Ludwig Thoma
Satiren
Ludwig Thoma

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Hofbauer

»Wenn Sie ein beliebter Anwalt werden wollen, so müssen Sie vor allem bestrebt sein aus den umständlichen Erzählungen der kleinen Leute das Wesentliche herauszufinden; dies werden Sie am besten durch ruhiges Zuhören erreichen. Als Gewissensrat müssen Sie es hinnehmen, wenn Ihnen jemand sein ganzes Herz ausschüttet. Ungeduld würde nur schaden und Sie werden diese auch nicht aufkommen lassen, wenn Sie daran denken, welch hohes Vertrauen Ihnen jeder entgegenbringt, der Ihren Rat als Richtschnur für eine wichtige Handlung erhalten will. Ich habe nie begriffen, wie ein Anwalt es über sich bringen kann, grob zu sein.«

Diese schönen Grundsätze stehen in einem Brief meines Freundes, der es nicht unterlassen kann, mir gute Lehren zu geben.

Sehr gut gesagt, mein Bester! Wollen wir weiterlesen. »Der Beruf des Anwaltes hat noch etwas an sich von dem edlen Verhältnisse des römischen Patronus zum hilfsbedürftigen Klienten . . .«

In diesem Augenblick haut jemand mit dem Stecken an meine Gangtüre und poltert mit den Stiefeln dagegen.

Die Haushälterin kennt sich gleich aus; das ist wieder einer aus der Moosgegend, wo sie die elektrischen Klingeln noch nicht kennen.

Sie öffnet also. Ein paar unartikulierte Laute, dann erscheint im Türrahmen ein Bauer, der aussieht wie alle und nach feuchtem Leder riecht, ebenfalls wie alle. Zuerst wickelt er sich vom Halse ein drei Meter langes wollenes Tuch, legt es auf ein paar frisch beschriebene Bogen Papier, sucht für seinen Gehstock eine passende Zimmerecke und entfernt dann von seinem Hut allen Schnee, welcher darauf lag, indem er ihn heftig gegen meinen Schreibtisch hin schwingt.

»'s Good, Herr Dokta! Ich hätt a Frag.«

»So? Setzen Sie sich nieder und sagen S' mir einmal zuerst, wer Sie sind.«

»Ja, der Hofbauer waar i.«

»Waren Sie? Und wer sind S' denn jetzt?«

»Ja, i waar's no.«

»Aha, Sie sind's noch?«

Nach einigem Frage- und Antwortspiel sind wir so weit, dass ich weiß: Er heißt Pius Reidel, ist der Hofbauer in Zeidlfing, verheiratet und katholisch.

»So, Hofbauer, was für einen Schmerzen haben wir denn?«

Ja, indem dass er wegen Körperverletzung angeklagt ist, unschuldig und von lauter meineidigen Zeugen.

»Hm! Sind S' schon einmal bestraft worden?«

»Na! Dös hoaßt, bloß dreimal, aber auch unschuldig . . . Wie's halt oft geht; die Leut sind schon einmal so schlecht heutzutag.«

»Hm! Hm! Nun erzählen S' mir einmal kurz, was Ihnen passiert ist.«

Kurz! Ja freilich! Das geht nicht so geschwind.

Das geht alles der Reihe nach, Ordnung muss sein, und für was ist denn der Advokat da?

Und so fängt er denn an. Wie er in der Früh aufgestanden ist und an nichts gedacht hat; wie er dann schön langsam zum Wirt hinuntergegangen ist; wer ihm begegnet ist und was sie geredet haben; wer beim Wirt schon da war und wie er eine Maß getrunken hat und dann noch eine und hernach wieder eine. Und wie er immer noch an nichts gedacht hat. Dass dann am anderen Tisch der Pfeifergütler von Huglfing gesessen ist, der miserabelste Mensch, seitdem das Schlechtsein erfunden worden ist. Mit dem er schon vor fünf Jahren einen Prozess gehabt hat; wissen S', wegen dem Kirchenweg, der eigentlich kein Kirchenweg gar nicht war, weil er über seinen Grund geführt hat.

Jetzt kommt der alte Prozess in die Erzählung.

»Hofbauer, geht es gar nicht ein bissel kürzer?«

»Na! I muaß's Eahna gnau verzählen, damit S' Eahna auskennan . . .«

Also hü! Ja, der alte Prozess, und wie er ihn verloren hat durch den Meineid vom Pfeifer. Wie er ihm das am kritischen Tag hernach hingerieben hat und wie sie ins Streiten gekommen sind.

Dann ist der Pfeifer aufgestanden und hat gesagt: Hofbauer, hat er gesagt, jetzt kann ich nimmer anders, und dabei hat er ihm zwei auf den rechten Backen hingehauen.

»So hat er's gemacht« – die Erzählung bringt der Hofbauer jetzt hochdeutlich und sehr dramatisch – »so hat er's gemacht.«

Er wischt sich mit der Hand über das Gesicht um mir seine Watschn recht zu veranschaulichen.

Und dann hat ihm der Pfeifer links zwei hingehauen – so . . .

Und dann hat er ihm dreimal unter das Kinn gestoßen – der Hofbauer macht es so deutlich, dass ihm die Zähne klappern – ja, und dann hat er ihn bei den Haaren genommen und hat ihm den Kopf an die Türe hingedrückt und ist auf- und abgefahren damit, nämlich mit dem Kopf . . .

»Ah? Merkwürdig! Und das hat sich der Hofbauer alles ruhig gefallen lassen?«

»Freilich! Was willst denn machen mit solchene wüsten Leut?«

»Dann möcht ich aber doch schon wissen, Hofbauer, warum Sie wegen Körperverletzung angeklagt worden sind? Da sollten Sie doch eher eine Extrabelobigung kriegen wegen Ihrer Friedfertigkeit?«

Ja, das ist aber die Schlechtigkeit! Der Pfeifer behaupt' jetzt, dass ihm der Hofbauer einen Maßkrug am Schädel zerschlagen hat, und hat drei elendige Lumpen gefunden, die es beschwören wollen. Es ist kein Wort davon wahr; er hat bloß einen Maßkrug in der Hand gehabt, der ist aber selber zerbrochen; es wird schon wer daran hingekommen sein.

Der Hofbauer kennt vier Leute, die bestätigen werden, dass sie nichts gesehen haben . . .

Ich glaubte nun annehmen zu dürfen, dass er mit seiner Erzählung fertig sei, und erkläre ihm, dass ich ihn verteidigen wolle.

Allein er geht noch nicht. Jedes Mal, wenn ich Abschied nehmen will und sage: Also, ist schon recht, Hofbauer, jetzt sind wir fertig, oder: Bhüt Gott, Hofbauer, schauen S', dass S' gut heimkommen, fängt er wieder an: Ja, »Esel, verdächtiger«, hat der Pfeifer gesagt, und »du ganz schlechter Kerl«, und dann hat er gesagt: Hofbauer, hat er gesagt, jetzt kann ich nimmer anders, und hat ihm zwei hingehauen. Zwei auf den rechten Backen und zwei auf den linken. Ob das in Bayern erlaubt ist?

Ich bekomme allmählich das Gefühl, als ob mir einer die Haare einzeln ausrisse oder Zähne ausziehe.

»Nein, das ist in Bayern nicht erlaubt, Hofbauer; aber ich habe jetzt keine Zeit mehr Ihnen das zu erklären. Kommen Sie vor der Verhandlung meinetwegen noch einmal her. Für heute sind wir fertig. Adieu!«

Das versteht er endlich und macht sich zum Aufbruch fertig.

Aber es hat noch nie jemand so lange gebraucht um drei Meter Tuch um den Hals zu wickeln, wie der Hofbauer, und noch nie hat jemand seinen Stock so lange von allen Seiten betrachtet wie er.

Gott sei Dank! Jetzt ist er draußen und ich lehne mich erschöpft im Lehnsessel zurück.

Aber was ist denn das? Es klopft jemand? Richtig! Es ist der Hofbauer.

»Herr Dokta, i hab no was vergessen. Moana S', dass mir dös beim Gricht 'glaubt werd?«

»Was denn?«

»Ja, dös mit dem Maßkrug? Dass er von selm z'brochen is?

»Nein, das wird Ihnen nicht geglaubt. Aber Sie können's ja probieren.«

»Ja, i werd mir's überlegen. Adies, Herr Dokta, i kimm bald wieda.«

Diesmal geht er wirklich und ich denke zwei Tage weder an Pius Reidel noch an Kastulus Pfeifer.

Am dritten Tag, so in der Frühe gegen sechs Uhr, bei stockfinsterer Nacht, läutet es. Ich höre schwere Fußtritte und dann klopft es.

»Herr Doktor, Sie möchten aufstehen, ein Bauer ist da, der Sie sprechen muss.«

»Na, wenn schon, denn schon!«

Raus aus dem Bett, angekleidet und in die Kanzlei.

»Himmel, Herr . . ., der Pius Reidel aus Zeidlfing!«

»'s Good, Herr Dokta, i bin a bissl fruah dran; aber i hab mir denkt, i muaß Eahna glei aufsucha, dass Eahna net umasunst plagen. Wissen S', i hab mir dö Gschicht überlegt; i lass mi halt in Gotts Namen strafa und tua net lang rum. Sie brauchen mi net verteidingen. Die Bäuerin hat aa gsagt, es kost grad mehra . . .«

»Soo? Pius Reidel!«, schrei ich, »Pius Reidel! Wie viel Watschen hat Ihnen der Pfeifer hingehauen?«

»Ja, zwoa auf den rechten Backen und nacha zwoa auf den linken Backen und nacha . . .«

»Halt! Macht bloß vier. Wenn Sie den Kastulus Pfeifer wieder sehen, dann sagen Sie ihm in meinem Auftrag, er sei ein Ehrenmann, aber eine Watschen auf jeden Backen ist er Ihnen noch schuldig. Alle guten Dinge sind drei. Verstehen Sie mich? Und jetzt marsch, 'naus!«

Es wurde mir gleich wieder besser zumute, als ich meinem Zorne auf diese Weise Luft verschafft hatte. Ich konnte sogar eine halbe Stunde später beim Kaffee die Rede eines Abgeordneten lesen, und zwar bis zu Ende, welcher für die Errichtung eines Volksbüros plädierte. Denn, sagte er, meine Herren! Man findet es heute nur zu häufig, dass die Anwälte sich nicht die Zeit nehmen, oder ich will sagen, nicht nehmen können, um dem Hilfe suchenden Publikum diejenige Aufmerksamkeit zu widmen, welche es beanspruchen kann, darf und muss, und so weiter. Ja, wohl!


 << zurück weiter >>