Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Da ich bei den Minimen keinen Bescheid wußte, so blieb mir nichts übrig. als meinen Stuhl an das Fenster zu rücken, und, während mir Bastian das Haar in Locken schlug, mit pochendem Herzen die Zurückkunft der Psalmistin zu erwarten. Die letzte Stufe, auf die ich sie vorhin in die Halle treten sah, zog jetzt meine Blicke wie auf einen Brennpunkt zusammen. Ich bot alle meine Geduld auf, mir beizustehen, und sah dennoch immer eine Sekunde um die andere, fluchend, nach meiner zu langsamen Uhr. »Wird sie denn ewig in der Kirche bleiben?« murmelte ich, und ließ mir angst werden, die Minimen möchten sie wohl, ohne sich an den Mangel ihres Nimbus zu kehren, schon jetzt mit der ausgezeichneten Ehre überraschen, nach der das gute unbefangene Kind fast atemlos hinstrebt. Aber in diesem Augenblicke erlebte ich die Freude – daß die Tür der Halle sich öffnete, erst andere gestärkte Seelen, dann die Alte, und zwei Schritte hinter derselben auch nun sie, die Erwartete, in ihrem ganzen Engelsschmucke heraustrat.

War mir's doch, als ob sie mir geschenkt würde, sobald ich sie nur außer dem Kloster sah. Ich zählte jeden ihrer kleinen Schritte über die Gasse. Aber mit dem letzten, den sie in das Haus setzte, trat auch ich aus meinem Zimmer, mit Hut und Stock, um nicht das Ansehn zu haben, als ob es ihrer schönen Augen wegen geschähe.

Wir begegneten einander auf der Mitte der Treppe. – Ehrerbietig stellte ich mich seitwärts. – Die Alte erwiderte mir mit grämlichem Ernst meinen Gruß, der ihr auch am wenigsten galt; und wie schielte ihr gelbes Auge auf die bescheidene Verbeugung, die ich von ihrer Nichte erhielt, als sie mit dem Anstand einer Novize bei mir vorbeizog!

Nun erst kann ich sagen, Eduard, daß ich sie gesehen habe; denn wohl zwei Sekunden habe ich mit ihr auf einer Stufe gestanden. Oh! ich würde mich brüsten, wie ein Apelles, wenn ich Dir die ganze Lieblichkeit, alle die Grazien ihrer Nymphengestalt, alle die schönen Formen, die ich aus jedem Faltenwurf ihres Florkleides mir abzog, so anschaulich darstellen könnte, daß Du weiter nicht nötig hättest, mich über den Eindruck abzuhören, den dieser vereinte Reichtum von Schönheit auf meine Sinnlichkeit machte. Komm – ich bitte dich – dem Unvermögen meiner Sprache mit deiner schwelgenden Einbildungskraft zu Hülfe! Hole Dir aus den Werkstätten der Künstler ein Bild der Liebe; modele so lange daran, bis Du Deine Vorstellung so erhöht hast, daß Du nicht ohne Widerwillen an ein andres sterbliches Mädchen denken kannst, und schließe dann aus dem blumigen Irrgange, den Deine Wünsche einschlagen, auf das Hinstreben der meinigen . . .

Es ging mir schwer ein, die Treppe vollends herabzusteigen, wie ich doch Schande halber wohl tun mußte: aber was sollte ich nun erst mit mir anfangen, als ich mich, der Richtung meiner Wünsche ganz entgegen, auf der staubigen Gasse befand? Ideen von der Art, wie sie jetzt auf mich losstürmten, verlangen beinahe eine gleiche Abgezogenheit der Seele, als die Träume der Metaphysik: und da ich mich doch nicht wohl auf einen Eckstein setzen, und, den Finger auf der Nase, nach Klärchens Fenster hinstaunen konnte, wie ich unstreitig am liebsten getan hätte, so mußte ich mir wohl die erste beste Zerstreuung gefallen lassen, die sich mir darbot. Ich erinnerte mich zum Glücke eines Empfehlungsschreibens in meiner Brieftasche, das mir der gute Bischof von Nimes, als ich ihn das letztemal sah, an einen hiesigen Domherrn von seiner Bekanntschaft, namens Ducliquet, mitgab. Das brachte mich endlich vom Platze und versetzte mich mit aller der Fülle meiner weltlichen Schwärmereien in das Studierzimmer eines geistlichen Herrn.

Ich habe in meinem Leben angenehmere Bestellungen gehabt, das kann ich Dir sagen! Der Himmel weiß, in was für einem Gedankenkram ich den ehrlichen Mann stören mochte; aber hätte ich ihn auch in flagranti überrascht, verlegener hätte er sich kaum betragen können. Gleich nach dem ersten steifen Komplimente, das unsere Bekanntschaft eröffnete, sahen wir es gegenseitig uns an, daß Gott gewiß keinen zur Unterhaltung des andern geschaffen hätte; und über der Sorge, unsere erste Unterredung so geschickt einzuleiten, daß es zeitlebens keiner weiter bedürfe – konnten wir nicht dazu kommen, sie anzufangen. Ihm glückte es indes eher noch als mir, diese alberne Stille zu unterbrechen. Das morgende Fest der heiligen Genoveva löste ihm die Zunge und gab sogar zu einem Gespräche Anlaß, von dem ich mir nie hätte träumen lassen, daß es am Ende noch so belehrend für mich ausfallen würde. Er bürstete erst ein paarmal mit der flachen Hand seinen Ärmel; dann tat es ihm sehr leid, daß er heute so ganz außerstande sei, einem so lieben und gut empfohlnen Fremden die geringste Höflichkeit zu erzeigen; dann freute er sich wieder, daß er hoffen könne, morgen alles desto reichlicher wieder gut zu machen . . . »Sie dürfen meine Einladung nicht ausschlagen. – Ich will Sie morgen selbst, – es macht mir ein gar zu großes Vergnügen, – bei guter Zeit zu – dem prächtigen Hochamte abholen, das der heiligen Genoveva zu Ehren in der Domkirche gehalten wird, und ich werde Ihnen, verlassen Sie sich auf mich, einen guten Platz verschaffen« . . .

»Wenn Sie mich«, fuhr er fort, »heute in meinem Alltagsrocke überrascht haben, so sollen Sie mich morgen dafür im Purpur sehen, den das hiesige Kapitel, wie Sie aus der Geschichte wissen werden, mit den Kardinälen und Königen gemein hat.«

»Ist nicht sonst noch ein Spektakel hier?« fragte ich in der albernsten Zerstreuung, die aber dem guten Manne nicht im mindesten auffiel. – »Nein,« antwortete er, »vor dem Feste der heiligen drei Könige nicht, das in unserm Lande den sechsten dieses gefeiert wird.«

»Auch in dem meinigen,« antwortete ich gähnend. »Aber, hochwürdiger Herr,« fragte ich weiter, weil es mir nicht länger möglich war, das schlaffe Gespräch fortzusetzen, ohne wenigstens meinem Ohre mit dem Klange jenes süßen Namens zu schmeicheln, den mir die Liebe in das Herz geschrieben hatte, »ist denn nicht auch ein Hochamt für die heilige Klara gestiftet, die, nach meinem Gefühle, so viel Anbetung verdient, als vielleicht keine andere?«

»Da haben Sie recht, mein Herr,« fiel mir der Domherr mit einer Hitze ins Wort, die mich beinahe erschreckt hätte: »ihr Fest fällt auf den achtzehnten August und wird, wie billig, unter unsere vornehmsten gerechnet. Klara von Falkenstein« – jetzt merke ich erst, wie schief er mir wieder antwortete – »hat in einer Reliquie der christlichen Kirche eine Erbschaft hinterlassen, die der höchsten Verehrung wert ist – Kleinodien von dem wunderbarsten Gehalt, und durch die uns Gott selbst das Geheimnis der heiligen Dreifaltigkeit versinnlichet hat.«

Diese Nachricht überraschte mich so, daß ich dem Manne, der sie mir gab, mit einer Art von Mißtrauen in das Gesicht blickte. Da ich aber nicht die entfernteste Spur von Zerrüttung des Gehirns darin wahrnahm, so erkundigte ich mich, mit zunehmender Verwunderung, nach der eigentlichen Beschaffenheit dieses schweren Beweises. Sogleich langte er ohne die mindeste Verlegenheit nach einem beschmutzten Quartanten, schlug die Beweisstelle auf und las sie mit pathetischer Stimme vor:

»In der s. v. Blase der heiligen Klara de monte falcone,« las er, »fand man drei runde Steine von der Größe einer Nuß, von gleichem Umfange, gleicher Farbe und gleichem Gewichte. Wenn man einen dieser Steine auf die eine Wagschale, und auf die andere die zwei übrigen legte, so hat der eine soviel als beide gewogen; hat man dann in jede Schale nur einen gelegt, so haben sie abermals gleiches Gewicht gehabt; daraus denn klärlich abzunehmen, wie tief bei ihr das Geheimnis der heiligen Dreifaltigkeit eingedrückt war, welche einig im Wesen, dreifaltig in Person, und deren keine weder größer, noch älter, noch mächtiger ist, als die andere.«

Ich ward, als ich ihm zuhörte, beinahe so ernsthaft als er. »Um Vergebung,« fragte ich ihn jetzt, »hat denn dieser Autor, der so bestimmt spricht, auch diejenige Glaubwürdigkeit, die« – – –

»Wie, mein Herr?« fiel er mir hitzig ein, und schlug das Titelblatt auf: »Es ist ja, sehen Sie, die verbesserte Legende Pater Martins von Cochim, vor zehn Jahren, ungefähr 1779 gedruckt! Dieses vortreffliche Buch trägt den Stempel der Wahrheit wie die Bibel; denn, sehen Sie, hier steht auch die Zensur und die Approbation der Sorbonne.«

Der Domherr freute sich wie ein Kind über mein sichtbares Erstaunen. Um es zu erhöhen, war er im Begriff, mir noch ältere Schriftsteller vorzulegen, die dieses Wunders Erwähnung tun und es als Augenzeugen bestätigen. Ich verbat es jedoch, nahm mir nur noch so viel Zeit, die Blattseite dieser merkwürdigen Stelle in meiner Schreibtafel aufzuzeichnen, um bei Gelegenheit unsern Kant damit in die Enge zu treiben . . .

Dieser für meine Kenntnisse zwar nicht gleichgültige, für mein Herz aber desto ermüdendere Besuch war indes nur eine Kleinigkeit gegen den Verdruß, der meiner zu Hause wartete. Schon zehn höllische Stunden würge ich daran, und sehe mich jetzt um alle die metaphysischen Freuden gebracht, die ich mir für diesen Abend aufhob.

Höre nur, lieber Eduard! Ungefähr hundert Schritte, als ich das Haus des Domherrn verließ, sah ich einen ungleich jüngern und stattlichern Geistlichen, als jener war, vor mir hergehen, gab jedoch nicht eher acht auf ihn, als bis er sich durch den Umstand nur zu bemerklich machte, daß er ganz meinen Weg nahm, sich zuweilen nach mir umsah, und gerade die genannten hundert Schritte eher eintraf, als ich; denn als ich mein Zimmer erreichte, saß er bei Klärchen schon fest.

Daß ein geistlicher Herr eine angehende Heilige besucht, ist in der Ordnung. daß er aber vom Mittag an bis in die sinkende Nacht bei ihr verweilt – die Scheidewand nicht einmal das fröhliche Geschwätz, das laute Lachen und die bedenkliche Stille, die von Zeit zu Zeit nachfolgt, von meinem lauschenden Ohre abhalten kann, und daß ich jetzt ohne Psalm schlafen gehen muß, scheint mir eine offenbare Verletzung der guten Sitten, ein verpönter Eingriff in meine Rechte auf Ruhe und Hausfrieden zu sein, die mir nach meinem Mietkontrakte gebühren. Kurz, es ist unverantwortlich!

*

Den 3. Januar

Die Ungeduld über den lärmenden Geistlichen, auf dessen Abzug aus meiner Nachbarschaft ich gestern abend nicht länger warten mochte, brachte mich auch noch die halbe Nacht um meinen ruhigen Schlaf. Darüber verrückte sich meine ganze Lebensordnung. Ob sie diesen Morgen gesungen hat, mag Gott wissen; denn ich erwachte weit später als gewöhnlich, und hatte kaum meine Nachtmütze vom Kopfe geschleudert, als mir auch schon der Domherr seinen gestern angekündigten Gegenbesuch abstattete. Wäre ich nicht schon so ziemlich mit ihm bekannt gewesen, so würde es mich vermutlich noch mehr, als es tat, außer Fassung gesetzt haben, einen Mann im Purpur bei meinem petit Lever zu sehen; so aber hatte ich statt aller Entschuldigung nur nötig, den Kontrast unseres Aufzuges recht hell ins Licht zu setzen, um seine Selbstzufriedenheit so lange zu beschäftigen, bis ich angekleidet und zu seinem Befehle war.

Wir schlenderten nun zusammen in die Kirche. Ich bekam einen sehr guten Platz: wenn nur das Stück besser gewesen wäre, das man aufführte! Es wurde mir eine freie Seitenloge, neben der Hauptloge des Kapitels, angewiesen. Hier stand ich in mich gekehrt, unter der beständigen Abwechslung heiliger Gebräuche, die mir jedoch zu fremd waren, als daß sie auf meine Andacht wirken konnten. Überhaupt war wohl von den mancherlei Vorzügen, mit denen ich mich in meinem Leben dann und wann beehrt sah, schwerlich einer so übel auf meine Verhältnisse berechnet gewesen, als die Höflichkeit, die mir der Domherr zu erzeigen glaubte. Mein Mißbehagen wuchs mit jeder Minute, und war eben in dem Augenblicke aufs höchste gestiegen, als der dienende Geistliche am Hauptaltar das Venerabile in die Höhe hob, und die ganze Versammlung mit einem Getöse zur Erde niederfiel, das meine längst verlorne Aufmerksamkeit wieder herbeizog. War ich nun gleich der einzige, der ruhig in seiner ersten Stellung blieb, so war ich es doch nicht auf lange. Die Pseudo-Kardinale, denjenigen nicht ausgenommen, der mich hierher verlockt hatte, winkten mir mit so ernsten, mürrischen Blicken zu, daß ich, aus Furcht vor einer Kirchenstrafe, geschwind ihrer Weisung folgte, und, indem ich meine Knie beugen wollte, aus Mangel an Übung, mit beiden Füßen auf den harten Marmor hingleitete. Ich hätte den Schmerz für etwas Verdienstliches halten müssen, wie ein Bramine oder ein Büßender, wenn diese Erschütterung eine nur leidlich wohltätige Wirkung auf mich hätte hervorbringen sollen; da ich keines von beiden war, folgte ich meiner natürlichen Empfindung, rieb mir die Knie und fluchte solange heimlich über das Bittere und Lächerliche eines erzwungenen Gottesdienstes, bis ich, da die Versammlung sich nach geendigter Zeremonie wieder erhob, und nun Chor und Gemeinde ihren hochtönenden Gesang anstimmten, der Gelegenheit wahrnahm, meinem innern Verdrusse Luft zu machen.

Aus Andachtsspott (das Wort ist neu,
So alt die Sach' auch ist im päpstlichen Gebiete)
Mischt' ich dreust ihrer Litanei
Ein deutsches Epigramm von unserm Luther bei,
Und sang: »Uns fernerhin behüte
Vor Papsts Lehr' und Abgötterei!«
Das sang ich laut im päpstlichen Gebiete
Nach wohlbekannter Melodei.

So verrichtete ich, im Angesichte des ganzen Kapitels, und in seiner eigenen Kirche, meine Andacht nach Grundsätzen meiner Religion, und ging nach diesem Simultaneo, und ohne dem Domherrn für erwiesene Ehre zu danken, gerächt und fröhlichen Mutes meinem Mittagsmahle entgegen.

Diese gute Laune nahm zu, sobald ich mich wieder in Klärchens Nähe befand. Der Enthusiasmus für ihre übermenschliche Tugend, mit dem mich mein Freund, der Buchhändler, auf eine Weile angesteckt hatte, war zwar seit gestern abend auf und davon: er hatte mir aber seine Stätte noch immer warm genug zurückgelassen, um eine andere Art von Gefühl, das, obgleich nicht so uneigennützig, doch darum nicht minder angenehm war, leidlich genug zu beherbergen. Doch war ich entschlossen, ihm nicht eher Raum zu geben, bis ich vorerst Herrn Fez über einige Artikel verhört hätte, die das wahre Verhältnis betrafen, worin ohngefähr der geistliche Herr mit der kleinen Heiligen stehen möchte. Diese Vorkenntnisse schienen mir so unentbehrlich, daß ich nach dem Essen keine Minute zauderte, sie mir zu verschaffen.

Die kleinen unschuldigen Mittel, die ich gestern gebrauchte, dem schwatzhaften Manne Vertrauen zu mir einzuflößen, taten auch heute ihre Wirkung. Ich erfuhr auf die ungezwungenste Weise erst den Ladenpreis dieses oder jenes in Vergessenheit gekommenen Dichters und Prosaisten, und erfuhr, sobald mein Konto gemacht war, ebenso genau den wahren Zusammenhang des Besuchs, der mir so verdächtig schien.

Daß man doch, der vielen Erfahrungen ungeachtet, sich durch den äußern Anschein noch immer so leicht zu übereilten Urteilen verleiten läßt! Es macht der menschlichen Vernunft wirklich wenig Ehre. Herr Fez hob durch ein paar Worte, die mir viele Unruhe würden erspart haben, wenn sie mir gestern zu Ohren gekommen wären, alle die nachteiligen Zweifel, die ich gegen die Sittsamkeit meiner lieben Nachbarin gefaßt hatte. Die Sache verhält sich so: Das Haus, wo wir wohnen, gehört, wie mehrere in der Stadt – und das wußte ich ja vorher – dem Hospitale der Probstei. Nun ist der junge Geistliche seit kurzem zum Probste erwählt worden und besucht sonach, in Gemäßheit seines Amtes, eins um das andere, um teils die Mietzinsen einzukassieren, teils für Bau und Besserung der Gebäude zu sorgen, und die Rechnungen abzunehmen, die dahin einschlagen. So mancherlei Geschäfte können ja wohl einen etwas pünktlichen Mann, der nichts gern auf den andern Tag verschiebt, bis in die Nacht aufhalten; und ich wüßte nicht, wie ich denken müßte, wenn ich noch länger nachteilig von seinen Kabinettsarbeiten urteilen, oder der kleinen Heiligen es aufmutzen wollte, daß sie, außer Psalmen zu singen, auch noch imstande sei, wenn es nötig ist, die gute Gesellschafterin zu machen und durch Witz und Laune die trockenen Geschäfte ihres Vorgesetzten aufzuheitern. Sie gewinnt vielmehr dadurch in meiner hohen Vorstellung von ihren Verdiensten; und so wenig ich, wie Du Dich erinnern wirst, bei meinem vorgestrigen Einzuge, und solange ich nur die alte Tante gesehen hatte, die guten Absichten des Zufalls mit meinem Individuum spitz kriegen konnte, so trefflich scheint mir jetzt, seitdem ich auch die Nichte kenne, alles von ihm angelegt zu sein, damit mein Bestreben nach Weisheit und Gesundheit mich nicht in die Länge durch zu viele Einförmigkeit ermüde und stumpfmache.

Das Mädchen ist ganz geschaffen, das Phlegma eines überladenen Gehirns durch das flüchtige Salz ihres Umgangs zu reizen, aufzulösen, und vor einer gänzlichen Vertrocknung zu bewahren. Müssen wir nicht immerfort arbeiten, lieber Eduard, den Firniß, den wir kochen, flüssig zu erhalten, wenn er seine Dienste leisten und Festigkeit und Glanz zugleich gewähren soll? Jetzt ist mir auch nicht weiter für mein Tagebuch und für Deine Unterhaltung bange. Wir sind doch beide in unsern Wanderungen noch an keine Heilige geraten. Dies unbebaute Feld unserer Erfahrungen blieb uns noch zu bestellen übrig; und ob ich mir gleich nicht schmeichle, bei Klärchen den Beweis eines so großen Geheimnisses auszufinden, als der war, den ihre berühmte Namensschwester den Gläubigen vererbt hat, so hoffe ich doch, ohne bis auf ihre Sektion zu warten, manche andere feine Entdeckung zu machen, die keinen geringen Reiz der Neuheit für uns haben, und die Mühe reichlich belohnen soll, die ich mir von Stund' an geben werde, der jungen Heiligen, samt ihren Abweichungen von dem Gewöhnlichen, so nahe als möglich zu kommen.

»Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich von dem geistlichen Herrn weiß, der Sie gestern so lange in ihren Studien störte,« fuhr Herr Fez fort, indem er die Erreurs de Voltaire und die Lettres édifiantes für mich zusammenpackte. »Sollte Ihnen aber gedient sein, mehr noch von diesem Manne zu wissen, und überhaupt sollte Ihnen in unserer Stadt etwas aufstoßen, wovon Sie gern gründlich unterrichtet sein möchten, so kann ich Ihnen einen Mann empfehlen, der in dieser Rücksicht ungleich mehr Genüge leisten kann, als ich und jeder andere. Er ist ein getaufter Jude, der Jahr aus Jahr ein nur zwei Beschäftigungen hat, denen er aber auch desto pünktlicher vorsteht. Die eine ist, das Grab der Laura zu bewachen und es den Fremden zu zeigen; die andere, in allen Dingen der Neugier ihnen Auskunft zu geben. Vor seiner Bekehrung stand er ebenso pünktlich an der Ecke des Stadthauses, bot den Vorübergehenden Lotteriezettel an, und fragte sich heiser, ob sie etwas zu verschachern hätten? Aber keine Seele gab Achtung auf ihn. Sein Bart schadete ihm in allen seinen Unternehmungen. Jetzt hingegen, seit er ein Christ ist, ist es ein Wunder, wie ihm alles gelingt! Sollten Sie es glauben? aber er ist gesuchter, geschätzter und reicher als ich!«

»Das Grab der Laura?« sagte ich. »Da haben Sie mir einen rechten Gefallen getan, lieber Herr Fez, daß Sie dieser Merkwürdigkeit erwähnten: es hätte sonst leicht kommen können, daß ich, zu meiner ewigen Schande, in mein Vaterland zurückgegangen wäre, ohne an dies Wahrzeichen der Stadt eher zu denken, als bis mich meine Landsleute darum befragt hätten. Was hätte ich ihnen antworten wollen? Jetzt habe ich einen Beruf mehr, meinen Spaziergang dahin zu lenken, da Sie mir dort eine so nützliche Bekanntschaft versprechen. Nächstens will ich auch eine Fahrt nach Vauclüse tun, um das alte Schloß des guten Petrarch zu besuchen . . . Mein Paket Bücher? – Legen Sie es nur einstweilen beiseite! Mein Bedienter soll es abholen.«

Ich schlenderte nun durch die Gassen, die Nase immer nach der Turmspitze gerichtet, die mir Herr Fez zum Merkmal angab. Es währte nicht lange, so sah ich die Kirche des Cordeliers frei vor mir liegen, und auch den Konvertiten, den ich suchte, wie einen Sphinx an den einen Pfeiler der Tür gelehnt, auf den zufälligen Tribut neugieriger Reisenden lauern. Schon von weitem zog ich meinen Hut und näherte mich ihm mit dem launigen Lächeln, mit dem ich immer die Zeile im Voltaire las, die sich mir jetzt als die natürlichste Anrede ungesucht darbot:

»De cette église êtes vous Sacristain?«S. la Pucelle chant 14.

Ich wollte, Du hättest den feinen Gesichtszug gesehen, der jetzt in seine Physiognomie trat und mir mehr als sein einsilbiges Ja! bewies, wie gut er meine Frage verstanden habe.

Um uns beide nicht unnötig aufzuhalten, schielte ich nur von fern nach dem einfachen Steine, dessen Lage er mir zeigte, und sich nun anschickte, mich seine tägliche Predigt darüber hören zu lassen. Ich ließ es nicht dazu kommen. – »Es ist hinlänglich,« sagte ich, und wies mit zwei Laubtalern, die ich ihm in demselben Augenblick in die Hand drückte, seine drohende Beredsamkeit glücklich von mir. Dies stiftete in der Geschwindigkeit eine gewisse Sympathie unter uns, von der ich mir in der Folge manches Gute verspreche. »Ihre zuvorkommende Art, mein Herr,« sagte er lächelnd, »mit der Sie sich dieser heiligen Grabstätte nähern, läßt mich ungefähr vermuten, wie begierig Sie sein mögen, die Geschichte meiner Pflegbefohlnen zu hören. Es ist schwer von ihr zu schweigen – doch tue ich es, da Sie mir es so eindringend befehlen.«

»Sie haben mich in der Tat erraten,« antwortete ich: »aber wie schade, daß ein Mann von so feinem Takt nur die Asche eines hübschen Weibes bewachen soll! Dieses Geschäft, mein Herr, ist doch so eingeschränkt, so traurig, und enthält so wenig Belohnendes für einen denkenden Geist!«

»Im ganzen, mein Herr«, versetzte der Kirchner, »mögen Sie wohl recht haben; doch sollten Sie, deucht mich, den Wächter am Grabe einer Laura davon ausnehmen. Nicht das schöne Weib, das hier begraben liegt, und das, als sie noch ganz beisammen war, neben ihrem Gemahle auch noch das Herz eines andern entflammte, – nicht diese gewöhnlichen Vorfälle machen ihre Gruft merkwürdig, und veredeln die Sorge dessen, der sie bewacht – sondern der reine Geist ist es, der nach Jahrhunderten noch, gleich einem Phönix, über ihrer Asche zu schweben scheint, der einem fühlenden Herzen dieses sonst unbedeutende Ämtchen so wert macht; der Geist der Liebe ist es, ihres unsterblichen Dichters.«

Er sprach das unsterblich so pathetisch aus, wie ein Professor. Ich verzog den Mund nur ein wenig, und dennoch verstand mich der Schlaue, als ob er mir in das Herz geblickt hätte, und antwortete mir nach meiner Miene: »Wenn Sie, mein Herr, Laurens berühmten Liebhaber nur als einen gesunden jungen Mann von gewöhnlichem Schlage betrachten, so verdenke ich Ihnen nicht, daß Sie seiner Unsterblichkeit ein wenig spotten. Ein solcher tut freilich für eine einzige schwelgende Nacht bei seiner Geliebten gern auf allen Plunder des Nachruhms Verzicht. Aber Petrarch, mein Herr, kalkulierte ins große. Seine weitsehende Seele zog die Sättigung einer fortdauernden Gemeinde seinem luxuriösen Hunger vor, und ohne selbst, wie ein Hochzeitbitter, an dem Gastmahle Platz zu nehmen, zu dem seine süßen Worte tausend andere einladen, sparte er das Feuer der Liebe, statt es auf die gewöhnliche Art zu verschnaufen, nur zum Stoffe seiner ewigen Gesänge. So gewiß er auch war, daß sie bei Lauren für ihn ohne Wirkung blieben, zählte er in dichterischem Enthusiasmus alle die Seufzer, die er nach Jahrhunderten noch erregen, alle die Herzen, die er erwärmen und öffnen, und alle die Schwierigkeiten, die er unter Liebenden vermitteln würde, und tröstete sich auf seinem einsamen Lager mit dem traulichen Geflüster, das er auf tausend andern hervorzurufen gewiß war. Könnten Sie ihn wegen dieses umfassenden Gefühls bedauern? Oh, gewiß nicht! Denn welcher Großdenkende wird nicht gern sein einzelnes Leben daran setzen, wenn er hoffen darf, dadurch ein allgemeines Wohlbehagen zu befördern, auf unzählige Geschlechter Freude und Genuß zu verbreiten; – er hoffen darf, daß eine Schar empfindsamer Geschöpfe sich das Verdienst seiner Leiden zurechnen, und den Lohn ernten werde, dem er gutmütig entsagte! Dieser stolze Gedanke, ist er nicht der letzte Trost aller der heiligen Märtyrer gewesen, die zum Vorteile des ganzen freiwillig ihr eigenes Glück opferten?«

Bei diesen Worten sah mir der Redner scharf in die Augen, und wäre ich nicht von seinem Übertritte zum christlichen Glauben unterrichtet gewesen, wer weiß, ob ich nicht seine schöne Tirade für eine strafbare Ironie aufgenommen hätte, auf die ich, oder D. Leß hätten antworten müssen! So aber wußte ich nicht, was ich davon denken sollte – lüftete meinen Hut und seufzte, und der Redner fuhr fort: »Sie nannten vorhin meinen Wirkungskreis traurig und eingeschränkt. – Wie leicht wollte ich Sie eines bessern überzeugen, müßte ich nicht« . . . und er hielt inne – doch besann er sich bald. – »Habe ich nicht«, sagte er nach einer kleinen Pause, »einen höflichen Fremden, einen Mann von Ehre vor mir, der mein Zutrauen nicht mißbrauchen wird? Das ist mir genug. Sie wissen, daß ich von der geistlichen Obrigkeit, nach vorhergegangenem scharfen Examen, eingesetzt bin, dieses Grab zu bewachen, und jedem, der es verlangt, eine und eben dieselbe veraltete Liebesgeschichte zu erklären. Ein armseliges Geschäft dem ersten Ansehn nach! Aber auch das armseligste kann, unter der Behandlung eines tätigen und nachdenkenden Mannes, wichtig für seine Zeitgenossen, wichtig sogar für die Nachwelt werden. Freilich würde ich ohne Kenntnis des menschlichen Herzens in dem beschränkten Zirkel, den man mir anwies, nicht weit gekommen sein – aber wo kommt man auch weit ohne sie? Ich begnügte mich nicht, meine aufhabenden, beschwornen Pflichten so schlechtweg zu erfüllen. Nein, mein Herr, ich besah sie, sobald sie mir erst Brot geschafft hatten, auf allen Seiten, und studierte sie aufmerksam, in der Absicht, sie mit der Zeit zu veredeln. Ich erlangte bald eine gewisse Fertigkeit in meinem Vortrage, den keiner meiner Vorgänger in dieser Vollkommenheit besessen hat, sogar daß ich die hundertundacht Sonette, die Petrarch seiner Geliebten sang, mit aller der Zärtlichkeit wiedergeben kann, die er hineinlegte. Dieses Talent, mein Herr, so wenig es auch gemein ist, würde jedoch nur ein vorübergehendes Vergnügen gewähren, wenn ich es nicht zum Besten des gemeinen Wesens, das noch immer der vorzüglichste Augenmerk jedes guten Bürgers sein muß, anzuwenden gelernt hätte. Die Asche der Laura ist, mit aller Ehrfurcht für das, was sie sonst war – doch jetzt nur ein Caput Mortuum. Ihr Grabmal ist unscheinbar und unbedeutend, und es wird darum um nichts ehrwürdiger, weil es einmal ein König besuchte, es öffnen ließ, und seine schlechten Verse hineinlegte. Aber seit es unter meiner Aufsicht steht, ist es der feinste Probierstein des Tugendgehalts meiner Mitbürgerinnen geworden.«

»In der Tat, mein Herr,« fiel ich ihm lächelnd ein, »ist das kein kleines Verdienst um den Staat. – Aber in aller Welt, durch was haben Sie diesem gemeinen Sandstein eine so magische Kraft zu geben gewußt?«

»Wenn Sie mir zuhören wollen, ohne mich weiter zu unterbrechen,« versetzte er, »so sollen Sie den ganzen Prozeß – von den Grundsätzen an, von denen ich ausging, bis zu den Resultaten erfahren, die er mir täglich abwirft.«

»Weibliche Unschuld, wie man es im gemeinen Leben so nennt,« fuhr er fort, indem er dabei, vermutlich aus alter Gewohnheit, an sein spitziges Kinn griff, »ist den Goldstücken gleich, die unter einerlei Stempel im Umlaufe sind: eins glänzt so gut als das andere und trägt im Kommerz den Wert, den ihm der Wechselkurs und der gute Glaube beilegt.« – Oh, über den Juden! dachte ich. – »Aber wie rein, wie frei von fremdem Zusatze jedes sein mag, kann doch selbst der Scheidekünstler nicht eher wissen, als bis er es auf die Kapelle gebracht hat. Nun kann ich aber, kraft meines Amtes, jedem, dem hiebei um besondere Sicherheit zu tun ist, diesen um deswillen mißlichen Prozeß, weil er meistenteils eine gewisse Destruktion voraussetzt, Rundung und Prägerlohn immer darbei verlorengeht, um vieles erleichtern. Und wäre einer noch so mißtrauisch, ohne Bedenken kann er doch nach dem pretiösen Stücke greifen, das er im Auge hat, ohne zu befürchten, daß es in seinem Umlaufe aufgesotten, beschnitten oder vermischt ist, sobald ich ihm dafür Gewähr leiste.«

»Der bessern Deutlichkeit wegen,«unterbrach ich hier den seltenen Währmann, »wünschte ich wohl, daß Sie die Vergleichungen beiseite setzten und mit mir ohne Allegorie sprechen wollten.«

»Ohne Allegorie?« wiederholte er. »Das, mein Herr, ist bei dem Thema, das ich abhandle, wirklich nicht so leicht, als Sie wohl denken. Doch ich will mein Möglichstes tun! Ich stand nicht lange auf meinem Posten, als ich schon wahrnahm, daß kein weibliches Herz (da falle ich doch wieder in die Allegorie, aber ich kann mir nicht helfen) zu fühlen anfing, das nicht den Antritt seiner Wallfahrten bei dem heiligen Grabe der Laura eröffnet hätte. Durch wiederholte Erfahrungen brachte ich meine Bemerkungen zur Gewißheit und endlich in ein förmliches System. Wenn ich jetzt ein neues Gesichtchen von vierzehn, funfzehn Jahren in mein Heiligtum treten sehe, so weiß ich ziemlich genau anzugeben, was für dunkle Träume ihm die Nacht vorher vorgeschwebt haben. Die armen Unbefangenen! Sie horchen auf die Geschichte der selig Verstorbenen mit einem Nachdenken, das wirklich recht rührend ist. Mit welchem Heißhunger eignen sie sich nicht die harmonischen Weissagungen und Aufforderungen zu, die ich ihnen, nach Befinden ihrer Bedürfnisse, aus dem Magazine meines Petrarchs zugute gebe! Jede glaubt ihre Empfindungen flott werden zu sehen, und die geheime Geschichte ihres Gefühls zu hören. So lange nun, mein Herr, dieses Spiel ihrer Einbildungskraft dauert, so lange die junge Schöne ihren Besuch bei Lauren und mir fortsetzt, und der Herzensergießungen des ehrlichen Petrarchs an seine Geliebte nicht satt werden kann, stehe ich auch mit Leib und Seele für ihre – Unschuld. Aber, aber, mein Herr, wenn ihre Morgenbesuche anfangen seltener zu werden – wenn sie gar aufhören – alsdann«, setzte der schlaue Kirchner leiser hinzu, »weiß ich auch ebenso gewiß, was die Glocke geschlagen hat. Sie begreifen nun doch, wie einzig in ihrer Art eine solche Kenntnis ist, und wie wohl die jungen Herren tun, die zum Ehe-Sakramente schreiten wollten, daß, ehe sie sich mit ihrer Angelegenheit an den Bischof wenden, sie zuvor ein geheimes Gutachten bei dem Kirchner einholen? Vielleicht ist bei keinem andern öffentlichen Amte das Nützliche mit dem Angenehmen so fest verbunden, als bei dem meinigen. Da es mich nötigte, wie eine Bildsäule auf einem Flecke stehen zu bleiben – da jedermann gewiß ist, daß ich ihm stand halten muß; so müssen schon deswegen eine Menge Geschäfte an mich gelangen, die keinen Aufschub vertragen; und das sind unstreitig immer die interessantesten. So bin ich nach und nach, ohne Bemühung auf meiner Seite, von den geheimsten Anliegen der hiesigen Einwohner unterrichtet worden – wirke jetzt auf den Sohn, wie ich auf den Vater – auf die Tochter, wie ich auf die Mutter gewirkt habe – sehe mich, wie die Orakel der Alten, in den Stand gesetzt, das allgemeine Zutrauen der Familien zum Vorteile ihrer einzelnen Glieder zu nutzen – wie ein heimliches Gericht, hier zu belohnen, dort zu bestrafen, manchen traulichen Wunsch des einen mit der Erwartung des andern auszugleichen, und sonach ganz in der Stille, wie es einem Weisen geziemt, auf Welt und Nachwelt zu wirken. – Aber, mein wertester Herr, was ist Ihnen? Sie stehen ja in gar tiefen Gedanken!«

»Halten Sie mir meine Zerstreuung zugute, lieber Herr Kirchner,« versetzte ich; »aber eben ging mir eine sehr neugierige und zudringliche Frage durch den Kopf, die ich« – –

»Nicht das Herz habe, mir vorzulegen?« faßte er selbst höflich meinen Gedanken auf: »Oh, machen Sie mit mir keine Umstände! – Ich bin an allerlei Fragen gewöhnt und selten verlegen, darauf zu antworten.«

»Nun, so sagen Sie mir aufrichtig,« fuhr ich fort, »setzt denn wohl die schöne Klara, die dort oben in der Stiftsgasse bei einer alten Tante wohnt, ihre jugendlichen Wallfahrten bei diesem heiligen Grabe fort, oder ist sie auch schon über Ihre petrarchischen Vorbereitungen hinaus, mit denen Sie der hiesigen Jugend zu Hülfe kommen?«

»Welch eine Verbindung von Ideen!« rufte der Kirchner mit sichtbarer Verwunderung. »Wie in aller Welt kommen Sie doch von meiner Mädchenprobe auf das zerknirschte Herz dieser Heiligen?« –

»Das geht doch sehr natürlich zu,« antwortete ich. »Schon drei Tage wohne ich neben ihrer Kammer, höre sie täglich einen oder ein paar Psalmen mit einer Engelsstimme singen, kann keinen Blick auf sie werfen, wenn sie in die Messe geht, ohne durch und durch erschüttert zu werden, und« – – –

»Und so wird es freilich begreiflich,« half mir der gute Kirchner wieder ein, »warum Sie einen so warmen Anteil an ihren Wallfahrten nehmen. In ganz Avignon hätten Sie für Ihre Ruhe sich in keine gefährlichere Nachbarschaft einmieten können; soviel kann ich Ihnen vertrauen.«

»Und meine Frage?« rief ich mit Ungeduld. – – –

»Ist sehr verfänglich,« fiel er mir in die Rede: »Aber Sie verdienen,« – hier rasselte er mit meinen zwei Laubtalern – »daß ich sie ohne Zurückhaltung beantworte. Es mögen ungefähr zwei Jahre her sein, als sie mir, mit den schüchternen und verschämten Blicken eines dreizehnjährigen Mädchens, zum ersten Male unter die Augen trat. Solange ich meinem Amte vorstehe, sah ich noch aus keinem Gesichte den Übergang der ruhigen Einfalt in die glückliche Zeit der Erwartung sanfter bezeichnet, sah das letzte Veratmen der Kindheit nie in einer sittsamern Bewegung. – Ich hätte der jungen Brust helfen mögen, sich auszudehnen! Ich tat, was ich konnte und wurde für die einschmeichelnde Erzählung meiner alten Geschichte durch immer lebhaftere Blicke ihrer feurigen Augen nur zu sehr belohnt: denn ich stotterte mehrmalen, was mir sonst nicht widerfährt, und fühlte, daß ich noch rot werden konnte. Wie bedauerte sie nicht den armen Petrarch, und was für Geschmack fand ihre harmonische Seele nicht an seinen herrlichen Sonetten! Sie hat sie so oft, unter klopfendem Herzen und mit feuchten Augen, angehört, daß ich nicht zweifle, sie weiß sie nun so auswendig als ich. Seit einiger Zeit hat sie sich jedoch ganz auf die sublime Seite der Andacht gewendet, auf der sie, wie es scheint, einzig ihr Glück zu machen gedenkt: nicht als ob sie nicht dann und wann noch diese heilige Grabstätte besuchte; nur geschieht es seitdem nie anders, als unter Begleitung ihres zeitigen Gewissenrats, deren sie drei – einen nach dem andern versteht sich – vorher gehabt habt, ehe das Glück ihr unsern Herrn Propst zuführte, der seine meiste Zeit auf die Seelsorge dieses ausgezeichneten Mädchens zu wenden – und mit dem auch sie vollkommen zufrieden zu sein scheint.«

Das Blut stieg mir ins Gesicht. – »Kennen Sie«, – fragte ich stotternd, »diesen Mann genau?«

»Ob ich ihn kenne?« fiel mir der Kirchner so hitzig ein, als ob ihn meine Frage verdrösse. »Ein Steinfremder, dächte ich, dürfte ihn nur einmal über die Straße gehen sehen, um ihn ganz zu kennen. Die Männer grüßen ihn demütig wie einen Apostel, und die Weiber, die flüchtigsten Mädchen sogar bleiben stehen, wenn er vorübergeht, heben die Augen gen Himmel, und drücken seine segnende Hand an ihren schwellenden Busen. Seitdem dieser brave Herr das Amt der Schlüssel trägt, hat er« – – –

»Ohne Unterbrechung, lieber Herr Kirchner,« fiel ich dem enthusiastischen Lobredner ein, »was für ein Amt bezeichnen Sie unter dieser sonderbaren Benennung?«

Der gute Mann schien Mitleiden mit meiner Unwissenheit zu tragen, die wirklich auch in allem, was zur Kirchenverfassung gehört, über die Maßen seicht ist; und um mir die Sache recht anschaulich zu machen, zählte er mir alle die Schlüssel an den Fingern her, die der junge Mann, durch seine Beförderung zum Probst in seine geistliche Gewalt bekommen hatte. –»Er löst,« sagte der Kirchner mit anständigem Ernst. –

»Er löst die Bande der Natur
Und schiebt ihr Riegel vor –
Von der verborgenen Klausur,
Bis zu dem offnen Tor;
Hat seinen Gang nach eigner Wahl,
Zu allen Schlössern frei,
Vom Kirchturm, zu dem Speisesaal,
Bis zu der Kellerei.«

»Sie begreifen doch nun,« fuhr der Kirchner mit unveränderten Gesichtszügen fort, »in welcher wahren Pastoralglückseligkeit dieser würdige Mann auf die Zukunft des Herrn wartet? Ich kenne von den vielen Freuden eines guten Hirten in der Tat nur eine, die ihm noch zurzeit abgeht, ihm jedoch gewiß« – – –

Hier hielt er auf einmal inne, als ob er Bedenken fände, sich weiter herauszulassen, spannte aber dadurch, wie Du denken kannst, meine Neugier nur desto höher; und da seine Pause diesmal länger anhielt, als ich an ihm gewohnt war, so ergriff ich traulich seine Hand, und: »Ich verstehe Sie nicht, teuerster Freund,« sagte ich so freundlich, als ich nur konnte. »Bei alle den Schlüsseln, die Ihrem Probste zu Gebote stehen, was für eine Freude könnte ihm mangeln?«

»Nur die,« fuhr jetzt der Kirchner, durch meine Herablassung gewonnen, jedoch mit gedämpfter Stimme fort, »daß er kein verirrtes Schaf zu seiner Herde zurückkehren sieht, weil, zu seinem Lobe sei es gesagt, bei der guten Art, mit der er sie weidet, ihm noch keins verloren ging.«

Nach diesen geheimnisvollen Worten verfiel der liebe Mann aufs neue in eine so ministerielle Miene, als ob er mir nicht geradezu sagen wolle, er habe nun, wie es ihm dünke, seine zwei Laubtaler ehrlich und redlich verdient. Sie schreckte mich ab, weiter in ihn zu dringen; und, soviel es mir auch kostete, schickte ich mich an, ihn zu verlassen.

Er begleitete mich stillschweigend bis an die Tür; hier aber gab er mir noch einen kleinen Nachtrag zu dem Panegyrikus, dessen ich schon lange satt hatte, mit auf den Weg. »Hoffentlich«, sagte er, »gehen Sie nun ganz überzeugt von den Verdiensten unseres würdigen Propstes von mir! ja, ich schmeichle mir sogar, daß Sie mit dem guten Entschlusse von mir gehen, die Summe seiner Freuden zu vermehren, wenn Sie Gelegenheit finden. – Unterdes leben Sie wohl!«

»Eine schöne Zumutung!« murmelte ich vor mir hin. »Der Kerl ist der erste Rasende, den ich für seinen Vorgesetzten betteln höre.« Meine Laubtaler fingen an mich zu reuen. Ich schlich wie belastet nach Hause. Das Bild des Propstes, von dem ich hier eine viel vorteilhaftere Zeichnung erkauft hatte, als ich erwartete, sein ausgebreiteter guter Ruf, sein beneidenswertes Amt, sein Wirkungskreis, seine Tätigkeit, alles vereinigte sich, um mich zu demütigen. Ich warf mich höchst mißmutig auf meinen Stuhl, saß lange vertieft in schwermütige Gedanken, und fühlte, wie drückend die Verdienste anderer sind, wenn man keinen Mut hat sie nachzuahmen. »Daß doch«, rief ich mit Bitterkeit, »mir ein Mann in die Nähe kommen – die Stille meines Museums – und die hohen Gedanken, die mir über der Seele schwebten – verscheuchen mußte, der zu jedem geistlichen Geschäfte – wenn nicht etwann auch das Graben in den Pontinischen Sümpfen darunter gehört, verdorben ist – ein Mann, der sich im Besitze aller menschlichen Freuden schaukelt, während ich einen Stein nach dem andern einzeln zusammenlese, um den Bau eines idealischen Glücks auszuführen – und daß – ach! ein Engel wie Klara, sich von ihrer Höhe herablassen muß, um ihn durch ihre Scherze, ihr harmonisches Lachen und durch ihr melodisches Organ in die Entzückungen des Paradieses zu versetzen – und das alles bloß deswegen, weil er Propst ist!«

Ach! der Neid, lieber Eduard, ist doch ein dummes, häßliches Laster, mit Sophismen und Übertreibungen überladen, und aus Giften zusammengesetzt, die wir wie Rasende verschlucken, so gewiß wir auch sind, daß sie Grimmen in unsern Eingeweiden erregen werden. Dies Gefühl ward mir bald so unerträglich, daß ich den schnellen Entschluß faßte, es abzuschütteln.


 << zurück weiter >>