Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

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»Sie werden an der Vorrede meines Bruders genug haben, mein Herr,« wendete [der Epilogus] sich zu mir, »denn sie enthält alles, was durch unser Schauspiel nachher nur in Handlung gebracht wurde, und ich mag Sie mit meiner Nachrede nicht noch aufhalten. Auch ist es wahrlich weder diese noch jene, die den Umsturz unseres Theaters bewirkte. Sie mußte nur nachher der Ungerechtigkeit zum Vorwande dienen, die ein Heuchler, der in seiner eigenen Rolle gestört ward, an uns, an der Schöpfung der Welt, und dem Stande der Unschuld beging. Hören Sie, mein Herr, und erstaunen Sie! Ich hatte schon alle Reihen Bänke unsers Parterres durchgeräuchert, als ich in der hintersten, dunkelsten Ecke auf ein paar Zuschauer traf, die vermutlich selbst keine verlangten; denn sie fuhren, aus aller Fassung gebracht, auseinander, als ich ihnen mit meinem Rauchfasse zu nahe kam. Es war ein junger Offizier, und es war – stellen Sie sich meine Verlegenheit vor! – abermals das schöne Mädchen, das ich schon als Reisegefährtin des Herrn Ducliquet so unschuldigerweise erschreckte. Ich sah es ihr an, daß sie sich in diesem Augenblicke mehr vorzuwerfen hatte, als alle unsere Marionetten; und doch mußten diese schwerer als sie für die Untreue büßen, die sie diesen Abend an ihrem Patron beging. Die damals verlornen Minuten des rachgierigen Domherrn liegen schwer auf uns, und werden uns drücken, solange wir noch in dieser Zeitlichkeit wallen.« – »Das wäre sehr schade um deine ausgezeichneten Talente,« unterbrach ich den Grenadier; »du bist zu pathetischen Rollen wie geboren, und ich hoffe, daß der Druck nicht lange mehr dauern soll, der das Publikum um ein paar so treffliche Redner gebracht hat. – Doch davon ein andermal!– Jetzt, fahre nur fort!«

Indem meldete Bastian, daß ihr Abendessen auf dem Tische stehe. Der Prologus setzte sich in Bewegung; aber der Epilogus, den mein Beifall noch mehr in Feuer gebracht hatte, bat seinen Bruder noch um einige Augenblicke Geduld, und wendete sich mit einem pragmatischen Übergange wieder an mich. – »Es war immer noch ein glücklicher Zufall,« sagte er, »daß sich mir das schöne Gesicht unter dem Schimmer meines Rauchfasses verraten mußte; denn sonst würden wir bis diese Stunde noch nicht den geheimen Zusammenhang unserer tragischen Geschichte entdeckt haben.« – »Sind wir deshalb besser daran?« murmelte sein hungriger Bruder. – »So aber«, fuhr der andere fort, ohne sich stören zu lassen, »können wir von der ersten verborgenen Feder an, die so viele Räder in Bewegung setzte, den unglücklichen Vorfall bis zur Auflösung des Knotens verfolgen. Es sollte einem Dichter leicht werden, ein Trauerspiel daraus zu verfertigen – so regelmäßig als es die Verschwörung von Venedig oder der Umsturz des babylonischen Reichs ist; wären wir nur noch so glücklich, ein Theater zu haben, um es aufzuführen. Die drei Einheiten, mein Herr, des Orts, der Zeit und der Handlung, finden sich hier, nach den Forderungen des Aristoteles, auf das genaueste vereinigt, und würden, mein Herr, so gewiß ihre Wirkung tun, als« – – – Jetzt fing mir vor der Überströmung seiner Gelehrsamkeit ein wenig an Angst zu werden. – »Du bist zwar der erste, den ich sehe,« unterbrach ich ihn mit einer verwundernden Miene, »der seine Unglücksfälle nach der Kunst zu ordnen imstande, und selbst fähig ist, wie die Spinne, aus dem Stoffe seines eigenen Lebens ein Kunstwerk zu weben; indes rate ich dir als ein guter Freund, es vor der Hand noch zu verschieben, damit nicht etwa deine Suppe nach den Regeln des Aristoteles – kalt werde.« – »Oh, der unglücklichen Gabe der Redseligkeit!« brach er nun mit einem Seufzer aus, »sie ist mir immer in allem, wie mein Genie, im Wege gewesen – Sie ist es – warum sollte ich es leugnen? die mir und meinem armen Bruder alle warmen Suppen vereitelt hat – Denn – sehen Sie, mein lieber Herr, ehe ich damals auf meinen angewiesenen Standort kam, erzählte ich einigen meiner Bekannten im Parterre die Entdeckung, die ich in der Ecke gemacht hatte, ein Nachbar erzählte sie dem andern, und alle Köpfe drehten sich zuletzt nach der verratenen Gruppe herum. – Auf dem Theater – anstatt zu epilogieren, hielt ich mich damit auf, mein Geheimnis erst meinem Bruder, dann unserm Theaterdichter, und dann – dem Lichtputzer vorzuschwatzen. Die Zeit verging – ich ließ das Parterre lange pochen und toben, ehe ich auftrat, um meine Nachrede zu halten – Ach! ich dachte damals nicht, daß es meine letzte sein würde! Durch diesen Aufenthalt mein Herr, gerieten viele Haushaltungen in Avignon in Unordnung. Jedes kam um eine halbe Stunde zu spät nach Hause, besonders aber die schöne Klara! Ja! könnten wir immer in die Kabinetter der Großen blicken, wie viel anders würden wir über den Wert ihrer Zeit, und über den Einfluß, den oft der Verlust einer Minute in ihrer Wirtschaft auf die Regierung der Welt hat, urteilen! Die kritische Stunde, wo der Domherr seine Freundin erwartete, war verflossen. Er war in die Abendmette gegangen, ohne sie in ihrem Betstuhle zu finden. Sobald er fertig war, eilte er nach Hause, und sie trat nicht vor ihm her, wie sonst. Er rief, fragte, suchte nach ihr, und vermißte sie auf das schrecklichste, und schickte seine ganze Dienerschaft, sogar seinen Koch, aus, sich nach ihr zu erkundigen. Dieser, nachdem er vergebens bei ihrer Tante nachgefragt hatte, stieß von ungefähr auf den Haufen, der unser Schauspiel verließ. – Er sah das verspätete Mädchen an dem Arme des jungen Offiziers – hörte bald ausführlich das Wie und Warum, und brachte es seinem Herrn, Gott weiß mit was für Zusätzen, zu Ohren. Kein Epilogus sollte ausschwatzen, das habe ich damals gelernt. Der Erfolg zeigte, wie gut es gewesen wäre, wenn ich es eher gewußt hätte. Der Domherr hob alle Gemeinschaft mit Klärchen auf und verwies sie noch diesen Abend aus seinem Sprengel. Sie durfte nicht mehr, wie das Schaf des armen Mannes, auf seinem Schoße schlafen und aus seiner Schüssel essen – – –« – »Lieber Bruder,« fiel ihm hier der Prologus ins Wort, »würde es nicht gut sein, wenn wir die unsere warm setzen ließen?« –»Tue das,« antwortete der Redner, »aber unterbrich mich nicht.« Und nun fuhr er mit demselben Feuer fort: »Der Unmut des Domherrn wirkte jetzt schrecklich zurück auf uns. Er erweckte den Fiskal, klagte uns an als Verführer der Jugend, ließ unsere Zettel abreißen, veranstaltete eine Haussuchung, und rächte an uns Unschuldigen das marternde Gefühl seiner Eifersucht auf die grausamste Art. Die Gerichtsdiener brachen in unsere stille Wohnung ein, bemächtigten sich unserer Dekorationen, unserer Drahtpuppen und unserer Papiere – –« – »Ohne dich zu stören,« unterbrach ich hier seine Erzählung, »deiner Papiere – sagst du?« –»Jawohl, unserer Papiere!« wiederholte er und trocknete sich die Stirn. »Wir haben nichts gerettet, als was uns im Kopfe blieb – haben zwar seitdem unsere Lust- und Trauerspiele noch einmal, aber – stellen Sie sich vor! – als Akten geheftet, haben wir sie zu Gesichte bekommen. Die Stellen darin, die immer den meisten Beifall erhielten, waren mit roter Tinte unterstrichen, und der Fiskal hatte sie in eine Liste zusammengesetzt, die er unser Sündenregister nannte.« – »So?« sagte ich ernsthaft, und das Herz schlug mir so hoch, daß ich aufstehen mußte. »Geht einstweilen hin,« sagte ich zu den beiden Brüdern; »wenn ihr gegessen habt, will ich euch weiter hören.« – Und so eilte ich von ihnen weg in meine Bibliothek, um mich von der schnellen Bestürzung, die mich überfiel, in einem Zimmer zu erholen, das dem Nachdenken gewidmet war. Hier stemmte ich meinen Kopf an den Bücherschrank und fing an, mich mit mir selbst ernstlich über das zu besprechen, was ich soeben vernahm. Das ganze gräßliche Schicksal, das meinem Tagebuche drohte, trat mir vor die Augen – Ganz gewiß, sagte ich, wird man sich seiner so gut bemächtigen, als der Rollen der armen Puppenspieler – Man wird es – ich ward über und über rot bei diesem Gedanken – einem gerichtlichen Translator preisgeben, und die ganze Stadt wird die geheimsten Nachrichten deines hiesigen Aufenthalts, deiner einfältigen Streiche und deine kritischen Bemerkungen über die Narrheiten anderer zu lesen bekommen. Was – um aller Barmherzigkeit willen! was sollte wohl aus dir werden, wenn der Propst deinen dogmatischen Handel mit Klärchen, und alle die zweideutigen Vorfälle auf deiner berühmten Kreuzfahrt ersähe, sie mit roter Tinte unterstriche, und dein bißchen hautgout, das, mit zehn Bogen guter Gedanken verdünnt, auch den feinsten Gaum nicht beleidigen kann, – herausstocherte, und auf ein Quartblatt zusammengedrängt dem Gerichte übergäbe? – – Ihr Heiligen! Ihr Märtyrer der Wahrheit, wendet gütig dieses Unglück von mir! – Ich tat mir einen albernen Vorschlag nach dem andern – sah immer keinen Ausweg, und geriet am Ende so in Furcht, daß, hätte ich nur so eine gute Gurgel gehabt, als Johannes, ich seine Kolik gewagt und mein bitteres Buch würde verschluckt haben. Sollte ich es meiner eigenen Wache anvertrauen? Sollte ich mich, oder meinen Bedienten damit ausstopfen? Diese Mittel, flüsterte ich mir zu, und schlug die Arme ineinander, sind schon zu oft dagewesen, um nicht gefährlich zu sein. – Aber welche unerschöpfliche Quelle listiger Einfälle ist nicht das Herz eines Beängstigten! Laß ihm Zeit, und es ergrübelt sich Schlupfwinkel und Ausgänge, die dem erfahrensten Schergen unbekannt bleiben. Nach einem nur kurzen Nachdenken schwand meine Verlegenheit. Ich sah den sichern Ort, den ich suchte, und sah ihn in meiner Nähe. In der weiten Natur hätte ich keinen geschicktern ausfinden können, mein verfolgtes Werk zu verbergen. Den listigsten Jesuiten, den eifrigsten Inquisitor würde ein Grausen befallen, wenn er sich diesem Schutzorte nähern, oder seine geweihte Hand darnach ausstrecken sollte. Dir zwar, der meine ganze Wirtschaft kennt, der, frei von Vorurteilen, keine Nachforschung anstößiger findet als die andere, wird es nicht schwer fallen, schon im voraus meinen Schlupfwinkel zu erraten – aber zu meinem Glücke ist hier keine Seele so genau bekannt mit mir, und so verschmitzt wie du; selbst der Propst, selbst der Wächter der Laura nicht.

Ich ging nun ganz ruhig wieder in mein Sprachzimmer, warf mich nachlässig auf meinen Lehnstuhl, rief meiner Leibwache, und forderte nur desto begieriger den Erzähler auf, in seiner tragischen Geschichte fortzufahren, je mehr ich mich in meinem Selbstgespräche überzeugt hatte. wie nützlich es sei, aus dem Beispiele eines schon Bestraften den Gang der Justiz zu erfahren, in deren Hände man fällt. – »Sollte es nicht besser sein,« fing jetzt der Epilog mit einer Frage an, die von seinem guten Herzen zeugte, »ich ließe den Vorhang über die Folge unsers erbarmungswürdigen Schicksals fallen, da schon der Anfang, wie ich gesehen habe, Ihre mitleidige Seele so heftig erschüttert hat? Ach, mein Herr, der gute Wein, von dem ich eben herkomme, scheint auch mich zur Wehmut noch mehr gestimmt zu haben, und ich stehe nicht dafür, daß die Sympathie des Unglücks nicht unter uns – –« – »Suche dich zu fassen,« sprach ich ihm gutmütig zu, »ich will es auch tun. Mäßige aber nur, wenn ich bitten darf, deine affektvolle Sprache. und laß lieber, wo er nicht hingehört, den tragischen Akzent weg; denn ich bin kein Liebhaber von Tränen und Ohnmachten.« – »Ich will mein Möglichstes tun,« antwortete er, und hielt, meinen Ohren zur großen Beruhigung, so ziemlich auch Wort. – »Unser Theater,« faßte er sich jetzt ins kurze, »wurde geschlossen. Ich und mein armer Bruder wanderten zum Leidwesen der ganzen Stadt ins Gefängnis, und unser unseliger Prozeß nahm seinen Anfang. Neunmal wurden wir zum Verhör geführt, ohne daß die Herren unsere Unschuld begreifen wollten. Es wurden lange Reden für und wider gehalten, und dicke staubige Bücher nachgeschlagen, ehe sich das Gericht über unser Verbrechen vereinigen konnte. So haben wir, bei Wasser und Brot, sieben schreckliche Wochen hinter eisernen Gittern gesessen, ehe unser Endurteil gefällt ward. In Rücksicht unsers Unverstandes – erklärte der höfliche Präsident endlich in der letzten Sitzung – habe das geistliche Tribunal dahin gestimmt, Güte für Recht ergehen zu lassen. Statt der Leibes- und Lebensstrafe habe es uns nur mit einer Geldbuße von dreihundert Livres belegt, die wir an die Armenkasse des Domstifts zahlen sollten; und wegen der aufgelaufenen Sitz- und Gerichtskosten habe es seinen Untereinnehmer angewiesen, sich an unsere Effekten zu halten. Wir verstummten beide bei Anhörung dieses gnädigen Bescheids, der uns mit glatten Worten zu dem schmählichsten Hungertode verdammte. Man ließ uns nicht zum Worte kommen – der Präsident wies uns aus dem Saale, und wir wurden nun in unsere Wohnung geführt, um die Vollstreckung der Hülfe, wie sie es nennen, mit anzusehen. Ach, mein Herr! könnte man vor Gram sterben, ich würde den Tag nicht überlebt haben, an dem ich den vieljährigen Erwerb unseres sauern Schweißes, die teuere Sammlung unserer mechanischen Kunstwerke, teils in einer öffentlichen Versteigerung an Ignoranten verschleudert – die Hauptfiguren aber der Rache unsers Klägers geopfert sah! Brutus und Cato, Cäsar und Pomponius Mela kamen in die Hände der Juden. Der eine Trödler kaufte den Baum der Erkenntnis – der andere den Mond und die Sterne. – Die Vögel unter dem Himmel und die Tiere auf dem Felde wurden jetzt Spielwerke der Kinder; und unsere ersten Eltern verdammte man, auf Verlangen des Domherrn, ihrer Blöße wegen, wie seine Worte waren, zum Feuer. Oh des einfältigen, boshaften Richters! Verträgt sich denn mit dem Stande der Unschuld ein anderes Kostüm? und waren denn diese herrlichen Puppen nicht ganz getreue Nachbilder der Natur? Eben das, antwortete er, wäre das strafwürdigste bei der Sache. Es half kein Bitten und Flehen. Sie wurden beide von den Schergen ergriffen und – o des Barbaren! – vor unserer Haustüre verbrannt. Entschuldigen Sie, mein Herr, die Tränen, die ich mich noch jetzt nicht enthalten kann, ihrem Andenken zu weihen. Man vergaß, daß es Drahtpuppen waren. Eva – in der ungestörten Blüte weiblicher Schönheit und gebaut wie ein Döckchen! und Adam – man konnte nicht auf ihn hinblicken, ohne in ihm den Herren der Welt zu erkennen! Der Stand der Unschuld ist auf ewig dahin. – Das haben wir der Klerisei zu verdanken. Sie zertrümmerte – es ist ihre Art – die ganze Schöpfung mit lachendem Mute, um zu ihren Sporteln zu gelangen. – Die Strafe der dreihundert Livres, der verwickeltste Knoten unsers Trauerspiels, blieb indes noch immer ungelöst. Der Held, der ihn zerhauen sollte, trat auf. Stellen Sie sich, mein Herr, wenn Ihre Einbildungskraft soweit reicht, unsere Empfindung vor, als nun an den Schranken, vor denen wir knieten – wie ein Gott aus den Wolken – eben der junge Offizier erschien, der vor sieben Wochen in unserm Parterre mit so vieler Bequemlichkeit die Erschaffung des Weibes belauschte – mit dem Erbieten erschien, uns der Armenkasse abzukaufen. Der Handel wurde vor unsern Augen geschlossen. Verraten, konfisziert und verkauft, wie unser Cäsar und Cato, wurden wir von dem Werber abgeführt – gemessen – in Lumpen gesteckt, die wir uns gescheut hätten, unserm Belisar anzuziehen – und befinden uns seitdem unter der päpstlichen Garde. – Aber hören Sie noch, mein Herr, auf was für einem Fuß! Von der armseligsten Löhnung, die je den Sklaven unseres Standes gereicht wurde, zieht der Barbar, der uns kaufte, noch monatlich die Hälfte so lange ab, bis wir dadurch unsern eigenen Ankauf ihm ersetzt haben. Oh des niederträchtigen jungen Mannes! Doch er wird seinen Menschenhandel teuer genug büßen, das ist noch unser Trost! der Trost unserer Rache! Bei dem langsamen Tode, den er uns auflegt, wird uns hoffentlich der Hunger immer noch eher ins Grab bringen, ehe sein abscheulicher Vorschuß erstattet sein wird.«

»Bastian,« rief ich hier meinem Bedienten zu, und wischte mir die Augen, »ich sage dir, laß diesen armen Leuten nichts abgehen, so lange sie mich bewachen. Schaffe ihnen der Nahrung so viel als sie verlangen, und stärke ihre Herzen durch geistiges Getränke. Fordere, wenn du es holst, von dem Kommunionweine; denn in diesem vermaledeiten Lande, weiß ich, ist es, nach einem andern Verhältnisse, als bei uns – der beste, weil es nur Pfaffen sind, die ihn trinken.«

Eine süßere menschliche Empfindung nahm jetzt den Platz der Rache ein, die diese armen Wichte an ihrem Hauptmanne zu nehmen gedachten. – »Gott segne Sie, großmütiger Herr,« sagte der eine, »für Ihr Mitleiden gegen ein paar der betrübtesten Lustigmacher, die je die Erde getragen hat!« – »Die Klerisei«, sagte der andere, »hat alle unsere Schätze geraubt – nur die guten Perlen nicht, die jetzt unsern Augen entfallen. Wir fühlen, daß wir nicht ganz arm sind – fühlen in diesem rührenden Augenblicke, daß wir noch ein Herz haben, das Ihrer Achtung und Ihrer Güte nicht unwürdig ist.« – »Kinder! steht auf!« unterbrach ich den Strom ihrer Empfindungen, indem ich jedem eine Hand reichte, um ihn von dem Boden aufzuheben, auf dem sie vor mir, wie vor dem Bilde eines Heiligen, lagen. »Vergeßt euer Unglück bei der frischen Flasche, die eurer wartet – Laßt es euch wohl schmecken, und erinnert Bastian, wenn er euch versorgt hat, daß er mir mein Tintenfaß fülle.« – Ich sah den beiden verbrüderten Trauergestalten ernsthaft nach, wie sie unter Tränen und Lächeln sich von mir wendeten, und Hand in Hand auf ihren Posten zurückschlichen, und verfiel, ach wahrlich nicht ohne Ursache! von einem wehmütigen Gedanken in den andern . . .

Das Notwendigste schien mir indes immer zu sein, meine Papiere in Sicherheit zu bringen. Ich ergriff nun, ohne mich länger zu besinnen, die sämtlichen Kriminalakten meines Tagebuchs, rollte sie und schnürte sie mit Klärchens blauem Strumpfbande bis auf den Bogen zusammen, woran ich schreibe, und so mußten diese meine offenherzigen Bekenntnisse sich so lange biegen und schmiegen, bis sie glücklich – obgleich ein wenig gezwängt – an den Zufluchtsort, den ich ihnen anwies, und den du längstens erraten hast, glücklich in den hohlen Gipskopf des guten Rousseau gelangten. Ich konnte mich unmöglich des Lachens erwehren, als ich die Büste wieder an ihren Ort gestellt hatte, nun vor ihr stand, und die ernsthafte Miene, die sie mir zuwarf, mit den Possen verglich, die dahinter versteckt waren . . .

Ich mußte mich mit Gewalt von seiner Büste entfernen, um den Gedanken an ihn los zu werden, und nicht in seinen Ernst zu verfallen, den ich für mein morgendes Verhör für viel zu gut hielt. Die Stimmung, in die mich der Prologus und sein Bruder versetzt hatten, mochte wohl schuld sein, daß ich mich lange nicht überwinden konnte, an meinen Vorstand vor Gericht anders zu denken, als an ein Puppenspiel. So setzen wir hinterher noch alles auf Noten, beten unter einem Triller, und schlafen nach dem Takt ein – wenn wir eben aus einem Konzerte gekommen sind. Hätte ich mich gehen gelassen, ich möchte wohl wissen, was morgen aus mir geworden wäre! Zu meinem großen Glücke hatte ich, während meiner äußern und innern Tätigkeit, mein abgebranntes Licht übersehen – Es senkte sich – sprudelte und verlosch, ehe ich nach einem andern rufen konnte. Unterdes Bastian es zurecht machte, nötigte mich die Dunkelheit – denn ich konnte weder den Amor noch seinen Präzeptor erkennen – meinen Armstuhl zu suchen. Diese kleine Ruhe, so vorübergehend sie auch war, gab doch den Ausschlag. – In den drei oder vier zerstreuungslosen Minuten, die mir Bastian gönnte, verdunstete meine Verwegenheit ganz, die auch hier wie anderwärts nur Sache des Bluts war.

Das Verhör, das mir bevorstand, kam mir lange nicht mehr so lustig vor. Die Herren, gegen die ich mich verantworten sollte, so sehr ich sie auch für Komödianten hielt, schienen mir doch ungleich mehr Freude an tragischen Ausgängen zu haben als an Farcen. Selbst nach dem langsamen Gange der hiesigen Rechtspflege wie mir ihn meine Wache vorgezeichnet hatte, war immer eher auf ein Kerkerfieber zu rechnen, als auf ein Absolutorium. Ich verschwieg mir nicht, daß meine Vergehungen ungleich wichtiger waren als die ihrigen, und daß ein hämischer Referent nicht einmal viel Geschicklichkeit nötig habe, um aus den Beweisen, die wider mich dalagen, und aus meinem eigenen Geständnisse, das ich ungefragt schon abgelegt hatte, ein Verbrechen zusammen zu setzen, über das wohl selbst das Kammergericht zu Berlin große Augen machen, und, bei aller seiner Liebe zur Gelindigkeit, ohne einen Kabinettsbefehl nicht wagen würde mich loszusprechen.

Den guten Einfällen, die mir der Kirchner aus Unkenntnis meiner Verhältnisse oder vielleicht nur darum empfahl, weil sie ihm am meisten behagten, stand leider die trostlose Konfiskation im Wege, die der Propst schon vorläufig über meine Habseligkeiten gesprochen. Was in aller Welt sollte mich also gegen die Religion meiner Gegner schützen? – eine Religion, die, wider allen Rittergebrauch, die Waffen in Beschlag nimmt, noch ehe sie den Handschuh hinwirft. Ich kratzte mich einmal über das andere hinter den Ohren, runzelte die Stirn ärger als Rousseau, und überzählte kleinmütig die wenigen Stunden, die mir, nach abgerechneter Nacht, nur noch frei blieben, mich in Verteidigungszustand zu setzen. Ich fühlte die Notwendigkeit immer dringender werden, einen gescheiten Plan zu entwerfen; doch, sobald ich alle die Schwierigkeiten der Ausführung übersah, vergingen mir die Gedanken wieder, und ich schien mir ohne Rettung verloren. Meine Einbildungskraft, je geschäftiger sie war, mir die Klagrede nach ihrem ganzen schreckhaften Inhalte vorzuhalten, mit der mich der Prokurator auf morgen bedroht hatte, machte es meinem armen Verstande nur desto unmöglicher, etwas Kluges und Bewährtes darauf zu antworten. Mein leichtsinniger Mut, Eduard, fing an gewaltig zu sinken. Natürlich stieg, nach dem Gesetze der Schwere, nun auch dafür meine Furcht desto höher. Nur ein Wunder, rief ich in einer Art von Verzweiflung, kann dich aus dieser höllischen Verlegenheit ziehen; und – Dank, freundlicher Dank sei dem leeren Schalle, der mir entfiel! – Wie mag es doch zugehen, daß oft das sinnloseste Wort, das der Zunge entschlüpft, unsere Seele so mächtig ergreift, und Gedanken und Entschließungen bewirkt, nach denen wir mit der größten Anstrengung unseres Geistes vergebens herumtappen? – Ein Wunder? wiederholte ich mir mit hinstaunendem Nachdenken – Und wäre es denn so unmöglich, daß dir eins gelänge, das kräftig genug wäre deine Widersacher zu Boden zu schlagen? – Ich ging eine Weile alle Wundergeschichten durch, so viel mir deren bekannt waren; keine aber wollte auf meine Kräfte und meinen Zustand passen. Wenn du, sagte ich launig zu mir, zum Fenster hinaus sprängest, so wäre es zwar ein Wunder, wenn du nicht den Hals brächest: aber selbst dann – zu was würde dir es helfen? Der Pöbel – da du doch nicht über die Stadt springen kannst – würde dich zeitig genug einfangen, dich der alten Aufseherin aufs schimpflichste ausliefern, und der Propst und der Prokurator würden in dem Versuche deiner Flucht nur einen Beweis mehr wider dich aufstellen. Nein, das ist nichts, fertigte ich mich ab, ohne jedoch müde zu werden mir immer neue und ebenso unsinnige Vorschläge zu tun. Ein Klügerer als ich hätte gewiß keine Minute länger mit diesen Albernheiten verloren, und hätte unrecht getan. Ich habe aber das Gute an mir, daß, ungeachtet ich in meinem alltäglichen Leben und in dem gemeinen Umgange mit andern, nur wenig auf den Zusammenhang der Dinge achte, die in Gesellschaften verarbeitet werden – ich mich selbst so wenig als meinen Nachbar auffordere, die dunkeln Begriffe des Gesprächs, um das sich oft die andern bis zum Schwindel drehen, ins klare zu setzen, und mit einem Worte die Kraft meines Nachdenkens schone; so kann ich dagegen, wenn es sein muß, auch meinem Kopfe eher etwas zumuten als viele andere; und das kam mir auch diesmal gar sehr zu statten.

Sollte dir dieses einer Prahlerei ähnlich sehen, so entschuldige sie mit meinen großen Erwartungen, und bedenke nur, was ich vorhabe! Dagegen will ich auch insoweit wieder einlenken und dir eingestehen, daß, so gut ich auch meine Maßregeln genommen, und so fest ich hoffe, daß mir mein Wunder um vieles besser gelingen soll, als dem Kaplan der Gräfin Bentink das seinigeSiehe den launigen Brief Voltaires an den König von Preußen in seinen questions sur l'Encyclopédie, unter dem Artikel miracles modernes. – es doch bei alle dem – selbst in dem albernen Lande, dem ich es zuwenden will, immer ein Wagestück bleibt. Mehr darf ich dir vor der Hand nicht darüber sagen, um dir weder zu viel Hoffnung, noch zu viel Angst zu machen. – Von einer Person, die dabei mit ins Spiel kommen wird, muß ich jedoch noch ein Wort fallen lassen, damit du nicht so sehr erschrickst, wenn sie auftritt – ich meine den Domherrn, den ich auf morgen früh neun Uhr, als der Stunde meines Verhörs, durch ein Handbriefchen eingeladen habe, dieser übernatürlichen Ereignung beizuwohnen. Außerdem, daß ich nichts weniger tun kann, ihm die Höflichkeit seines Hochamts zu erwidern, bin ich seiner Gegenwart bei meinem Vorhaben so benötigt, daß ich alles zurücknehme, was ich in den vorigen Blättern von seiner Unbrauchbarkeit zu allen Geschäften viel zu voreilig geurteilt habe. Er steht jetzt sogar in meiner Rechnung unter den drei elenden Menschen, die ich dir, mit deiner Erlaubnis, als meine hiesigen Freunde vorstellte, obenan. Die nähere Bekanntschaft seiner, die ich der Plauderhaftigkeit meiner Wache verdanke, zeigt mir ihn jetzt in einem Lichte, das den Buchhändler sowohl als den Kirchner gewaltig in Schatten setzt. Ich gestehe, ich hielt ihn bisher ungerechterweise für nichts mehr, als einen aufgeblasenen abergläubischen Schwachkopf – mochte seit dem Tage, wo er mir am Feste der Genoveva den Possen spielte, nichts weiter mit ihm zu tun haben, und begriff nicht, wie mich der Bischof von Nimes mit gutem Gewissen an einen so unbedeutenden Menschen hatte empfehlen können. Jetzt aber, da mir ihn der Epilogus auch noch als einen boshaften, wollüstigen, rachgierigen und furchtsamen Mann geschildert hat, der sich aber auf sein großes Pferd setzen kann, wenn ihm ein anderer den Zaum hält, scheint mir die Empfehlung des guten Bischofs sehr richtig, und genau auf seine Kenntnis des hiesigen Lokals berechnet; und ich müßte mir wohl selbst gram sein, wenn ich noch länger versäumen wollte, diese Eigenschaften eines ausgebildeten, und dem hier herrschenden Gemeingeiste so angemessenen Charakters, in Tätigkeit zu setzen, um meine Verfolger mit ihren eigenen Waffen zu schlagen . . .

Der Domherr . . . hat mir eben geantwortet. Er will zur gesetzten Stunde erscheinen. Das überhebt mich nun der Mühe, diesen Bogen – ob er gleich, wenn er meinen Feinden in die Hände geriet, so gut sein würde wie ein Steckbrief – zu seinen Vorläufern zu gesellen, denen selbst, so viel ihrer sind, ich ganz wohl ihre Freiheit wiedergeben könnte, wäre es nicht einerlei, ob sie diese Nacht in Rousseaus Kopfe herbergen, oder auf meinem Schreibtische. Denn da ich nun sicher bin, lieber Eduard, daß der Mann im Purpur meinem Verhöre beiwohnen wird, so sind, glaube ich, die Anstalten zu meinem Wunder so gut getroffen, daß ich sehr wenig von den Puppenspielern müßte gelernt haben, wenn es schief ablaufen sollte. – Nur noch eine einzige Kleinigkeit geht mir ab – das ist meine Defension in einer Gegenrede an den Prokurator, die ich, mit deiner Erlaubnis, Eduard, aus dem Kopfe zu Papier und von dem Papiere wieder in den Kopf bringen muß, ehe ich ruhig und mit der vollen Gewißheit zu Bette gehen darf – morgen das ganze Winkelgericht zu meinen Füßen zu sehen.

*

Den achten Januar

Wirf dich in den Staub nieder vor dem Blatte, das du hier empfängst, Eduard! Folge in Demut der stolzen Feder, die es berührt, und trenne es, als ein Heiligtum, von der Gemeinschaft der übrigen Blätter, wenn du einmal so glücklich sein wirst, mein Tagebuch zu besitzen. Welchen Genuß von Glorie opfere ich dir nicht mit der Stunde auf, die ich deiner Neugier widme! Fühle es einmal ganz, wie sehr ich dein Freund bin!

Mein Wunder ist getan, und ich bin frei! – nicht frei, wie ein entlassner Sklave, sondern wie ein König. Du nur hältst mich ab, daß ich nicht jetzt die Gassen durchfliege und Tausenden, die mir zur Seite auf ihre Knie fallen, meinen Segen erteile. – Was für ein mächtiger Sterblicher ist nicht ein Wundertäter unter einem solchen Volke! Ich dürfte nur winken – und ich schmauste bei allen Prälaten dieses glücklichen Staats, und jede Mutter würde mir freundlich die Kammer ihrer beneideten Tochter öffnen. Von dem Sonnenplatze an bis zum Grabe der Laura – wo ich nur weilte und wandelte, werden die Wege gekehrt und die Plätze geschmückt. Mein Haus ist umringt von Wallfahrern und von summenden Chören, wie das Haus zu Loretto. Auf der Treppe – auf dem Vorsaale lauern Scharen von blühenden Jungfrauen, werfen mir Küsse und Blumen zu, so oft ich mich zeige, und bitten um das Gegengeschenk meiner Kreuze.

Und woher kommt denn dieser Unterschied zwischen gestern und heute? Woher diese zügellose Bewunderung – dieser Aufruhr von Ehrfurcht, die mich auf den wankenden Thron von Avignon heben? Wie entstand dieser schnelle Übergang aus der Sklaverei eines alten Weibes zu der Herrschaft über die Gemüter? Wie bildete sich diese Masse von großen Wirkungen? Wie entwickelte sie sich in dieser Spanne von Zeit? – Durch frommen Betrug! Du sollst es gleich hören, Eduard, wenn ich nur vor dem Lärmen der Hymnen, die aus allen Ecken zu meinem Ruhme ertönen, zum Worte kommen kann.

Der entscheidende Morgen war erschienen. Da trat Bastian zitternd und blaß wie der Diener des Kanzlers Morus mir vor das Bette, fragte mich nach einer ernsten Pause, ob ich mich etwan in Schwarz kleiden wollte? und staunte mich an, und riß das Maul auf, wie eine Maske von Schlütern, als ich ihm statt aller Antwort in das Gesicht lachte, und auf meine gewöhnliche Kleidung hinwies. Sobald ich mit meinem Anzuge fertig war, setzte ich mich in meinen Lehnstuhl, legte meine Uhr vor mir auf den Tisch, und sah dem Possenspiele, das meiner wartete, ruhig entgegen. Ich beschäftigte mich still mit der ungewohnten Rolle, die ich darin spielen sollte, überlas meine Rede, mochte wohl eine Stunde so dagesessen haben, und überzeugte mich eben auf meiner Uhr, daß ich nur noch eine bis zur Eröffnung meines Verhörs zu fernern Betrachtungen übrig behielt – als sich die Türen meines Gefängnisses entriegelten, und meine Ankläger, Richter und Zeugen hereintraten – der Propst und der Prokurator, die alte Bertilia in der Mitte, und ihre Nichte zum Schlusse. Hatte mich ihr Besuch, den ich so früh nicht erwarten konnte, überrascht, so tat es die kalte gerichtliche Würde noch mehr, die sie mitbrachten. Beides stand nicht in meiner Rechnung; doch ängstigte mich der jetzt sehr wahrscheinliche Fall am meisten, mein Schutzengel der Domherr, möchte zu meiner Hülfe zu spät kommen.

Der Propst näherte sich gravitätisch dem Tische, warf sich in meinen Armstuhl, ohne die Verbeugung zu erwidern, mit der ich ihm meinen weichen Platz überließ. Der Prokurator zog erst das Konzept seiner Rüge, dann – die fünf bis sechs Bogen aus seinem Busen, die zum Protokoll meiner Aussagen bestimmt schienen, – legte seine Brille auf den Tisch, seine Akten darneben, und pflanzte sich, so lang und dürr wie er war, zur Linken des wohlbeleibten Präsidenten. Die keichende Tante schob ihren Stuhl an die eine Seite des Kamins, mitten unter die Beweise meines Verbrechens, auf die sie gallensüchtig hinblickte, ohne zu meinem Glücke zu ahnden, was für weit wichtigere sich ebenso nahe bei ihr, unter der Büste eines Mannes, versteckt hielten, der gar nicht wie ein Verräter aussah. Klärchen, mit ihrer unbefangenen Miene, setzte sich, auf der Gegenseite, parallel mit ihrer würdigen Tante. So drängte mich von selbst die Ordnung, in der sie sich zu setzen beliebten, auf den einzigen Standpunkt, der mir zwischen den beiden Damen noch frei blieb. – Der Aschenhaufen der Kasuisten lag mir im Rücken, und der Kopf meines Freundes und Hehlers ragte hoch über dem meinen hervor, und blickte mit mir zugleich dem Propst in die Augen, ohne ihn in seinem Anstande irre zu machen. Er würde es übel nehmen, wenn man nur so etwas von ihm glauben könnte. So stand ich vor diesem Winkelgerichte, aus Mangel eines übrigen Stuhls, kerzengerade, und machte mir eine Weile den Spaß, durch mein schüchternes, gedemütigtes Aussehn ihren gerichtlichen Hochmut zu kitzeln. Als aber der Prologus die Federn – der Epilogus die Tinte gebracht – sich sogar der Prokurator gesetzt hatte, und der Propst sich schon anschickte zu sprechen, und noch immer kein Auge sich höflich nach einem Sitze für mich umsah – so erschreckte ich auf einmal die beiden Damen, die neben mir saßen, durch den vornehmen Anstand, in den ich überging, klingelte nach Bastian, und befahl ihm, zwei Stühle zu bringen. »Es ist schon an einem zu viel,« rief der strenge Richter ihm nach; aber Bastian benahm sich so ungeschickt, daß er auf Gefahr des Kirchenbanns meinen Befehl pünktlich befolgte.

Stille Erwartung herrschte nun in unserm Kreise, und der Propst fing zur Einleitung an, uns die Absicht dieser Zusammenkunft bekannt zu machen, ob sie uns gleich allen mehr als zu gut bekannt war, und die Pflichten und Rechte, die ihm, als Aufseher aller milden Stiftungen, in diesem Hause zuständen, mit geheimem Wohlgefallen zu zergliedern. Ich merkte es dem Narren bald ab, daß er mit dem, was er seinem Richteramte schuldig zu sein glaubte, zugleich die Nebenabsicht verband, den hohen Vorzügen seines Verstandes und dem Talente seiner beredten Zunge gegen einen Ausländer die möglichste Ehre zu machen, und dem armen Sünder noch einen großen Begriff von seinem erhabenen Genie und seiner Wohlredenheit mit auf den Weg zu geben. Wir stimmten diesmal vortrefflich zusammen; denn mir war viel zu viel daran gelegen, sein Geschwätz zu verlängern, als daß ich den geringsten Anstand hätte nehmen sollen, jede noch so schiefe Wendung, die er seinen Sätzen gab, mit dem beifälligsten Lächeln – jede noch so schwülstige Redensart mit einem Blicke des Erstaunens zu belohnen. Ja, als er sich einmal in einer Periode so hoch verstieg, daß er einen Brocken nach dem andern ergreifen mußte, um sich nur mit Ehren wieder herunter zu helfen, und der Schwall von Worten, die ihm darüber nachrollten, das unleidlichste Geklirr in meinen Ohren erregte – war ich boshaft genug, daß ich wie begeistert mich seitwärts nach dem guten Rousseau umwendete – ihn mitleidig ansah, und die Achseln zuckte. Nie habe ich so grob einem Wortkrämer geschmeichelt; aber nicht weniger selten war auch die Wirkung, die es hervorbrachte. Wenn ich ihn sinken sah, durfte ich nur einen recht treuherzigen Blick der Erwartung und Aufmerksamkeit auf ihn schießen, so trieb ich ihn damit auf wie einen Kreisel, daß er mit erneuerter Schnellkraft noch eine gute Weile fortlief. Ich wiederholte das Spiel mehr als einmal mit innerm Vergnügen. Je länger es dauert, dachte ich, desto weniger wird sich der Domherr versäumen. Zuletzt aber ging dem Ehrenmanne im ganzen Ernste der Atem aus. Er konnte kaum noch ein paar Worte herausbringen, womit er die genauere Entwickelung meiner peinlichen Anklage dem Prokurator anheim gab.

Dieser schwarzbraune Kerl, wie er von seinem Sitz in die Höhe fuhr, verdunkelte sich noch um eine Schattierung mehr, setzte hastig seine Brille auf, und machte, das Konzept in der Hand, seine gedrohte Beredsamkeit flott.

Da ich das Spiel, wodurch ich mir den Vortrag des Präsidenten erträglich machte, bei der studierten Chrie des Prokurators nicht anbringen konnte, so würde mich die Langeweile getötet haben, die sie mir verursachte, hätte sie mir nicht Gelegenheit gegeben, mir das schönste Kompliment über meinen Scharfsinn zu machen, durch den ich schon gestern abends alles erraten, und bereits in meiner Gegenrede beantwortet hatte, was der alberne Kerl diesen Morgen in Perioden auskramte, die lange nicht so geschmeidig waren als die meinigen. Ich gäbe nicht einen Dreier für die Abschrift seines Brandbriefs, und du gewiß auch nicht! Auch setzte mich sein Geschrei mit allen den donnernden Ausfällen gegen die Widersacher des Glaubens nicht eher in Verlegenheit, als in dem Augenblicke, wo es endigte. Sein Dixi gab mir einen Stich ins Herz. Ich mußte mich nun anschicken, darauf zu antworten; und doch war, so lange der Domherr ausblieb, der Zeitpunkt noch nicht da, wo ich es mit dem gehörigen Nachdrucke tun konnte . . .

Es war auch hohe Zeit, daß [der Domherr] erschien . . . Das Gericht erhob sich, um diesen ebenso unerwarteten als vornehmen Beisitzer zu bewillkommen. Ich lief ihm entgegen, umarmte ihn mit der vertraulichsten Anmaßung, nannte ihn einmal über das andere meinen Freund, meinen Erretter und – »Kommen Sie,« rief ich mit angstvoller Stimme, »und wenden Sie die unbeschreibliche Gefahr ab, die in diesem Augenblicke über mir – noch weit mehr über Ihrer geheiligten Religion schwebt. Der freundschaftliche Unterricht, edler Mann, durch den Sie mich an sich fesselten – die Würde Ihres Standes, die Sie nicht um nichts in den Purpur der Könige kleidet, – der Glaube, die Liebe und Hoffnung, die Sie vor aller Welt bekennen – fordern Sie durch mich auf, Ihr Ansehn zu behaupten – Ihre Gewalt zu zeigen!« Der Mann sah mich während dieses Ausfalls mit stummem Erstaunen an, und setzte sich in der größten Verlegenheit auf den Sessel, den ich im voraus für ihn mit dem meinen zugleich hatte herbeischaffen lassen. Der stolze Trotz auf dem Gesichte des Propstes – die gelbsüchtige Erwartung, die sich in den Augen des Prokurators malte – in den Runzeln der Tante herumirrte, und das Gemisch, Gott weiß welcher Empfindungen, auf den Rosenwangen der Nichte – verdienten wohl eine eigene Schilderung – Aber da müßte ich erst Zeit dazu – müßte dir nichts Wichtigeres zu erzählen, und diesen Mittag nicht Gäste zu erwarten haben. – Froh bin ich nur, daß ich das wichtige Dokument meiner gerichtlichen Rede, auf das sich nun alles bezieht, – fertig – und so wie ich sie gestern abends zu Papier brachte, vor mir liegen habe, und sie nur da einzuschalten brauche, wo sie hingehört . . .

Sobald sich Ankläger, Zeugen und Richter wieder in den Zirkel gesetzt hatten, trat ich auf . . .


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