Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

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Mein Freund, durch das Mitgefühl meines Entzückens, dessen Schöpfer er war, auf das Innigste gerührt, reichte mir stillschweigend die Hand, um mich an dem Bande der eingebrochenen Abendröte, die wie ein Brautgürtel dieses Tal der Freude umschlang, in seine Wohnung zu führen. Ich sah mich noch einmal nach dem Felsen um, und fand hier am rechten Orte den Plan der Verzierung, mit der ich die Gegenseite zu verkrüppeln gedachte, einfacher und edler ausgeführt, als ich ihn entwarf. Hier war der aus einem dunkeln Haine hervortretende Teil des Gebirges mit einem Portale bekleidet, das an den Janustempel erinnerte, der, von Numa erbaut, nur in einem Durchgange bestand. Seine Pforte, die von dieser Friedensseite nie geöffnet wird, schließt sich nur von innen armen Flüchtlingen auf, die, von äußern oder innern Stürmen aufgeschreckt, Wildnis und Einsamkeit suchen. Von dem Ungefähr und ihrem Mißmut bis vor diesen Felsen getrieben, zittern sie scheu und gescheucht durch die Dunkelheit dieses Schlupfwinkels, und fallen – statt in einen Abgrund, den sie in ihrem Ingrimm wünschen und fürchten – fallen sie – ach wie sanft! in die umschlingenden Arme der liebenden und tröstenden Natur! In diesem Sinne hat Saint-Sauveur, schon vor mir, manchen durch das Gaukelspiel der Welt verdrehten Kopf, manches kranke Herz, das seiner Besserung wert war, hierher verlockt, und durch einen Blick in dies Tal und dies Sonnenbad geheilt. Nie ist wohl eine romantische Anlage glücklicher ausgeführt und zu einem edlern Zwecke benutzt worden, als diese.

Mein Freund hatte nicht nötig, und seine Gutmütigkeit ließ es auch nicht zu, mich an meine korinthischen oder toskanischen Säulen zu erinnern, ich schämte mich schon selbst genug alles dessen, was ich seit gestern und heute Unwahres und Anmaßliches über Talente und Lehrmeister, Bastiden und Baukunst vorgebracht, und besonders der Kennermiene, mit der ich, im Widerspruch meines Bewußtseins, gegen den Marquis groß getan hatte. In dem Schlage jeder Nachtigall, auf jedem Schritte, den ich tat, fand ich meine verdiente Bestrafung. Unter hohen Akazienbäumen, die in diesem mit Bergen umzäunten Tale, wie in einem Treibhause, schon Schatten gaben und blühten, gelangten wir in die Wohnung meines lieben Begleiters, und traten in einen Saal, der selbst in seinen reichen Verzierungen das warme Herz des Besitzers und seinen unverdorbenen Geschmack verriet. Rührende Gemälde der größten Meister sprachen hier zum Auge; mich zog aber noch zu sehr das mit meiner Seele verschmolzene Bild der Natur von allem ab, was Menschenwerk war. Ein Blick bald durch dieses, bald durch jenes Fenster, suchte noch einen ihrer Reize hinter dem Florkleide zu erhaschen, das der Abend über sie herwarf, bis die verdickte Dämmerung sie ganz meinen Augen entzog, die Vorhänge an den Fenstern herabfielen, ein duftendes Mahl meinen Hunger weckte, und mich überzeugte, daß ich noch nicht so ganz zu den ätherischen Geistern gehöre, als mich mein beseligtes Herz gern glauben gemacht hätte.

»Iß nicht so hastig – trink mit Bedacht von diesem Wein – er reift auf jenen vergoldeten Bergen,« wiederholte mein Freund mehrmalen. Ich sah ihn lächelnd an, glaubte ihm zu folgen, aber Schwärmerei trat immer meinem Vorsatz in den Weg. Ich aß und trank wie ein Verliebter, und antwortete verkehrt auf alles, was nicht Bezug auf das Wunder hatte, das mir vorschwebte. – »Ich sehe wohl,« sagte endlich der Marquis, »ich bewirte dich nicht, wie es dein Taumel verlangt. So laß uns denn von ihr sprechen, die sich durch einen Blick aller deiner Kräfte bemeistert hat. Oh, du kennst die Göttliche noch nicht in ihrer größten Schönheit. Morgen – ist der Mensch nicht glücklich, der das zu einem andern Sterblichen sagen kann? – morgen will ich dir ein Schauspiel geben, das einen Gottesleugner bekehren würde. – Du hast wohl, als ein wahrer Berliner, gar nicht daran gedacht, daß die Sonne auch aufgeht?« – »Ja, Freund,« rief ich, und klatschte in die Hände, »das Schauspiel sollst du mir geben.« – »Ehe wir nach Toulon aufbrechen,« fuhr er fort – – – »Ach, das abscheuliche Toulon!« fiel ich ihm in die Rede; »was sehe ich an seinen Bastionen, Galeeren und seinem Arsenal? Ich bitte dich, laß mich hier, lieber Saint-Sauveur.« – »Ich glaube,« sagte der Marquis lächelnd, »die Bewunderung der Natur könnte dich, wie das Gebet einen Mönch, bis zur Untätigkeit entzücken. Sie tut es schon jetzt. Du schwärmst von ihr und vernachlässigst sie, denkst nicht daran, sie in ihrem Nachtputze zu überfallen, und ihrem Busen noch einen Liebeskuß aufzudrücken, ehe sie einschläft.« – Ungeachtet meiner dichterischen Stimmung verstand ich den Marquis nicht ganz, bis der Wink eines Bedienten ihn von seinem Stuhl aufjagte, der Vorhang aufflog, und er mich in der schauerlich-festlichen Minute an das Fenster stellte, wo der volle Mond in dem reinsten Ergusse seines Schimmers zwischen zwei Bergen heraufstieg.

Wie vorhängend in dem dunkelblauen Gewölbe, gleich einer aus Topas geschliffenen Lampe, blickte nicht dieser glänzende Körper, als ob er in der heutigen Nacht jede andere neben ihm spielende Welt von seiner Umarmung ausschlösse, auf seine kleine freundliche Talschöne herunter, die, wie abgesondert von dem übrigen Erdballe, zitternd ihre verstecktesten Reize seinem liebkosenden Lichte zu enthüllen schien! – Das Säuseln des Abendwindes in den jungen Sprößlingen, Blättern und Blüten, das dem Geräusch der Küsse, dem Lispeln der Liebe glich, und der Einklang des Wasserfalls in der Ferne – alles was ich sah, hörte und ahndete, traf einen Berührungspunkt in meinem der Weihe der Natur geheiligten Herzen. Mit gefalteten Händen blickte ich in dieses nächtliche Fest. Ich konnte mich ungestört in Betrachtungen versenken; denn mein Freund, der neben mir stand, schonte schweigend meine zarten Empfindungen. Der Mond hatte schon viele Meilengrade seines Bogens durchlaufen – noch stand ich da, und sah ihm nach, und maß ihn, und lächelte ihm zu. Endlich riß ich mich los. – »Was für ein glücklicher Mann bist du!« wendete ich mich gegen meinen Freund mit schwacher Stimme, drückte ihm die Hand und folgte der Kerze, die mich in mein Schlafzimmer leuchtete . . .

*

Toulon

In der Nacht, den 19. Februar

Ich hörte Saint-Sauveurs Stimme schon im Saale bei meinem Erwachen, sprang gestärkt von meinem Lager auf und eilte zu ihm. Die Nacht war im Scheiden, als ich eintrat. Eine kühle Luft drang auf mich ein, als ich das Fenster öffnete, und verstärkte den Schauer, den der Mensch, wie die unbelebte Natur, in der Nähe der Beglückung empfindet. Desto willkommener war mir das warme Getränk, das man mir reichte. Noch dauerte es einige Pulsschläge, ehe die ersten Vorläufer des Tags den Himmel begrüßten. Einzelne Vögel zwitscherten ihnen entgegen. – Als aber der Saum des Horizonts sich mit einem Bande umzog, das mit Rubinen – armselige Vergleichung! – gestickt schien, bereiteten sich schon tausend singende Stimmen, blökende Kehlen, seufzende und betende Herzen, zu dem Einklange in den großen Choral, zur Zustimmung in den allgemeinen Dank vor; und als der erste kleine Bogen des Zirkels über den silbernen Wasserfall blinkte, und als er schon so feurige Strahlen ausspie, um dem geblendeten Auge für die folgenden Hinblicke bange zu machen, in denen er höher, immer brennender höher trat, und als sich nun zwischen dem Einschnitte des Gebirgs die ganze große flammende Rundung unaufhaltsam in das blaue Weltmeer des Äthers stürzte – da erwachte alles, da dankten, jauchzten, bebten ihr alle Organe der Schöpfung entgegen. Ein Kind weint bei einem heftigen Schalle – Erstaunen läßt seine Augen trocken. Der Mann von Gefühl staunt, empfindet und weint. Keine andere Sprache hatten wir jetzt, ich und mein Freund.

Die Vergoldung des Tals war vollendet – vollendet in ihrer ganzen Pracht. Lasurgrün umzitterte Blätter und Bäume, ihre Schäfte waren Gold, die Dächer sprühten Funken, die Fenster flimmerten, das Gewölbe über ihnen allen glühte, und meine Brust hob sich unter den Schlägen des überwältigten Herzens. Jetzt drangen von den Hügeln die Schalmeien der Hirten in mein Ohr. Die Melodie ihres baskischen Gesangs, die Andacht ihrer Morgenlieder ergriff mich, und ich teilte nun den Reichtum meiner von den myriadenfältigen Schönheiten überschwängerten Blicke, und warf, so viele ich deren von den Gegenständen meiner Bewunderung loszureißen vermochte, auf das freundschaftliche Wesen in mir, das jeden Tautropfen der äußern Sinne mit dürstendem Verlangen auffing, und zu einer Schnur für die Ewigkeit an einander reihte . . .

Der Wagen meines Freundes hielt am Ende seines Parks. Seine Rosse schnauften und stampften und wieherten im Gefühl ihres Muts. Und ich mußte dich verlassen, Tal der Unschuld und Freude, dich, Sonne über ihm? – Ach mir war, als könnte nur Finsternis hinter den Bergen liegen. Ich blickte noch einmal wonnetrunken in ihr heiliges Antlitz und breitete meine Arme aus, als wollte ich den ganzen Weltkreis an mein liebendes Herz drücken – ich blickte noch einmal zu ihr hinauf, und unwillkürlich entschwebte der harmonische Ausruf meinen Lippen:

Staub, der, zu Gott emporgedrungen,
Am Fußtritt seines Thrones glimmt!

und so bot ich meinem freundlichen Geleiter die Hand, stieg hastigen Schritts aus seinem Tempel durch den Park, in den Phaëton. Hier faßte er stillschweigend die Zügel, überließ mich ungestört der obern Region, und sorgte nur, daß wir in der untern nicht aus dem Gleise kämen. Indem wir über den Steinweg flogen, ergriff ich meine Harfe und stimmte mit allen Saiten in den Psalm ein, der seit den zwo Noten, mit denen ich anschlug, in mir forttönte. – Jetzt waren die Beweise meiner Genesung vollständig; die Natur hatte den letzten beigebracht, denn sie hatte mein Dichtergefühl wieder erweckt. Mein Herz schwoll, meine dunkeln Empfindungen bildeten sich zu harmonischen Worten, ätherisches Feuer erhellt den Blick, den ich dankend gen Himmel schlug, eine singende Lerche stieg und funkelte mit ihm zugleich in die Höhe, und mein Lied begann . . . .

Als meine Harfe verklungen war und mein begeisterter Blick aus seiner Höhe zurück auf die Erde fiel, hätte ich gern meine abgestimmten Saiten aufs neue gespannt, wäre ich nicht zu erschöpft gewesen, um mich mit Hülfe ihrer Harmonie ebenso vogelleicht über den rauen Weg zu schwingen, der in einem Zusammenhange von Felsenstücken und Bergklüften vor mir lag, – als sie mich unvermerkt über seine erste Hälfte gebracht hatte. Es ärgerte mich, daß mein Führer das stolze Gefühl meiner Schwungkraft durch eine Bemerkung zu necken suchte, die ziemlich spöttisch herauskam. – »Ich sehe dir an,« sagte er, »daß du mit deinem Ausfluge in das Reich der Ideen nicht übel zufrieden bist. Ich wünsche dir Glück dazu: nur dünkt mir, du hättest besser getan, ihn auf den schicklichern Zeitpunkt aufzuschieben, in den wir jetzt eintreten. Erst hier, wo leider der Weg äußerst schlecht zu werden anfängt, hätte auch deine Verzückung anheben sollen. Hier würdest du so viel dabei gewinnen, als du auf dem eben zurückgelegten dadurch verloren hast. Ich kann dir, da ich dich jetzt nicht störe, wohl sagen, daß es einer der angenehmsten ist, den ich kenne, nicht nur die ungleich bessere Hälfte des Ganzen, sondern an romantischen Aussichten und lachenden Gegenständen fast so reich, als das Tal meiner Bastide. Alle diese freundlichen Winke der Natur sind dir, während deiner Unterhaltung mit der Sonne entschlüpft. – Es ist,« fuhr er mit einem philosophischen Seitenblicke fort, »nur zu oft der Fall bei euch sublimen Leuten, daß ihr eure geistigen und leiblichen Gelüste nicht haushälterisch genug gegen einander abzuwägen und nach dem jedesmaligen Stundenbedürfnisse zu verteilen versteht. Ein gen Himmel geschlagenes Auge nimmt offenbar eine falsche Richtung, wenn fröhliche Kinder, farbige Blumen unter ihm spielen und sprossen, oder menschliches Elend um seinen teilnehmenden Blick bettelt. So lange Milton noch sehen konnte, überließ er sich allen sinnlichen Freuden des irdischen Paradieses seiner Heimat, und dachte nicht eher daran, sich eins zu dichten und seinen Verlust zu besingen, als bis ihm seine Blindheit keinen andern Zeitvertreib zuließ. Auch euer Kleist, wie mir seine Freunde erzählt haben, saugte mit tierischem Wohlbehagen jeden Balsamtropfen des Frühlings ein, so lange er dauerte. Erst in den rauhen Wintertagen wiederkäute und malte er ihn. Die Dichtkunst, wie jede Schwelgerei des Geistes, sollte dem Weltbürger zu keiner andern, als zur Zeit der Entbehrung, unter dem Drucke des Müßiggangs, oder wenn sonst irgendein Zufall seine äußern Sinne gelähmt hat, zur Krücke dienen.« – Bei meiner dichterischen Erhitzung, die mir noch im Blute lag, mußte mich ein so kalter gemeiner Ausdruck notwendig verschnupfen, doch fehlte in diesem Augenblicke die Stimme, nur ein Wort dagegen vorzubringen; so sehr wurde ich durch einen jähen Abgrund erschreckt, an dem wir nahe vorbeischwebten. Ich schmiegte mich, so lange dieser furchtbare Anblick dauerte, mit klopfendem Herzen an den Marquis, und erst als wir hinter Aubogne in einen Hohlweg lenkten, kam ich wieder zur Sprache. – »Du hast mich mit deiner vorigen Äußerung«, wendete ich mich nun zu ihm, »ganz in Erstaunen gesetzt, lieber Saint-Sauveur weil ich sie dir am wenigsten zutraute. Ich habe immer die Entwicklung großer Gedanken durch Philosophie oder Dichtkunst, jenes Nachspüren unserer seinen Empfindungen, jenes Brüten über uns selbst, und alles, was du Krücken des Müßiggangs zu nennen beliebst, für die nützlichste Beschäftigung, für die edelste Bestimmung des Menschen gehalten; und ich kann meine wichtigen Zweifel gegen deine Behauptung – – –« – »Nicht leicht,« fiel mir der Marquis in das Wort, »unter einem stärkern Widerspruch von Umständen vortragen, als so kurz nach dem Schrecken, den du gehabt hast. Müßig und dem Schicksale überlassen, wie du neben mir da sitzest und zitterst, was könnte ich dir Besseres für deine Beruhigung empfehlen, als eben die Krücke, die auf jenem gebahnten Wege dir ganz entbehrlich war? Wie hinderlich hingegen müßte sie nicht einem in Tätigkeit gesetzten Manne werden, der, wie ich zum Beispiel, unvernünftige Geschöpfe vor sich, ihr Lenkseil in Händen, einer Menge Gefahren auszuweichen, mit einem Worte, statt in dem Empyreo, auf der Erde zu tun hat!« – »Du hast vollkommen recht,« antwortete ich unter Zittern und Beben; denn in der Hitze des Streits – wie dankte ich Gott, daß er in Deinem Hohlwege vorfiel! – hob und schwenkte mein Opponent seine Peitsche. Es war nur ein Luftstreich, eine von den unwillkürlichen Bewegungen, die wohl einem Redner entwischen können, der Eindruck zu machen sucht: aber selbst mit dem scharfsinnigsten Vorbedachte würde er schwerlich vermocht haben, zur Unterstützung seines Satzes einen kräftigern Beweis aufzutreiben, als diesen Hieb in den Wind; denn – seine vier Schweißfüchse verstanden diese Redefigur unrecht, bäumten sich, schlugen über die Stränge und wollten sich lange nicht besänftigen lassen. Ich verlangte es weiter nicht bewiesen zu haben, daß Philosophen so gut wie Dichter bedenkliche Führer, und in Vorfällen des täglichen Lebens nicht halb so viel wert sind, als ein besonnener Mann. Aber – mein Gott – dachte ich so vor mich hin – warum fährt doch der liebe Marquis selber, und läßt seinen Kutscher hintenauf stehen, der doch sicherlich den Müßiggang nicht zu benutzen weiß, den er ihm läßt? . . .

*

. . . [Mein Freund] erwartete mich an einer runden Tafel, die, mit einem Schinken zwischen zwei Weingläsern besetzt, wie ein Stilleben von de Herem aussah. Der Hunger würzte indes die mäßige Kost, und ich setzte mich eine Stunde nachher gesättigt und um vieles beruhigter zu meinem Führer in den Phaëton . . . Die Pferde waren erfrischt und gegen den Weg war nichts einzuwenden. Sobald wir auf die Höhe kamen, sah ich Toulon mit seinen Türmen und Wällen hinter einem Haine von Ölbäumen hervorschimmern. Die Straße zog sich, wie der Gang in einem englischen Garten, sanft durch ihre Beschattung hindurch, die Strahlen der Sonne brachen sich an ihren Zweigen, und die schönen Aussichten nahmen an Mannigfaltigkeit, wie mein Herz an Frohsinn, zu, je näher wir der Stadt kamen. Desto mehr befremdete mich die Stille des Marquis, und der Ernst, den ich in seinem sonst so heitern Gesichte bemerkte, und ich weiß mir es auch jetzt noch durch nichts zu erklären als durch die mir unbekannten Geschäfte, die ihn nötigten, sein schönes Tal diesen Morgen, und diesen Abend seinen Freund, mit dem Rücken anzusehen; denn sobald wir in dem silbernen Anker abgestiegen waren, kleidete er sich nur um, übergab mich dem Wirte und ließ mich in einer großen Stube allein.

Ob wohl, dachte ich, indem er sich eiligst mit dem Wunsche einer guten Nacht von mir entfernte, die Langeweile, in der er dich da in einem fremden Hause sitzen läßt, auch zu deiner Nachkur gehören soll? und tat durch den Sinn dieser Frage wohl niemanden mehr Unrecht als mir selbst. Bin ich denn nicht Philosoph? bin ich nicht Dichter? empfindsam im höchsten Grade, und mir selbst Gesellschafter genug? Das kann vielleicht wahr, diese Hülfsmittel können auch vortrefflich sein, davon ist die Rede nicht; nur kann man sie, wie ich das heute schon einmal erfahren habe, meistens nicht so geschwind herbeischaffen, als man ihrer benötigt ist. Was aber ein Deutscher zu allen Zeiten bei der Hand hat, ist die fruchtbare Mutter so vieler Raritäten und Sammlungen, ist die Neigung der Seele, die man Liebhaberei nennt. Wenn er diese zu befriedigen Gelegenheit findet, ist er an jedem Orte geborgen . . .

Wer an Münz-, Muschel- und Steinkabinetten keine Freude findet, setzt an ihre Stelle Sammlungen von Pfeifenköpfen, Siegeln, Visitenbilletts oder Bußtexten. Ich will keiner – sie mag bestehen, aus was sie will – ihren Nutzen absprechen; aber du kennst die meinige, Eduard, und ich frage dich auf dein Gewissen, ob es wohl viele gibt, die ihr an Merkwürdigkeit gleichkommen? Jedes einzelne Stück derselben ist ein Exemplarum unicum, ein Autographum, und um so viel mehr der Aufbewahrung wert, weil es oft die opera omnia eines berühmten Mannes, oder doch eine momentane Empfindung desselben, authentisch und diplomatisch darlegt, und zuweilen selbst wichtige historische Zweifel auflöst. Daß mir eine solche Kollektion am Herzen liegt, ist mir wohl nicht zu verdenken.

Als ich in Berlin zum Tore hinausfuhr, schwebte mir, Gott weiß, kein anderes Bild lebhafter vor der Seele als sie, und von allen den seltenen Gegenständen, mit denen ich hoffte, auf meiner Reise bekannt zu werden, waren es die beschriebenen Fensterscheiben, die mir am meisten in die Augen blinkten. Auch du, mein guter Eduard – um es nur ehrlich zu bekennen – würdest nicht so leichtes Spiel gehabt haben, mich aus meiner hypochondrischen Lage zu bringen. wenn nicht insgeheim meine Liebhaberei deine beredten Vorstellungen unterstützt hätte. So wenig ein junger Botanist ohne die Ahnung, unbekannte Pflanzen mit nach Hause zu bringen, sich in Wildnisse wagen würde, die oft kein menschlicher Fuß noch betreten hat, so wenig würde auch ich, ohne die höchste Wahrscheinlichkeit, meine Sammlung sehr ansehnlich zu bereichern, von der Stelle gewichen sein. Jetzt kann ich's sagen, da meine heimlichen Wünsche über alle Erwartung gelungen sind.

Um nur bei meinem heutigen glücklichen Fund stehen zu bleiben, so war ich noch keine zwo Minuten allein in der Stube, als meine spionierenden Blicke ihren Gang, und die Urkunden der Fensterscheiben in Untersuchung nahmen. Ich mußte erst eine Menge unbedeutender Maximen, elender oder schmutziger und mit einem Demant in das Glas eingegrabner Verse durchlaufen, ehe ich in dem wehmütigen Eheu fugaces, Postume, Postume des Horaz auf Worte traf, die mich festhielten. Was mir aber die Scheibe erst lieb und meiner Sammlung würdig machte, war die Unterschrift. Sie erregte alle meine Empfänglichkeit, zauberte mich in vergangene glückliche Zeiten, und in den Zirkel meiner würdigsten Freunde. »Johann George Sulzer«, stand darunter, »Toulon den 31. Oktober 1775«. – Meine Augen feuchteten sich an, als sie diesen geliebten Namen, diese bekannte Handschrift eines verlornen Freundes erblickten, und ihnen, mit der Übersicht des bemerkten Jahres und Tages, zugleich die folgenden wenigen vorschwebten, die, wie ein kleiner ermüdeter Nachtrupp, hinter dem schnell vorausgelaufenen herschlichen . . . . – Ich rufte jetzt . . . den Wirt herein, und fragte ihn, ob er sich wohl des Mannes noch erinnere, der jenen Tag dieses Zimmer bewohnt habe. – »Warten Sie einen Augenblick, ich darf nur mein Kontobuch nachschlagen. – Hier habe ich das Blatt. Ach, mein Herr! von diesem flüchtigen Passagier läßt sich nicht viel sagen. Es ist nicht der Mühe wert, was er in den paar Stunden verzehrt hat, die er hier war. Ich habe von seinem Gekritzel auf meiner Glastafel nichts gemerkt, sonst hätte ich sie ihm gewiß angerechnet: denn Sie müssen wissen, daß ich allen den schreibsüchtigen Herren, die, um ihren Namen glänzen zu sehen, meine Scheiben verdunkeln, eine verhältnismäßige Abgabe für künftige neue mit in Rechnung bringe.« – »Das finde ich nicht mehr als billig,« antwortete ich; »und damit Sie auf keine Weise zu kurz kommen, übernehme ich den schuldig gebliebenen Beitrag meines Landsmannes und das verdorbene Glas für ein neues auf meine Kosten.« – Der Wirt – klug wie ein Professor – da er an der angefüllten Scheibe nichts mehr gewinnen konnte, war froh, eine tabula rasa an ihrer Stelle zu sehen. Ich war es nicht weniger – und da kein Handwerker geschwinder zu haben ist als ein Glaser, so sah ich mich schon nach zehn Minuten im Besitz des ganzen Namenregisters, aus welchem gemeinen Wuste ich die Handschrift unsers Freundes, in Form eines Oktavblatts, behutsam herausschneiden ließ. Es ist die vierhundert und einunddreißigste Nummer meiner Sammlung, die neune mitgerechnet, die ich – – – da sehe man nur! Ich möchte mich aufs Maul schlagen – die ich dir verheimlichen wollte, bis ich sie zu Berlin meinen herbeiströmenden Freunden – dich, als den neugierigsten an ihrer Spitze – zur Schau vorlegen, und mich mit eigenen leiblichen Augen an euer aller Erstaunen ergötzen könnte. Ist denn aber ein Mensch, der von den Gegenständen seiner Liebhaberei spricht, Herr seiner Worte? Was kann ich nun tun, als fortplaudern? Du würdest es sonst gewaltig übel, oder ich müßte einen andern Bogen und mich besser in acht nehmen. Beides wäre der Mühe nicht wert. Erfahre denn meinetwegen die ganze weitläuftige Geschichte.

Ich war, als ich durch Paris ging, noch keine Stunde daselbst, als der Wirt des quatre nations es schon weg hatte, zu welcher ich gehörte, und seinen Zuschnitt darnach machte. Er fing von weitem an, von dem Charakter und dem Kunsttriebe der Deutschen und ihren mancherlei Kabinetten zu sprechen, und da ließ ich mich denn nicht lange bitten, ihm das meinige zu beschreiben, hatte aber Mühe, ihm zuvor den Einfluß meiner gläsernen Urkunden auf Politik, Historie, Chronologie und Kenntnis des menschlichen Herzens begreiflich zu machen, ehe er den Nutzen einer solchen Sammlung einsah. Mit seiner Überzeugung erwachte auch der französische Diensteifer. Nachdenkend nahm er eine Prise Tabak um die andere, schlug dann seine Dose mit dem Versprechen zu, sogleich Stube für Stube seine Fenster in Betrachtung zu ziehen. Es war nicht ganz umsonst. Der gute Mann brachte mir bald nachher die Handschriften dreier merkwürdigen Reisenden, die vormals hier eingekehrt waren, auf ebensoviel wohl erhaltenen Scheiben. Schade nur, daß ich keine verstehe; denn, außer dem Namen eines türkischen Gesandten auf der einen, enthält die andere, wie es mir vorkommt, das russische Einmaleins, oder sonst eine Rechnung von Peter dem Großen, und die dritte ein Motto, aus den Hetären des Lukians, von der Hand der Königin Christine. – Das war doch gewiß schon ein ganz artiger Erfolg meines Geplauders, aber für gar nichts gegen den Gewinn der folgenden Stunde zu rechnen; denn da trat der Wirt zum zweiten Male mit einem andern freundlichen Manne und den Worten in mein Zimmer: »Gestehen Sie, mein Herr, daß mein Schild mich nicht umsonst auffordert, jeden Passagier nach seiner Landesart zu bedienen. Hier stelle ich Ihnen einen meiner Hausfreunde vor, dem eine Fundgrube für Ihr Kabinett offen steht, als sich wohl keine mehr so ergiebig in der Welt finden möchte; denn noch hat niemand gewagt, sich ihr mit seiner Wünschelrute zu nähern, oder nur den Verstand gehabt, den Schatzgräber zu benutzen, der Ihnen hier seine Dienste anbietet.« – »Und wer, um Vergebung, ist dieser gütige Herr?« fragte ich. – Beide nahmen einander das Wort aus dem Munde: – »Der Glaser aus der Bastille.« –

Wie sehr gleicht doch der Eindruck unerwarteter Freude dem heftigsten Schrecken! Die Wichtigkeit dieser Bekanntschaft trat mir auf das anschaulichste vor die Seele; und ob mir wohl mein Vorteil immerfort zuflüsterte, meine innern Bewegungen zu verbergen, so zitterte ich doch an allen Gliedern, als er zu seiner Beglaubigung eine Schachtel hervorzog und mir sechs kleine runde Scheiben in die Hand legte, die vor Alter in die Farben des Regenbogens spielten, und deren ich nicht viele von gleicher Seltenheit besitze. Ich hätte sie mir für keinen Preis entgehen lassen, und erhielt sie – ich schäme mich es zu sagen, wie wohlfeil. Was aber diesem Handel erst die Krone aufsetzte und mich unendlich beglückt, ist ein Kontrakt von den erstaunlichsten Folgen, den er auf die billigsten Bedingungen mit mir einging, unterschrieb und besiegelte. Ich habe schwerlich je einen klügern abgeschlossen, den – wenn du willst – komischen Anstrich abgerechnet, den er unvermerkt von der guten Laune annahm, mit der ich ihn zu Papier brachte; denn meine Zufriedenheit während dieser glücklichen Verhandlung war so ausschweifend lebhaft, daß, wenn Heinrich der Vierte, als er Paris belagerte, den Kommandanten der Bastille durch Bestechung gewonnen hätte, die seinige nicht größer hätte sein können. Und ist es denn zu verwundern? Überlege nur selbst, Eduard; der Mann, der den stillen Herzensergießungen so merkwürdiger Menschen, als wofür Staatsgefangene überall gelten, näher auf der Spur ist als kein andrer – dem jeder geheime Wunsch, den diese Unglücklichen gebären, und, gleich Findelkindern, auf diesen zerbrechlichen Fahrzeugen aussetzen, über lang oder kurz in die Hände läuft – der selbst, so oft er will, über diejenigen, die dem Strudel der Zeit entrannen, sein Strandrecht ausüben kann – dieser Mann, sage ich, steht bei mir als Kabinettsminister in Eid und Pflicht – ein Titel, den ich ihm im umgekehrten Verhältnisse gegen manche Fürsten, die ihn austeilen, ernsthafter beilegte, als er ihn annahm. Wie der gemeinste Glaser, bedachte er nur bescheiden sein Handwerk; ich hingegen würdigte ihn nach seinem gewaltigen Einflusse auf mein Kabinett, und konnte in dieser Beziehung ihn nicht genug ehren. Denn welch eine Ausbeute wird seine fleißige Hand nicht aus jenem bis jetzt unbenutzten Schachte der dort seit Jahrhunderten verhaltenen Klagestimmen zutage fördern! Welches Licht wird nicht mein glänzendes Museum über jene politischen Todesgewölbe verbreiten! Nicht nur die armen Eingesperrten werden durch Wegräumung der alten verblichenen Glasscherben heller sehen, sondern auch unsre blinden Geschichtschreiber, die über den Seelenzustand eines Staatsverbrechers, über seine Empfindungen in der Einsamkeit des Gefängnisses, selten so viel zu sagen wissen, als solch eine Fensterscheibe. Wäre es in der Mitternachtsstunde, die mir über den Hals gekommen ist, ich weiß nicht wie, für den Spaß nicht zu spät, einen Catalogue raisonné von diesen biographischen Bruchstücken zu fertigen, deren jedes sein eigenes Blatt verdient, so würdest du in den freien, bittern und großen Gedanken, mit welchen hier ein Montmorency, ein Retz, Richelieu, Fouquet und Voltaire ihren gepreßten Herzen Luft schafften, schon erstaunend würdige Belege meiner Angabe finden. Und doch sind selbst diese Denkmäler der Vorzeit für nichts in Vergleichung einer fast unglaublichen Urkunde zu achten, die in einer, wenn ich nicht irre, aus den Menechmen des Plautus genommenen Zeile das größte Geheimnis der vergangenen Zeit enthüllt, mit der Unterschrift, statt des Namens Vultus tyranni. Diese zwei mystischen Worte, dieser schlau gewählte Spruch des Dichters, zusammengehalten mit der unbefangenen Aussage des Glasers, der diesen höchst merkwürdigen historischen Splitter aus dem Fenster eines seit hundert Jahren leer gelassenen Gefängnisses, in das ihm ein Schloßenwetter verhalf, genommen hat, verwandeln meine erstaunende Vermutung in eine Gewißheit, vor der jeder Geschichtsforscher seine Knie beugen sollte. Sie zeigen unwidersprechlich, daß sie nur von einem verheimlichten Menschen, verstoßenen Bruder, vernichteten Fürsten, und von keinem andern als der Masque de fer herrühren können, und vermutlich auf der Oberfläche der Erde der einzige Nachlaß dieses unbekannten Gefangenen sind. Was für Feste erwarten dich, Eduard, wenn ich diese Schätze einmal vor deinen Augen auspacken, wenn ich künftig bei jeder ankommenden Pariser Post deinen Beistand anrufen werde, die eingelaufenen Dokumente zu ordnen und zu schichten! Wie mag sich nicht schon ihr Ertrag während meiner Reise angehäuft haben, den meine, Gott gebe, glückliche Zurückkunft sogleich flott machen wird! denn das war die letzte Verabredung mit meinem Minister. Seitdem ist kein Tag vergangen, wo ich nicht die Masse meines zunehmenden Reichtums mit kindischer Freude berechnet, mich nach dem Stapelorte, wo er anlanden wird, zurückgesehnt, und vor den schönen Mahagonischrank hingeträumt hätte, der ihn aufnehmen soll. – Allerliebst! Da verplaudere ich nun schon wieder einen Umstand, den ich dir bis jetzt höflich versteckt hielt – den wahren Grund nämlich meines Heimwehs. Keine Vorwürfe, lieber Eduard. Freundschaft und Patriotism haben viele anziehende Kräfte, aber – was wollen wir es leugnen? – Liebhaberei hat deren noch mehr . . .

*

Den 20. Februar

Das schauderhafteste Gemälde von Breugeln, dem Kabinettsmaler der Hölle, kann kein so auffallendes Gegenstück zu einem Claude-Lorrain, dessen Pinsel in die Sonne getaucht scheint, abgeben, als mein heutiger Morgen zu meinem gestrigen. Saint-Sauveur, der, wie ich erst dadurch erfuhr, als ein vertrauter Freund des Intendanten, bei ihm einkehrt, so oft er hierher kommt, trat früh in mein Zimmer, brachte mir eine Einladung von ihm für den Mittag, und, zu meinem Zeitvertreibe für den Morgen, seine schriftliche Erlaubnis, das Arsenal zu besehen. Ich legte den Zettel neben mir auf das Coffeebrett mit aller der Gleichgültigkeit, die ich für solchen militärischen Prunk habe, die aber dafür den Brigadier desto mehr verschnupfte. – »Ich sehe wohl,« sagte er empfindlich, »du erkennst den Vorzug nicht, wie du solltest, den dir dies Einlaßbillett vor so vielen tausend durchreisenden gelehrten Wanderern verschafft, die vergebens darnach angeln. Du mußt wissen, daß Herr von Saintaignan es selbst meinen Bitten nicht eher zugestand, als bis ich für dich gut sagte. Warum rümpfst du die Nase? Glaubst du etwa, daß unsere Zeughäuser so zugänglich sind, als unsere Theater und Kirchen? Oh, nichts weniger. Dafür wirken sie aber auch mächtig auf unsere Imagination, wie alles Große, das sich versteckt hält, und der Glückliche, dem es vergönnt wird, sie in der Nähe zu bewundern, trägt für sein übriges Leben einen auszeichnenden Glanz davon.« – »Du sprichst«, erwiderte ich, »wie ein Soldat; ich aber denke wie ein Magister, der lieber während seiner Morgenbetrachtungen einer Likörbouteille in den Hals sieht, als einer Kanone, und ungern der leidigen Neugier einen Mundbissen von seinem Frühstück aufopfert.« – »Kürze es heute immer ein wenig ab,« versetzte der Marquis, »und hebe auch, wenn ich dir raten darf, deinen philosophischen Senf bis auf ein andermal auf. Die kritischen Betrachtungen eines Magisters über die Kriegskunst ändern den Lauf der Welt nicht um ein Haar breit; sie stören aber leicht den guten Humor. Davor mußt du dich aber heute besonders in acht nehmen; denn die Tafel des Kommandanten erwartet an dir einen muntern Gast, und das schöne Korps unserer Damen einen witzigen Gesellschafter. Hier ist Stock und Hut. Rühre dich, Wilhelm. Der lahme Gefreite, den ich dir zu deiner Begleitung mitgebracht habe – – –« – »Du also«, unterbrach ich ihn, »hast keine Lust?« – »Meine Geschäfte«, zuckte er die Achseln, »wollen mir es nicht erlauben. Doch wirst du mich auch nicht vermissen. Ich habe dir einen gesprächigen und pünktlichen Mann ausgesucht, der selbst in dem Palaste wohnt, wo er dich einführen soll, der das weitläuftige Inventarium davon unter seiner Kreide und Aufsicht, und für keine andern Merkwürdigkeiten der Welt einen Sinn hat. Ich wünschte nur, dein Verlangen, sie zu sehen, wäre so groß, als seine Freude sie dir zu zeigen . . .« – Ach! ehe ich gehe, noch ein Wort von unserer morgenden Spazierfahrt nach Hieres. Diese müssen wir einstellen. Wir sind zu einem Schmause am Bord der Vengeance gebeten, den die Seeoffiziers zur Einweihung dieses neuen Kriegsschiffs veranstalten. Mich freut es, daß so manches Ungewöhnliche zusammentrifft, um dir den Aufenthalt in Toulon unvergeßlich zu machen – Lebe wohl! . . .

Nach einem . . . grillenhaften Selbstgespräch war es wohl nicht zu erwarten, daß ich mich den Anmaßungen meines Führers geduldig preisgeben würde. Auch trat ich ihm, um seinem prahlenden Gewäsche in Zeiten vorzubeugen, mit Worten entgegen, die zur ersten Ansprache wohl etwas freundlicher hätten sein dürfen. – »Hinken Sie nur ohne Bedenken und Komplimente vor mir her, Herr Unteroffizier, und lassen Sie mir Ihre Merkwürdigkeiten jetzt unbeschrieben. Ich hin für den Augenschein, und auch mit dem hat es keine Eile.« – So trollte ich ihm mit meiner üblen Laune in den Hafen nach, der, im Vorbeigehen gesagt, sehr verschieden von dem reinen Wasserbecken zu Marseille, sich einer feinen Nase schon von weitem ankündigt. Wie mußte ich mein neugieriges Auge hüten, als wir dort ankamen, um nicht mehr als einen flüchtigen Blick seitwärts zu tun, aus Furcht, die prachtvolle Fassade des Arsenals möchte meinen Entschluß vereiteln, und mir die Lobrede abzwingen, auf die mein aufgeblasener Begleiter schon seine Ohren gespitzt hielt! Vielmehr drehte ich mich, wie ein eigensinniges Kind, gerade der Seite zu, die er am meisten bemüht war, meiner Aufmerksamkeit zu entziehen. Daß doch ein vernünftiger Mann, ohne eben boshaft zu sein, sich den albernen Spaß machen kann, den Stolz eines andern zu necken! – »Zu was,« fragte ich mit verstellter Neugier, indem ich, statt seinen schlauen Winken zu gehorchen, den stinkenden Behälter der königlichen Galeeren ins Auge faßte, »zu was dienen denn die langen schmalen Schiffchen, die in diesem Sumpfe festliegen?« – »Zu Zuchthäusern für unsere Verbrecher,« war seine kurze Antwort. – »Hat sie wohl Howard besucht?« – »Kann sein,« erwiderte er, »ich weiß es nicht.« – »Ich möchte wohl«, äußerte ich, im Widerspruche meiner Neigung, den Wunsch, »mit ihrer Besichtigung den Anfang machen!« – »Das möchten Sie?« spöttelte der Invalide. »Viel Glück zur sentimentalischen Reise! Mir aber werden Sie vergönnen nicht mitzugehen, sondern Ihre Zurückkunft dort zu erwarten, wo ich hingehöre.« – Er kehrte mir nach dieser Erklärung den Rücken und hinkte dem Portale des Zeughauses zu. Und ich? Gern hätte ich mein übereiltes Wort wieder zurückgenommen; meine einfältige Laune stellte mir aber das Ding als eine Ehrensache vor, die ich gegen den französischen Invaliden verfechten müßte, blieb in ihrer einmal genommenen Richtung, und zog mich wider Willen mit sich fort bis in die nächste Galeere.

*

Ich habe zwar schon manche öffentliche Anstalten für das gemeine Beste gesehen, die wenig Raum einnahmen, aber noch keine, wo der Platz so benutzt und die Ersparnis alles Überflüssigen so sichtbar war, als hier. Ein schwankendes Brett brachte mich zuerst in eine Kajüte, wo ein alter Kapuziner, zwischen einem Kruzifix und einer Arzeneischachtel, die Rolle eines geistlichen und leiblichen Arztes zugleich spielte, und in seinen Bewegungen, ohne angekettet zu sein, keinen größern Zirkel beschreiben konnte, als den ich jetzt durch meine Dazwischenkunft ausfüllte. Seine feurigen Augen, die aus dem blassen verfallenen Gesichte vorschimmerten wie glimmende Kohlen in einem Aschenhaufen, sein langer, vor Alter gebleichter Bart, der ihm bis auf den Gürtel in krausen Wellen herabfloß, und die trübe gefällige Miene, mit der er mir seinen hölzernen Sessel einräumte, machten schon einen starken Eindruck auf mein Gefühl, als ich aber von ihm vernahm, daß er, jung hierher versetzt, auf diesem Vereinigungspunkte der größten physischen und moralischen Herabwürdigung des Menschen grau geworden sei – als er einen Blick voll hoher Ergebung gen Himmel schlug, und mit rührender Stimme bekannte, daß bloß der Gedanke an Gott und die Unsterblichkeit ihn so lange aufrecht erhalten habe; da beugte sich mein Geist mit so tiefer Ehrerbietung, als mir schwerlich je ein König durch den Höllenglanz seiner Zeughäuser abnötigen wird, freiwillig vor diesem edeldenkenden, duldenden Greise. Ich wußte meiner Milzsucht, die mir doch allein das wehmütige Vergnügen seiner Bekanntschaft verschafft hatte, nicht freundlich genug dafür zu danken. Von keiner Kanzel, keinem Katheder ist mir die wundervollste aller Tugenden, die Tugend der Aufopferung, näher an das Herz gelegt worden, als an dieser mir heiligen Stätte. Das erhabene Beispiel dieses frommen Dulders – wie groß und unverdächtig es auch sein mochte – wurde jedoch – oh, daß ich nur nicht zu voreilig entscheide! – von einem vielleicht einzigen übertroffen, dessen zu erwähnen ihm der Verfolg seines Gesprächs Gelegenheit gab. Er blickte mir sanft lächelnd in die feuchten Augen. – »Bemitleiden Sie mich nicht zu sehr,« sagte er. »So lange mich noch jugendliche Wünsche bestürmten, ich die Sonne noch nicht vergessen konnte, die mich in dem kleinen Klostergärtchen beschien, ich noch an den Lindenbaum dachte, den ich dort gepflanzt und gepflegt hatte, und der jetzt einen Glücklichern als mich beschattet – und ach, so lange sich noch mein Herz nach der Stille, der Ordnung und der Reinlichkeit« – das, Eduard, sagte ein Kapuziner– »meines Klosters zurücksehnte, drängten sich freilich wohl manche Seufzer des Unmuts aus meiner Brust; doch nach und nach, Gott sei gelobt! bin ich meiner strafbaren Ungeduld Herr geworden. Die Zeit kam, die uns kühl genug macht, alle irdischen Freuden so nichtig und verächtlich zu finden, als sie es in Rücksicht ihres geschwinden Vorübergehens sind. Die Zeit kam, wo wir unsre schmeichelhaftesten Hoffnungen, unsere gelungensten Taten ungewiß anstaunen, und nach einer redlichen Untersuchung in denjenigen allein einen bleibenden Wert entdecken, die uns mit jener Welt in Verbindung setzen. Sie kam und brachte mir Trost. Ich habe sogar in meinem traurigen Wirkungskreise Blumen der Freude aufwachsen sehen, die so herzstärkend keinem andern entsprießen. Oft nur ein Trunk Wassers, den ich einem Verschmachtenden reichte, ein kurzes Trostwort, das einen Verzweifelnden aufhielt, erwarb mir das Zutrauen des Genesenen, die Liebe des Getrösteten, erhob mich zu ihrem Wohltäter, und machte mir den Posten lieb, auf den mich die Vorsehung gestellt hat. Gewiß würde das Entsetzen ihrer Strafe viele getötet haben, die, dem Kreise ihrer Freunde wiedergegeben, jetzt frohe Tage genießen, hätten sie nicht gewußt, daß am Eingange ihres Gefängnisses eine Seele noch Teilnahme für sie empfände, für sie betete, und auf ihr standhaftes Bezeigen Acht gäbe. Dort« – indem er auf ein Paket deutete – »hebe ich Briefe auf, wie sie gewiß kein Roman rührender darlegen wird – echte Urkunden des menschlichen Herzens und sprechende Beweise, daß an keinem zu verzweifeln ist, so lange es der Dankbarkeit noch Zugang verstattet. Je unverdorbener, desto empfänglicher für diesen Naturtrieb – je mehr es verdient, geliebt zu werden, desto gefühlvoller wird es sich erwidern. Da habe ich unter meinen, der Kette entlassenen Korrespondenten besonders einen, der es immer noch nicht vergessen kann, daß ich um seine Freundschaft als um ein Almosen bettelte, während er, nicht auf einer Prälaten-, sondern auf der Ruderbank saß – ein Mann, mein Herr, den, sonderbar genug! kein Verbrechen, vielmehr die Lauterkeit seiner hohen Seele diesen Schrecknissen preisgab – der sich als Jüngling allen sinnlichen Freuden entriß, um die Strafe unserer strengen Gesetze für einen Schuldigen zu büßen, – der sein Vater war.« – »Was?« unterbrach ich den Mönch, »sprechen Sie von dem edelmütigen Faber aus Ganges? Der hat auf dieser Galeere – – –« und Tränen verhinderten mich fortzusprechen. – »Sie kennen also, wie ich sehe, einen Teil seiner Geschichte?« – »Nein, lieber Pater,« schluchzte ich, »ich kenne sie ganz, und habe auch den rechtschaffenen Mann selbst gesehen und gesprochen.« – » Ganz?« wiederholte der Mönch mein Wort; »oh, dessen, mein guter Herr, werden Sie sich erst rühmen dürfen, wenn Sie« – hier öffnete er die Tür nach dem Innern des Schiffs – »von daher zurückkommen.« – Mein Blick fuhr erschrocken über dies Grab der Verzweiflung, und der verpestete Luftstrom, der mir entgegenstieß, versetzte mir den Atem. Hätte Faber nicht jahrelang hier gelitten, ohne zu murren, ich wäre keinen Schritt weiter gegangen. – Der gutmütige Alte, wie er mich dazu entschlossen sah, ergriff meine Hand. – »Ich will Sie zwar, aus guten Gründen, von Ihrem Unternehmen nicht abhalten: Sie scheinen jedoch für solch eine Anstrengung des Körpers und Geistes kaum Kraft genug zu besitzen. Hier, lieber junger Herr, trinken Sie zuvor ein Glas Tinto, der mit einem Liquor gegen die Ansteckung versetzt ist, und nun gehen Sie in Gottes Namen. Diese Stunde der Wehmut stärke alle Ihre übrigen Tage zur Geduld, zum Erbarmen und zu einem schuldlosen Leben!« – Mir ward, indem ich trank, so bänglich zumute, als einem, der, durch das heilige Nachtmahl vorbereitet, ein tödliches Wagstück zu bestehen im Begriff ist. Was für ein Gang war das, Eduard! Ich mag noch so alt werden, ich vergesse ihn nie.

Sobald nur der hohle Schall meiner ersten Tritte auf das Zwischenverdeck des Schiffs den unglücklichen Bewohnern desselben die Ankunft eines freien Mitmenschen verriet, bewillkommte mich ihr betäubendes Kettengerassel, das sich von einem Ende zum andern um die offene Seitenvertiefung herumzog, die unter mir ihre faulenden Körper bis an die Köpfe verbarg – und in dem Augenblicke streckten sie solche, wie Schildkröten aus ihren Schalen, hervor. Ich blieb, vor Schrecken gelähmt, eine Weile, wie die Bildsäule des Antonius, der den Fröschen predigt, auf dem Fußboden stehen, ehe ich Herz genug fassen konnte, zwischen die beiden Reihen dieser Gespenster durchzuschlüpfen. – – –Ach! welche tiefgesunkene Menschen! Bei jedem Schritte, der mich bei ihnen vorüberführte, küßten sie mir die Füße, erhoben sie, flehend um ein Almosen, ihre gefesselten Hände, und sahen mit Augen voll Schwermut und Eifersucht mir auf dem folgenden nach, den ich zu dem Nachbar ihres Elends tat. – Atemlos gelangte ich an das Ende dieser schauderhaften Allee. Hier lehnte ich meinen Rücken an die bretterne Wand und überblickte mit einem Herzen, das immer höher schlug, das ganze bewegliche, grausenerregende Gemälde, hörte in erschütterndem Einklange die Wehklagen dieser lebendig Begrabenen aus ihrer gemeinschaftlichen Gruft zu mir heraufsteigen, und erst nach einigen feierlichen Minuten, die ich stillstehend der schreckenvollsten Betrachtung weihte, überwand ich die Angst vor meinem Rückwege, und fühlte mich selbst stark genug, meiner Eile, meiner Sehnsucht nach freier Luft zu gebieten, um – dem Elend, das hier weilte, noch einmal bedächtlicher in das hohle Auge zu sehen, und, ohne mein blutendes Herz zu schonen, ihm die Dolche noch tiefer einzudrücken, die es zerfleischten . . .

        Ich sah, wie hier das Joch der brüderlichen Strafen
Den steifen Hals der Eigenliebe bog,
Wie mit der Armut und des Geizes Sklaven
Der Wollust Sklav an Einer Kette zog!
Vom Kelch der Wehmut trunken, reichte
Ich allen nun mein Geld und Ohr,
Und schrecklich brach die allgemeine Beichte
Der Büßenden aus ihrer Bucht hervor.
Der eine schrie: »O Gott! ich bleicht' an deinem Meere
Mein bißchen Salz in deinem Sonnenschein,
Und Menschen strafen mich!« – »Ich,« fiel ein andrer ein,
»Verbüß' an Fesseln der Galeere
Die dreimal ungewisse Ehre,
Von dreien Weibern Herr zu sein.« –
Ein Dritter, stolz auf die Calotte,
Die dem beschornen Haupte bliebDer Abbé la Coste, der 1760 auf Zeitlebens zu der Galeerenstrafe verdammt wurde. ,
Sprach ernst: »Ich fühlte mich vom Gotte
Der Musen inspiriert, und schrieb –
Ich schrieb der Bücher viel, und alle,
Sind längst ins Deutsche übersetzt.
Ich schrieb vom steigenden Verfalle
Des Staats ein Buch in Quart – da, Freund, hat mich zuletzt
Des Königs Wink, und des Ministers Galle,
Und Flaccus Rat: »Was nützet und ergetzt,
Das schreib!« hierher gebracht. Der Trost in meinen Ketten,
Der einzig noch mein Schicksal mir versüßt,
Ist, daß man Rousseaus Stil am Hof, an den Toiletten,
Nicht halb so gern als meine Prosa liest.«
Beschämt wünscht' ich ihm Glück zu diesem seltnen Grade
Des guten Stils und floh, als mir auf meinem Pfade
Noch ein Gespenst zu Füßen sank:
Ein Wort – Gott segne Sie! – ein Wörtchen nur zur Gnade,
Mein Herr! Wer hält denn wohl seit mir, im Schlangenbade
In Ems und Ronneburg die Bank?«

*

Und wäre mein von Mitleiden durchdrungenes Herz noch so geneigt gewesen, die Strafe dieser Unglücklichen und ihre Verschuldung so weit außer Verhältnis zu finden, als sie selbst davon überzeugt schienen, so würde mir doch des Spielers Kette, in Rücksicht der Verbrechen, die, wenn ich nicht sehr falsch las, auf seiner frechen Stirn geschrieben standen, noch zu leicht und zu lang gedünkt haben. Er richtete sich, so weit sie es zuließ, unbescheidener als seine Mitgesellen an mir in die Höhe, und bewegte seine, um ein Geschenk bettelnde Hand nicht anders, als wollte er eine Volte schlagen. Wären mir auch nur zwölf Sous von meiner Spende übrig in meinem Beutel geblieben, er hätte sie nicht bekommen sollen; denn er würde sie doch nur gemißbraucht haben, durch ein rouge et noir mein verteiltes Almosen in seiner Diebskasse wieder zusammen zu bringen. Ein derber deutscher Fluch, den er mir für den verächtlichen Blick nachschickte, den ich ihm zuwarf, statt ihm zu antworten, prallte mir noch in die Ohren, als ich schon, seines scheußlichen Anblicks entledigt, mich von meinem sauern Gange in den Armen des redlichen Mannes zu erholen suchte, der dieser schrecklichen Gemeine vorstand. Es war der erste Mönch, den ich küßte. So herzlich habe ich selbst nie die Wange eines Mädchens geküßt. Nach einigen abgebrochenen Worten, die ihm nur zu deutlich meine innere Bewegung und meine Ohnmacht, sie ihm besser zu schildern, verrieten, drückte ich noch einmal seine Hand an mein pochendes Herz – und er – schlug ein Kreuz über mich, als ich mich von ihm losriß.

*


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