdigen Prinzessinnen, so viel ihrer der Staatskalender aufzählt – ich nehme die kleine aus, die in der laufenden Stunde den Fehler ihrer Jugend und Erziehung büßen muß, wie wenig haben sie, so bald sie über das erste Dutzend Jahre hinaus sind, von einem zu kalten Luftzug der folgenden zu fürchten. Das müßte ein Mikroskop aus der andern Welt sein, das an ihren entblößten Schwanenhälsen die geringste Spur eines Gänsehäutchens entdeckte. Nach ihrer ersten Andacht treten sie, zu allem abgehärtet, mit dem nil admirari des Rousseau in die ihnen geöffnete große Welt. Jede gibt sich, mit Recht oder Unrecht, das Ansehen der erfahrensten ihres Geschlechts. Sie kennen den Rubikon aus den vielen Beschreibungen, die sie vor Schlafengehen gelesen haben, zu gut, um sich nicht – wenn man sie zum Überschwimmen einladet, scherzend dem Spiel seiner Wellen zu überlassen, und sollte ja eine und die andere bei ihrer Landung ein Frösteln überfallen, so erregt es gewiß ein anderes Schreckbild als das einer zu ritterlichen Überraschung an dem jenseitigen Ufer. Diese mutvolle Ergebung in ihr Geschick haben sie den aufgeklärten Begriffen zu danken, die sie aus der Schulstube mitbringen, und die einen so vorbereitenden Unterricht überflüssig machen, als die Marquise de Prie der Tochter des Roi bien-faisant, Braut eines in allen und jeden Regierungsgeschäften unwissenden königlichen Neulings, zu geben genötigt warVid. Memoires de Richelieu Tom. VI. p. 52. , und haben sie nicht ganz ohne Aufmerksamkeit dem Ballonspiele der Hofdamen mit den aufgeblasenen windigen Herzen ihrer Anbeter zugesehen, und nur ein wenig besonnener als ein Schaf, von dem Salze geleckt, das ihnen, zur Schärfung ihres Züngelchens, dergleichen philosophische Schriften, als etwa die meinigen sind, vorstreute, so wird ihre fein geschliffene kleine Taschenlorgnette das Eiland, auf das sie hinsteuern, hinter dem vorliegenden Nebel so gut entdecken, als Kolumbus mit seinem Fernrohr die neue Welt.

Dafür setzen sich aber auch unsere gebildeten Fürstensöhne mit leichtem Anstand über die grillenhaften Vorurteile ihrer ritterlichen Vorfahren hinweg, und weit entfernt, gleich jenen ernsthaft und gerüstet, wie zu einem Zweikampf auf Leben und Tod, zum Puppenspiel der Liebe überzugehen, schreiten sie nach einem angenehmen Herumschweifen in den Irrgarten der Jugend zur Ehe, wie zu einer Ruhebank, die ihnen unter den vielen, aus dem Gesträuche zuwinkenden, die bequemste dünkt, gleichgültig, ob ein anderer hier etwa kurz zuvor ausgeruhet oder gefrühstückt hat. Genug für die ermüdeten Herren, daß sie sitzen. In dieser glücklichen Lage nehmen sie den Blumenstrauß, den ihnen ihre Gefährtin als ein Weihgeschenk darbringt, unbesehens und unbekümmert, ob nicht das Knöspchen der Centifolie ein Blättchen, – die Aurikel ihren feinen Staub verloren – doch als ein unbezweifeltes Unterpfand ihrer ersten Liebe, mit ebenso herzlichem Dank in Empfang, als die edeln Herren der Vorzeit, nur daß sie ihn manierlicher ausdrücken. Diese zudringlichen Gedanken – umsonst schob ich meine Nachtmütze hin und her, um sie zu verscheuchen – kamen mir sehr zur Unzeit. – Die beiden Bundesgenossen mochten sich schon lange über ihr eigenes Glück verständigt und, wie guten Fürstenkindern geziemt, die daraus entspringende Wohlfahrt ihres Landes treulich besorgt haben, ehe ich einschlief. Ich tat die besten Wünsche für ihre Zufriedenheit, die mir noch auf den Lippen schwebten, als ich mit Aufgang der Sonne erwachte. Desto eilfertiger war ich nunmehr mit meinem Anzug und meinen kleinen Geschäften. Ich berechnete mich mit dem Wirt und berichtigte freigebig nebst meiner auch Amandchens Zeche. Es war das wenigste, was ich aus dankbarer Rücksicht unserer verträglichen Nachbarschaft für sie tun konnte – dann nahm ich Abrede mit unserm Kutscher, mußte aber noch zwei ungeduldige Stunden das Fenster hüten, ehe das schwatzhafte Vögelchen ihrem Bauer zuflatterte.

Nun, meine teure Freundin! trat ich ihrem heitern Gesichtchen entgegen. – Sie legte aber ihre Finger auf den Mund, winkte mich in mein Stübchen zurück und verriegelte das ihrige. Sobald sie ihre Hofmaske abgelegt hatte, standen auch unsere angespannten Wagen vor der Haustür, unter dem Schatten des Lorbeerbaums.

Ohne uns um die Ferngläser der Fremden zu bekümmern, die uns einsteigen sahen, fuhren wir so eilig davon, als fürchteten wir ein Hindernis von Seiten der Polizei, und drückten einander stillschweigend die Hände, bis wir die Stadt, ihre Ehrenpforten von gestern, und die fürstliche Burg mit dem roten Turm im Rücken hatten. Jetzt rief Amandchen dem Kutscher zu, langsam zu fahren, schmiegte ihr Köpfchen an meine Brust und ließ mich nun, um es kurz zu machen, so frei als in ihre eigene, in die Herzenstiefe einer Prinzessin blicken, als wohl noch keine so traulich, beredt und rührend die Szene ihrer Weihe der Mutter entwickelt hat.

Mein Puls kam nicht eher zur Ruhe, bis kein Wörtchen, kein Komma, kein Pünktchen mehr an dem kindlichen Bericht fehlte. Die kleine Malerin bildete ihr Original so sprechend nach, daß sie mich sogar mit mehr als einer Kopie des warmen Kusses beschenkte, den ihr die entschiedene Erbprinzessin zum Abschied auf die Lippen gedrückt hatte. Er zitterte so herzlich auf den meinigen wieder, als ob es der lieben Geberin ahndete, daß es, trotz unsers gegenseitigen Versprechens, der letzte Tauschhandel unserer freundschaftlichen Gefühle sein würde. Nunmehr leiste ich auch völlig Verzicht darauf, denn da – um es im Vorbeigehen zu erwähnen, seit jener Epoche, die damals so anspruchslose, schüchterne Prinzessin schon zehnmal Mutter geworden ist, und auf ihren Lorbeern ausruhen könnte, läge ihr nicht eine häusliche Sorge auf dem Herzen, die täglich größer wird; sie sieht ihren Liebling, den ersten Sprößling jener mystischen Nacht, traurig sein schönes Haupt hängen, ohne daß es ihr gelungen ist, es aufzurichten – die Kapelle wird seit verschiedenen Jahren nicht mehr besucht – wie gern würden die liebenden Eltern dem Sohn den goldnen Schlüssel überlassen, bände ihnen der Stiftungsbrief nicht die Hände; denn bis jetzt haben sie sich noch immer vergebens an den Höfen nach einer Fürstentochter umgesehen, die ebenso unbefangen, so wenig erfahren und unterrichtet wäre, als es die Mutter vor ihrem Eintritt in die Kapelle war – so hat, sage ich, die Zeit in ihrem Umschwung, nebst so manchem andern meiner Wünsche, auch die Sehnsucht nach jener liebenswürdigen Gesandtin verzettelt – und ich würde tüchtig erschrecken, wenn sie mir auf meiner Retourreise von Klärchen irgend in einem Gasthof begegnete. Als ich neben ihr in dem Wagen saß, der durch ihren Fehltritt mir so lieb geworden war, die Fenster aufgezogen und die Stores herabgelassen hatte, konnte ich freilich nicht glauben, daß ich zwanzig Jahre nachher mich ihrer in Avignon so gleichgültig erinnern würde. Vom Anfang bis zum Ende ihrer Erzählung waren alle meine Sinne zugleich auf ihre mitspielenden innern Empfindungen gerichtet, die sich mir bald durch ihre funkelnden Augen, bald durch einen nachbarlichen Händedruck, bald durch das Verstecken ihres verschämten Gesichtchens hinter den Schlagschatten des meinigen verrieten und das Kolorit ihrer geschichtlichen Darstellung um vieles erhöhten.

»Ich werde«, begann sie, »in meinem Leben nicht vergessen, wie verändert seit gestern die junge Dame mir vorkam, als ich in ihrem Boudoir meine Abfertigung holte. Leuchtend wie ein Cherubim, in ihrer Morgentracht, sprang sie vom Sofa auf, als ich eintrat und »Nantchen! liebes Nantchen!!«–schlang sie ihre beiden Händchen um meinen Hals – »seit du mir gestern mit allen den Närrinnen, die mir den Kopf warm machten, aus den Augen kamst, was für unerhörte Dinge habe ich nicht erlebt. Du kannst sie nicht eher als bis du selber einmal Braut sein wirst – aber auch meine Mutter wird sie kaum glauben,« und nun warf die gute Kleine in der Freude ihres Herzens – wie sie es immer mit ihren Kleidungsstücken zu machen pflegte, – alles, was sie mir vertraute, so bunt untereinander, daß es Not tat, sie in ihrem eigenen Roman zurechtzuweisen, und alles das, was sie bald aus Übereilung zur Hälfte vorausgeschickt hatte und wieder zurückholen, bald das wieder hervorstören mußte, was sie beinahe vergessen hatte – in Ordnung zu bringen.

»Das will ich übernehmen, mein gutes Nantchen,« erwiderte ich; »ich will hinterher schon aufräumen – fahren Sie nur fort.«

Doch dir zu Gefallen, Eduard, muß ich hier den Strom ihrer Rede durch Einschaltung eines Prologs unterbrechen, der zur Verständnis unsers Dramas nötiger ist, als es nur einer vor den Schauspielen der Alten sein kann. –


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