Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

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Wie ich atemlos in meine Stube trat, schlug Bastian die Hände über den Kopf zusammen. »Ach, mein Herr!« schrie er laut auf, »was ist Ihnen begegnet? Blaß wie eine Leiche, und die Stirne – voller kalten Schweißtropfen!« »Laß das« – schöpfte ich nach Luft – »gut sein – Nur geschwind frische Wäsche und einen andern Rock! Durchräuchere die ausgezogenen, und mache um des Himmels Willen, daß wir fortkommen! Ich habe – Gott, wie zittere ich! – ihn, dem ich mich heute zu deiner großen Ärgernis mehr als einmal übergab – ja, Bastian, ich habe den leibhaften Teufel gesehn.« »Ach, lieber Herr!« trat mir Bastian näher, »wie könnten Sie? – – Sie waren ja in der Wohnung eines Prälaten!« »Tut nichts«, antwortete ich mit heiserer Stimme, »den ganzen Morgen, kannst du mir glauben, bin ich in seiner Gewalt gewesen!« »Nun, so erbarme sich Gott!« jammerte der arme Schelm, und schmiegte sich mit klappernden Zähnen so fest an mich, als ob der böse Geist hinter ihm, und er vor dem Bilde seines Schutzpatrons stände. Genug, Eduard, ich so wenig, als mein abergläubischer Kammerdiener, wurden unsere Rückenschauer eher los, als da wir, von unserer fortrollenden Berline aus, die Turmspitzen von Narbonne erblickten.

Hier erfuhr ich beim Umspannen, daß seit vierundzwanzig Stunden keine Post weder hin- noch herwärts, und auch eben so lange, gab mein Führer sein Wort dazu, kein Pferd in Beziers aus dem Stalle gekommen wäre. Ein neuer, aber überflüssiger Beweis von der Wahrheitsliebe und Redlichkeit des Ortolan-Wirts; denn seine, für nicht genossene Gerichte, für nicht getrunkene Weine mir zugeschnellte Rechnung, die ich noch warm in meiner Tasche, so wie er mein Geld dafür in der seinigen hatte, sprachen ohnehin laut genug. Aus wahrem Vaterlandsgefühl warne ich meine Mitbürger, die etwa nach mir diese Gegend bereisen, sich ja, weder durch unsere deutschen Wegweiser, durch das anlockende Schild der Herberge, durch Fideikommisse und ehrliche Gesichter, noch durch die bischöfliche Terrasse zu einem längern Aufenthalt in diesem blasphemischen Städtchen verführen zu lassen, als etwa der Postwechsel nötig macht; und besonders die Bespannung ihres Fuhrwerks selber zu bestellen, damit sie geschwinder, als ich armer Betrogener, in das Kastell des Wohllebens gelangen, dessen Vorzüge vor allen andern Kosthäusern des Reichs ich, mit deiner Erlaubnis, stillschweigend, und in meinem Tagebuche zum erstenmal, gleich einer zarten Empfindung, die sich nur fühlen, aber nicht beschreiben läßt, übergehe. Der Ehrenmann, in der weitesten Bedeutung des Worts, der in der Kürze eines halben Tages der herrlichsten und wohlfeilsten Bewirtung das Dankgefühl meines Daseins höher hinaufgetrieben hat, als alle die Summen, die ich von Jugend an darauf pränumeriert habe, wie freundschaftlich greift er mir nicht, selbst bei unserer Trennung, unter die Arme, wie verschieden von jenem Sudelkoch, dem die unverschämteste Lüge glatt über die Zunge ging, um mich noch einen Tag länger rupfen zu können. Hier trat der Fall wirklich ein, den jener nur vorgab; Bastian hatte sich diesmal mit eigenen Augen überzeugt, daß der Poststall leer stände. Da trat aber mein heutiger Wirt auf das Edelste dazwischen, um die Schwierigkeit zu beseitigen, und brachte mich zugleich durch seine Vermittlung in die unverhoffte Bekanntschaft eines für mich sehr merkwürdigen Gegenstandes.

»Wenn Sie«, sagte er, »einen geringen Umweg, und das Nachtlager auf einem Dorfe nicht zu sehr scheuen, so biete ich Ihnen meine eigenen vier tüchtigen Wallachen an – denn es sind Normänner – die Sie auf einem viel bequemern Wege, als die Poststraße über Carcassonne ist, morgen bei guter Zeit nach Toulouse bringen sollen.«

»In Ihrem Hause, lieber Mann,« antwortete ich, wie es mir ums Herz war, »wollte ich ganz geduldig selbst noch einige Tage auf die Zurückkunft der Postpferde warten; aber auf der andern Seite möchte ich doch nicht gern darüber auf bessern Weg und vier Normänner Verzicht tun. Wo meinten Sie, daß ich übernachten soll?« »In einem zwar unansehnlichen kleinen Dörfchen, das aber,« erklärte er mir, »das Stammgut eines zu seiner Zeit berühmten Schriftstellers war, und auch seinen Namen führt, Montesquieu.« – Das war doch einmal ein Wort, Eduard, das sich hören ließ. Kaum war es ihm über die Lippen, so dachte ich weiter nicht an mein körperliches Wohlbehagen und nahm seinen Vorschlag mit herzlicher Freude an. Er verließ mich, um sogleich Anstalt zu machen, indes ich meine Landkarte auseinanderschlug, und meine Augen in der Gegend nach dem anziehenden Orte herumschickte. Ich fand einige, als Zollstätte, mit einer Fahne, andere, als bischöfliche Residenzen, mit einem Sternchen, und einen mit zwei sich kreuzenden Schwertern zum Merkmal bezeichnet, daß in seiner Nähe eine Schlacht vorgefallen sei; dem Ort aber, wo der große Mann geboren war, lebte und schrieb, hatte mein geographischer Handlanger nicht einmal seinen Platz auf dem Erdboden gelassen, geschweige ihn eines Ehrenzeichens gewürdigt. Der jovialische Hausherr ließ mir nicht Zeit, mich darüber lange zu ärgern. »Hier bringe ich Ihnen,« trat er ein, »zum Abschied noch eine Flasche des guten Weins, der auf den Bergen von Montesquieu reift; sonst kauften ihn die Engländer aufs teuerste uns vor dem Munde weg, aber seit dem Tode des gelehrten Präsidenten fragen sie nicht mehr darnach; jetzt steht er um die Hälfte im Preis, ob er schon noch immer von derselben Güte ist.« »Das tut mir leid um die Engländer,« sagte ich, und nahm ihm das volle Glas ab. »Sie sollen,« trank ich ihm die Gesundheit zu, »zum Vergnügen aller Reisenden, noch lange leben, Herr Wirt von Castelnaudari! Sie wissen nicht, wie elend es mir drei Tage nach einander gegangen ist, ehe ich hier ankam. Sie haben mich mit einem einzigen Frühstück vollkommen wieder hergestellt, und wären Sie nicht klüger, als meine Landkarte, so hätte ich, wie andere, auf der ordinären Poststraße fortrumpeln müssen, ohne nur zu ahnden, daß der Geburtsort des Mannes, den ich vor allen Andern schätze und liebe, mir auf dem Seitenwege in der Nähe lag. Wenn man von gottesvergessenen Menschen so mürbe gemacht wird, als ich in Beziers, wie empfänglich ist dann nicht unser Herz für alles Gute, das uns Bessere zufließen lassen!«

Ich schüttete gegen meinen heutigen Wohltäter alle mögliche Floskeln des Danks um so verschwenderischer aus, als er mir es in wenig Stunden von mehr als einer Seite her geworden war, und bestieg dann meine Berline mit einer gewissen stolzen Selbstzufriedenheit, da ich sie zum erstenmal mit vier prächtigen Normännern, die keinem königlichen Einzuge Schande machen würden, bespannt sah. Dergleichen erborgte Empfindungen halten indes bei einem verständigen Jünglinge nicht lange an, der die vergangene Nacht über gute oder schlechte Versen verwachte, einen Feldweg, wie von grünem Samt bezogen, vor sich, kühlende Zephirs im Gesicht, ein weiches Kissen unter seinem Kopfe liegen hat, und auf Stahlfedern sitzt. Auch war meine heutige Reise ganz dem süßen Taumel ähnlich, mit dem vormals das Wiegenlied einer lieben Amme meine Kindheit beseligte, und der nicht eher verging, als da der Kutscher abends sieben Uhr mit dem Zuruf: »Herr, wir sind in Montesquieu!« vor einem Schindelhäuschen still hielt.

Wie lieblich schlägt solch ein Klang an jedes gute menschliche Ohr! Er erweckt, wie eine Kirchenglocke, Gedanken der Andacht, erinnert an die Veredlung unsers Geschlechts, an den wohltätigen Geist der Gesetze, an öffentliches und häusliches Glück.

Das wohl! aber wenn man, wie hier der Fall war, nur ein verödetes, elendes Dörfchen mit solch einem Namen beprägt sieht, möchte man ihm dann nicht lieber einen aus Westfalen genommenen beilegen, der weniger stolz klänge und sich besser zu seinem Schmutz paßte? so wie man nur zu oft in vornehmen Gesellschaften den verdorbenen Sprossen eines edeln Stammes, wo nicht vernichten, doch umtaufen möchte. Nie hätte mir ahnden können, in dem Stammgute des Philosophen dieses Namens einen solchen Mangel an Ordnung, Reinlichkeit und Polizei unter dem Bettlerhaufen, der ihn bewohnt, anzutreffen, als ich leider mit Augen sah. Zur Entschuldigung sagte mir zwar der alte Bauer, der hier den Wirt macht, daß dieser einst wohlhabende Ort im letzten Religionskriege so heruntergekommen wäre. Er sei vorher und so lange mit fleißigen, redlichen, aber freilich kalvinistischen Einwohnern sehr reich besetzt gewesen, bis die Verbreiter der reinen Lehre alles ketzerische Unkraut ausgerottet, Kirchen und Schulen verbrannt und keine Hütte verschont hätten, außer der seinigen, der Einkehr und des Weinschanks wegen. Der nachherige gelehrte Herr des Dorfes habe sich zwar durch Rat und Tat bemüht, seiner verfallenen Besitzung wieder aufzuhelfen, aber zu solch einem Unternehmen reiche ein Menschenalter nicht hin, und man könne doch auch nicht verlangen, daß der Nachfolger wie der Vorfahr denken und seinen Untertanen Fronen und Zehenden erlassen solle, ob es gleich das einzige Mittel wäre, dem Übel ihrer drückenden Armut zu steuern. »So will ich Gott danken,« fiel ich ihm in die Rede, »daß ich in Seinem, wie ich sehe, dreieckigen Gastzimmer, lieber Mann, wenigstens vor Religionsverbreitern sicher übernachten kann, wenn es auch vor Ratten nicht sein sollte. Schlafe Er wohl, und lasse Er es ja meinen schönen Mietpferden an nichts abgehen, ich bedarf nur Ruhe.« »Überhaupt«, setzte ich nun die Unterredung mit mir allein fort, »darf ich, ohne mich eben mit der erstiegenen Höhe unserer Kultur breit zu machen, doch mit frohem Herzen zu den weit niederen Stufen derselben herunterblicken, auf welchen noch vor hundert Jahren die Vorlebenden standen. Wie viele gute Köpfe haben nicht erst, entweder wegen ihres zu schwachen oder zu starken Glaubens über das Henkerschwert springen müssen, ehe ich in dem meinigen mit Sicherheit eine freie Denkungsart herumtragen konnte. Selbst dir, guter Montesquieu, samt deiner persischen Maske würde es nicht besser ergangen sein, als deinem Erbe, wenn du nicht durch den Tempel von Gnidos einen leichtern Weg zu der steilen Sorbonne und in deinen aufgefangenen Briefen aus dem Serail ein so bewährtes Erweichungsmittel jener religiösen Felsenherzen entdeckt hättest, daß jeder, dessen Hand nur geschickt genug ist, es auszulegen, der weitläufigen dogmatischen Prozesse mit dem Scheiterhaufen überhoben und gewiß sein kann, für rechtgläubig erkannt zu werden: denn ein Maler, der die Entzückungen der Liebe mit so feinen, und nur desto kräftigern Farben zu schildern versteht, als du, hat alle Bischöfe auf seiner Seite.«

Es war, als ich kaum einige Stunden der Ruhe gepflogen hatte, zwar nur mein Kaminschlot, der diese Nacht durch ein Bündel dürrer Weinreben, die so wenig wissen konnten, als ich, daß er seit vielen Jahren nicht gefegt war, in Brand geriet. Dies hinderte aber nicht, daß ich den größten Teil meines schönen Schlafes darüber verlor, der Lärm im Hause mir die Hand lähmte, da ich eben den Vorhang eines persischen Serails zu lüften versuchte, und mich zugleich im selben Augenblick eine Najade, die, leichter bedeckt, als es selbst das erste Schrecken erlaubt, mit ihrem Löschgeräte in mein Zimmerchen gestürzt kam, weiter von Gnidos entfernte, als es einem träumenden Jünglinge lieb ist. Gütiger Himmel! in was für eine wilde Wirtschaft kann man nicht geraten, wenn man der Spur eines berühmten Mannes nachgeht! Sollte denn der gelehrte Präsident, der so große Sorge für Monarchien trug, sein Dorf nicht einmal mit einer Feuerordnung beschenkt haben? Welche erbärmliche Anstalten! Statt einer Schlangensprütze führte man in Prozession einen jungen Mönch auf, der die Flamme, wie sie es nannten, besprach, die auch nur noch einige Minuten knisterte, sich dann senkte und verlosch.

Während dieser geistlichen Gaukelei trieb das Sturmglöckchen, mißtönend wie eine blecherne Klingel, des gaffenden nackten Gesindels eine größere Menge mir unter die Augen, als sie zu ertragen vermochten, aber schon mächtig genug, jagte der stinkende, beißende Rauch, der die Hütte durchzog, mich und meine normännischen Wallachen aus unsern Buchten. Sie stellten sich von selbst vor den Reisewagen, so instinktmäßig, als sich mein matter Körper hineinwarf, und schnauften, wie ich, nach reinerem Äther. Blitzschnell drängte sich nun der verstörte Schenkwirt herbei, forderte nicht, sondern bettelte, erst um sechs Livres für unsere Beherbergung, dann um drei zur Vergütung der Unruh, die mein allzufrostiges Temperament veranlaßt hätte, und noch um ebensoviel für den geistlichen Beschwörer.

Mittlerweile ich diesem Bettler die Geldstücke zum Schlage heraus seiner vorgehaltenen rußigen Nachtmütze zuschleuderte, stand jener in einem so dichten weiblichen Kreis, als wären hundert alte und junge Busen aneinander geschnürt, und dankte mit funkelnden Augen Gott für die sichtlich frommen Bewegungen, in die das eben geschehene Wunder sie alle, besonders die jüngern, versetzt hatte. Ernster, näher und andächtiger, als er diese besprach, sah ich es ihn selbst vor der brennenden Esse nicht tun, und es freute mich gar sehr, zufällig wieder einmal auf einen Klosterbruder zu stoßen, der es mit der heranwachsenden Jugend gut meint. Der falsche Schein der Morgenröte, der hinter einem dunkeln Gewölke hervordämmerte und, nach Versicherung des Kutschers, den baldigen Durchbruch eines dahinter versteckten desto rosigern Tages versprach, breitete über jene nächtliche Gruppe einen so magischen Schimmer, wie ihn Schalken seinem herrlichen Gemälde der klugen und törichten Jungfrauen zu geben gewußt hat, und lenkte meinen Seherblick auf einen Gegenstand, der mir zu einer ganz neuen Vergleichung verhalf. Die Spiele der Natur, am Himmel und auf der Erde, sind bei ihrer Mannigfaltigkeit so verschieden von einander, daß jeder Dichter bemüht sein sollte, auch den entferntesten Berührungspunkt unter ihnen aufzufassen. Eins der blassen Mädchengesichter, die den Wundertäter umgaben, hatte sich aus zu dringender Andacht seinem langen braunen Barte so sehr genähert, daß ich diese Zierde seines Standes eine ganze Weile für den Schleier des Gesichtchens nahm, das durchschien, bis ich den optischen Betrug entdeckte.

»Siehe, Bastian,« rief ich dann wie inspiriert, »dort ist auch ein rosiger Tag hinter dunkeln Wolken im Durchbrechen!« Aber sein prosaisches Gehirn verstand das Treffende meines Ausrufes nicht. Ich traue meinen Lesern höhere Gaben zu, denn wer keine Ähnlichkeit zwischen den Objekten, die ich hier einander gegenüberstellte, finden könnte, müßte sich schlecht auf Gleichnisse verstehen, keinen Wahrsagergeist und so wenig poetischen Sinn haben, als mein Kammerdiener. Beim Abfahren warf ich noch einen launigen Seitenblick auf den Geburtsort des gepriesenen Geistes der Gesetze, an dessen Stelle nur zu sichtbar einer der schmutzigsten Poltergeister getreten ist . . . .

*

Toulouse

Den 6. März

Diese trüben Gedanken begleiteten mich in den Gasthof, wo ich einkehrte, der von unten bis unter das Dach mit allen Lockungen der Sinnlichkeit versehen, nicht umsonst dem stolzen Kapitolium gerade gegenüberlag; denn eine der vielen, treppauf, treppab, wie Liebesgötter in einem Venustempel herumschwebenden Aufwärterinnen, die mich anwies, erzählte mir, die Herren Capitouls frühstückten gewöhnlich hier, ehe sie zu Gericht gingen. »Das ist keine üble Gewohnheit,« antwortete ich, »denn nichts stimmt menschliche Herzen mehr zum Mitleid für andere, als eigener Lebensgenuß, und für den scheint mir in diesem Hause vortrefflich gesorgt. So eingerichtet war es wohl noch nicht, als Calas gerädert wurde?« »O nein,« sagte sie, »damals war der Platz noch unbebaut und gehörte, glaub' ich, der schwarzen Brüderschaft zu.«

»Wohl schade!« erwiderte ich, »denn hätte eine so weise Schwesterschaft, als ich jetzt hier vereinigt finde, den Frühstücken seiner Richter vorgestanden, die Mehrheit der Stimmen wäre gewiß zu seiner Lossprechung ausgefallen.« Sie lächelte bedeutend und fragte nur noch, ob ich hier übernachten würde? Ich zuckte mit den Achseln. »Nicht wohl,« sagte ich, »denn ich gedenke mit der Wasserdiligence nach Bordeaux abzugehen. Wie lange habe ich da noch Zeit?«

»Ungefähr zwei Stunden,« berechnete sie und entschlüpfte.

Vor allen schickte ich nun Bastianen dahin ab, um Plätze für uns und meinen Wagen zu bestellen, verriegelte darauf mein Zimmer, um ohne weitere Störung meine heutigen Morgengedanken so warm niederzuschreiben, als sie mir auf dem Herzen lagen. Ich setzte mich neben ein offenes Erkerfenster, aus welchem mir der majestätische Palast jener Mordgehülfen gerade vor den Augen lag. Dieser zweckmäßige Standpunkt meines Schreibtisches, konnte ich doch wohl glauben, würde mich über meine gewöhnliche Darstellungsgabe erheben; als ich aber das beschriebene Blatt überlas, wie kraftlos kamen mir die Abdrücke meiner innern Empfindungen vor. Ich blickte verdrüßlich weg, fing an mich vor meinen Lesern zu schämen, und wollte eben, um mich mehr zu befeuern, wie sich gewisse Schauspieler heimlich in den Arm kneipen, wenn ihre Rolle Ausdruck des Schmerzes verlangt, nach der grassen eisernen Kerkertür hinsehen, aus der man den matten, schuldlosen, siebenzigjährigen Greis zum Richtplatz geschleppt hat; als mich ein ungestümes, herrisches Klopfen nach der meinigen hinzog. Das ist doch ein höchst unbescheidenes Benehmen, fuhr ich laut auf, denn wie konnte ich mir einbilden, daß es Pocher gäbe, die das Recht dazu hätten, ohne für grob gehalten zu werden, bis es mir ein Mann zeigte, der, schwarz gekleidet, mit fliegenden Haaren hereintrat und mir durch das Schreckenswort de par le roi, das alles gleich macht, meine Glieder lähmte. Die Feder, die ich noch naß in der Hand hielt, entfiel mir, und ich habe erst einige zwanzig oder dreißig Meilen darnach reisen und das Gebiet einer fremden Macht gewinnen müssen, ehe ich ihr heute wieder ihren freien Lauf lassen konnte.

Auf meine ehrerbietige Frage: was zu seinem und des Königs Befehl sei, antwortete er befehlend: »Gedulden Sie sich!« Noch war ich weit entfernt, zu mutmaßen, daß es meine Bagage wäre, auf die er mich warten ließe, bis ich sie von vier Lastträgern ihm vor die Füße setzen sah. Nächst ihnen traten zwei andere, eben so schwarze ominöse Figuren, mit Federn hinter den Ohren herein, als ob sie mir an der Fortsetzung meines Tagebuchs helfen wollten. Ach, sie haben es nur zu gewiß durch den traurigen Bericht getan, den ich dir, lieber teilnehmender Freund, über die bösen Stunden abzulegen habe, die mir ihre werte Bekanntschaft verursacht hat. Derjenige, dem ich den ersten Schrecken verdanke, und der auch, den andern gegenüber, den obersten Platz an meinem Schreibtische einnahm, belehrte mich nun mit gerichtlichem Anstand, daß sie – und ich glaubte in die Erde zu versinken – Capitouls und beauftragt wären, mich über gewisse Artikel zu vernehmen. Was mögen das für welche sein? dachte ich zitternd nach. Unmöglich können doch die Herren von ihrem Richthaus herüber durch das Fenster erspäht haben, was ich schrieb; Gott gebe nur, daß sie es jetzt nicht entdecken, und ich hätte für keinen Preis einen Blick auf das heutige Heft meiner Handschrift geworfen, das auf das unverschämteste neben dem Vorsitzenden lag, um ihn nicht auf die Spur meines Anathems zu bringen. Der Mann am Protokoll lauerte und jener begann seinen Vortrag: »Sie werden, mein Herr, im Namen des Königs, zum wahren Geständnis aufgefordert, wer Sie sind und was die Absicht Ihrer Bereisung seines Reichs ist?« Diese königliche Neugier konnte mich nun wohl in keine Verlegenheit setzen. Ich antwortete frisch weg: »Ich bin einer der getreuesten Untertanen Friedrichs, wenn Sie erlauben – des Großen, ein Berliner, sowohl meiner Geburt als Krankheit nach, die mich viele schwermütige Jahre hindurch am Verdauen und Lachen verhindert hat. Die dortigen Ärzte haben mich in die mittägliche glückliche Provinz Ihres Königs, den Feldhühnern, Ortolanen und was sie sonst noch etwan meiner Diät für zuträglich hielten, besonders aber der guten Laune nachgeschickt, die in deutschen Apotheken nicht offizinell ist. Die Kur ist mir vortrefflich bekommen. Ich kann jetzt die leckersten Bissen vertragen und die Stimmung meines Gemüts hat sich über alle Erwartung verbessert, so daß ich alles wiederum meiner Jugend gemäß, ja sogar – sagte ich, jedoch mit schuldiger Ehrerbietung – mein heutiges Verhör nur auf der lachenden Seite betrachte. Protokollieren Sie, mein Herr, daß ich meine frohe Herstellung nur ganz allein der großmütigsten, liebenswürdigsten, scherzhaftesten und tolerantesten Nation der Welt verdanke.«

»Haben Sie bei Ihrer Gesundheitsreise sonst keine Nebenabsicht gehabt?« fuhr der Präsident mit einer kleinen Verbeugung für mein Kompliment, und ich um Vieles beherzter gegen ihn fort: »Nur noch eine, die ich aber nicht erreicht habe.« »Welche war diese?« »Die Verbesserung meines Verstandes und Herzens.« »Das ist wohl nur Scherz, mein Herr, vor Gericht jedoch sehr zur Unzeit angebracht.« Ich bückte mich für seinen schmeichelhaften Verweis eben so bescheiden, als er vorhin bei meinem Lobe auf die französische Nation. »Sind Sie nicht auch vor kurzem in dem Kloster zu Cotignac gewesen?« Hier schoß mir das Blatt, doch war ich nicht einfältig genug, es zu leugnen. »Was hat Sie zur Reise dahin veranlaßt?« »Indigestion.« Der Examinator blickte mir ernst ins Gesicht. »Und«, setzte ich noch hinzu, »die ungestümen Bitten meines ehemaligen Zeichenmeisters, der die unerreichbare Notre Dame de Graces zu kopieren versuchen wollte.« »Wie lange verweilten Sie im Kloster?« »Von einigen Frühstunden an bis kurz nach dem Mittag, als der Stümper mit seiner Abzeichnung fertig war.« – So wechselten unschuldige und verfängliche Fragen, anderthalb Bogen durch, mit einander ab, bis mein Tauschhandel mit dem Pater André klar am Tage lag. Die Deputierten waren von meiner kalten Küche, der Berauschung meiner Gäste, unserer unklösterlichen Lustigkeit, kurz von allem bis auf die Zahl der Flaschen unterrichtet, die wir geleert, und der vollen, die ich außerdem noch dem ehrlichen Pater auf den Gastwirt zu Marseille angewiesen hatte. Die folgende Frage: »Ob ich nicht wichtige Urkunden dagegen bekommen?« zog mir beinahe die Kehle zu, doch erholte ich mich nach einem kleinen Hüsteln. »Das ich nicht wüßte. Der Mönch zwar, – – der mit einem Heiligen verwandt sein will, machte mir, seiner Einbildung nach, ein bedeutendes Geschenk mit dessen gedruckter Legende, und gab mir noch eine Rolle ganz unleserlicher Belege darein. Es ist die Frage, ob sie mein Bedienter nur mit eingepackt hat.« »Und zwar die entscheidendste von allen,« entgegnete der Vorsitzende mit einem ernsten, recht häßlichen Blick, »denn außerdem müßte sein Herr sich gefallen lassen, so lange hier unter strenger Aufsicht zu bleiben, bis sie beigeschafft wären.«

Jetzt ward Bastian gerufen; dem befahlen sie, Koffer und Kästen zu öffnen, und das, was sie enthielten, ihnen stückweis vor Augen zu legen. Der Kerl benahm sich so außer Fassung dabei, als wenn der Teufel von Beziers hinter ihm stünde. Ich sah mich genötigt, den Handlanger zwischen ihm und den Deputierten zu machen, damit sie nur nicht sein verstörtes Gesicht, dem ich selbst in diesem Augenblicke die schwersten Verbrechen hätte zutrauen können, bemerken möchten.

Sobald die Rolle mit den heiligen Dokumenten zum Vorschein kam, rekognoszierte und überreichte ich sie den Bevollmächtigten. Ungefordert legte ich ihnen auch meine Rechnungen und andere Papiere vor, um mich recht weiß zu brennen. Dank meiner gelehrten Hand! Bei dem flüchtigen Blick, den einer der Beisitzer darauf warf, übersah er sogar meinen Kontrakt mit dem Glaser der Bastille, der mir doch ein sichtbares Herzklopfen verursachte, als ich seiner ansichtig ward. Sie hielten sich ganz allein an die Rolle des Pater André, gaben ihr, ohne sie zu entwickeln, einen neuen Umschlag, den sie mit ihren drei Petschaften versiegelten und mich anwiesen, als Zeichen, daß ich den königlichen Willen nach Ehre und Gewissen befolgt habe, meinen offenen Ritterhelm darneben zu drücken.

Ich sah die Sache nun für geendigt an. Schon hatten die Kommissairs Bastianen erlaubt, meine Habseligkeiten wieder an ihren Ort zu bringen, und ich wollte ihm mit den glücklich abgefertigten Papieren mehrerer Sicherheit wegen eben mein Tagebuch noch zureichen, als der jüngste Deputierte – denke dir, wie mir zumute ward – es unterweges mit der Erklärung anhielt: Er habe sich lange in Wien aufgehalten und wolle doch sehen, ob er Deutsch noch so fertig lesen könne, als ehemals. Glück über Glück, daß er nicht lange suchte, und etwan die niedlichen Bruchstücke aus dem Briefwechsel der Königin Anna mit ihrem Liebhaber aufstörte. Was würden die Herren von meinem Ritterhelm gedacht haben, wenn sie jene Abschriften gefunden hätten! Gott sei gelobt! daß er sich nur mit dem letzten Heft beschäftigte, nicht etwan weil es für mich weniger gefährlich – ach im Gegenteil! sondern weil der poetische Fluch auf ihn und seinesgleichen, den er vor den Augen hatte, kein Wiener Deutsch war.

Er starrte das Blatt einige Minuten an und legte es mit einem »Nicht wahr, ein Wäschzettel?« zu den übrigen. Wer war froher als ich! Hinter mir hörte ich ein Kofferschloß nach dem andern zuschnappen, und der Vorsitzende entließ meinen Kammerdiener mit einem gebieterischen Wink nach der Türe, den er sich nicht zweimal geben ließ. Mir aber ging es noch nicht so gut. Ich mußte noch zur Schlußformel meines Verhörs die Tortur seiner Beredsamkeit aushalten. »Mein Herr,« wendete er sich mit Würde zu mir, »Ihro allerchristlichste Majestät erlauben zwar großmütigst jedem Fremden, Ihre Staaten zu bereisen, gönnen ihm gerne die Luft, den gesellschaftlichen Umgang und die fröhlichste Teilnahme an den physischen und moralischen Vorzügen Ihres Reichs. – Sie werden aber hoffentlich selbst begreifen, mein Herr, daß diese Vergünstigung sich nicht bis auf die Ausfuhr und Entwendung alter Urkunden und Briefschaften erstreckt und erstrecken kann. Das Unvorsätzliche – das Ungefähr, wie ich glauben will, wodurch sie Ihnen in die Hände gerieten – indem Ihre ad protocollum gegebene Erläuterung dieser verwickelten Sache mit der uns mitgeteilten Aussage des Pater André zur Genüge übereinstimmt, kommt Ihnen in so weit zustatten, mein Herr, daß Ihr sonderbarer Tauschhandel mit ihm, den Wir von Gerichtswegen, unter Vorbehalt Ihres Regresses an jenen Trunkenbold, für null und nichtig erklären, weniger auffällt. Die Willfährigkeit und gute Art, die Sie bei der Zurückgabe der zum Leben des heiligen Fiacre gehörigen Belege bewiesen haben, wird zweifelsohne den hohen Senat vermögen, Sie, als eine keinem weiteren Verdachte unterworfene Person, frei zu lassen.« Hier ward der Redner durch den Eintritt dreier weiblicher Engel unterbrochen, die jedem der Herren, wahrscheinlich zur Stärkung in ihrem Berufsgeschäft, eine Tasse Schokolade überreichten. Während sie solche einschlürften, durfte ich ja wohl diesen unerwarteten Zwischenakt zu dem Vergnügen benutzen, einer Hebe um die andere auf das tiefste in die Augen zu sehen.

Als sie abtraten, blitzten ihnen die meinigen noch so funkelnd nach, daß der Herr Vorsitzende seine Stimme erheben mußte, um meine Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. » Zwar,« diese Silbe schob er vorerst ein, als er den abgerissenen Faden seines Vortrags auffaßte, » zwar frei zu lassen; jedoch wird zugleich einstimmig von Uns verlangt, daß Sie, mein Herr, je eher, je lieber, und sobald ich Ihnen den Paß zuschicken werde, Ihre Abreise von hier beschleunigen« – Warum denn eben das? dachte ich. O Herr Präsident, sein Sie ruhig! Ihre schönen Mädchen hätten mich ohnehin nicht aufgehalten – »zu der wir übrigens insgesamt,« endigte er seine Rede, »Ihnen von Herzen alles erforderliche Glück wünschen.« Ich würde gern zu der Feierlichkeit gelacht haben, mit der er die Sitzung aufhob, hätte sie mich nicht um alles gebracht, was mir noch einigermaßen meinen Ausflug über die Grenze zu einer nützlichen, merkwürdigen Reise stempeln konnte. Jetzt bringe ich meinen Landsleuten doch in der Gotteswelt nichts mit, das der Mühe lohnte. Welcher Leser wird an meine historische, wichtige Entdeckung glauben, da ich sie mit keinem Original-Dokument zu belegen vermag. Mein Wort? Das Vidimus meiner eigenen Abschriften? Ja! damit darf man einem deutschen Gelehrten wohl kommen! – Indes wär' ich doch heilfroh gewesen, als ich den Blutrichtern des armen Calas nun über die Gasse nachsah – hätte ihre Bekanntschaft meiner Einbildungskraft nicht Schattenbilder zurückgelassen, die beinahe noch fürchterlicher waren, als sie selbst. Was kann noch aus dir werden, fing ich schauerlich zu berechnen an, wenn die Mehrheit der Stimmen dir dein Absolutorium verweigerte, wenn die ältern Capitouls, klüger als die abgegangenen jüngern, auf den natürlichen Einfall gerieten, deine Aussage mit deinem Tagebuche zu vergleichen, wenn sie es einem Translator, der Oden nicht für Wäschzettel nimmt, übergäben, du in deinem Jammer, so lange bis es in französischer Sprache ebenso geradebrecht wäre, als ihr Homer, warten, und nachher, Gott erbarme sich! alle die Stellen verantworten müßtest, deren sie nur zu viele, als kriminell, oder als unverständlich, mit roter Tinte anstreichen würden. Verwünscht sei der Prior zu Cotignac mit seinen Konventualen! denn nur sie, die nicht mittranken, nur ihr Neid über ein Geschenk, an dem sie keinen Teil hatten, konnten allein diese Verräterei an dir und dem lustigen Pater André begangen haben. Oh, die heillosen Mönche! – Mitten in diesem Selbstgespräch vermehrte ein Gerichtsbote, der dazwischen trat, mein Herzklopfen, ehe ich sah. daß es der liebe erwartete Erlaubnisschein zu meiner Abreise war, den er mir einhändigte.

Der große Taler, den ich ihm für seinen Gang in die Hand drückte, ging ungleich leichter von mir, als jener, den ich dem teuflischen Kastellan zu Beziers opferte. Meine Freude war aber nur augenblicklich. Unter allen Bewegungen der Seele ist keine, die der Phantasie mehr zu schaffen macht – einem männlichen Geiste überlästiger, mit einem Worte keine, die demütigender, alberner und peinigender ist, als die Furcht. Mir kamen die schauderhaftesten Beispiele aus einer Menge Kriminalakten wie zugeflogen, an die ich sonst in meiner Unschuld gar nicht zu denken gewohnt bin, und die ich meinem Zustande doch jetzt so anpassend fand, als ein eingebildeter Kranker grasse Sektionsgeschichten dem seinigen.

Ich überlas meinen Freipaß wohl zehnmal mit äußerstem Mißtrauen. Jeder Punkt und Strich, den ein Unbefangener gar nicht bemerkt, kann ja, dachte ich, ein abgeredetes Zeichen mit Polizeidienern sein, an die man im voraus weiß, daß du geraten mußt. Spielen nicht oft boshafte Jungen mit einem armen Vogel, um ihn sicher zu machen? Kann er weiter fliegen, als der Faden lang ist, den sie ihm heimtückisch um den Fuß schlangen, und kann ein so guter Kerl, wie ich, nicht schon tagelang auf der Diligence in engem Verhaft sitzen, und immer in dem süßen Wahn stehen, er reise nach seinem Vaterlande, bis seine Auflaurer für gut finden, ihm solchen zu benehmen? Kaum hatte ich von allen diesen schreckhaften Möglichkeiten eine abgefertiget, als gleich eine andere an ihre Stelle trat. Einmal versuchte ich, trotzig zu tun. Possen – sagte ich – die Originalschriften sind ja den königlichen Bevollmächtigten überliefert. Wer kann mir beweisen, daß ich sie gelesen habe, außer – stockte ich ganz auf einmal niedergeschlagen – dein unseliges Tagebuch. Nun, fuhr ich schnell besonnen fort, was hindert dich denn, es zu vernichten, ehe es wider dich zeugt? Die eine Hälfte liegt schon in der Asche, lege die andere dazu! Ja, wenn nicht die väterliche Liebe zu dem Nestling gewesen wäre, die sich geradezu gegen den grausen Gedanken sträubte. Endlich kam ich, was gewinnt man nicht durch Nachdenken! auf einen Einfall, der mir in meiner ängstlichen Lage als der beste Nothelfer so genialisch erschien. daß ich ihn sogleich auf das herzhafteste ausführte. Ich unterwarf nämlich mein Buch der Operation des Origenes. Die ausgeschnittenen gefährlichen Blätter teilte ich wieder in zahllose Dreiecke, die ich an einem gewissen staubigen Orte verbarg, dem sich nicht so leicht ein schwarz gekleideter Kommissär nähern wird. Ich will den Inquisitor loben, der ihn als verdächtig anspricht, oder auch die Papierschnitzel ohne meine Hülfe in ein lesbares Ganze zusammensetzt.

Nach solchen genommenen klugen Maßregeln, sollte wohl jeder Vernünftige glauben, müsse mir das verzagte Herz gewachsen sein. Nichts weniger. Der Schrecken war mir einmal ins Blut getreten und stieg mir immer höher zu Kopfe.

Wird es denn der König, warf ich die Frage auf, wohl für wahrscheinlich halten, daß jemand seine Ahnenprobe vierzehn Tage in der Tasche haben kann, ohne sie zu untersuchen? Und ist nicht der königliche Glaube an die Möglichkeit allein schon hinlänglich, ihn par raison d'Etat in das erste beste Gefängnis so gut mit einem Maulkorbe zu stoßen, als mit einer eisernen Maske? Heiliger Fiacre! schütze mich, daß ich nicht um deinetwillen auf die Brescauische Austernbank, der du glücklicher entgangen bist, als du verdientest, zu liegen komme. Hier unterbrach mich Bastian mit der Nachricht, die Wasserkutsche sei samt dem Daraufgelde für den guten Platz während meinem Verhöre ab- und davon gefahren. »Oh, desto besser,« rief ich, »die Gesellschaft, die man auf einem Toulouser Postschiff erwarten darf, würde sich ohnedem sehr schlecht mit meiner gegenwärtigen Stimmung, und die langweilige Fahrt noch schlechter mit einem geschwinden Fortkommen vertragen, an dem mir mehr noch gelegen sein muß, als den Herren Capitouls, die hier frühstücken. Auf der Landseite entkommen wir ja diesem Drachenneste um vieles geschwinder. Habe ich doch meinen Freipaß, was warten wir? Mache dich auf die Beine, Bastian, und schaffe mir ohne Verzug vier tüchtige Pferde vor den Wagen, oder lieber sechse. Hörst du?« Das war ihm eben recht.

Es verging keine Viertelstunde, so stand alles zu meiner Flucht in Bereitschaft. Die glücklichsten Umstände trafen zusammen, sie zu befördern.

Ich sah meine Berline mit sechs Pferden bespannt, die vor Ungeduld stampften, wie ich. Eins zog wie das andere, denn ihre Führer waren, wie sie mir bald vertrauten, Zwillingsbrüder, kalvinischen Glaubens, und meinten es überhaupt ehrlich.

Sie drückten mir nicht nur auf das herzlichste die Hand für mein freigebiges Trinkgeld am Ende der Station, nein, sie zeigten es allen ihren Kameraden, um sie aufzumuntern, ein Gleiches zu verdienen. Die Wege waren vortrefflich, der Abend ruhig, wie ein gutes Gewissen, und die Nacht hell, wie bei uns ein Frühlingstag. Nie hat mir der Klang der Posthörner mehr Freude gemacht. Nach der Eile, mit der ich an den berühmten Garküchen des Perigords vorbeirollte, hätte kein Mensch erraten, welchen Wert ich auf ihre kalten Pasteten setze. Ich ließ mich durch keine aufhalten, denn ich kam mir selbst wie eine Waldschnepfe vor, die alle ihre Federn anstrengt, um dem Unglück, in einer nach Holland oder Deutschland verschickt zu werden, zu entfliehen.

So erreichte ich zwar durch Gottes Hülfe und ohne den mindesten Anstoß, schon den siebenten März, einige Stunden nach Mittag, das schöne, weinreiche Bordeaux – aber die lange Strecke Wegs, die ich noch bis in mein Vaterland vor mir sah, erlaubte mir nicht, durch irgendeinen Genuß Zeit zu verlieren.

Wie hätte ich Lust haben können, meinem Körper gütlich zu tun, den ich bei weitem noch nicht außer Gefahr glaubte, und der sich, wie du hören wirst, bei allem, was ihm aufstieß, recht linkisch benahm.

Jetzt, nach einer ruhigen, fröhlichen Stunde und nachdem ich glücklich über die Strickleiter weg bin, die sie mir ersteigen half, steht es freilich ganz anders um deinen Freund, lieber Eduard.

Ich werde nicht zum letztenmal über die wilden Blicke lachen, die ich umher warf, als ich nicht weit von la Trompette, der hiesigen Festung, aus dem Wagen stieg. Alle Augen, alle Kanonen, glaubte ich, wären auf mich gerichtet. Ich sah in jedem Vorbeigehenden – ärger als Rousseau auf seinen Spaziergängen – nur einen Spion, der meine Ankunft der Polizei anzeigen werde. Ich ging nicht, nein, ich zitterte von weitem meiner Chaise nach, die ich Bastianen allein überließ auf die Post zu bringen und bespannen zu lassen – aber die Gasse dahin wollte kein Ende nehmen. Indem stürzte ein Trupp Matrosen, denen man es deutlich ansah, daß sie sich so wenig um mich, als um die ganze Welt bekümmerten, mir aus einer Taberne in den Weg. Sie schwenkten ihre runden Hüte und jauchzten einmal über das andere mit stammelnder Zunge: »Es lebe Katharina die Zweite!« Der Name dieser großen Frau fiel mir kaum in die Ohren, so vergaß ich Kammerdiener und Wagen und überließ mich blindlings dem Zuge meines dunkeln aber mächtigen Zutrauens. Ich schloß mich dicht an die lustige Bande an, und so oft ich mich bemerkt glaubte, schwenkte auch ich meinen Hut und mischte herzhaft mein Vivat in das ihrige. So taumelte ich in ihrer Gesellschaft zwei Straßen durch bis vor die Stadt an den Hafen, wo sie auf einmal halt machten. Eine schöne, gebietende Gestalt stand vor ihnen, dämpfte mit einem Wink ihr tobendes Geschrei und wies sie auf das Schiff, von welchem der Name ihrer Monarchin in goldenen Buchstaben mir über die Wellen entgegenglänzte, und dem sie sogleich auf einem Boote zuruderten.

Wie sich das Gedränge der grünen Jacken um mich her verloren hatte, stand ich nun einzeln, aber ziemlich außer Fassung, vor dem Kapitän, der, wahrscheinlich ein wenig verwundert, einen reinlichen Überrock unter seiner Mannschaft zu sehen, mich von Kopf bis zu Fuß mit ernsten Augen betrachtete. Da ich nicht von der Stelle wich und bei dem geringsten Geräusch scheu hinter mich blickte, fragte er mich endlich: ob etwas für mich hier zu tun sei? Ich trat näher, nannte mit leiser Stimme meinen Namen, der zum Glück für mich ihm nicht ganz fremd war, und bat aus gewissen Ursachen, die ich ihm schon noch entdecken wolle, vor der Hand nur um Schutz – – »Aber gegen wen denn?« fragte er ungeduldig. – »Gegen die wollüstigen und grausamen Capitouls zu Toulouse,« zischelte ich ihm zu, »und ihre hiesigen Spione.« Nach einem kurzen Besinnen gab mir der brave Mann einen Wink, ihm auf das kleine Fahrzeug zu folgen, das bereit war, ihn überzusetzen.

Oh, wie gern gehorchte ich! Hätte Bastian nicht besser Acht auf mich gehabt, als ich auf ihn, so wären wir vielleicht so bald nicht wieder zusammen gekommen. Er schrie vom Ufer uns nach, bat und erhielt die Erlaubnis, mit einzusteigen. Wie geschwind verzog sich meine bisherige Brustbeklemmung. In welche Freude ging sie nicht über, als ich bald nachher mich in der Kajüte meines Beschützers, zwar nur auf Brettern, die aber mit dem Gebiet einer mächtigen Monarchin zusammen hingen, allen und jeden Nachstellungen des festen Landes entrissen sah. Dieses schöne Gefühl entwickelte zuerst die heroische Frage in mir, ob es nicht möglich und mir am besten geraten wäre, unter russisch-kaiserlicher Flagge allen gesetzlichen Ungeheuern des französischen Labyrinths zu entwischen. Ich legte diesen Wunsch am Ende meiner Geschichtserzählung dem lieben Kapitän ans Herz. Er hörte meinen Vortrag mit gütiger Aufmerksamkeit an – schwieg ein Weilchen, schien aber den Zusammenhang der Sache sehr wohl begriffen zu haben. »Wohin wollen Sie denn eigentlich?« fragte er. »Ja, mein Gott, nach Leiden,« antwortete ich, »wenn anders Ihr Weg Sie da vorbeiführt. Ich bin auf dem Meere nicht ganz orientiert.« Es war dem lieben Manne Ernst, mir zu helfen. Das sah ich ihm an. Er ging einigemal nachdenkend, mit langsamen Schritten, auf und ab in der Kajüte, ehe er mir Antwort gab, die aber auch nun desto bestimmter und erfreulicher ausfiel. »Ich sehe zwar, mein Herr,« wendete er sich freundlich zu mir, »Ihre Lage nicht für so gefährlich an, als Sie; damit Sie jedoch nicht sagen können, Sie hätten Ihr Zutrauen vergebens auf einen Russen gesetzt, so will ich es, so gut ich kann, zu verdienen suchen. Wenn Sie mit Kost und Quartier auf meinem Schiffe zufrieden sein wollen, so lassen Sie nur heute noch Ihre Bagage an Bord bringen. Es hat seine völlige Ladung, und würde bereits auf der hohen See sein, wenn ihm der Wind so günstig gewesen wäre, als er für Sie zu werden scheint; denn sollte er diese Nacht sich nur noch um einige Grad verstärken, so kann ich vielleicht schon morgen aus dem Hafen laufen, und will gern Ihrem Wunsche gemäß meine Segel nach der holländischen Küste richten, um Sie dort ans Land zu setzen. Auf dem offenen Meere gibt es für uns andere keinen Umweg. Das ist kurz und gut meine Erklärung.« Seine menschenfreundliche Großmut rührte mich bis zu Tränen. Es ist so selten, unter den sogenannten Weltleuten auf einen zu stoßen, der an unserm Schicksale tätigen Anteil nimmt. Ich ergoß mich in so wortreiche Danksagungen, daß er mich vor Ungeduld mit der Frage unterbrach: »Ob mir sonst noch etwas zu wünschen übrig sei?« »Nicht das mindeste,« antwortete ich, »als daß es mir lieb wäre, da mir der Wind noch Zeit dazu läßt, wenn ich mittlerweile die Stadt besehen, die Bordeauxer Weine durchkosten und noch eine und andere Einrichtung zu meiner Seereise machen könnte. Darf ich mich aber wohl mit Sicherheit an das französische Ufer wagen?« »Über mein Schiff hinaus«, erwiderte er, »reicht zwar meine Gewalt nicht, doch will ich gleich eine Mittelsperson zu Hülfe rufen.« Auf seinen Wink trat nun sein Kommißschneider mit einem Pack grüner Uniformen herein. Er brauchte nicht lange zu messen, denn die kleinste darunter, die er meinem Körper anpaßte, saß, nach seinem Kunstausdrucke, wie angegossen. Es machte mir eine kindische Freude, mich im Angesichte des freien Weltmeers zu einem russischen Seeoffizier eingekleidet zu sehen.

Ich stellte mich mit stolzem Anstand vor den Spiegel und warf mich nicht schlecht gegen das intolerante Frankreich in die Brust. »Jetzt fehlt Ihnen,« sagte der scherzhafte Kapitän, »um dem ganzen Toulouser Kapitol die Spitze zu bieten, nichts als ein Blatt Papier zu Ihrer Legitimation in der Tasche, ein Patent, das ich Ihnen als Schiffsleutnant ausfertigen will.« »Doch nur titular?« fiel ich ihm erschrocken in die Rede. »Nicht anders!« versetzte er lachend. »Denken Sie denn, daß ich den Dienst so schlecht verstehe, dem ersten besten Passagier das Kommando am Steuerruder anzuvertrauen? Man kann mit einer gewissen Portion Eigendünkel eher wohl die Segel eines kleinen Fürstentums dirigieren, wenn es auch hier und da leck ist, als das geringste Schiff, das dem russischen Staate dient.« Er warf bei diesen Worten einen Blick, den ich mir merken will, in die Ferne, der viel zu sprechend war, um ohne Bedeutung zu sein. »Wen traf dieser Blick, Herr Kapitän,« fragte ich, »wenn ich es wissen darf?« »Warum nicht? Er galt wohl gar einem Ihrer Bekannten,« erwiderte er. »Doch gewiß,« schob ich geschwind ein, »keinem meiner Freunde, das will ich im voraus beschwören.« »Einem« fuhr er fort – –


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