Moritz August von Thümmel
Reise in die mittäglichen Provinzen von Frankreich
Moritz August von Thümmel

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Meine Rechtfertigung bedarf keines Schmuckes. Sie ergibt sich aus der einfachen Darstellung meiner Denkungsart und liegt offen in meiner Geschichte. Ich verließ mein Vaterland das von einem zwar mächtigen, aber leider ungläubigen Könige beherrscht wird. Ich verließ es mit dem Vorsatze, der alle Reisende leiten sollte, Wahrheit und Weisheit in den Ländern aufzusuchen, in denen in unsern Tagen diese Vorzüge so einheimisch wären, wie sie es vormals in Rom und Griechenland waren. So irrte ich von einem Gebiet in das andere, immer getäuschter in meiner Erwartung, bis ich endlich die glückliche Gegend des Comtats, und in ihm das Ziel meiner Befriedigung erreichte. Welch eine Weide für mein leibliches und geistiges Auge! Mit jedem Fortschritte wuchs mein Erstaunen. Gebahnte Straßen neben grünenden Auen, die mit dem bunten Gemische werdender Herden belebt waren – unabsehliche Flächen mit Saaten geschmückt – Berge mit Reben – Hügel mit fruchtbaren Bäumen bepflanzt – ruhige freundliche Dörfer – prächtige Städte, mit frohen, glücklichen Menschen besetzt – Liebe und Treue auf allen Gesichtern – und dieses große herrliche Gemälde von einem immer heitern Himmel umwölbt.

Es ist bei dergleichen überraschenden Ansichten einem wohl eingerichteten Herzen natürlich, die Ursachen aufzusuchen, die solche Folgen bewirken. Ich betrat, voll von dieser löblichen Neugierde, diese Hauptstadt, die ich als die erste Quelle betrachtete, von der aller dieser Segen in das Land floß, und machte es mir zur Pflicht, der ausströmenden Kraft nachzuspüren, die ein so künstliches Triebwerk in immer gleicher Bewegung erhält, und die geheimen Federn zu entdecken, die stark und gespannt genug sind, jedes Rad so abgewogen in Tätigkeit zu erhalten, daß eines in das andere greift, ohne zu reiben, zu stocken, und den Endzweck zu hindern, den das Ganze hervorbringen soll. – Sind es, befragte ich mich, die strengen Gesetze eines Lykurg, oder sind es die philosophischen Grundsätze eines Friederichs, die dieses glückliche Land leiten? Welche Gewalt ist es, die das Wunder seiner Regierung möglich macht? Die Frage ist entschieden, wie man sie aufwirft. Wer kann eine Stunde unter euch leben, Mitbürger dieses Staates, ohne den mächtigen Genius zu ahnden, der alles dieses bewerkstelligt? den Geist eurer Religion! Er ist es, unter dessen mächtigem Einflusse eure Landesverfassung, wie ein Felsen unter dem ewigen Tumulte der Wellen, unerschüttert dasteht. Er löst die verwickelten Grundsätze einer vollkommenen Staatskunst, über welche Monarchen und Weise in ewigem Streite liegen, in die einfachen Pflichten eines gemeinen Tagewerks auf . . .

Aus der Masse von Vorzügen, die das Lehrgebäude eures Glaubens darstellt, beschäftigte indes keiner mein Erstaunen so sehr, als der Nachlaß eurer Heiligen, den ich lange nicht und von keiner Seite meiner Vorstellungsart anzupassen vermochte. Er ist unstreitig der größte Reichtum eures Landes – darüber konnte ich mich nicht täuschen; aber es ward mir schwer, andere Länder für um so viel ärmer zu halten, als sie weniger als das eurige von diesem Gewinne aus der Beute der Vorzeit besitzen. Ich konnte mein, durch die glänzenden Überreste griechischer und römischer Kunst geblendetes Auge lange nicht gewöhnen, an euren oft unscheinbaren Reliquien Geschmack und Freude zu finden . . . Meine Zweifel verstärkten sich nur, je ernster ich daran arbeitete, sie zu heben, und setzten sich sogar einer Gewalt entgegen, der vielleicht noch keine irrende Seele widerstanden hat. Mich hatte die Empfehlung eines frommen Bischofs in die Bekanntschaft eines eurer Mitbürger, in den Schutz eines erleuchteten Mannes gebracht, dessen geringster Schmuck der königliche Purpur ist, den er trägt. Ungern verschweige ich sein Lob in seiner Gegenwart, und überlasse es eurem Bewußtsein, die ihr ihn näher und länger zu kennen das Glück habt. Er nahm mich auf, als ob ihm das Bedürfnis meiner Seele schon im voraus bekannt, und ihm der Gedanke sichtbar wäre, der über ihr schwebte. Sein erstes Gespräch verbreitete sich lehrreich und freundlich über den Wert frommer Reliquien. Er machte mich zum ersten Male mit den schätzbarsten derselben – mit den drei Blasensteinen der heiligen Klara bekannt, die, beredter und überzeugender als die Zungen der Schriftgelehrten, das größte Geheimnis unsers Glaubens erläutern, indem sie sichtbar alle die Eigenschaften vereinigen, die jeder rechtschaffene Christ der hochgelobten Dreieinigkeit beilegt. Das Visum repertum, das er mir über diese Kleinodien vorlas, erschütterte zwar mein Herz, das aber zu schwergläubig war, um nicht auch hier einen Vorwand zu finden, den Eindruck zu entkräften, den es auf mich zu machen anfing. Mißtrauen gegen die Stimme der Wahrheit ist die natürliche Folge des Irrtums. Ich höre zwar, sagte ich seufzend, das merkwürdige Zeugnis, und fühlte das Unwiderstehliche der Folgerungen, die es enthält, in seinem ganzen Umfange; aber wo sind die heiligen Steine, die mir für die Wahrheit desselben bürgen? Wo sind sie? damit ich hingehe und sie anbete, und mit ihnen in der Hand jene stolze eingebildete Wissenschaft zum Schweigen bringe, die unserm Glauben die gebieterischen Sätze eines heidnischen Euklides entgegenstellt. Sind sie, wie es das Ansehn hat, in dem Tumulte der Zeiten verloren gegangen; so bleibt mir nichts übrig, als ihren Verlust zu bejammern, und selbst so lange ihr ehemaliges Dasein zu bezweifeln, bis sie sich wieder finden, und Gott die Ungleichheit zwischen mir und dem glücklichen Sterblichen aufhebt, der sie sehen, betasten und durchwägen konnte. Meine nächste Pflicht schien mir nun die, nach diesen heiligen Steinen bis an das Ende meiner Tage zu forschen. Ich störte alle Kabinetter der Naturgeschichte – alle Sammlungen von Reliquien durch, fand wohl hier und da einen einzelnen Stein, an dessen Gewichte, Selbständigkeit und einfachem Wesen nicht zu zweifeln war, der aber, wenn ich ihn mit zwei andern von gleichen Eigenschaften zusammenbrachte, nie die Probe bestand, nach der ich ausging. – Ich betrat einen andern Weg, auf dem ich nicht ohne die höchste Wahrscheinlichkeit mich den verlorenen Kleinodien zu nähern hoffte. – Gern würde ich über diesen ebenso fruchtlosen Versuch stillschweigend hinwegeilen, um die jungfräuliche Seele, die ihn veranlaßte, nicht aus ihrer bescheidenen Ruhe zu bringen: aber die höhern Pflichten der Aufrichtigkeit, zu der ich jetzt vor andern angerufen bin, macht es mir, teuerste Klara, unmöglich, Ihrer Errötung zu schonen.

Ich sehe, edle Richter, mit welchem Wohlgefallen sich eure Blicke nach dieser Freundin eures Zirkels – nach dieser frommen Mitgenossin eurer geistigen Vergnügungen wenden; und ihr werdet, ich zweifle nicht, die hohe Erwartung, die ich von ihr faßte, durch die glänzenden Eigenschaften mehr als zu gerechtfertigt finden, die uns alle an sie fesseln. Das Glück der Nachbarschaft mit dieser Auserwählten; die herrlichen Psalmen, mit denen mich ihre sonorische Stimme jeden Abend einschlummerte – jeden Morgen erweckte; ihre Unschuld, die aus jeder ihrer Bewegungen, aus jedem Faltenschlag ihrer Kleidung hervorstrahlte; die beispiellose Frömmigkeit ihrer Jugend – alles trug in mir zu der Überzeugung bei, daß die Heilige, deren Namen sie führt, deren Glauben sie ererbt hat, deren Tugend sie wieder darstellt – ihr auch wahrscheinlich die Steine zurückgelassen habe, nach deren Entdeckung meine Seele immer heißhungriger ward. Dieser Gedanke, der mächtig genug gewesen wäre, mich bis an den äußersten Pol der Erde zu treiben, um ihm Luft zu machen – wie viel dringender mußte er nicht in der glücklichen Nähe auf mich wirken, in der ich mich bei dem Ziele meiner Hoffnung befand!

In der feierlichen Stille einer hellen Nacht näherte ich mich der Tür dieser Auserkorenen ihres Geschlechts – hoch pochte mir das Herz nach der Entdeckung dieses großen Geheimnisses; aber noch war es ihrer nicht wert. Die fromme Aufseherin unserer Jugend versperrte mir, wie ein Seraph, den Eingang, und wies mich als einen Ungeweihten in meine einsame Klause zurück. Dank sei dir, würdiges Weib! für deine Strenge, die mir damals so schwer zu ertragen fiel; sie erweckte den Trieb mich aufzurichten, indem sie mich niederschlug, und befeuerte mein Verlangen, mich der Glorie erst würdig zu machen, nach der ich hinstrebte. Das Bild meiner freundlichen Hoffnung schwebte mir vor in der Zerstreuung des Tages, in den Träumen der Nacht, erheiterte meine Einsamkeit, und fesselte mich mit Blumen an die Pflichten meines hohen Berufs. Unter dem Schutze des Purpurs meines edeln Freunds und Begleiters warf ich mich der mächtigen Genoveva zu Füßen, und vereinigte mein Gebet um Aufklärung mit dem Gebete der Gemeinde. Ich wallfahrte nach dem Grabe der Laura – stärkte meine Empfindung in den reinen Dünsten, die aus ihrer Asche emporsteigen – bereicherte mich mit den Erfahrungen ihres Wächters, und suchte aus dem Pfade, auf dem er zu seiner Überzeugung gelangt war, die meinige zu erringen. Ich schlich den Heiligen nach, wo ich sie fand, durch das Labyrinth ihrer Legenden – auf dem geschmückten Throne ihrer Altäre – in dem Schauer ihrer Verwesung. Ihre glänzenden Feste konnten kein geweihtes Gebein ihrer Gerippe ausstellen, ich näherte mich ihm mit Ehrfurcht. Erblickte ich die Madonna als Zeichen über einem Wirtshause, so trat ich ein. Entzog sich ein Splitter des heiligen Nicaise meinen feurigen Augen – ich schlich ihm nach, und suchte wenigstens meine Hand daran zu erwärmen. Ich erkaufte mir mächtige Vorbitten bei der hochheiligen Concordia, und errang durch Gold, das zu Ehren ihres Namens geprägt war, endlich eine der wirksamsten Reliquien, die meinen Übergang in das Gebiet der Geheimnisse vermittelte, und den Schleier wegzog, hinter dem ich die heiligen Steine versteckt glaubte. Ich triumphierte – aber zu früh! Dürfte ich es wagen, die Holdselige, die meinen mißlungenen Eifer teilnehmend mit ihrem Mitleiden beehrte, aus dem Bezirke ihres Richteramts in jene trauliche Stunde meiner frommen Untersuchung zurückzuführen; sie würde nicht anstehen, euch, meinen Richtern, alle die Empfindungen der Kleinmut, der Mutlosigkeit und des Kummers zu bezeugen, unter denen ich ihre Schwelle verließ . . .

Der Unmut über meinen mißlungenen Versuch – statt mich auf die wahre Ursache zurückzuführen – verwickelte mich vielmehr in neue feindselige Fehlschlüsse wider die Wahrheit eurer Religion. Die Aufwallung meines Bluts verhinderte mich zu begreifen, worauf mich doch die Geschichte der heiligen Klara von Montefalcone hinwies, daß meine Nachforschungen zu voreilig, und es nur auf dem Wege der Zergliederung möglich sei, auf die verborgenen Steine zu treffen. So überzeugt ich auch jetzt bin, daß ihre fromme Namensschwester einst der erstaunten Erde diese verlornen Beweise der Dreieinigkeit wiedergeben, und durch den Nachlaß ihres Todes das Leben krönen werde, das sie jetzt führt, so entfernt war ich damals von dieser trostreichen Aussicht. Ich glaubte in meiner fruchtlosen Bemühung keinen andern Beweis zu finden, als den: daß nicht allein die Legende der verewigten Klara erlogen, sondern alle und jede Verjährungen eures Glaubens nicht bündiger zu beweisen sein möchten, als die Steine der Klara.

In diesem Aufbrausen eines schwachen Gehirns trat ich vor die herrliche Sammlung der geistreichen Schriften, die den größten Schmuck dieses Hauses ausmachen. Ich spottete ihrer Titel als Prahlereien eines heuchlerischen Stolzes – schalt den Inhalt, den sie ankündigten, als Verirrungen des menschlichen Geistes – entschloß mich, das Lehrgebäude niederzuwerfen, das sie aufstellten, und diese Stützen des Glaubens mit dem Übermute eines Heiden dem Pagoden meines Kamins zu opfern.

Aber in diesem Augenblicke schienen alle Heiligen mit Erbarmen auf mich zu blicken – mit Erbarmen gegen ein Herz, das in seinem Drange nach Wahrheit sich bis an diesen Abgrund verlaufen konnte. Ich fühlte, daß mein Schutzgeist zurückkam. Meine Wünsche, ohne mich zu verlassen, nahmen jetzt einen richtigern Gang, und meine Empfindungen veredelten sich. Mitten in dem Entsetzen, das mich nun über die häßliche Gestalt ergriff, unter der die Tat, die ich auszuführen im Sinne hatte, aus die Nachwelt übergehen würde, entdeckte ich neben dem finstern Wege, den ich einschlagen wollte, jene feine Scheidungslinie zwischen Recht und Unrecht, die gemeine Richter so leicht und nur zu oft übersehen. Was ist der Mensch ohne eine höhere Leitung! und wie so nahe grenzt das Laster an die Tugend! . . . Ihr werdet ohne Mühe begreifen, wie dieselbe Tat, die mich einige Minuten zuvor als einen Verbrecher würde gebrandmarkt haben, nun durch gute Absicht geleitet, durch fromme Bewegungsgründe geheiliget, sich zu einer unschuldigen, zweckmäßigen und löblichen Handlung umbilden konnte. In dem höchsten Unwillen über mich selbst, nahm ich jetzt die ungerechten Schmähungen zurück, die ich wider Männer auszustoßen mich erfrecht hatte, denen ich die Schuhriemen aufzulösen nicht wert war, und betrachtete sie, wie ich sie immer hätte betrachten sollen, als eine Gesellschaft, die der große Zweck vereinigt hat, Gutes zu stiften, und segnete sie als Wohltäter des menschlichen Geschlechts, die noch Samen über ihre Gräber streuten zu ewigen Ernten. Haben sie nicht, befragte sich meine gerührte Seele, indem ich eine ganze Reihe ihrer unsterblichen Werke umarmte, ihre Nächte mit Nachdenken verwacht, ihr schönes Leben verschrieben, um noch ihren Enkeln den steilen Weg zu erleichtern, der zur Entdeckung der Wahrheit führt? –Und ach! warf ich mir bitter vor, in der Nähe dieser sicheren Wegweiser hast du deine kostbare Zeit ungenutzt verschlafen, und in dem Augenblicke, da du ihre Hülfe am meisten bedarfst, bist du im Begriff, dich auf immer von ihnen zu trennen?

Wohl dem menschlichen Herzen – es hat seine Spannkraft nicht ganz verloren – das noch durch den Gedanken einer unwiederbringlichen Zeit erschüttert wird! Es zieht nun alle seine Kräfte zusammen, und sucht den Wert der verschleuderten Stunden in dem kleinen Zeitraume, der ihm noch übrig bleibt, einzuengen, und den Verlust von Jahren durch den mißlichen Gewinn eines nachfliehenden Augenblicks auszugleichen. – Auch das meinige arbeitete unter einem gleichen Bestreben. Schaudernd sah es in das Vergangene und auf die Sorge, die es vernachlässigte, und blickte wild auf seinen entfernten Abstand vom Ziele; aber in diesem verzweifelnden Kampfe errang es Hoffnung, sich seinen Weg zu verkürzen.

Ich erinnerte mich, und nie hat mir mein Gedächtnis einen wichtigern Dienst erwiesen – daß ich in den Büchersälen eurer Klöster, in den Schatzkammern eurer Kirchen Schriften sah, deren Inhalt jeder nachdenkende Mann – auch ohne Untersuchung – schon als klar bewiesen annehmen, und als den lautersten Ausfluß der Wahrheit verehren wird, weil sie die kritische Prüfung, in der jedes menschliche Machwerk seinen Untergang findet, unter höherem Schutz überstanden – ich meine die Probe des Feuers. – Noch vor kurzem hatte ich in dem Schatze, der über den Gräbern zu Saint-Denis aufgestellt ist, das berühmte Buch des Thomas a Kempis bewundert, das einzig aus einer reichhaltigen Bibliothek, die in Rauch aufging, gerettet, und unversehrt aus dem Schutthaufen hervorgezogen ward. Der fromme Mann, der es mir zum Küssen überreichte, beantwortete mir die Frage, ob denn die Tausende bei diesem Unglücke verlornen Bücher nur Irrtum enthalten hätten, mit einer Erklärung, der ich damals den Trost nicht ansah, den sie mir bald in der drangvollsten Stunde meines Lebens gewähren sollte . . .

Es waren, sagte der Mann, viele Werke in dieser verunglückten Sammlung, die wohl noch vortrefflicher waren, als das gerettete; aber man kannte sie, und keine Seele bezweifelte ihren Wert. Nur Thomas a Kempis war nicht geachtet – und sein Buch von der Nachfolge war unter allen dasjenige, dem man am wenigsten folgte. Seit dem Wunder seiner Erhaltung ist es erst in den Ruf gekommen, den es verdient – erst seitdem ist es allen Religionen ein heiliges Muster geworden. Es hat sich in unzähligen Auflagen verbreitet, und die Vorreden erzählen die Kritik, die es aushielt. – Dieses waren die belehrenden Worte, die jetzt volltönend an die Saiten meiner Seele anschlugen, und mir den einzigen Ausweg zu zeigen schienen, den ich zu nehmen hatte.

Von allen den Lehren, die jene herrlichen Werke enthielten, die vor mir standen, war eine wie die andere meinen Augen verborgen. – Um keiner Unrecht zu tun, zweifelte ich an allen. – Meine dringende Abreise – meine Trennung von ihnen, benahm mir die Möglichkeit, sie zu erforschen, und in diesem Drucke und Gegendrucke von Wünschen und Zweifeln ermannte und entschloß ich mich, sie der kürzeren Prüfung zu unterwerfen, die mir in meiner Lage auch die willkommenste sein mußte. In der süßen Hoffnung, sie – die eben so ungesucht, ungelesen und vergessen waren, wie der große Thomas, bald durch das Feuer bewährt wieder zu sehen wie ihn, trennte ich sie aus ihrer Hülle, häufte sie locker in diesem Kamin auseinander, beging die Tat, die ihr so strafbar findet, und – oh, wie pocht mir das Herz! – steckte sie an. Voller Erwartung verfolgten meine Augen jede Wendung der auflodernden Flamme, die sich schnell ausbreitete, und bald über den kostbaren Stoff, den ihr mein gläubiges Zutrauen übergeben hatte, zusammenschlug. Dieser Berg von Gelehrsamkeit senkte sich – jede Minute überlieferte ein kostbares Werk mehr seiner Vernichtung. Sein Inhalt verrauchte, und beizte mir die Augen, ohne das Herz zu erwärmen. Meine Betäubung stieg immer höher – ach! sie ward zum Entsetzen, als ich an der Stelle dieser glänzenden Überreste der Vorzeit – endlich nichts mehr als einen gemeinen Aschenhaufen erblickte. – Ist es möglich? rief ich nun aus. So war denn auch nicht ein Buch unter so vielen, das den unmittelbaren Schutz Gottes oder eines Heiligen verdiente? So gingen sie alle in Rauch auf, ohne mir nur einen meiner marternden Zweifel zu heben, – nur eine Wahrheit mir zurück zu lassen, die meinem Herzen Trost, meinem Verstande Nahrung verschafft hätte? Ach! Es blieb mir nichts übrig, als ewige Zweifel und reuige Tränen über diesen vergeblichen Brand.

Indes – der Lauterkeit meiner Absicht bewußt, kam es mir nicht von fern ein, daß etwas Straffälliges in meiner Handlung liegen könne. Es gilt den Ersatz dieser Bücher, sagte ich zu mir; und ich erriet nicht eher, unter welchem schwarzen Anstriche auch dem billigsten Gemüte meine Feuerprobe erscheinen könnte, als bis mich der Eifer der frommen Aufseherin dieser Stiftung nur zu sehr davon überzeugte. Aus der nachteiligen Vorstellung, unter der ihr meine Tat erschien, aus dem Hasse, womit sie ihr tugendhaftes Gemüt und die edeln Seelen meiner Richter zur Rache entflammte – sind die traurigen Folgen entstanden, unter denen ich bis zu der Stunde meines Verhörs geseufzet habe. Ihr glaubtet, berechtigt zu sein, einen Mann von Ehre – einen Reisenden von unbescholtenem Rufe – einen Untertan eines großen Monarchen, und einen eurer Freundschaft empfohlenen Fremdling, als einen Verbrecher zu behandeln – glaubtet es dem Ansehen der Tugend und dem Vorteile eurer Kirche zuwider, den erbotenen Ersatz anzunehmen. Ein gemeinschaftlicher Irrtum vereinigte die besten, edelsten Herzen zu meiner Bestrafung. Noch jetzt, vortreffliche Richter, nachdem ich euch die wahren Triebfedern meiner Handlung entwickelt, und die geheimsten Winkel meines Herzens geöffnet habe, muß es euch – so schwach sind die Kräfte selbst der scharfsichtigsten Menschen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen – muß es euch, sage ich, ungewiß bleiben, ob nicht betrügerische Beredsamkeit eure Beurteilung zu blenden suche – ob nicht der Mann, der so dreist von seiner Unschuld spricht, in geheim über eure Leichtgläubigkeit spotte, und ob ihr nicht einen Verräter eures Glaubens entlassen würdet, indem ihr mitleidig meine Fesseln löset. Aber auch diese Fehlschlüsse, wenn es euer trauriges Los sein sollte, ihnen unterzuliegen, würden dennoch der Achtung nichts benehmen, die ich eurem Amte, eurer Gewalt und eurer Rechtschaffenheit schuldig bin. Ich würde nur mein finsteres Schicksal – den dunkeln Zusammenhang meiner Rechtssache und den Zufall bejammern, der die Gerechtigkeit so sehr mißzuleiten, und Freunde einer und derselben Wahrheit so weit von einander zu entfernen vermochte. – Dank sei der allmächtigen Hand, die auch diese letzte Decke, die uns noch scheiden konnte, von euren Augen wegzieht! Der Augenblick ist da, der meiner Rechtfertigung sein glorreiches Siegel aufdrücken – jede Trennung unserer Gemüter aufheben – meine Unschuld durch eure Freundschaft belohnen und eure Tugend von der Furcht eines verfehlten Urteils befreien wird.

Bitter waren freilich die Stunden, die mich bis an das Fest brachten, das meiner wartet – an das Fest eurer brüderlichen Umarmung! – Überseht noch einmal mit mir die ganze Trauer meines gestrigen Tages, als ich, im Begriff meiner Abreise, ausgeschlossen von aller menschlichen Hülfe – bewacht von Bewaffneten – eingekerkert in eine einsame Wohnung – unter den Zurüstungen eines furchtbaren Gerichts – ach! vielleicht meinem letzten Schlummer entgegen ging. Stellt euch – – – nein! ihr vermögt es nicht! – das Schrecken der folgenden Nacht vor, als ich mit müden Schritten nach meinem Lager, den Trümmern derer vorbeischlich, deren Stimme ich in Rauch erstickt – deren Dasein ich in Asche vergraben hatte! Ihre Schatten schienen fürchterlich mich zu umschweben, die Klagen der bedürftigen Seelen, die ich um ihre Tröster betrogen, bestürmten meinen Schlaf und mein zweifelndes, unbefriedigtes und mutloses Herz vermehrte noch meine innere Marter. – Unter diesen Schrecknissen verging die Nacht – in diesem Wirbel von Unruhe beschlich mich die Morgenröte meines Gerichtstages. Ernste Blicke in mein Innerstes, wehmütige Hinsichten auf Euch – waren meine erstem Empfindungen, und jener schon erkaltete Aschenhaufen der erste Gegenstand meiner erwachten Sinne.

Ich blickte noch einmal mit schwermütigem Herzen in diese Gruft verblichener Wahrheiten, und hätte mit der Vorsehung rechten mögen, daß ihr meine Bekehrung zu unwichtig schien, um dem Feuer seine verzehrende Gewalt zu benehmen, und die Ordnung der Natur zum Vorteil meiner Überzeugung zu ändern. – O ihr Unsterblichen, rief ich aus, die ihr uns euern Geist in diesen Schriften zurück ließet! warum beschütztet ihr nicht euer Vermächtnis? – O ihr Heiligen und Verklärten! wie? hielt es denn keiner von euch der Mühe wert, sein Legende zu retten? O, möchtest nur du – vor allen nur du, – selige Klara, – dein Visum repertum – – Ein Geräusch, gleich einem gewaltigen Winde, unterbrach hier den Lauf meiner Worte, und hemmte meine Stimme – Meine Blicke fuhren nach dem Kamine hin, von wannen es herkam – Was sah ich! was sträubte mein Haar! Könnte ich euch jetzt um mich her versammeln, daß euer Ohr meine Rede vernähme – ihr stolzen Widersacher jenes großen Geheimnisses, das ihr mit euren Zirkeln zu verspotten – mit eurem Einmaleins zu vernichten glaubt! Ich sah – hört es, meine Richter und folgt meinem Erstaunen – Ich sah, und ich glaubte ein Schattenspiel der Auferstehung zu sehen – den Staub der Verblichenen sich von dem Herde erheben – sich bewegen – sich ordnen; ich sah die Wahrheiten, die in jenen heiligen Schriften einzeln zerstreut lagen, sich aus ihrer Vernichtung erheben, und sich zu einem Monumente derjenigen bilden, die dem menschlichen Verstande die wichtigste, wie die unerreichbarste ist. In einem schnell vorüberfliegenden Augenblicke war ihrer aller Asche zu einer selbständigen Säule zusammengedrängt, die dreiseitig, und wie aus ätherischem Porphyr gehauen, meinem entzückten Auge erschien. Es war die höchste Überraschung – ich glaube es mit Grunde sagen zu können – die einer menschlichen Seele begegnen konnte, und die keine Zeit vermögend sein wird aus meinem Gedächtnisse zu verlöschen. Aber leider! dauerte diese anstaunungswürdige Erscheinung nur einen Augenblick – die Säule zerfiel, als wäre sie nie dagewesen. – Und wer würde mir jetzt glauben, daß es nicht ein Traum, nicht ein Blendwerk der Sinne war – wenn diesem Phänomene nicht unmittelbar ein anderes gefolgt wäre, das wie die Sonne einem sehenden Auge keinen Zweifel erlaubt, und einen Beweis zurückließ, der von jeher für unumstößlich anerkannt wurde, und die unbegreiflichsten Begebenheiten so klar macht wie die gemeinsten Ereignisse – den großen Beweis – meine ich – des Augenscheins?

Es erhob sich jetzt – könnte ich es doch dem Erdkreise ankündigen! – aus dem Staube der vor mir lag – aus dem Chaos jener mystischen Säule, erhob sich jetzt das Phänomen eines glühenden Blattes. In einen Rahm gefaßt, der wie aus Sternen zusammengesetzt schien, schwebte es über dem Herde, und das milchweiße Licht, das es ausströmte, stärkte mein verklärtes Auge zu dem hohen Genusse seiner Betrachtung. So leuchtete es mir einige selige Stunden. Mein Herz pochte vor Staunen – meine Brust dehnte sich unter dem Drange der Freude – Ach! in welch einem Meere von Empfindungen badete sich nicht meine Seele! In Entzücken und in Anstaunen dieses Wunders verloren, vergaß ich mein Dasein – vergaß euch, meine Richter, und die übrige armselige Welt. Und wäre die Tür meines Kerkers auch unverschlossen und der Weg zu euch frei und offen gewesen – die Selbstgnügsamkeit meines Gefühls würde mir allein schon verwehrt haben, von meiner geweihten Stelle zu weichen, und andere Zeugen meines Glücks zu suchen als mich. – Nie wurden wohl die stillen Fortschritte der Zeit mit so glänzenden Punkten gemessen, und ihr Übergang in die Ewigkeit so lieblich bezeichnet, als in diesen gebenedeiten Stunden. – Mit jeder Minute, die mich meinem ernsten Verhöre näher brachte, verlosch ein Stern an dem Rahme des brennenden Blattes. – Es verlosch der letzte daran, und abgekühlt senkte es sich in meine hinstrebenden Hände. Ein Blick aus meinen beseelten Augen, der in der Eil des Blitzes darauf stürzte, war genug. – Er predigte mir die verkannte Wahrheit in ihrem ganzen Umfange, erschütterte und überzeugte mein Herz. Ich hatte nur noch Zeit das aufgefangene Blatt an meinem Busen zu bergen, als der Augenblick eintrat, der mich vor die Schranken eures Gerichts zog.

So habe ich euch denn, meine Richter, durch die Irrgänge meiner Gedanken und Empfindungen bis zu dem letzten Beweise geführt, der zwischen mir und meinem Ankläger entscheiden soll. Dank sei aber zuvor noch der heiligen, verewigten Klara! Mein Nachforschen nach ihren Edelsteinen war nicht umsonst. Das Feuer, das aus den Augen der Geweihten spricht, die ihren Namen führt – das begeisterte Blut, das ich während meiner Rede ihre schönen Wangen durchziehen sah – sagt es euch laut, meine Richter, daß ich den lange verborgenen Ort entdeckt habe, der jene Kleinodien verwahrt – den unerreichbaren Ort eurer täglichen Wallfahrten, und den stillen Weg, der dahin führt – den ihr, ehrwürdige Männer dieses Gerichts, mir noch lange unter heiligen Betrachtungen nachwandeln werdet, wenn ich schon längst von meiner Entdeckungsreise zurück, meinem Vaterlande wiedergegeben sein, und nur in Gedanken noch die schattige Gegend umschweben werde, die dem Erdkreis sein größtes Wunder verbirgt. – Mag indes die Zeit der Erfüllung noch so weit in der Zukunft liegen, wir wollen uns in gläubiger Zuversicht an das schon vollendete Wunder halten, das uns heute zuteil ward – an das Zeugnis der Wahrheit, das, durch das Feuer bewährt, jede fromme Ungeduld hinhalten – jede Hoffnung beleben, jeden Zweifel an die hochgelobte Dreieinigkeit bei allen denen zerstreuen wird, die meine Aussage hören. – Das Visum repertum der Heiligen, die einst jene wundervollen Steine in ihrem Schoße trug, und seitdem, um nie verloren zu gehen, unter ihren Schwestern bis zu derjenigen forterbte, deren jungfräulicher Schoß sie noch heute verschließt – dieser Beweis ihres ehemaligen und jetzigen Daseins ist an diesem Tage glänzend und unverletzt aus den verzehrenden Flammen hervorgetreten – Seine Wahrheit ist gerettet. Hier, meine Richter, hier ist das heilige Blatt – Fallet nieder und betet an!«

Mit diesen Worten zog ich jenes in ein feines Papier geschlagenes Blatt aus meinem Busen, das ich, wie du weißt, um es als Beleg zu gebrauchen, aus der Legende der heiligen Klara von Falkenstein und in dem kritischen Augenblicke aus dem Feuer riß, als die Sammlung Pater Martins von Cochim schon lichterloh brannte. Welch einen ungleich wichtigern Dienst leistete es mir jetzt! Ach, daß du nicht bei mir warst, Eduard! und die sonderbaren und verschiedenen Bewegungen nicht mit ansehen konntest, die dieser unerwartete Ausgang meiner Rechtfertigung auf jedes einzelne Mitglied dieses hohen Gerichts hervorbrachte! Der Domherr stürzte mit einem Ungetüm herbei, der nur zu sehr den leidenschaftlichen Anteil verriet, den er an diesem Wunder nahm. Tränen traten ihm in die Augen, als er die Lieblingsstelle seiner Erbauung in so unversehrtem Drucke, auf diesem an den Rändern versengten Bogen entdeckte. Er benedeite in der Unordnung seines Verstandes alles, was ihm in den Mund kam, – das Haus, wo dieses Wunder geschah – die Asche, aus der sich dieser Phönix erhoben hatte – mich, dem die Vorsehung das unverbrennliche Blatt einhändigte – besonders aber sich, der zur Entstehung dieses erstaunlichen Phänomens die erste Gelegenheit gab. – »Nun«, rief er, ohne seine Phrasen zu enden, »ist der große Beweis gerettet – die Nachforschungen der Schriftgelehrten werden – – – die heiligen Steine liegen – – – ja, ich hoffe sie noch mit eigenen Augen – – –« Doch indem schien er sich zu besinnen, wie anstößig dem guten Klärchen ein Kompliment vorkommen müsse, das auf ihre Sektion gebaut war. Er ließ seinen Enthusiasmus nicht weiter laut werden, hüllte sich in seinen Purpur und warf sich erschöpft und atemlos auf den Lehnstuhl.

Die innern Rührungen der alten, frommen, erstaunten Bertilia zeigten sich lange nur in den stillen Verzerrungen ihres scheußlichen Gesichts.– »Ich bin«, ergriff sie endlich mit heulender Stimme das Wort, »grau bei Wundern geworden, aber keines – nein, keines hat mächtiger noch mein Herz gerührt. Wie werden meine Nachbarn – wie werden alle die neidischen Weiber im Hospitale – wie wird Stadt und Land über das Heil erstaunen, das diesem Hause, und eben in der Zeit widerfuhr, da es – o ihr Heiligen! der Aufsicht eurer Magd anvertraut war!«

Doch, wie mag ich nur einen verlornen Blick an diese Furie wenden, da die Graziengestalt ihrer Nichte dicht neben ihr steht, die mir in der Gruppe meiner Bewunderer doch immer die liebste Figur – aber eben darum auch am schwersten zu zeichnen ist! Ach! es wäre wohl der Mühe wert, wenn ich es nur vermöchte, dir die mancherlei Schlangengänge ihrer Empfindungen, mit allen den feinen Schatten zu schildern, die auf ihrem Gesichtchen spielten, als sie dasselbe Blatt zu solchen Ehren erhoben sah, bei dem sie ihren Puder verlor. Ein verstohlener Blick ihrer schönen Augen, der über den Sektionsbericht ihrer Namensschwester nach dem Domherrn hingleitete, und die Errötung auf beiden Gesichtern, die nachfolgte, würden mich, wenn es nicht schon der Epilogus zur Genüge getan hätte, genau auf die Spur ihrer ersten Lehrstunde gebracht haben. Jene älteren Erinnerungen schienen alle Gewalt aufzubieten, um das frische Andenken ihrer jüngern Erfahrungen aus ihrem Blute zu treiben, oder ich müßte das Farbenspiel ihrer Wangen – müßte den beredten Ausdruck ihres Gefühls nicht verstanden haben, den ich doch deutlich in ihren Mienen zu lesen glaubte. Doch setzte sie – wenn ich recht sah – der schnelle Übergang des so sehr gedemütigten Mannes zu der Glorie eines Wundertäters mehr noch in Verlegenheit als das übrige. Sie wendete ihre Augen so schüchtern nach mir, als hätte sie ihnen aufgetragen, mir in ihrem Namen das Unrecht abzubitten, dessen sie sich schuldig gegen mich fühlte. – Da sie ihr aber keinen Blick der Vergebung aus den meinigen mitbrachten, so nahm sie ihre Sirenenstimme zu Hülfe. – »Wer hätte das gestern noch denken sollen!« tönte sie mir sonorisch ins Ohr, daß es nicht anders möglich war, der Stimmhammer mußte mir dabei einfallen. Ihr rechter Fuß, über den das Band der unbefleckten Jungfrau gegürtet war, zitterte zugleich, als ob er im Fieber läge, und der heilige Nicaise war im Steigen und Fallen. Abscheulich schönes Mädchen! dachte ich, und beinahe glaube ich, sie erriet meinen Gedanken: denn so geschickt auch die Wendung war, mit der ihr Blick von mir seitwärts nach ihrer Tante überging, so schien er mir doch zu abgebrochen, um ganz natürlich zu sein. – »Ich sehe im Geiste,« sagte sie mit einem unterdrückten Seufzer zu ihr, »welch einen Segen die Begebenheit dieses Morgens über das Haus meiner Wohltäterin bringen wird. Von den fernsten Orten her werden Wallfahrten nach dem unverbrennlichen Blatte geschehen, und ach! wie hoch werden nicht Ihre Mieten im Preise steigen! Aber,« fuhr sie mit niedergeschlagenen Augen fort, »wohin, ihr Jungfrauen des Himmels! wohin werde ich mich alsdann verstecken, wenn, als Erbin der heiligen Klara, auf mich aller Augen gerichtet sind? – Ach, mein Herr!« drehte sie nun wieder ihr Köpfchen zu mir, ergriff meine Hand, und drückte sie vor überströmender frommer Empfindung und im Angesichte des Propstes, an ihren schwellenden Busen. Aber kein Mensch gab jetzt etwas auf diesen Vorsitzer meines peinlichen Gerichts. Kalt und ernsthaft stand er mit verschlossnen Lippen vor dem Tische. Der Mann am Protokolle stand lange wie versteinert neben ihm. – Endlich ermannte er sich und fragte mit leiser Stimme seinen Patron, ob er den Vorgang zu Papiere bringen sollte? Da ihm dieser aber aus übler Laune nicht antwortete – hielt er es länger nicht aus, setzte sich, und tat es ungeheißen, indes der Domherr, dem alles an der Ausbreitung des Wunders gelegen zu sein schien, die Tür aufriß, und meinen Bastian und die Wache herbei rief. Eine neue auffallende Szene für einen so ruhigen Beobachter als ich jetzt war. Die beiden Bärmützen, die sich zu nichts geringerem als zu dem schrecklichen Befehle abgerufen glaubten, mich in ihr ehemaliges Gefängnis zu begleiten, stutzten gewaltig, als sie mich nur mit gerührten und freundlichen Gesichtern umringt fanden – trauten ihren Augen und Ohren kaum, als sie die Ehrerbietungen sahen – und die süßen Worte hörten, mit denen mich Kläger und Richter überhäuften. Der Domherr mußte sie mehr als einmal erinnern, dem neuen Wunder des unverbrennlichen Blattes zu huldigen, ehe sie begreifen konnten, was er wollte, und was es eigentlich mit der schnellen Veränderung meines Zustandes für eine Bewandtnis habe. – Als sie es aber endlich begriffen, so stürzten desto freudigere Tränen von ihren brüderlichen Wangen herab. Der Prologus drückte mir die Hände, der Epilogus küßte mir sie – beide winkten mir ihren Beifall zu, und selbst in ihren nassen Augen flimmerte das lachende Geständnis, daß sie mich für ihren Meister erkannten.

Alles das rührte und belustigte mich wechselsweise: doch Bastian, der in der Schwärmerei seiner Jugend und Frömmigkeit den Vorgang wie ein Evangelium glaubte und sich selig pries, einem solchen Herrn zu dienen – Bastian allein kam, ohne es zu wollen, auf die rechte Spur, mich aus meiner Fassung zu bringen. »Ach!« sagte er mit schmelzender Stimme, »was wird nicht meine gute Schwester Margot und mein Schwager für Freude haben, wenn sie das hören!« Ich erschrak, wie ein Dieb, der seinen Steckbrief in den Zeitungen liest, bei dieser Erwähnung. – »Gott! Gott!« sagte ich heimlich zu mir, »wie unabsehlich weit hast du dich in diesen sieben Tagen von den unschuldigen Hüttenbewohnern des ehrlichen Caveracs und von dir selbst entfernt! – von einem natürlichen guten Manne – zu einem religiosen Betrüger!« – – – Mir war zumute wie einem Juden, der Schinken verkauft. Ich hatte einen Abscheu vor meinem Handel. – Da aber der Vorteil mir – der Nachteil meinen Feinden zufiel, so fand ich hierin einen doppelten Bewegungsgrund, mich geschwind genug zu beruhigen, und ließ es einstweilen damit gut sein. – Bastian war inzwischen zur Türe hinausgewischt und stürmte, wie der Diener eines Zahnarztes das Volk zu der Boutique seines Patrons. In wenig Augenblicken waren Zimmer, Vorsaal und Treppe voll von Neugierigen und Andächtigen, die mir alle vorkamen, als wären sie dem Tollhause entlaufen. Bei einem solchen Getöse muß man der Wunder besser gewohnt sein als ich – muß man, glaube ich, ein Geistlicher sein, um sich nicht bange werden zu lassen. – Während dieses Tumults hatte sich der Propst fortgeschlichen, sein Waffenträger ihm nach. Ich war heilfroh darüber, denn so lange sich dieser Schwarzkünstler in der Nähe befand, schien mir immer noch etwas im Wege zu stehen. Nun erst ward mir recht leicht um das Herz. Ich sah mit wahrem Entzücken, daß mein Gericht aufgehoben – meine hämischen Ankläger zum Schweigen gebracht – was mir aber mehr als alles dies den Gewinn meines Prozesses versicherte: ich sah, daß die Volksstimme auf meiner Seite war. Eine halbe Stunde hielt ich noch das Anstaunen der Menge – ihre unbesonnenen Fragen und die ekeln Ausbrüche ihrer Verehrung aus: da ich aber zuletzt dieser albernen Szene höchst müde war und mich besann, daß ich vor meinem Abreise noch andere wichtige Geschäfte abzutun hatte, so wendete ich mich mit dem Anstande eines Mannes, dessen Bitten Befehl sind, an den buntscheckigen Haufen, äußerte mein Verlangen, daß man mir nun auch einige Ruhe gönnen möchte, packte mein Zauberblatt wieder ein – und machte ihnen Hoffnung, es nächstens der allgemeinen Andacht öffentlich auszustellen. Diese höfliche Erklärung tat ihre Wirkung – und um ganz sicher vor weiterem Anlaufe zu sein, befahl ich meinen Grenadieren, sich vor das Haus zu stellen – und, bei Strafe der Kassation, keine Seele sich dem Türklopfer nähern zu lassen.


 << zurück weiter >>